OpenAI verletzt Urheberrechte – so LG München I
Hintergrund des Falls
Die deutsche Verwertungsgesellschaft GEMA (Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte) hat OpenAI, den Betreiber von ChatGPT, wegen Urheberrechtsverletzungen verklagt. Hintergrund ist, dass ChatGPT – ein KI-gestütztes Sprachmodell – offenbar mit geschützten Liedtexten aus dem GEMA-Repertoire trainiert wurde und diese auf Anfrage nahezu vollständig wiedergibt[1][2]. OpenAI hatte hierfür keine Lizenz bei der GEMA erworben und die Urheber nicht für die Nutzung ihrer Werke vergütet[1].
Bereits im November 2024 reichte die GEMA Klage beim Landgericht München I (Az. 42 O 14139/24) gegen OpenAI in den USA sowie dessen europäische Niederlassung OpenAI Ireland ein[3]. Es handelt sich um eine der ersten Klagen weltweit, in der eine Verwertungsgesellschaft gegen einen KI-Anbieter wegen Training und Ausgabe urheberrechtlich geschützter Inhalte vorgeht[4]. Gegenstand der Klage waren konkret neun populäre deutschsprachige Songs, darunter „Atemlos durch die Nacht“ (Helene Fischer/Kristina Bach), „Männer“ (Herbert Grönemeyer), „Über den Wolken“ (Reinhard Mey) sowie „In der Weihnachtsbäckerei“ und „Wie schön, dass du geboren bist“ (beide von Rolf Zuckowski)[5][6]. ChatGPT konnte diese Liedtexte auf einfache Benutzereingabe hin nahezu wortgleich generieren, was nach Ansicht der GEMA belegt, dass die Originaltexte im KI-Modell gespeichert sind[2]. Weder für das KI-Training noch für die Ausgabe dieser Texte hatte OpenAI eine Lizenz oder Vergütung entrichtet, obwohl andere Online-Dienste für die Nutzung solcher Songtexte in der Regel Lizenzgebühren an die Rechteinhaber zahlen[2]. Die GEMA sah darin eine Verletzung des Vervielfältigungsrechts und des Rechts der öffentlichen Zugänglichmachung (§ 19a UrhG) der betroffenen Liedtexte[2].
Um künftigen Missbrauch zu verhindern, hatte die GEMA stellvertretend für ihre ~95.000 Mitglieder bereits im Vorfeld einen sogenannten Nutzungsvorbehalt erklärt: Werke aus dem GEMA-Repertoire dürfen nur nach Erwerb einer Lizenz zum KI-Training verwendet werden[7]. Diese Erklärung – in maschinenlesbarer Form für online verfügbare Inhalte – bedeutet, dass sich die GEMA-geschützten Werke nicht auf die Text- und Data-Mining-Schranke berufen lassen, sofern keine Lizenz vorliegt[7]. Zudem entwickelte die GEMA Ende September 2024 ein spezielles Lizenzmodell für generative KI-Systeme, um eine legale Nutzung von Musikwerken im KI-Bereich zu ermöglichen[8][9]. OpenAI war jedoch nicht bereit, eine solche Lizenz abzuschließen[9], sodass die GEMA den Klageweg beschritt. Unterstützt wurde die Klage von mehreren namhaften Songautoren und Musikverlagen, deren Texte nachweislich von ChatGPT verwendet wurden (u.a. Kristina Bach, Rolf Zuckowski, Reinhard Mey, Inga Humpe, Tommi Eckart, Ulf Sommer, Peter Plate)[10].
Urteil des Landgerichts München I vom 11. November 2025
Am 11. November 2025 fällte die 42. Zivilkammer des LG München I ein Grundsatzurteil in diesem Fall und gab der Klage der GEMA in wesentlichen Punkten statt[11][12]. Das Gericht stellte eindeutig fest, dass OpenAI durch das Training und den Betrieb von ChatGPT Urheberrechte verletzt[11]. Insbesondere liege in der Speicherung (Memorisierung) der geschützten Liedtexte im KI-Modell sowie in der Wiedergabe der Texte als ChatGPT-Antwort eine unzulässige Vervielfältigung dieser Werke[13]. Auf Benutzer-Prompts wurden die Liedtexte exakt oder weitgehend identisch ausgegeben, was für die Kammer der Beweis war, dass die Originalwerke im System enthalten sind[14]. Darüber hinaus wertete das Gericht die Ausgabe der Texte an die Nutzer als öffentliche Zugänglichmachung der Werke ohne Zustimmung der Rechteinhaber[15]. Damit griff OpenAI in die exklusiven Verwertungsrechte der Urheber (insbesondere das Vervielfältigungsrecht nach § 16 UrhG und das Zugänglichmachungsrecht nach § 19a UrhG) ein[15].
Die Richter betonten, dass keine der gesetzlichen Schranken des Urheberrechts hier greift[16]. Insbesondere ist die Tätigkeit von OpenAI nicht vom erlaubten Text- und Data-Mining nach § 44b UrhG gedeckt[16].
§ 44b Text und Data Mining – Urheberrechtsgesetz
(1) Text und Data Mining ist die automatisierte Analyse von einzelnen oder mehreren digitalen oder digitalisierten Werken, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen zu gewinnen.(2) Zulässig sind Vervielfältigungen von rechtmäßig zugänglichen Werken für das Text und Data Mining. Die Vervielfältigungen sind zu löschen, wenn sie für das Text und Data Mining nicht mehr erforderlich sind.(3) Nutzungen nach Absatz 2 Satz 1 sind nur zulässig, wenn der Rechtsinhaber sich diese nicht vorbehalten hat. Ein Nutzungsvorbehalt bei online zugänglichen Werken ist nur dann wirksam, wenn er in maschinenlesbarer Form erfolgt.
Zwar erlaubt § 44b UrhG das automatisierte Durchforsten von Internetdaten und sogar die Vervielfältigung urheberrechtlich geschützter Werke zu Analysezwecken (etwa das Anlegen temporärer Kopien beim Datensammeln)[17]. Diese Ausnahme soll jedoch primär das Extrahieren von Informationen aus Werken erlauben, nicht das Speichern und spätere vollständige Wiedergeben der geschützten Werke selbst[18]. Im vorliegenden Fall werden nicht nur statistische Erkenntnisse aus den Trainingsdaten genutzt, sondern die Werke selbst nahezu unverändert reproduziert – das gehe über zulässiges Data-Mining hinaus[18]. Auch eine andere Auslegung oder analoge Anwendung der Schranke lehnte die Kammer ab[18]. Ebenso wenig greift § 57 UrhG (unwesentliches Beiwerk); die Einbindung der Texte ist hier nicht bloßes zufälliges Beiwerk, sondern zentraler Output des Systems[16].
§ 57 Unwesentliches Beiwerk – Urheberrechtsgesetz
Zulässig ist die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe von Werken, wenn sie als unwesentliches Beiwerk neben dem eigentlichen Gegenstand der Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentlichen Wiedergabe anzusehen sind.
Ferner verwarf das Gericht das Argument, die KI generiere die Texte lediglich neu aus gelernten Parametern. Die Kammer hielt es für ausgeschlossen, dass das wortgetreue Wiedergeben dieser bekannten Liedtexte ein bloßer Zufallseffekt des Modells sei – vielmehr seien die Texte eindeutig aus dem Training “memorisiert” worden[19]. Auch eine stillschweigende Einwilligung oder Duldung der Urheber konnte OpenAI nicht geltend machen: Die Richter stellten klar, dass das Training von KI-Modellen keine übliche oder erwartbare Nutzungsart ist, mit der Rechteinhaber ohne Weiteres rechnen müssen[20]. Mit anderen Worten: Nur weil Inhalte im Internet stehen, darf ein KI-Unternehmen sie nicht ungefragt als Trainingsmaterial verwenden – das Internet ist kein Selbstbedienungsladen für urheberrechtlich geschützte Inhalte[21].
Im Ergebnis wurde OpenAI wegen Urheberrechtsverletzung verurteilt[11][15]. Das Urteil enthält insbesondere folgende Anordnungen:
- Unterlassung: OpenAI muss es unterlassen, die streitgegenständlichen neun Liedtexte weiterhin in seinen KI-Modellen zu speichern oder ausgeben zu lassen[14]. Mit anderen Worten darf ChatGPT diese spezifischen Songs nicht mehr wortgetreu wiedergeben.
- Schadensersatz: OpenAI wurde dem Grunde nach zu Schadensersatz verpflichtet[14]. Die genaue Höhe wird in einem getrennten Verfahren oder Vergleich zu ermitteln sein, orientiert an einer angemessenen Lizenzgebühr für die Nutzung der Texte.
- Auskunft: OpenAI muss der GEMA bzw. den Rechteinhabern Auskunft erteilen über die Nutzung der betreffenden Werke und die mit ChatGPT erzielten Erträge[14]. Diese Informationen dienen dazu, den Schaden und unrechtmäßigen Gewinn quantifizieren zu können (Stichwort: Herausgabe von Verletzergewinn).
Abgewiesen wurde lediglich ein Nebenpunkt der Klage, nämlich soweit Ansprüche aus Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts geltend gemacht wurden[22]. Dieser Aspekt spielte für das Kernthema Urheberrecht jedoch keine große Rolle.
Die Vorsitzende Richterin Elke Schwager brachte die Entscheidung in der Urteilsverkündung prägnant auf den Punkt: Eine hochinnovative Beklagte wie OpenAI müsse erkennen, dass man, wenn man etwas bauen wolle und dafür Bauteile brauche, „diese eben erwerben [müsse] und nicht das Eigentum anderer nutzt“[23]. Das Münchener Urteil ist das erste seiner Art in Europa, das die Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke durch generative KI ausdrücklich bewertet. Es schafft einen Präzedenzfall zugunsten der Kreativschaffenden[11]. Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig – OpenAI hat bereits Widerspruch signalisiert und erwägt Rechtsmittel[24]. Es ist daher wahrscheinlich, dass die nächste Instanz (das Oberlandesgericht) sich mit dem Fall befassen wird. Nichtsdestotrotz ist die Entscheidung vorläufig vollstreckbar, sodass OpenAI bis auf Weiteres an die Unterlassungsgebote gebunden ist (gegen Sicherheitsleistung der GEMA).
Unmittelbare Konsequenzen für OpenAI
Für OpenAI hat das Urteil kurzfristig sowohl technische als auch rechtliche Konsequenzen. Zunächst muss das Unternehmen dafür sorgen, dass ChatGPT die betroffenen neun Liedtexte nicht mehr ausgibt und die Werke nicht weiter im Modell vorhält[25]. Da nachträglich bereits erlernte Daten nicht einfach aus einem trainierten KI-Modell gelöscht werden können, kann OpenAI dies praktisch nur durch zusätzliche Filter oder Richtlinien im System erreichen[25]. Tatsächlich verweigert ChatGPT schon jetzt bei Anfragen nach vielen bekannten Liedtexten die Ausgabe mit dem Hinweis auf urheberrechtliche Gründe[26]. Die Content-Filter von OpenAI wurden offenbar verschärft, um dem Urteil zu genügen und weitere Verstöße zu vermeiden. Langfristig dürfte OpenAI beim Training neuer Modelle vorsichtiger vorgehen und urheberrechtlich geschütztes Material – zumindest aus dem GEMA-Repertoire – entweder ausschließen oder nur noch mit Lizenz verwenden.
Neben der inhaltlichen Anpassung des Dienstes drohen OpenAI finanzielle Folgen. Das Unternehmen muss Schadensersatz leisten, dessen Umfang noch festzulegen ist[14]. GEMA und die betroffenen Rechteinhaber werden eine angemessene Lizenzgebühr für die Nutzung der Texte einfordern, was bei neun populären Songs beträchtliche Beträge bedeuten kann. Hinzu kommt die Pflicht zur Auskunftserteilung, wodurch OpenAI interne Informationen über Trainingsdaten und eventuelle kommerzielle Vorteile von ChatGPT offenlegen muss[14]. Diese Transparenz kann weitere Ansprüche nach sich ziehen und schafft einen Präzedenz für ähnliche Fälle.
Strategisch steht OpenAI nun vor der Entscheidung, entweder auf die GEMA (und potenziell andere Verwertungsgesellschaften) zuzugehen und Lizenzvereinbarungen abzuschließen, oder den Rechtsweg weiter zu beschreiten. Angesichts des Urteilsdrucks und der öffentlichen Aufmerksamkeit könnte OpenAI erwägen, Lizenzen für geschützte Inhalte zu erwerben, um den Betrieb von ChatGPT rechtssicher zu gestalten[27]. Die GEMA bietet seit 2024 ein fertiges Lizenzmodell an[9], das OpenAI nutzen könnte, um künftige Trainingsdaten legal zu beziehen – bisher hatte OpenAI dies allerdings abgelehnt[9].
OpenAI hat unmittelbar nach dem Urteil erklärt, mit der Entscheidung nicht einverstanden zu sein und „weitere Schritte“ zu prüfen[24]. Dies deutet darauf hin, dass OpenAI Berufung einlegen wird. Ein Rechtsmittel hätte aufschiebende Wirkung in Bezug auf Geldzahlungen; die Unterlassungsverpflichtung könnte jedoch weiterhin vorläufig durchgesetzt werden. OpenAI muss also einerseits juristisch gegen das Urteil vorgehen und andererseits kurzfristig sicherstellen, dass ChatGPT die Vorgaben des Gerichts einhält, um Zwangsmaßnahmen (z.B. Ordnungsgelder in Deutschland) zu vermeiden. In jedem Fall hat das Urteil OpenAI deutlich gemacht, dass die Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke ohne Lizenz ein erhebliches rechtliches Risiko darstellt – nicht nur in diesem Einzelfall, sondern grundsätzlich für die Geschäftsmodelle generativer KI.
Unmittelbare Konsequenzen für die GEMA
Für die GEMA und die von ihr vertretenen Urheber markiert dieses Urteil einen bedeutenden Erfolg mit sofortiger Signalwirkung. Kurzfristig stärkt die Entscheidung die Verhandlungsposition der GEMA gegenüber OpenAI und anderen KI-Anbietern. Das Gericht hat klargestellt, dass auch Betreiber von KI-Tools die Urheberrechte achten und Lizenzen erwerben müssen, wenn sie geschützte Werke nutzen[28]. Damit untermauert das Urteil die Forderung der GEMA, dass Kreativschaffende an den Erträgen generativer KI beteiligt werden müssen[28]. Unmittelbar nach dem Urteil hat die GEMA betont, dass KI-Dienste im Grunde nichts anderes tun als andere Online-Dienste, die für die Nutzung von Musikwerken Lizenzgebühren zahlen – und dass dies nun auch für KI gelten muss[29].
Die GEMA kann nun mit diesem juristischen Etappensieg im Rücken auf OpenAI zugehen, um Lizenzzahlungen einzufordern, oder gegebenenfalls gerichtliche Schritte zur Durchsetzung der Unterlassung und Schadensersatzansprüche einleiten, falls OpenAI nicht freiwillig nachkommt. Darüber hinaus dürfte das Urteil andere Marktteilnehmer alarmieren: Alle KI-Anbieter, die ähnlich vorgehen und geschützte Inhalte zum Training verwenden, befinden sich in einer vergleichbaren Rechtslage. Die GEMA hat bereits angekündigt, auch gegen weitere KI-Firmen vorzugehen, falls nötig[8]. Tatsächlich ist schon ein weiteres Verfahren vor dem LG München anhängig – gegen das US-Unternehmen Suno Inc., dessen KI-Tool mit Originalaufnahmen aus dem GEMA-Repertoire gearbeitet haben soll[30]. Die GEMA zeigt damit, dass sie gewillt ist, die Rechte ihrer Mitglieder in der KI-Sphäre konsequent zu verteidigen.
Langfristig könnten die Auswirkungen dieses Urteils weit über Songtexte hinaus reichen. Sollte das Urteil rechtskräftig werden, würden sich die Machtverhältnisse zwischen Kreativwirtschaft und Technologieunternehmen zugunsten der Urheber verschieben[31]. Rechteinhaber müssten künftig vor der Nutzung ihrer Werke in generativen KI-Systemen zustimmen und könnten dafür eine Vergütung verlangen[32]. Genau dies war das Ziel der GEMA bei der Klage[32]. Das Münchener Urteil setzt ein Zeichen, dass die bereits existierenden Urheberrechtsgesetze auch für neue Technologien wie KI gelten und durchsetzbar sind[33]. Es gibt der Kreativbranche ein wichtiges Präzedenzfall-Argument an die Hand, um in ganz Europa ähnliche Ansprüche geltend zu machen.
Für die GEMA selbst bedeutet die Entscheidung eine Bestätigung ihrer Lizenzstrategie. Ihr 2024 eingeführtes KI-Lizenzmodell gewinnt an Attraktivität, da KI-Unternehmen nun einen echten Anreiz haben, legalisierte Wege zu beschreiten, um Rechtskonflikte zu vermeiden[9]. Gleichzeitig darf die GEMA den weiteren Verfahrensverlauf nicht außer Acht lassen – eine Berufung von OpenAI könnte das Blatt in höheren Instanzen theoretisch noch wenden. Doch bis dahin hat die GEMA mit dem Grundsatzurteil von München einen wichtigen Etappensieg errungen, der ihre Mitglieder – Komponisten, Textdichter und Verlage – in ihren Rechten bestärkt. Unmittelbar zeigt sich dies darin, dass kreative Inhalte nicht schutzlos der KI-Nutzung preisgegeben sind, sondern dass Urheber für die Verwendung ihrer Werke auch in neuen digitalen Anwendungsfeldern Rechenschaft und Vergütung verlangen können[28].
Quellen: Die Zusammenfassung basiert auf der gerichtlichen Entscheidung des LG München I vom 11.11.2025 (42 O 14139/24) und Informationen der Legal Tribune Online[12][15], der Pressemitteilung der GEMA[11][27] sowie weiteren Fachberichten[2][19]. Diese Quellen erläutern die Hintergründe des Falls, die rechtlichen Erwägungen des Gerichts und die Konsequenzen für beide Parteien im Detail.
