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VW – Abhängigkeit von der niederländischen Chipgesellschaft Nexperia B.V.?

Arbeitsrecht – Erbrecht - Kommunalrecht

VW – Abhängigkeit von der niederländischen Chipgesellschaft Nexperia B.V.?

Halbleiter

Seltene Erden im Zentrum strategischer Rivalitäten – Graf Kerssenbrock & Kollegen

Teil 1: Analyse der Lage und Abhängigkeit von VW gegenüber Nexperia/China

1.1 Beschreibung der aktuellen Situation

VW hat öffentlich gewarnt, dass – obwohl bislang noch keine Produktion direkt beeinträchtigt wurde – kurzfristige Produktions-einschränkungen wegen Lieferengpässen bei Nexperia-Bauteilen nicht ausgeschlossen werden können. Hintergrund ist ein Disput zwischen China und den Niederlanden: Die niederländische Regierung hat am 30. September 2025 die Kontrolle über Nexperia übernommen, nachdem Bedenken bestand, dass Technologien und Bauteile in riskanter Weise an die chinesische Muttergesellschaft übertragen werden könnten. In Reaktion darauf erließ China Exportbeschränkungen gegen Nexperia-Produkte. (Reuters)

Nexperia produziert standardisierte Halbleiter (z. B. Dioden, Transistoren, MOSFETs), also nicht die hochkomplexesten Chips, sondern Komponenten, die jedoch massenhaft in der Automobil- und Elektronikindustrie eingesetzt werden und damit eine „kritische Versorgungskette“ darstellen. (

1.2 Konkrete Abhängigkeit für VW

Für VW ergibt sich eine Abhängigkeit aus folgenden Punkten:

  • Obwohl VW nicht unbedingt direkte Verträge mit Nexperia selbst öffentlich benennt, ist belegbar, dass Komponenten von Nexperia über Zulieferketten in Fahrzeugen von VW verbaut werden. 

  • Die Tatsache, dass China den Export von Nexperia-Produkten beschränkt hat, wirkt sich entlang der Lieferkette auf tier-1 und tier-2 Zulieferer aus, die wiederum VW beliefern. Somit handelt es sich nicht nur um eine theoretische, sondern um eine reale Produktionsrisiko-Situation. 

  • VW-Interne Mitteilungen weisen darauf hin, dass man „kurzfristige Einschränkungen der Produktion nicht ausschließen“ könne. 

  • Verband der deutschen Automobilindustrie (VDA) warnt vor erheblichen Produktionsbeschränkungen, wenn die Situation nicht kurzfristig entschärft wird. (Reuters)

1.3 Risiken und Konsequenzen

Die Abhängigkeit von Nexperia und indirekt von der chinesischen Muttergesellschaft birgt folgende Risiken für VW:

  • Versorgungsrisiko: Wenn bestimmte Bauteile – selbst wenn diese nicht „High‐End“ sind – knapp werden, kann die Just-in-Time Produktion bei VW gestört werden. Das wiederum kann zu Produktionsstopps, erhöhten Kosten (z. B. Ersatzteile, Umschaltungen, Lagerhaltung) und Lieferverzögerungen führen.

  • Marktrisiko: Produktionsausfälle oder Verzögerungen können das Image schädigen (z. B. Lieferzeiten für Kunden), und in einem wettbewerbsintensiven Umfeld kann das VW gegenüber Wettbewerbern benachteiligen.

  • Geopolitisches Risiko: Da der Konflikt zwischen China und den Niederlanden Teil eines größeren Technologie- bzw. Handelskonflikts ist, kann eine weitere Eskalation erfolgen – z. B. weitere Exportstopps, Sanktionen, politische Eingriffe – die direkt VW betreffen.

  • Technologisches/strategisches Risiko: Auch wenn Nexperia derzeit „nur“ Standardkomponenten liefert, zeigt der Fall, dass selbst diese vermeintlich unspektakulären Bauteile strategisch relevant sind („legacy chips“) – die Automobil-elektrik ist zunehmend komplexer und hängt von einer Vielzahl solcher Bausteine ab. 

1.4 Bewertung der Abhängigkeit

Aus juristisch und ökonomisch präziser Sicht lässt sich festhalten:

  • VW ist nicht vollständig abhängig von nur einem Lieferanten (zumindest ist dies nicht öffentlich belegt). Dennoch besteht eine signifikante indirekte Abhängigkeit von Nexperia und deren Lieferketten.

  • Die Abhängigkeit ist nicht primär technologisch im Sinne von „einzigartiger Chip“, sondern liegt in der Menge/Breite der Nutzung von Bauteilen und in der globalen Lieferkette, deren Unterbrechung hohe Kosten verursachen kann.

  • Die Tatsache, dass die chinesische Muttergesellschaft von Nexperia sowie staatliche Eingriffe beteiligt sind, verschärft das Risiko durch nicht-betriebliches/außerwirtschaftliches Handeln (z. B. Exportverbote, Eingriffe). Daraus folgt eine Art „systemisches Risiko“, das über klassische Vertragsrisiken hinausgeht.

  • Ökonomisch gesehen kann man sagen: VW hat einen Versorgungs-abhängigkeits-faktor, der als strategische Schwäche bewertet werden sollte – insbesondere angesichts wachsender politisch/technologischer Risiken im Halbleiterbereich.


Teil 2: Woher kommt die Abhängigkeit & gesellschaftsrechtliche Struktur bei Nexperia in den Niederlanden

2.1 Herkunft der Abhängigkeit

Die Abhängigkeit von Nexperia resultiert aus mehreren strukturellen Faktoren:

  • Lieferkettenspezialisierung: Die Automobilindustrie hat in den letzten Jahren zunehmend modularisiert und globalisiert. Zulieferer liefern spezialisierte elektronische Komponenten in großen Mengen und hoher Qualität. Hersteller wie VW setzen auf Effizienz, Liefer- und Kosteneffizienz, was oft zu wenigen qualifizierten Lieferanten führt.

  • Komponentenstandardisierung: Nexperia stellt „grundlegende“ Halbleiterkomponenten (z. B. Dioden, Transistoren), die zwar nicht die Spitzen-Technologie darstellen, aber in der Masse benötigt werden – viele Automobil-Elektrik-Systeme bauen auf solche Bauteile. Diese Komponenten sind nicht trivial ersetzbar kurzfristig, da Umqualifizierung, Zertifizierung (z. B. Automotive Standards), Lieferkettenänderungen Zeit benötigen. (AInvest)

  • Geopolitische Globalisierung: Die Eigentümerstruktur und Produktions-/Veredelungsprozesse von Nexperia sind global verteilt – mit bedeutenden Aktivitäten in China bzw. mit chinesischer Muttergesellschaft. Diese Vernetzung führt dazu, dass westliche Automobilhersteller nicht nur vom Sitz oder Hauptfertigungsstandort in den Niederlanden abhängig sind, sondern auch von globalen Wertschöpfungs- und Exportflüssen, die durch politische Maßnahmen beeinträchtigt werden können. (European Council on Foreign Relations)

  • Knappheits- und Substitutionsbarrieren: Auch wenn alternative Lieferanten existieren, ist der Wechsel nicht sofort möglich – etwa wegen Automobilzulassung, Qualifizierung von Bauteilen, Lagerbeständen und Produktionsplanung. Diese Struktur schafft eine „weiche“ Abhängigkeit.

  • Strategische Bedeutung von „einfachen“ Chips: Der Fall zeigt, dass Komponenten, die auf den ersten Blick unspektakulär erscheinen („simple chips“), in modernen Automobilen kritisch sind – über Steuergeräte, Sensoren, Lichtsysteme, Sicherheitssysteme. Diese strategische Bedeutung war bislang weniger im Blickfeld der Industrie- und Technologiepolitik.

2.2 Gesellschafts- und kapitalrechtliche Struktur von Nexperia in den Niederlanden

Aus den verfügbaren Informationen lässt sich folgende Struktur skizzieren:

  • Die Gesellschaft heißt Nexperia B.V. („Besloten Vennootschap“) und ist in den Niederlanden mit Sitz in Nijmegen eingetragen. (Bloomberg LEI)

  • Die Rechtsform „Besloten Vennootschap met beperkte aansprakelijkheid (B.V.)“ entspricht einer privaten Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach niederländischem Recht – d. h. die Anteile sind nicht öffentlich gehandelt und die Übertragung der Anteile ist beschränkt. (Wikipedia)

  • Im Jahresbericht bzw. Nachhaltigkeitsbericht von Nexperia wird angegeben, dass die Gesellschaft in den Niederlanden als „Dutch limited liability company (B.V.)“ eingetragen ist. (Nexperia)

  • Die Ultimate Parent Company (Muttergesellschaft) ist die chinesische Wingtech Technology Co., Ltd., die Nexperia mehrheitlich übernommen hat. (Wikipedia)

  • Im Oktober 2025 hat die niederländische Regierung mittels eines Eingriffs nach dem „Goods Availability Act“ (Wet beschikbaarheid essentiële goederen) Maßnahmen ergriffen, um Entscheidungen bei Nexperia blockieren oder rückgängig machen zu können, da Governance-Mängel festgestellt wurden und Risiken für die Versorgungssicherheit gesehen wurden. (Reuters)

  • Laut dem Legal Entity Identifier (LEI) Datensatz ist die Gesellschaft unter Nummer 724500IMA6Z12H3ZHA17 registriert mit Rechtsform „besloten vennootschap met beperkte aansprakelijkheid“. (Bloomberg LEI)

2.3 Implikationen dieser Struktur

  • Da Nexperia als private Gesellschaft („B.V.“) geführt wird, sind die Gesellschafterrechte, Beteiligungen und Übertragungen im Regelfall nicht so transparent wie bei einer börsennotierten Gesellschaft. Dies erschwert eine öffentliche Kontrolle über Eigentums- und Stimmrechtsverhältnisse.

  • Die chinesische Muttergesellschaft (Wingtech) kann über Beteiligungs- und Steuerungsstrukturen Einfluss ausüben – was wiederum das Risiko einer Einflussnahme durch nicht-europäische Akteure erhöht.

  • Die Möglichkeit der niederländischen Regierung, in Notfällen einzuschreiten, zeigt, dass trotz privater Rechtsform staatliche Eingriffsmöglichkeiten bestehen – was ein zusätzliches Risiko für Lieferbeziehungen darstellt (z. B. wegen politischer Regulierung, Exportkontrollen).

  • Für VW heißt das: Ein Zuliefer-Beziehungspartner mit komplexer Eigentümerstruktur, Einfluss von Drittstaaten und regulatorischer Eingriffsmöglichkeit. Das erhöht das Risiko-profil über das übliche Lieferantenrisiko hinaus.

 

VW befindet sich aktuell in einer vulnerablen Lage bezüglich seiner Versorgung mit Halbleiterkomponenten der Gesellschaft Nexperia. Die Abhängigkeit rührt nicht allein aus technologischer Einzigartigkeit, sondern aus der Massennutzung, der globalen Lieferkettentiefe und den geopolitischen Verflechtungen von Nexperia mit China. Die niederländische Gesellschaftsstruktur („B.V.“) unter Kontrolle einer chinesischen Muttergesellschaft trägt zusätzlich Unsicherheiten – insbesondere durch staatliche Eingriffsmöglichkeiten. 

 

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