Gutachten des Sachverständigenrates 2025/2026
Schuldenpolitik unter Druck: Deutschland zwischen fiskalischer Realität, EU-Vergleich und Energiepreisschock
(Analyse des Jahresgutachtens 2025/26)
Der Sachverständigenrat (SVR) legt im Jahresgutachten 2025/26 eine der kritischsten Bewertungen der deutschen Finanz- und Schuldenpolitik der vergangenen Jahre vor. Die Analyse ist klar: Die Kombination aus strukturell hohen Ausgaben, unzureichenden Konsolidierungsbemühungen, einer schwachen Wachstumsbasis und steigenden geopolitisch bedingten Ausgabenbelastungen führt Deutschland in eine fiskalisch riskante Pfadabhängigkeit. Die Probleme verschärfen sich durch internationale Vergleichsdaten: Andere europäische Staaten konsolidieren schneller oder weisen deutlich günstigere Wachstums- und Energiepreisbedingungen auf.
1. Strukturproblem der deutschen Finanzpolitik: Hohe Ausgaben, geringes Wachstum
Das Gutachten zeigt in verschiedenen fiskalischen Szenarien, wie sensibel die Schuldenstandsquote langfristig auf verfehlte Ausgabensteuerung reagiert.
In den Modellberechnungen (vgl. Konsum- vs. Investitionsszenarien) steigt die Schuldenstandsquote bis 2040 je nach politischem Kurs auf Werte zwischen 74,9 % und 79,9 % des BIP, während ausschließlich investive Verausgabung ein Absinken auf rund 69,4 % ermöglichen würde.
Deutschland liegt damit deutlich über jenem Niveau, das zur Einhaltung der EU-Fiskalregeln mittelfristig notwendig wäre. Die Gutachter verweisen ausdrücklich darauf, dass konsumtive Ausgabenprogramme zwar kurzfristig politisch attraktiv seien, aber keinerlei wachstumssteigernde Wirkung entfalten – und damit die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen erodieren lassen.
Zudem warnen sie:
-
Das Finanzpaket könne nur dann mit EU-Recht kompatibel bleiben, wenn Deutschland strikt auf investive Mittelverwendung umstellt.
-
Jede Verschiebung von Verteidigungs- und Infrastrukturkosten in den Kernhaushalt sei fiskalisch riskant.
-
Die Schuldenbremse werde ohne strukturelle Reformen – etwa zur Stärkung des Produktionspotenzials – dauerhaft nicht einhaltbar sein.
2. Europäischer Vergleich: Deutschland rutscht in der Schuldenarchitektur zurück
Besondere Brisanz erhält die Analyse durch einen präzisen EU-Vergleich. Die Daten zur Aufteilung der Schuldenstände in sogenannte Blue Bonds (bis 60 % BIP) und Red Bonds (darüber hinaus) zeigen:
-
Deutschland liegt mittlerweile unter den Staaten mit moderatem, aber nicht mehr komfortablem Schuldenniveau, deutlich hinter Ländern wie Luxemburg, Estland oder Litauen.
-
Länder wie Italien, Frankreich, Spanien und Belgien tragen weit höhere Red-Bond-Anteile – jedoch bei gleichzeitig höheren nominalen Wachstumsraten, die die Schuldendynamik teilweise abfedern.
Der SVR analysiert diese Konstellation eindeutig:
Deutschland verliert in Europa seine fiskalische Ausnahmeposition.
Auch wird betont, dass eine stärkere Vergemeinschaftung von Schulden (Eurobonds) gerade für Deutschland erhebliche Risiken birgt, weil diese Mechanismen Anreize setzen könnten, dass andere Staaten ihre Haushaltsdisziplin lockern – eine Kostenverlagerung zulasten wirtschaftlich stabilerer Länder.
3. Energiepreisentwicklung: Stagnation, aber strukturelle Nachteile für Europa
Ein Kernstück des Gutachtens widmet sich der Energiepreisentwicklung und ihrer Bedeutung für Wettbewerbsfähigkeit und Inflation.
3.1. Kurzfristige Entspannung – strukturelle Belastungen bleiben
Die Prognosen zeigen stagnierende oder leicht rückläufige Energiepreise:
-
Erdgaspreise in Europa, den USA und Nordostasien bewegen sich seit 2023 seitwärts.
-
Rohölpreise sinken gegenüber 2024 deutlich und stabilisieren sich bei etwa 64 USD pro Barrel.
Der Rückgang beruht vor allem auf
-
ausgedehnten Fördermengen der OPEC+,
-
einer global schwächeren Nachfrage,
-
sowie der Aufwertung des Euro, die importierte Energieträger verbilligt.
3.2. Deutschland bleibt dennoch im Wettbewerbsnachteil
Trotz leicht fallender Rohstoffpreise bleibt Europa strukturell im Nachteil:
-
Energiepreise im europäischen Gasmarkt (EGIX/THE) liegen weiterhin deutlich über dem US-Niveau.
-
Industrieintensive Sektoren verlieren international an Kosteneffizienz.
Diese strukturelle Lücke wird als zentraler Wettbewerbsfaktor identifiziert. Zwar wirken Energiepreise kurzfristig inflationsdämpfend, langfristig beeinträchtigen sie jedoch die Standortattraktivität Deutschlands und der EU.
4. Schuldenpolitik und Energiepreisniveau – eine gefährliche Kombination
Das Gutachten arbeitet heraus, dass die Kombination aus
-
hohen strukturellen Staatsausgaben,
-
begrenztem Wachstum,
-
hohen Energiekosten,
-
und demografisch bedingten fiskalischen Lasten
eine fiskalisch angespannte Zukunft erzeugt.
Energieintensive Industrien könnten stärker abwandern, was die Steuerbasis erodieren lässt. Zugleich steigen die öffentlichen Ausgaben weiter, etwa für Verteidigung und Transformationsinvestitionen.
Der SVR spricht daher klar von einem Weg in die fiskalische Unwucht, wenn die Politik nicht zwei Kernmaßnahmen ergreift:
-
Strikte Priorisierung investiver Ausgaben
-
Strukturpolitik zur Senkung der Energiepreise bzw. zur Erhöhung der Energieeffizienz
5. Europäische Implikationen: Deutschland ist nicht mehr fiskalischer Anker
Deutschland verliert seine Rolle als fiskalischer Stabilitätsanker.
Länder wie Irland, Luxemburg oder die baltischen Staaten erfüllen weiterhin die Maastricht-Anforderungen. Deutschland hingegen braucht laut Gutachten
-
hohe Wachstumsraten,
-
Reformen,
-
und eine konsequente Einhaltung der Schuldenbremse,
um mittelfristig wieder regelkonform zu werden.
Fazit:
Das Jahresgutachten 2025/26 ist ungewöhnlich deutlich:
Deutschland steckt in einer strukturell schwierigen Lage, die es ohne mutige Reformen nicht überwinden wird. Die Kombination aus schwachem Wachstum, hohen Energiepreisen und unzureichender Haushaltspolitik führt zu einer Erosion des fiskalischen Spielraums.
Der Vergleich mit anderen europäischen Staaten zeigt:
Deutschland befindet sich nicht mehr automatisch in der fiskalischen Spitzengruppe.
Die Energiepreisentwicklung dämpft zwar kurzfristig die Inflation, verbessert aber nicht die strukturellen Standortbedingungen.
Die klare Forderung lautet:
Investiv ausrichten, Schulden begrenzen, Wachstum ermöglichen – sonst droht eine dauerhafte Verschlechterung der fiskalischen Stabilität und Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands.
