Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen Rückübertragung des Sorgerechts auf die Eltern

Beschluß vom 20.11.1014 – 1 BvR 1404/24
Am 13.12.2024 hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts eine Verfassungsbeschwerde eines Verfahrensbeistands im Interesse eines Kleinkinds nicht zur Entscheidung angenommen. Die Beschwerde richtete sich gegen die Wiederübertragung des Sorgerechts an die Eltern, obwohl der Verdacht bestand, dass ein Elternteil oder beide das Kind zuvor heftig geschüttelt hatten.
Sachverhalt
Das gut vier Wochen alte Kind wurde nach Krankenhausbesuchen mit Verletzungen diagnostiziert, die auf ein Schütteltrauma hinwiesen. Das Familiengericht entzog den Eltern aufgrund eines rechtsmedizinischen Gutachtens zeitweilig das Sorgerecht. Es sah die Gefahr erneuter Schädigungen als gegeben an.
Das Oberlandesgericht (OLG) hob den Beschluss des Familiengerichts auf und übertrug das Sorgerecht unter der Auflage, dass die Familie eine Eltern-Kind-Einrichtung bezieht und ambulante Maßnahmen durchführt. Es berücksichtigte, dass die Gefahr erneuter Schädigungen aufgrund des Alters des Kindes und präventiver Maßnahmen signifikant gesunken sei.
Der Verfahrensbeistand sah hierin eine Verletzung des Schutzanspruchs des Kindes gemäß Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG.
Wesentliche Erwägungen der Kammer
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Schutzanspruch des Kindes und staatliche Eingriffsrechte
Kinder haben Anspruch auf staatlichen Schutz, wenn die Eltern ihrer Erziehungsverantwortung nicht gerecht werden (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG). Staatliche Maßnahmen müssen jedoch verhältnismäßig sein und den grundsätzlichen Vorrang der Eltern respektieren.- Eingriffe in das Sorgerecht hängen von einer Gefahrenprognose ab.
- Je schwerwiegender die drohenden Schäden, desto geringere Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit der Gefährdung.
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Prognose und Begründungspflichten der Fachgerichte
- Fachgerichte müssen bei Anhaltspunkten für erhebliche Kindeswohlgefährdungen nachvollziehbar begründen, warum keine Schutzmaßnahmen wie eine Trennung notwendig sind.
- Es gelten strenge Anforderungen, insbesondere bei Misshandlungsvorwürfen. Ein Absehen von der Trennung erfordert hohe Sicherheit, dass erneute Schäden nicht eintreten.
Verfassungsrechtliche Bewertung
a) Sachverhaltsfeststellung und Gefahrenprognose
- Die Prognose des OLG, dass die Gefahr erneuter Schütteltraumata signifikant gesunken sei, basiert auf den rechtsmedizinischen und psychiatrischen Gutachten.
- Das Alter und die Entwicklung des Kindes (nächtliches Durchschlafen) sowie fehlende Hinweise auf gewalttätige Neigungen der Eltern rechtfertigen die Annahme, dass das Risiko erneuter schwerer Schäden gering ist.
- Die Annahme, dass mögliche zukünftige Übergriffe der Eltern weniger gravierend sein würden, findet ebenfalls ausreichende Grundlage in den Gutachten.
b) Begründung der Entscheidung
- Das OLG legte detailliert dar, warum es trotz der Anhaltspunkte für Misshandlungen in der Vergangenheit keine erhebliche zukünftige Gefährdung des Kindes sieht.
- Berichte der Eltern-Kind-Einrichtung stützen die Einschätzung, dass die Eltern eine bedürfnisgerechte Versorgung und eine liebevolle Beziehung zum Kind gewährleistet haben.
- Abweichende Einschätzungen anderer Beteiligter (z. B. Verfahrensbeistand) wurden berücksichtigt, führen aber nicht zu einem Verstoß gegen die Begründungsanforderungen.
c) Verfassungsrechtliche Kontrolle
- Das Bundesverfassungsgericht überprüft nur deutliche Fehler in der Tatsachenfeststellung oder Prognose der Fachgerichte. Eine eigene Gefahrenprognose wird nicht vorgenommen.
- Der angegriffene Beschluss genügt diesen Anforderungen, da keine deutlichen Wertungsfehler erkennbar sind.
Ergebnis
Die Verfassungsbeschwerde wurde als unbegründet abgewiesen, da die Prognose und Begründung des OLG verfassungsrechtlich tragfähig sind. Die Wiederübertragung des Sorgerechts an die Eltern unter Auflagen verletzt nicht den staatlichen Schutzanspruch des Kindes.