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Wirtschaftswachstum – oder besser Degrowth?

Arbeitsrecht – Erbrecht - Kommunalrecht

Wirtschaftswachstum – oder besser Degrowth?

Grüne Wirtschaft durch Marktwirtschaft

Wirtschaftswachstum – was ist das?

Statistisches Bundesamt – Wirtschaftswachstum im Oktober -0,3%

Wirtschaftswachstum bezeichnet die Zunahme der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft über einen bestimmten Zeitraum, gemessen in der Regel am realen Bruttoinlandsprodukt (BIP), also der inflationsbereinigten Summe aller im Inland erzeugten Waren und Dienstleistungen.

Es unterscheidet sich in:

  • nominales Wachstum: Veränderung des BIP zu aktuellen Preisen (ohne Inflationsbereinigung),

  • reales Wachstum: preisbereinigte Veränderung, die den tatsächlichen Mengenzuwachs wirtschaftlicher Aktivität widerspiegelt.

Aus ökonomischer Sicht ist Wirtschaftswachstum ein zentraler Indikator für Wohlstandsentwicklung, Beschäftigungsdynamik und fiskalischen Handlungsspielraum. Es bildet die Grundlage für steigende Einkommen, Investitionen in Bildung, Gesundheit und Infrastruktur sowie für soziale Umverteilung.

Nach der Definition der OECD, der Weltbank und des Statistischen Bundesamts misst das Wirtschaftswachstum den langfristigen Anstieg der Produktivität und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und wird häufig als Wachstumsrate des realen BIP pro Kopf angegeben, um den Effekt auf den Lebensstandard sichtbar zu machen.

Wirtschaftliches Wachstum hat historisch als Treiber für technologischen Fortschritt, bessere Gesundheit und gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland und weltweit gedient. Mit steigendem Wohlstand konnten Innovationen finanziert, Lebensstandards angehoben und Millionen Menschen aus der Armut befreit werden[1][2]. Doch angesichts der Klimakrise gewinnt die Degrowth-Bewegung an Zuspruch, die ein bewusstes Schrumpfen der Wirtschaft propagiert, um ökologische Grenzen einzuhalten. Dies wirft kontroverse Fragen auf: Wie wichtig ist Wachstum für Technologie und Entwicklung – insbesondere im Hinblick auf den Technologietransfer an ärmere Länder – und welche Folgen hätte ein Verzicht auf Wachstum? Im Folgenden werden die Bedeutung von Wachstum für Fortschritt erläutert und die wachstumskritischen Thesen der Degrowth-Bewegung kritisch beleuchtet. Ein Schwerpunkt liegt auf dem aktuellen Beispiel Hamburgs, das beschlossen hat, seine Klimaneutralität deutlich vorzuziehen, und den daraus resultierenden Implikationen für Wirtschaft und Gesellschaft.

Beispiele für Wirtschaftswachstum

  1. Automatisierung in der Industrie
    Wenn ein Maschinenbauer durch neue Roboter seine Produktivität steigert – z. B. 20 % mehr Output mit demselben Personaleinsatz – wächst das reale BIP. Es wird mehr produziert mit denselben Ressourcen.

  2. Medizinischer Fortschritt
    Ein Pharmaunternehmen entwickelt ein neues Medikament, das chronische Erkrankungen effizienter behandelt. Das Unternehmen steigert den Output, die Gesundheit der Bevölkerung verbessert sich, die Arbeitsfähigkeit steigt. Der volkswirtschaftliche Wert steigt – und damit das BIP.

  3. Digitalisierung von Dienstleistungen
    Ein Softwareanbieter führt eine neue Buchhaltungsplattform ein, die Steuerberaterinnen ermöglicht, mehr Mandanten mit weniger Aufwand zu betreuen. Die Produktivität steigt, reale wirtschaftliche Leistung nimmt zu.

  4. Exportwachstum
    Deutsche Maschinen oder Fahrzeuge werden weltweit stärker nachgefragt. Die Exporte steigen, die Produktionskapazitäten werden erweitert, neue Arbeitsplätze entstehen. Das ist reales, exportbasiertes Wachstum.


Warum Zerstörung kein Wachstum ist – das Paradoxon der „zerbrochenen Scheibe“

Das Bastiat’sche Parabel der zerbrochenen Fensterscheibe zeigt sehr plastisch, warum Zerstörung kein Wachstum darstellt, auch wenn nach der Zerstörung „neue“ Investitionen getätigt werden:

Wird eine Fensterscheibe eingeschlagen, muss ein Glaser sie ersetzen. Man könnte meinen, das kurbele die Wirtschaft an – der Glaser verdient, vielleicht wird ein neuer Rahmen produziert etc.
Aber: Das Geld für die Reparatur fehlt nun für andere produktive Zwecke – z. B. Investitionen in neue Maschinen, Bildung oder Forschung.

Beispiel aus der Industrie:

Wenn ein hochmodernes Stahlwerk, das international wettbewerbsfähig ist, per Regulierung stillgelegt oder durch Energiepreise verdrängt wird, vernichtet das reales Anlagevermögen. Wird dann an gleicher Stelle z. B. ein Park oder ein anderes, weniger produktives Gewerbe gebaut:

  • entsteht kein realer Wertzuwachs, sondern ein Wertverlust, weil die gesamtwirtschaftliche Wertschöpfung der Nutzung sinkt;

  • auch wenn Investitionen in den Neubau erfolgen, handelt es sich ökonomisch zunächst um reinen Ersatzaufwand, nicht um Mehrwert;

  • Opportunitätskosten entstehen: Das Kapital hätte in produktivere, zukunftsfähige Industrieanlagen fließen können.

Ein weiteres Beispiel:

  • Die Stilllegung eines Chemieparks aufgrund politischer Vorgaben, gefolgt von der Errichtung eines Solarparks, mag klimapolitisch sinnvoll erscheinen.

  • Doch wenn der Output pro Fläche, Arbeitsplatz oder eingesetztem Kapital deutlich niedriger ist, sinkt die gesamtwirtschaftliche Produktivität.

Zerstörung schafft keine neue Wertschöpfung – sie ersetzt nur verlorene Werte. Wachstum im volkswirtschaftlichen Sinne entsteht nur, wenn zusätzlich zu bestehender Wirtschaftsleistung echte produktive Kapazitäten neu entstehen oder verbessert werden. Wenn man eine Fabrik abreißt und eine schlechter genutzte Infrastruktur errichtet, verschiebt man Werte – man schöpft sie nicht neu.

Wirtschaftswachstum als Basis für technologischen und gesellschaftlichen Fortschritt

Wirtschaftswachstum bildet die Grundlage für Innovation und technologischen Fortschritt. Steigende Wirtschaftsleistung geht einher mit höheren Investitionen in Forschung und Entwicklung, die neue Technologien hervorbringen. So erklären die Wirtschafts-Nobelpreisträger Philippe Aghion und Peter Howitt in ihrer Forschung, dass Innovationen das langfristige Wachstum antreiben und bestimmen, warum einige Gesellschaften prosperieren, während andere stagnieren[3]. Der Ökonom Joel Mokyr betont zudem, wie wichtig eine Kultur ist, die technologischen Wandel begrüßt und „schöpferische Zerstörung“ akzeptiert – also das Ersetzen alter Technologien durch neue[4]. All diese Erkenntnisse unterstreichen: Dauerhaftes Wachstum schafft den Raum, in dem neue Ideen entstehen und sich verbreiten können.

Auch gesundheits- und entwicklungspolitisch zeigt sich der positive Effekt von Wachstum. Wohlstand und Wachstum führen zu besseren Lebensstandards, besserer Gesundheit und höherer Lebensqualität für Menschen weltweit[1]. In den letzten zwei Jahrhunderten hat das wirtschaftliche Wachstum hunderte Millionen Menschen aus extremer Armut gehoben und die Grundlage für den heutigen globalen Wohlstand gelegt[1]. Mit steigenden Staatseinnahmen können zudem öffentliche Güter finanziert werden – von Gesundheitsversorgung über Bildung bis zur Infrastruktur. Beispielsweise lässt sich ein ausgebauter Sozialstaat, eine gute Gesundheitsversorgung, Verteidigung und Investitionen in die Zukunft am leichtesten finanzieren, wenn die Wirtschaft wächst[5]. Bleibt das Wachstum jedoch aus, verschärfen sich Verteilungskonflikte und es wird paradoxerweise oft an genau jenen Zukunftsausgaben gekürzt, die langfristig Wachstum und Wohlstand sichern würden[5]. Wachstum schafft also fiskalischen Spielraum, ohne den ambitionierte gesellschaftliche Ziele kaum erreichbar wären.

Nicht zuletzt fördert Wachstum auch den technologischen Austausch und Transfer zwischen Ländern. Entwicklungsländer sind häufig darauf angewiesen, Technologien aus Industrieländern zu importieren, um ihre Produktion zu steigern, Arbeitsplätze zu schaffen und Wirtschaftswachstum zu sichern[6]. Über den Export von Maschinen, Direktinvestitionen und Know-how-Transfer fließen Wissen und Technik von wohlhabenden in ärmere Länder[7][8]. Dass über 90 % der weltweiten Ausgaben für Forschung und Entwicklung in Industrieländern getätigt werden und rund 80 % der Ingenieure dort arbeiten[8], zeigt, wie stark der technologische Fortschritt global konzentriert ist. Ohne Wachstum in den führenden Wirtschaftsnationen würde dieser Innovationsmotor stottern – mit weltweiten Folgen, denn ärmere Länder könnten deutlich schwerer Zugang zu neuen Technologien erhalten. Umgekehrt gilt: Nachholende Entwicklung in ehemaligen Armutsregionen wie Ostasien war in den letzten Jahrzehnten maßgeblich durch hohe Wachstumsraten möglich – oft zweistellig –, die breite Investitionen in Bildung, Gesundheit und Infrastruktur erlaubten. So sieht auch die Agenda 2030 der Vereinten Nationen dauerhaftes, breitenwirksames und nachhaltiges Wirtschaftswachstum als Voraussetzung für menschenwürdige Arbeit und Entwicklung (SDG 8). Für die ärmsten Länder wird darin sogar jährliches Wachstum von mindestens 7 % angestrebt[9]. Diese Ziele machen deutlich, dass die globale Entwicklungshilfe- und Klimapolitik nicht auf Schrumpfung, sondern auf nachhaltiges Wachstum und Entkoppelung vom Ressourcenverbrauch setzt[9].

Technologietransfer und globale Entwicklung

Technologietransfer – also die Verbreitung von Wissen und technischen Neuerungen von Industrienationen in Schwellen- und Entwicklungsländer – spielt eine zentrale Rolle für globale Entwicklungserfolge. Wirtschaftswachstum in den wohlhabenden Ländern schafft nicht nur Innovationen, sondern ermöglicht auch die Finanzierung von Entwicklungszusammenarbeit. Deutschland etwa hat in den letzten Jahren rund 0,8 % seines Bruttonationaleinkommens für Entwicklungsleistungen (ODA) bereitgestellt, was 2023 über 35 Milliarden € entsprach[10]. Diese Mittel – ob für Impfprogramme, Bildungsinitiativen oder den Aufbau klimafreundlicher Energieinfrastruktur – hängen maßgeblich von einer starken Wirtschaft ab. Stagnation oder Rezession im Geberland würde die Spielräume für solche Transfers empfindlich reduzieren.

Zudem fördert Wachstum den internationalen Handel und Investitionen, über die Know-how in ärmere Regionen gelangt. Ein Beispiel ist der Export deutscher Maschinen: Schwellenländer erwerben High-Tech-Anlagen „Made in Germany“ und erhalten damit indirekt modernste Produktionsverfahren frei Haus, während deutsche Firmen durch die Exporterlöse weiter wachsen können[6][11]. Privatwirtschaftlicher Technologietransfer – etwa durch Direktinvestitionen von Unternehmen im Ausland oder Lizenzvergaben – wird so zu einer Win-Win-Situation: Er erhöht die Produktivität und das Wachstum in den Empfängerländern und sichert zugleich Arbeitsplätze und Auslastung in der exportierenden Industrie[7]. Auch globale Herausforderungen wie der Klimawandel erfordern Technologietransfer. So wird z.B. grüner Wasserstoff, moderne Speichertechnik oder CO₂-Abscheidung in Entwicklungsländern nur Einzug halten können, wenn reiche Volkswirtschaften diese Technologien vorantreiben und kostengünstig verfügbar machen. Ohne das Kapital und die Innovationskraft wachsenden Volkswirtschaften droht die weltweite technologische Transformation zu stocken.

Allerdings muss Wachstum heute qualitativ anders gestaltet werden als im vergangenen Jahrhundert: Die Devise lautet „Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch“. Fortschritte dabei sind bereits sichtbar – etwa konnte die EU ihre Treibhausgas-Emissionen seit 1990 deutlich reduzieren, während die Wirtschaftsleistung wuchs[12]. Solche Erfolge sind jedoch nur der Anfang einer notwendigen Entwicklung. Sie hängen eng mit technologischen Innovationen (von effizienteren Produktionsweisen bis erneuerbaren Energien) zusammen, die wiederum Investitionen und wirtschaftliche Anreize benötigen. Genau hier zeigt sich die Zwickmühle, in der wachstumskritische Ansätze stehen: Einerseits erfordert nachhaltige Entwicklung neue Technik und Infrastruktur, andererseits sehen Degrowth-Aktivisten im Verzicht und in der Schrumpfung der Industrie* den Königsweg für den Klimaschutz. Dieses Spannungsfeld wird im nächsten Abschnitt anhand der Degrowth-Bewegung und des Beispiels Hamburg konkretisiert.

Hamburgs vorgezogene Klimaneutralität: Ambitionierter Vorreiter mit Nebenwirkungen

Ein aktuelles Fallbeispiel für den Konflikt zwischen Klimaschutz-Tempo und wirtschaftlichen Folgen bietet Hamburg. In der Hansestadt stimmten die Bürger im Oktober 2025 in einem Volksentscheid dafür, das Ziel der Klimaneutralität auf 2040 vorzuziehenfünf Jahre früher als bislang in Deutschland geplant und sogar zehn Jahre vor dem EU-Ziel 2050[13]. Obwohl nur rund 23 % der Wahlberechtigten teilnahmen, war die Mehrheit der Abstimmenden (53 %) bereit, Hamburg zum klimapolitischen Vorreiter zu machen[13]. Dieses Votum kam trotz Warnungen der großen Parteien und Wirtschaftsverbände zustande, die vor negativen Standort-Effekten warnten[14]. Aus Sicht der Befürworter sendet Hamburg ein wichtiges Signal, dass die Bevölkerung für mehr Klimaschutz bereit ist – sogar mehr als Politik und Wirtschaft es bisher wagen[15].

Kritiker hingegen sehen Hamburgs Schritt als symbolisch teuer und praktisch wirkungslos an. Allein für Deutschland verursache das Vorziehen der Klimaneutralität von 2050 auf 2045 zusätzlichen Kosten von bis zu 750 Milliarden €, wie der Energieökonom Prof. Manuel Frondel berechnet hat[16][17]. Hamburgs frühere Zielmarke 2040 würde diesen Aufwand weiter erhöhen. Zugleich bleibe der Einfluss auf das globale Klima null, da die eingesparten Emissionen in Deutschland bis 2050 von anderen Ländern im europäischen Emissionshandel praktisch aufgezehrt würden[18]. Ökonomisch bedeutet ein Alleingang lediglich, unter sehr hohen Kosten Wohlstand an andere Länder zu verschenken – so das drastische Fazit einer Analyse[18].

Bereits jetzt zeichnet sich ab, was Hamburg in kleinerem Maßstab und Deutschland im größeren Rahmen drohen könnte: Unternehmen verlagern ihre Produktion ins Umland oder ins Ausland, wenn Energie und Auflagen am Standort zu teuer werden[19]. Die Hamburger Volksinitiative erzwingt sehr anspruchsvolle Zwischenziele und Investitionen in Klimaschutz innerhalb kürzester Zeit[20]. Dies bindet erhebliche finanzielle Mittel, die dann für Bildung, Infrastruktur und Forschung fehlen[19]. Eine vom RWI Leibniz-Institut unterstützte Studie rechnet vor, dass die beschleunigte Dekarbonisierung Deutschlands Milliarden verschlingt, ohne den weltweiten CO₂-Ausstoß signifikant zu beeinflussen[21][18]. Hamburg riskiert somit, im Eiltempo zu deindustrialisieren: Die Steuerbasis könnte erodieren, Arbeitsplätze der Industrie wandern ab, und die Attraktivität des Standorts für Investitionen sinkt[19].

Interessanterweise fielen die Hamburger Entscheidung und die diesjährigen Nobelpreise der Wirtschaftswissenschaften zeitlich nahezu zusammen – mit gegensätzlicher Botschaft. Während in Hamburg der Verzicht gefeiert wurde, ehrte die Königlich-Schwedische Wissenschaftsakademie im Oktober 2025 drei Ökonomen, deren Forschungsschwerpunkt das innovationsgetriebene Wachstum ist[22][23]. Das Nobelkomitee hob hervor, dass erst das Ausbrechen aus langer wirtschaftlicher Stagnation wirklichen Fortschritt und Wohlstand brachte – und dass Wachstum ein Instrument zur Verbesserung der Lebensbedingungen ist[1][24]. Die Ironie ist augenfällig: In Hamburg folgt man dem Glauben, nur Selbstbeschränkung und Wachstumsverzicht böten eine Zukunft, während zur gleichen Zeit die höchste wissenschaftliche Ehrung an diejenigen geht, die zeigen, dass gerade Wachstum und Innovation der Schlüssel zu nachhaltigem Fortschritt sind[24].

Degrowth-Bewegung: Wachstumsverzicht und die Gefahr der Deindustrialisierung

Die Degrowth- (Postwachstums-)Bewegung stellt das Paradigma infrage, wonach ständiges Wachstum wünschenswert oder überhaupt möglich ist. Degrowth-Verfechter argumentieren, dass auf einem endlichen Planeten unendliches Wachstum zwangsläufig in ökologische Katastrophen führt. „Grünes Wachstum“ halten sie für eine Illusion, da selbst Effizienzgewinne und erneuerbare Energien den Ressourcenverbrauch nicht schnell genug vom BIP entkoppeln könnten[25]. Eine prominente Stimme ist die Journalistin Ulrike Herrmann, die in „Das Ende des Kapitalismus“ darlegt, dass Klimaneutralität bis 2045 nur durch Schrumpfung der Wirtschaft erreichbar sei[26]. Ihrer Analyse nach müssten Konsum und Produktion in Deutschland mindestens halbiert werden, um die Emissionsziele einzuhalten[27]. Diese Forderung – so radikal sie klingt – ist im Kern die konsequente Übersetzung des Degrowth-Gedankens in die Klimapolitik: weniger Autos, weniger Fleisch, weniger Energieverbrauch, weniger industrielle Aktivität.

Doch was bedeutet eine halbierte Wirtschaftsleistung konkret? Es würde eine beispiellose Deindustrialisierung und gesellschaftliche Verwerfungen mit sich bringen, deren Ausmaß kaum vorstellbar ist[27]. Schon heute warnen Wirtschaftsvertreter vor einem schleichenden Abbau der Industrie in Deutschland. Hohe Energiepreise und strenge Auflagen veranlassen immer mehr Unternehmen, Investitionen zurückzustellen oder ins Ausland abzuwandern. Laut Energiewende-Barometer 2024 der DIHK erwägen bereits vier von zehn Industriebetrieben, ihre Produktion hierzulande wegen der Energieproblematik zu reduzieren oder ganz zu verlagern[28]. Bei größeren Industrieunternehmen (über 500 Mitarbeiter) trägt sogar mehr als die Hälfte solche Abwanderungsgedanken[29]. Diese Entwicklung wird von Experten als erstes Alarmzeichen einer drohenden Deindustrialisierung gewertet[30]. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, verliert Deutschland nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch sein technisches Know-how und Innovationskraft. Weniger Industrie bedeutet auch weniger Forschung vor Ort und geringere Investitionen in neue Technologien. Die DIHK-Umfrage ergab, dass über ein Drittel der Industriebetriebe wegen hoher Energiepreise ihre Investitionen in betriebliche Kernprozesse und Innovationen drosseln mussten[31] – eine Art „Rückbau auf Raten“ des Wirtschaftsstandorts[32].

Degrowth-Befürworter mögen einwenden, dass ein geplanter Rückbau bewusst gesteuert und sozial abgefedert werden könnte, während die aktuelle Entwicklung eher ein unkoordiniertes Erodieren ist. Doch ökonomische Gesetzmäßigkeiten lassen sich nicht aushebeln: Schrumpft die Wertschöpfung, sinken Steuereinnahmen und Sozialbeiträge, was bei steigenden Ausgaben (z.B. für eine alternde Gesellschaft) zwangsläufig zu Einsparungen oder Verteilungskämpfen führt. Genau davor warnen Ökonomen: Ohne Wachstum wird der finanzielle Spielraum enger, und es drohen Konflikte um die Verteilung knapper Mittel[5]. Im schlimmsten Fall würde ein radikales Degrowth-Szenario die Lebensqualität breiter Bevölkerungsschichten mindern – etwa durch steigende Arbeitslosigkeit und Einschnitte bei öffentlichen Leistungen. Diese sozialen Kollateralschäden eines „Klimastaats“ auf Schrumpfkurs möchte man sich kaum ausmalen[33]. Kein Wunder, dass sogar viele Klimaökonominnen betonen, wie wichtig wirtschaftliche Stärke für den Erfolg der Transformation ist: Nur eine wachsende oder zumindest robuste Volkswirtschaft kann die enormen Investitionen schultern, die für Klimaschutz und Anpassung nötig sind*[24].

Ein weiterer Kritikpunkt am einseitigen Wachstumsverzicht ist die internationale Verlagerung von Emissionen und Industrie (Carbon Leakage). Wenn Europa oder Deutschland ihre Industrieproduktion stark drosseln, heißt das ja nicht automatisch, dass der Weltbedarf an Stahl, Chemikalien oder Zement ebenfalls um die Hälfte sinkt. Wahrscheinlicher ist, dass andere Länder diese Lücke füllen – womöglich mit weniger effizienten Anlagen und höherem CO₂-Ausstoß pro Einheit. Die Emissionen würden also schlicht verschoben, nicht eliminiert. Darauf deuten auch Berechnungen im Kontext der vorgezogenen Klimaneutralität hin: Werden in Deutschland Emissionen strenger begrenzt als im EU-weiten Emissionshandel vorgesehen, besteht die Gefahr, dass die Differenz von anderen EU-Ländern genutzt wird[18]. Das Resultat wäre ein teurer Aktionismus mit geringer Umweltwirkung, während energieintensive Industriezweige ins Ausland abwandern. Ein solcher Verlust an Industriesubstanz beraubt Deutschland auch der Möglichkeit, durch Innovationen zum Klimaschutz beizutragen. Beispiel Elektromobilität: China hat dank massiver Investitionen und industriepolitischer Förderung die Weltmarktführerschaft bei Batterietechnologie, E-Autos und Solarpanels übernommen[34]. Europa hingegen droht, durch übermäßige Bürokratie und planwirtschaftliche Reglementierung die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren[35][36]. Die Gefahr besteht, dass wir unseren Wohlstand aufs Spiel setzen, ohne dem Klima wirklich zu nützen – ein Doppelverlust.

Wachstum, Innovation und Nachhaltigkeit zusammendenken

Die Gegenüberstellung von wirtschaftlichem Wachstum und Degrowth zeigt: Nachhaltiger Fortschritt erfordert eine sachliche Abwägung zwischen ökologischen Notwendigkeiten und ökonomischen Realitäten. Fakt ist, dass Wachstum in der Vergangenheit entscheidend zur Verbesserung der Lebensverhältnisse beigetragen hat – durch technischen Fortschritt, Armutsbekämpfung und Finanzierung gesellschaftlicher Aufgaben[1][2]. Ebenso ist klar, dass unkontrolliertes Wachstum auf Kosten der Umwelt keine Zukunft haben kann. Der Ausweg liegt jedoch nicht in pauschaler Schrumpfung der Wirtschaft, sondern in intelligenter Transformation: Grünes Wachstum muss von einem Schlagwort zur gelebten Politik werden. Das bedeutet, wirtschaftliche Dynamik vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln, Innovationen in klimafreundliche Technologien zu belohnen und ineffiziente Verfahren konsequent abzulösen.

Gerade Deutschland als hochindustrialisierte Volkswirtschaft muss darauf achten, Klimaschutz durch Technikführerschaft und Effizienz zu erreichen, nicht durch De-Industrialisierung. Die Entscheidung Hamburgs, die Klimaneutralität um fünf (bzw. zehn) Jahre vorzuziehen, verdeutlicht die Spannungen: Sie ist Ausdruck von Klimaschutzambitionen, wirft aber ernste Fragen der Umsetzbarkeit und der Kosten-Nutzen-Relation auf[21][18]. Dieser Balanceakt zwischen Ökologie und Ökonomie wird uns in den kommenden Jahren weiter begleiten. Wichtig ist, kritisch gegenüber einfachen Lösungen zu bleiben – seien es unbegrenztes Wachstumsvertrauen oder rigider Wachstumsverzicht. Wachstumskritische Narrative verdienen Gehör, aber sie dürfen nicht zu einer quasi-religiösen Dogmatik führen, die jeden technologischen Fortschritt skeptisch sieht[24]. Denn erst der Wohlstand durch wirtschaftliches Wachstum ermöglicht es uns, die Investitionen in Umwelt- und Klimaschutz überhaupt zu stemmen[37].

Die Lehre aus der Debatte um Degrowth sollte daher sein: Wir brauchen nachhaltiges Wachstum statt Nullwachstum. Ein Weiter-wie-bisher kann es nicht geben – doch ein Rückschritt in dauerhaftes Schrumpfen ebenso wenig. Vielmehr gilt es, durch Innovation, Technologietransfer und kluge Politik einen Weg zu finden, der wirtschaftliche Stärke und ökologische Verantwortung vereint. Wachstum und Klimaschutz dürfen keine unvereinbaren Gegensätze sein, sondern müssen Hand in Hand gehen. Deutschland und Europa können nur dann als Vorreiter überzeugen, wenn sie zeigen, dass Wohlstand und Klimaneutralität gemeinsam erreichbar sind – durch Fortschritt, nicht durch Verzicht.

Quellen:

  • Daniel Stelter: „Hamburg feiert Verzicht, der Nobelpreis den wahren Fortschritt“, Handelsblatt, 19. Oktober 2025[22][21][38][1][34][24].
  • Alexander Eisenkopf: „Warum Klimaneutralität bis 2045 auch mit einer Grundgesetzänderung nicht funktioniert“, FOCUS Online, 3. Oktober 2025[17][18][26][27].
  • DIHK-Energiewende Barometer 2024: „Energieprobleme verfestigen Abwanderungstendenzen“, 1. Aug. 2024[28][39][31].
  • OECD/Our World in Data: Daten zum Rückgang der extremen Armut weltweit (1990–2025)[2].
  • BMZ – Agenda 2030, SDG 8: „Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum“ (Ziele für Entwicklungsländer)[9].
  • bpb: „Technologietransfer deutscher Unternehmen in Entwicklungsländer“, APuZ 33-34/1987[7][8].

[1] [3] [4] [13] [16] [19] [21] [22] [23] [24] [34] [35] [36] [37] [38] Hamburg feiert Verzicht, der Nobelpreis den wahren Fortschritt – Think beyond the obvious

https://think-beyondtheobvious.com/stelter-in-den-medien/hamburg-feiert-verzicht-der-nobelpreis-den-wahren-fortschritt/

[2] Poverty – Our World in Data

https://ourworldindata.org/poverty

[5] Wachs­tum ist die Lö­sung – setzt aber harte Re­formen voraus – Think beyond the obvious

https://think-beyondtheobvious.com/stelter-in-den-medien/wachstum-ist-die-loesung-setzt-aber-harte-reformen-voraus/

[6] [7] [8] [11] Technologietransfer deutscher Unternehmen in Entwicklungsländer | APuZ 33-34/1987 | bpb.de

https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/archiv/534187/technologietransfer-deutscher-unternehmen-in-entwicklungslaender/

[9] SDG 8: Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum | BMZ

https://www.bmz.de/de/agenda-2030/sdg-8

[10] Deutsche ODA im Detail | BMZ

https://www.bmz.de/de/ministerium/zahlen-fakten/oda-zahlen/deutsche-oda-leistungen-19220

[12] Treibhausgas-Emissionen in Europa: Rückgang setzt sich 2023 fort

https://www.umweltbundesamt.at/news250416-treibhausgas-emissionen-in-europa

[14] [15] [20] Volksentscheid in Hamburg: 53% für Klimaneutralität 2040 statt 2045 – Celsius – der Blog von Scientists for Future Österreich

https://www.scientists4future.at/2025/10/22/volksentscheid-in-hamburg-53-fuer-klimaneutralitaet-2040-statt-2045/

[17] [18] [25] [26] [27] [33] Warum Klimaneutralität bis 2045 auch mit einer Grundgesetzänderung nicht funktioniert – FOCUS online

https://www.focus.de/auto/ratgeber/unterwegs/politik-zuechtet-subventions-junkies-warum-klimaneutralitaet-bis-2045-auch-mit-einer-grundgesetzaenderung-nicht-funktioniert_id_260762385.html

[28] [29] [30] [31] [32] [39] Energieprobleme verfestigen Abwanderungstendenzen

https://www.dihk.de/de/themen-und-positionen/wirtschaftspolitik/energie/energiewende-barometer-24/energieprobleme-verfestigen-abwanderungstendenzen-120314

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