Bundesverwaltungsgericht: Nationales Aktionsprogramm Nitrat ist zu erstellen

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat am 8. Oktober 2025 in der Sache BVerwG 10 C 1.25 entschieden, dass das Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat verpflichtet ist, ein nationales Aktionsprogramm zu erstellen, das den Anforderungen der Düngeverordnung sowie der EU-Nitratrichtlinie entspricht.(Bundesverwaltungsgericht)
Das Urteil markiert einen Wendepunkt im deutschen Gewässerschutz und setzt die Bundesregierung in Zugzwang, verbindliche Strategien zur Reduktion von Nitratinträgen aus der Landwirtschaft zu entwickeln.
Sachverhalt und Verfahrensgeschichte
Parteien und Ziel der Klage
Die Deutsche Umwelthilfe begehrte den düngungsbezogenen Teil des nationalen Aktionsprogramms zu ändern. Ziel war es, sicherzustellen, dass an allen deutschen Grundwassermessstellen der Nitratgrenzwert von 50 mg/l eingehalten wird und auch bei Oberflächengewässern bestimmte Werte nicht überschritten werden.
Das Oberverwaltungsgericht Münster wies die Klage ab mit der Begründung, der Kläger sei im Verfahren zur Düngeverordnung mit seinen Einwendungen mangels Substanz ausgeschlossen (Präklusion nach § 7 Abs. 3 Satz 1 UmwRG).
Im Revisionsverfahren vor dem BVerwG beantragte der Kläger schließlich, dass das Bundesministerium verpflichtet wird, ein bislang fehlendes nationales Aktionsprogramm zu erlassen.
Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts
Das BVerwG gab der Klage statt und verurteilte die Bundesrepublik Deutschland, ein nationales Aktionsprogramm zu erstellen, das den Vorgaben des § 3a Abs. 1 Düngegesetz (DüngG) genügt.
Wesentliche Aussagen des Urteils:
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Die derzeitige Düngeverordnung allein reiche nicht aus, um die Anforderungen des Gewässerschutzes und der Nitratrichtlinie zu erfüllen.
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Das Aktionsprogramm muss geeignet sein, den Nitrateintrag aus der Landwirtschaft so zu reduzieren, dass das Grundwasser nicht dauerhaft mit > 50 mg/l Nitrat belastet wird.
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In einem zweiten Schritt soll dieses Aktionsprogramm in die Beratungen zur Änderung der Düngeverordnung einfließen.
Das Urteil stellt somit klar: Der Bund kann sich nicht darauf beschränken, nur durch die Düngeverordnung Regelungen zu erlassen – ein vorgelagertes, strategisch geplantes Aktionsprogramm ist rechtlich geboten.
Rechtliche Bewertung und Einordnung
EU-Rechtlicher Rahmen
Die EU-Nitratrichtlinie (91/676/EWG) verpflichtet die Mitgliedstaaten, Maßnahmen zu ergreifen, um die Verschmutzung von Gewässern durch Stickstoffverbindungen zu verhindern und zu reduzieren. Deutschland muss sicherstellen, dass Gebiete, in denen Nitratkonzentrationen über 50 mg/l liegen, besonders geschützt werden.
Die Düngeverordnung (DüV) setzt in Deutschland bereits Anforderungen an Düngung und Abstandszonen um. Jedoch ging das Gericht davon aus, dass diese Verordnung nicht ausreicht, um die Verpflichtungen aus der Richtlinie vollständig zu erfüllen – insbesondere, wenn sie nicht durch ein strategisches Rahmenprogramm begleitet wird.
Rechtliche Verpflichtungen
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Düngegesetz (DüngG): Nach § 3a Abs. 1 DüngG ist der Bund verpflichtet, ein nationales Aktionsprogramm zu erarbeiten. Das DüngG spricht explizit von der Notwendigkeit eines solchen Programms, das als übergeordnete Strategie zu verstehen ist.
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Die Entscheidung des BVerwG interpretiert diese Vorschrift streng und zwingend – der Bund darf nicht weiterhin auf eine reine Verordnungslösung vertrauen.
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Gegen die Präklusionsbegründung der Vorinstanz setzt das BVerwG durch, dass Einwendungen von Umweltverbänden nicht unzulässig sind, wenn sie hinreichend substantiiert und fristgerecht erhoben wurden.
Bedeutung für das Öffentlichkeitsbeteiligungsrecht
Ein zentraler Streitpunkt war, ob der Kläger im Verordnungsverfahren ausreichend substantiiert Einwendungen erhoben hatte. Das OVG Münster hatte verneint und die Klage wegen Präklusion abgewiesen. Das BVerwG nahm diese Entscheidung nicht einfach hin, sondern legte zugleich Maßstäbe an, unter welchen Voraussetzungen Einwendungen als wirksam anzusehen sind und wann eine Präklusion greifen darf.
Dies kann als Signal gedeutet werden, dass Gerichte künftig verstärkt darauf achten werden, ob Umweltverbände in frühen Verfahren tatsächlich eine Chance zur Einflussnahme hatten – und ob das Beteiligungsverfahren formal und materiell den Anforderungen genügt.
Praktische Implikationen und Herausforderungen
Inhaltliche Anforderungen an das Aktionsprogramm
Das Urteil setzt konkrete Anforderungen:
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Zielrichtung: Reduktion des Nitrateintrags soweit, dass der Grenzwert von 50 mg/l nicht überschritten wird.
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Strategischer Charakter: Das Programm darf nicht eine bloße Sammlung voneinander isolierter Maßnahmen sein, sondern muss eine strukturelle Strategie aufweisen, die Ziel, Beiträge, Prioritäten und Zeitpläne verbindet.
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Verzahnung mit der Düngeverordnung: Die Maßnahmen des Aktionsprogramms sollen in die Änderung der DüV eingebunden werden, um konsistente Regelungen zu gewährleisten.
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Evidenzbasierung: Maßnahmen müssen sachgerecht, verhältnismäßig und wirksam sein – insbesondere in Gebieten mit hoher Belastung.
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Monitoring und Anpassung: Das Programm muss Regelungen für Erfolgskontrollen, Anpassungsmechanismen und Evaluierungen enthalten.
Auswirkungen für Landwirte und Praxis
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Verpflichtungen zu strengeren Düngemaßnahmen, eventuell reduzierte Stickstoffmengen in bestimmten Regionen.
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Erhöhter Verwaltungsaufwand zur Dokumentation, Monitoring und Nachweispflichten.
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Notwendigkeit technischer Anpassungen (z. B. bodenschonende Verfahren, Zwischenfrüchte, Filterstreifen).
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Mögliche Belastung durch Umstellungskosten – hier braucht es Übergangsregelungen und ggf. finanzielle Förderprogramme.
Bedeutung für den Gewässerschutz
Deutschland wurde bisher vielfach dafür kritisiert, seine Verpflichtungen aus der EU-Nitratrichtlinie nur unzureichend umzusetzen. Mit dem Erfordernis eines Aktionsprogramms wird ein Instrument geschaffen, das bundeseinheitlich und strategisch ausgerichtet ist – jenseits bloßer Verordnungsregelungen, und mit verbindlicher Zielorientierung.
Insbesondere in hoch belasteten Regionen kann dies zu einem spürbaren Rückgang der Nitratkonzentration führen – sofern das Aktionsprogramm kraftvoll ausgestaltet und konsequent umgesetzt wird.