Was ist die Freiheitlich-Demokratische Grundordnung (FDGO)

Ursprung und Funktion
- Der Begriff FDGO stammt aus dem Grundgesetz selbst, wird aber dort nicht ausdrücklich definiert.
- Er findet sich ausdrücklich in Art. 21 Abs. 2 GG (Parteiverbot) und in Art. 18 GG (Verwirkung von Grundrechten).
- Seine Konkretisierung erfolgte durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in den 1950er Jahren, insbesondere im SRP-Urteil – Sozialistisiche Reichspartei (BVerfGE 2, 1, 12 f.) und im KPD-Verbotsurteil (BVerfGE 5, 85, 138 ff.).
BVerfGE 2, 1, 12 f.
Den Grundgedanken, auf denen diese Regelung beruht, sind zugleich wichtige Hinweise für die Auslegung des Art. 21 GG im einzelnen zu entnehmen. Dies gilt vor allem für die nähere Bestimmung des Begriffs der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“. Die besondere Bedeutung der Parteien im demokratischen Staat rechtfertigt ihre Ausschaltung aus dem politischen Leben nicht schon dann, wenn sie einzelne Vorschriften, ja selbst ganze Institutionen der Verfassung mit legalen Mitteln bekämpfen, sondern erst dann, wenn sie oberste Grundwerte des freiheitlichen demokratischen Verfassungsstaates erschüttern wollen. Diese Grundwerte bilden die freiheitliche demokratische Grundordnung, die das Grundgesetz innerhalb der staatlichen Gesamtordnung der „verfassungsmäßigen Ordnung“ als fundamental ansieht. Dieser Grundordnung liegt letztlich nach der im Grundgesetz getroffenen verfassungspolitischen Entscheidung die Vorstellung zugrunde, daß der Mensch in der Schöpfungsordnung einen eigenen selbständigen Wert besitzt und Freiheit und Gleichheit dauernde Grundwerte der staatlichen Einheit sind. Daher ist die Grundordnung eine wertgebundene Ordnung. Sie ist das Gegenteil des totalen Staates, der als ausschließliche Herrschaftsmacht Menschenwürde, Freiheit und Gleichheit ablehnt. Die Vorstellung des Vertreters der SRP, es könne verschiedene freiheitliche demokratische Grundordnungen geben, ist falsch. Sie beruht auf einer Verwechslung des Begriffs der freiheitlichen demokratischen Grundordnung mit den Formen, in denen sie im demokratischen Staat Gestalt annehmen kann.
Definition durch das Bundesverfassungsgericht
Das BVerfG hat die FDGO als diejenige Ordnung definiert,
„die unter Ausschluss jeder Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt.“
(BVerfGE 2, 1 [12 f.]; BVerfGE 5, 85 [139])
Zentrale Bestandteile der FDGO
Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG umfasst die FDGO insbesondere folgende Prinzipien:
- Achtung der Menschenrechte als oberster Wertordnung (Art. 1 Abs. 1 GG).
- Volkssouveränität (Art. 20 Abs. 2 GG: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“).
- Gewaltenteilung (Legislative, Exekutive, Judikative).
- Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament.
- Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Bindung der Exekutive an Gesetz und Recht, Art. 20 Abs. 3 GG).
- Unabhängigkeit der Gerichte (Art. 97 GG).
- Mehrparteienprinzip mit gleichen Chancen für alle Parteien.
- Chancengleichheit für Opposition und Mehrheit, Möglichkeit zum Regierungswechsel.
- Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.
Diese Elemente bilden zusammen die „unantastbare Grundordnung“ im Sinne der sog. wehrhaften Demokratie.
Abgrenzung
- FDGO ≠ gesamte Verfassung:
Die FDGO umfasst nur den Kernbestand unabänderlicher Prinzipien, nicht das gesamte Grundgesetz. - Art. 79 Abs. 3 GG (Ewigkeitsgarantie):
Die Grundsätze des Art. 1 und Art. 20 GG (Menschenwürde, Demokratie, Rechtsstaat, Sozialstaat, Bundesstaatlichkeit) sind unabänderlich – diese decken sich weitgehend mit dem Inhalt der FDGO.
(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.
Bedeutung
- Maßstab für Parteiverbote (Art. 21 Abs. 2 GG).
(2) Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.
- Maßstab für Grundrechtsverwirkung (Art. 18 GG).
Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit (Artikel 5 Abs. 1), die Lehrfreiheit (Artikel 5 Abs. 3), die Versammlungsfreiheit (Artikel 8), die Vereinigungsfreiheit (Artikel 9), das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Artikel 10), das Eigentum (Artikel 14) oder das Asylrecht (Artikel 16a) zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt diese Grundrechte. Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen.
- Rechtsgrundlage für Verfassungsschutz (§ 4 Abs. 2 BVerfSchG: „verfassungsfeindliche Bestrebungen“ = gegen die FDGO gerichtet).
(2) Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes zählen:
- a) das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen,
- b) die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht,
- c) das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition,
- d) die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung,
- e) die Unabhängigkeit der Gerichte,
- f) der Ausschluß jeder Gewalt- und Willkürherrschaft und
- g) die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte.
- Beamtenrecht: Pflicht zur Verfassungstreue (Art. 33 Abs. 5 GG, § 33 BeamtStG) = Pflicht, die FDGO zu achten.
(1) Beamtinnen und Beamte dienen dem ganzen Volk, nicht einer Partei. Sie haben ihre Aufgaben unparteiisch und gerecht zu erfüllen und ihr Amt zum Wohl der Allgemeinheit zu führen. Beamtinnen und Beamte müssen sich durch ihr gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten.
Was bedeuten die Begriffe „verfassungsfeindlich“ und „verfassungstreu“?
1. Begriffliche Ausgangslage
a) Verfassungsfeindlich
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Definition: Ein Verhalten oder eine Haltung, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung (FDGO) richtet. Diese ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) die „unabänderliche“ Kernordnung des Grundgesetzes, u. a. Demokratie, Rechtsstaat, Gewaltenteilung, Volkssouveränität, Mehrparteienprinzip und Grundrechte.
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Rechtsgrundlage:
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Art. 21 Abs. 2 GG (Parteiverbot, wenn Partei „darauf ausgeht, die FDGO zu beeinträchtigen oder zu beseitigen“)
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Art. 33 Abs. 5 GG i. V. m. Beamtenrecht (Treuepflicht)
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(5) Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln.
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Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) (§ 4 – Beobachtung „verfassungsfeindlicher Bestrebungen“)
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b) Verfassungstreu
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Definition: Aktive Anerkennung und loyale Haltung gegenüber der FDGO, insbesondere im Staatsdienst.
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Rechtsgrundlage:
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Art. 33 Abs. 5 GG (hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums: Treuepflicht)
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Beamtenstatusgesetz (§ 33 BeamtStG: Pflicht zur Verfassungstreue)
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Juristische Konkretisierung: Nur wer aktiv die FDGO anerkennt und nicht gegen sie agiert, gilt als verfassungstreu.
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2. Wer stellt dies fest?
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Bundesverfassungsgericht (BVerfG):
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Höchstrichterliche Instanz für Parteiverbote (z. B. SRP 1952, KPD 1956, NPD-Verfahren 2003/2017).
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Klare Definition der FDGO und Maßstäbe für „verfassungsfeindlich“.
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Verfassungsschutzbehörden (Bundes- und Landesämter):
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Erstellen Verfassungsschutzberichte und ordnen Gruppen/Personen als „extremistisch“ oder „verfassungsfeindlich“ ein.
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Maßgeblich für politische Praxis und öffentliche Wahrnehmung.
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Fachgerichte:
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Verwaltungsgerichte, wenn es um Disziplinarverfahren gegen Beamte wegen mangelnder Verfassungstreue geht.
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Arbeitsgerichte, wenn Bewerber vom öffentlichen Dienst ausgeschlossen werden (z. B. Fälle mit früherer DKP- oder NPD-Mitgliedschaft).
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Politik und Öffentlichkeit:
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Begriffe werden auch politisch und medial verwendet, teils weiter gefasst als im juristischen Kern.
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3. Entwicklung im Zeitverlauf
a) 1950er–1970er: „Kalter Krieg“ und Antikommunismus
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Verfassungsfeindlich war vor allem der Kommunismus (KPD-Verbot 1956).
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Verfassungstreu war gleichgesetzt mit klarer Abgrenzung gegen „linksextreme“ Bestrebungen.
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„Radikalenerlass“ (1972): Beamtenbewerber mussten auf Verfassungstreue überprüft werden („Berufsverbote“).
b) 1980er–1990er: Differenzierung und neue Bedrohungslagen
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Stärkere Unterscheidung zwischen „links-“ und „rechtsextremistisch“.
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Diskussion, ob alle Formen radikaler Meinungen gleich als „verfassungsfeindlich“ gelten müssen.
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Beamtenrecht wurde entschärft: Der bloße Verdacht reichte nicht mehr, es brauchte konkrete Beweise.
c) 2000er–2010er: Islamismus und Rechtsextremismus
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Fokus verlagerte sich: islamistische Gruppen wurden zunehmend als „verfassungsfeindlich“ eingestuft.
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Nach den NSU-Morden und zunehmendem Rechtsextremismus wieder verstärkter Einsatz des Begriffs für rechte Bewegungen.
d) Gegenwart (2020er)
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Verfassungsfeindlich: wird stark im Kontext der AfD, Reichsbürgerbewegung, Querdenker-Szene, islamistischer Gruppen und linksextremer Gewalt gebraucht.
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Verfassungstreu: betont als Beamtenpflicht, etwa bei Polizisten, Richtern und Soldaten.
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Politische Debatte: Kritik, dass „verfassungsfeindlich“ nicht nur juristisch, sondern auch politisch-moralisch als Kampfbegriff eingesetzt wird.
4. Wandel der Zuordnung
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Früher (1950er–1970er): fast ausschließlich gegen „links“.
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Später (1990er–2000er): breitere Anwendung, Rechts- und Linksextremismus sowie Islamismus.
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Heute: flexibler politischer Kampfbegriff; der Verfassungsschutz betont jedoch Neutralität und Bindung an die FDGO.
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Verfassungstreue: Vom formalen Beamteneid hin zu einer umfassenden Loyalitätspflicht, die heute auch Social Media-Äußerungen umfasst (z. B. Polizisten mit Reichsbürgernähe → disziplinarische Maßnahmen).
5. Fazit
Die Begriffe „verfassungsfeindlich“ und „verfassungstreu“ sind keine wertfreien Kategorien, sondern eng mit der Verteidigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verbunden. Während Verfassungsfeindlichkeit primär vom BVerfG und den Verfassungsschutzbehörden juristisch definiert wird, hat sich ihr Gebrauch im politischen Alltag verschoben – von einem antikommunistischen Fokus hin zu einem breiten Einsatz gegen jede Art extremistischer Bestrebungen. Verfassungstreue bleibt dagegen ein überwiegend beamtenrechtlicher Pflichtbegriff, der im Laufe der Zeit an neue Erscheinungsformen der Demokratiegefährdung angepasst wurde.