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Einfaches Bauen nach dem Gebäudetyp E

Arbeitsrecht – Erbrecht - Kommunalrecht

Einfaches Bauen nach dem Gebäudetyp E

Haus

Gesetz zur zivilrechtlichen Erleichterung des Gebäudebaus (Gebäudetyp-E-Gesetz)

Gebäudetyp-E-Gesetz

 

Der Wohnungsmarkt ist geprägt von steigenden Kosten, komplexen Baustandards und einer erheblichen Lücke zwischen Bedarf und realisierten Neubauten. Mit dem Gebäudetyp E liegt nun ein gemeinsames Eckpunktepapier des BMJ und BMWSB vor, das einen deutlichen Systemwechsel einleiten soll: weg vom normgetriebenen Maximalstandard – hin zu einem einfacheren, kostengünstigen und innovationsoffenen Bauen.

1. Ausgangslage: Regulatorische Überfrachtung des Bauens

Die Kostensteigerungen im Wohnungsbau werden im Eckpunktepapier ausdrücklich auf die zunehmende Verdichtung von Baustandards zurückgeführt. Dies betrifft nicht nur Energie-, Schall- oder Barrierevorgaben, sondern auch die faktische Bindungswirkung privater Regelwerke (insb. DIN-Normen), die von der Rechtsprechung traditionell als Indiz für die Einhaltung anerkannter Regeln der Technik gewertet wurden.

Der Effekt:

  • immer höhere Qualitäts- und Komfortstandards,

  • steigende Planungs- und Baukosten,

  • erhebliche Haftungsrisiken bei jeglicher Abweichung von etablierten Regeln,

  • faktische Verdrängung kostengünstiger und einfacherer Bauweisen.

Die Analyse der Rechtsprechung verdeutlicht: Bereits die Abweichung von einer einzigen anerkannten Regel der Technik stellt einen Mangel dar, unabhängig davon, ob das Bauwerk objektiv gebrauchstauglich ist.

Dies führt zu einer Übererfüllung, die häufig weder technisch erforderlich noch wirtschaftlich sinnvoll ist.

2. Kern des Reformvorhabens: Der Gebäudetyp-E-Vertrag

Zentraler Baustein der Reform ist die Einführung eines neuen Vertragstyps im BGB: des Gebäudetyp-E-Vertrags.

2.1. Rechtliche Struktur

Der Gebäudetyp-E-Vertrag ermöglicht ausdrücklich:

  • Abweichungen vom üblichen Standard und von anerkannten Regeln der Technik,

  • Verweisung auf die technischen Baubestimmungen der Länder als Mindeststandard,

  • Einfachausführungen, die zwar weniger Komfort bieten, aber gebrauchstauglich sind,

  • eine klar definierte Haftungsreduzierung des Unternehmers.

Der Auftragnehmer schuldet bei Gebäudetyp E nur den einfachen Standard – also eine Ausführung, die gegenüber heute üblichen Qualitäts- und Komfortstandards reduziert ist, aber die zeitgemäße Funktionalität sicherstellt.

Wesentlich ist dabei:
Abweichungen gelten nicht mehr automatisch als Mangel, sofern die Gebrauchstauglichkeit gleichwertig bleibt und die Mindeststandards der Landesbauordnungen eingehalten werden.

2.2. Verbraucherschutz

Für Verbraucher gilt ein erhöhter Aufklärungsstandard:
Der Unternehmer muss in Textform erläutern

  • Bedeutung des reduzierten Standards,

  • mögliche Risiken,

  • zu erwartende Kostenvorteile.

2.3. Wirkung auf Kauf- und Mietverträge

Gebäude, die im Typ E errichtet wurden, müssen in der Vermietungs- oder Verkaufskette ausdrücklich gekennzeichnet werden – Transparenz ist zwingend.

3. Ökonomische Effekte: Senkung der Baukosten

Das Papier enthält eine Vielzahl an konkreten Kostenhebeln – sowohl planerisch als auch technisch. Exemplarisch:

Planungsseitige Kostentreiber

  • kompakte Bauweise,

  • Verzicht auf Keller, Tiefgarage, Aufzug,

  • reduzierte Fensterflächen,

  • modulare Vorfertigung.

Technische Vereinfachungen

  • Reduktion von Wand- und Deckstärken auf statisches Minimum,

  • einfache Haustechnik (manuelle Lüftung, einfache ELT-Installation),

  • reduzierte Norm-Innentemperaturen,

  • dezentrale Warmwasserbereitung.

Verzichtskomponenten

  • keine Dachbegrünung,

  • keine Zertifizierungen,

  • geringere Schallschutzanforderungen im Mindeststandard.

Die Summe dieser Maßnahmen erlaubt erhebliche Kostensenkungen, wobei Pilotprojekte – z.B. Bayern, Schleswig-Holstein, Hamburg – bereits konkrete Belege liefern.

4. Baupraxis und Governance: Neue Verantwortungsteilung

Das Eckpunktepapier betont, dass die Gesetzesänderung nur ein Baustein sei. Entscheidend sei die Akzeptanz in Planung, Behördenpraxis und Wohnungswirtschaft.

Vorgesehen sind u.a.:

  • Best-Practice-Sammlungen,

  • landesübergreifende Auswertungen von Pilotprojekten,

  • Rahmenvereinbarungen wie beim seriellen Bauen,

  • Fortbildungen für Architekten und Ingenieure,

  • Normenprüfung im Hinblick auf Kostenfolgen.

Ziel ist ein Kulturwandel: Weg vom „immer mehr Standard“ – hin zu einer differenzierten, bedarfsgerechten Bauweise.

5. Juristische Bewertung

Der Gebäudetyp E stellt einen fundamentalen Eingriff in die Dogmatik des Werkvertragsrechts dar:

  • Die bisherige Bindung an anerkannte Regeln der Technik wird relativiert.

  • DIN-Normen verlieren den vom BGH teils angenommenen Vermutungscharakter.

  • Das Haftungsrisiko für Unternehmer wird reduziert und kalkulierbarer.

  • Der Werkmangelbegriff wird erstmals funktional statt normativ definiert („Gleichwertigkeit“ statt „Normwidrigkeit“).

Der Gesetzgeber verlagert damit einen erheblichen Teil der Risiko- und Qualitätsentscheidungen zurück in die privatautonome Vertragsgestaltung – ohne jedoch den Verbraucherschutz aufzugeben.

 

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