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GO-SH: Abwahl eines Bürgermeisters- Teil 5

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GO-SH: Abwahl eines Bürgermeisters- Teil 5

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VG Schleswig am 20.11.2024: Abwahl des Bürgermeisters Koech der Stadt Ratzeburg im Jahr 2021 ungültig

Aus der Pressemitteilung des Gerichts:

Die Richter der 6. Kammer sind der Auffassung, dass die beklagte Stadt Ratzeburg im Vorfeld der Abwahl gegen das Sachlichkeitsgebot verstoßen habe. Danach sei es gemeindlichen Organen untersagt, die freie und sachliche Willensbildung der Bürgerinnen und Bürger zu gefährden. Dies dürfe insbesondere nicht durch suggestive Formulierungen geschehen.

Die Äußerungen in einem Standpunktepapier, das mit der Wahlbenachrichtigung versandt worden sei, verstießen hiergegen. In dieser der Stadtvertretung zuzurechnenden Publikation werde in unzulässiger Weise zur Abwahl des Bürgermeisters aufgefordert. Gemeindliche Organe dürften nicht durch eine Abstimmungsempfehlung unmittelbar auf den Abstimmungsvorgang selbst Einfluss nehmen.

Der Fall Ratzeburg ist mit dem Fall Wedel – Abwahl von Bürgermeister Kaser im Juni 2024 – identisch, ja geradezu eine Blaupause für das Vorgehen des Wedeler Rates gegen den damaligen Bürgermeister.

Vom Stadtpräsidenten wurde ein Standpunktepapier mit folgendem Inhalt veröffentlicht:

Standpunkte und Begründung der Stadtvertretung der Stadt Ratzeburg
zum Bürgerentscheid „Abwahlverfahren des Bürgermeisters am 22.08.2021“

Liebe Bürgerinnen und Bürger,
ein hauptamtlicher Bürgermeister ist nach unserer Gemeindeordnung dafür zuständig, die Verwaltung nach den Zielen und Grundsätzen der Stadtvertretung zu leiten; insbesondere hat er die Beschlüsse der Stadtvertretung und der Ausschüsse vorzubereiten und auszuführen. Um dieser Aufgabe zum Wohle der Stadt Ratzeburg gerecht zu werden, muss ein Bürgermeister besondere Eigenschaften besitzen: Kooperationsfähigkeit und Glaubwürdigkeit.
Diese Qualitäten erhofften sich auch die Ratzeburger Bürgerinnen und Bürger von Gunnar Koech, als sie ihn 2019 zum Bürgermeister wählten. Zwei Jahre später ist die ebenfalls von den Bürgerinnen und Bürgern gewählte Stadtvertretung einstimmig der Auffassung, dass Herr Koech diese notwendigen Eigenschaften nicht hat: KEINE Kooperationsfähigkeit
Gunnar Koech hat in vielen Bereichen der Stadt, in denen es auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit anderen ankommt, ein Trümmerfeld hinterlassen:
• Das Verhältnis zur Freiwilligen Feuerwehr ist zerrüttet.
Der Ehrenwehrführer stellt klar: „Mit Menschlichkeit, Kameradschaft und Transparenz hat dieses Verhalten des Bürgermeisters nichts mehr zu tun“.
• Das Verhältnis zu Schulleitung und Elternvertretung der LG ist zerrüttet. Der Schulleiter erklärt: „Jedes lösungsorientierte Vorgehen basiert auf Respekt und Offenheit. Stattdessen erhielten wir Drohungen und fehlende Absprachen.“
• Das Verhältnis zur Leitung des Schulverbands Ratzeburg ist zerrüttet.
Die Schulverbandsvorsteherin erläutert: „Die Zusammenarbeit funktioniert so nicht. In unseren Gesprächen zeigte er keinerlei Einsicht.“
• Das Verhältnis zu Teilen der Mitarbeitenden im Rathaus ist zerrüttet.
Die Gleichstellungsbeauftragte sieht erheblichen Handlungsbedarf und erkennt „massive Probleme hinsichtlich der Gleichstellung“. Dass die betroffenen Mitarbeitenden sich nicht (mehr) selbst zu äußern trauen, liegt auf der Hand: Gunnar Koech hat als eine seiner letzten Amtshandlungen ein Disziplinarverfahren gegen eine missliebige Mitarbeiterin eingeleitet und dieses zudem öffentlich gemacht.
• Das Verhältnis zu den politischen Gremien der Stadt ist zerrüttet.
In der Stadtvertretung am 25.05. wurde anhand mehrerer Beispiele erläutert, dass Gunnar Koech Entscheidungen der Stadtvertretung und der Ausschüsse bewusst ignoriert und missachtet sowie diesen Gremien wichtige Informationen vorenthält.
KEINE Glaubwürdigkeit
• Auch wurde in der Stadtvertretung am 25.05. deutlich, dass Gunnar Koech gegenüber der Politik mehrfach bewusst die Unwahrheit gesagt hat.
• Der Kreis Herzogtum Lauenburg hat ein Disziplinarverfahren eingeleitet.
• Die Staatsanwaltschaft Lübeck hat Anklage wegen Abgabe einer falschen Versicherung an Eides Statt und falscher Verdächtigung erhoben. Zudem liegt ihr eine Anzeige wegen Veruntreuung vor, da Gunnar Koech Mittel der Stadt für nicht städtische, teilweise sogar private, Zwecke eingesetzt hat.
Gunnar Koech ist für das Amt des Bürgermeisters nicht geeignet! Bitte gehen Sie am 22.08.2021 zur Wahl und stimmen Sie mit JA
zur Abwahl des Bürgermeisters Gunnar Koech!

Zum Vergleich in Wedel die Argumente aus dem Standepunktepapier, daß an alle Wahlberechtigten in Wedel verteilt wurde:

In beiden Fällen – Ratzeburg und Wedel – haben die Organe der Stadt gegen das Sachlichkeitsverbot vestoßen.

Eine beantragte einstweilige Anordnung gegen die Stadt Wedel wurde vom VG Schleswig im Vorfeld der Wahl mit folgender Begründung abgelehnt:

„Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass eine Verschiebung des Wahltermins wegen eines Verstoßes gegen das Sachlichkeitsgebot im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes nicht zu erreichen sei. Im Wahlrecht herrsche der Grundsatz, dass Entscheidungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren bezögen, regelmäßig allein mit den in den Wahlvorschriften vorgesehenen Rechtsbehelfen im nachträglichen Wahlprüfungsverfahren angefochten werden könnten. Einen offensichtlichen Rechtsbruch der Stadt Wedel, der ausnahmsweise im einstweiligen Rechtsschutz geltend gemacht werden könne, konnten die Richter nicht erkennen.“

In unserem damaligen Schriftsatz führten wir zur Frage des Sachlichkeitsgebots u.a. aus:

Neutralität der Gemeindevertretung
Die Gegenseite führt aus, dass die Gemeindevertretung nicht zur Neutralität verpflichtet sei und sich im Rahmen des politischen Meinungskampfes befinde (unter Verweis auf OVG Schleswig, B.v.02.08.2021 – 3 MB 24/21).
Erwiderung: Auch im politischen Meinungskampf ist das Sachlichkeitsgebot zu beachten. Unsachliche und diffamierende Aussagen, und Mittel, die die freie und sachliche Willensbildung der Bürgerinnen und Bürger gefährden, sind unzulässig. Der Antragsteller hat mehrfach dargelegt, dass die Kommunikation der Gemeindevertretung und deren Mitglieder unsachlich und einseitig ist.

Bürgermeister a.D. Gernot Kaser hatte den Bürgern zugesagt, daß Wahlergebnis vom Juni 2024 zu aktzeptieren, entsprechend verzichtete er auf eine Wahlanfechtung nach der Abwahl.

Entsprechend handelte Bürgermeister a.D. Häckel von Sylt, der mit vergleichbaren Argumenten einem Abwahlverfahren unterzogen wurde, nachdem er einige Zeit wegen Burn-Out ausgefallen war. Mttlerweile ist Nikolas Häckel verstorben, die Staatsanwaltschaft ermittelt und die Bild-Zeitung generiet Einnahmen mit wilden Spekulationen über seinen Tod. Fest steht nur, daß Häckel – und auch viele Medienvertreter –  damals ganz fest mit einem Abstimmungsergebnis zu seinen Gunsten gerechnet hatten.

Und wie geht es weiter….?

Wer die Abwahlverfahren auf Sylt oder Wedel hinterfragt hat und eine formale Wahlanfechtung erklärt hat, kann sich auf das Urteil des VG Schleswig vom 20.11.2024 beziehen und eine Anfechtungsklage im Rahmen der laufenden Fristen einreichen.

Bürgermeister a.D. Kaser sind die Hände gebunden, gegen ihn läuft nun seit Monaten ein nicht abgeschlossenes Disziplinarverfahren der Stadt Wedel, eine Strafanzeige der Stadt Wedel und der Vorwurf der Untreue, weil er sich gegen den Rat der Stadt Wedel verwaltungsrechtlichen Rat bei der Anwaltskanzlei Weißleder & Ewer eingeholt hat.

So war es auch im Fall des Bürgermeisters der Stadt Ratzeburg. Zum Schluß wurde alle Verfahren eingestellt, aber das Abwahlverfahren war erfolgreich initiiert worden.

Auch wenn die Entscheidung des Verwaltungsgerichts noch nicht rechtskräfig ist – sie räumt hoffentlich mit den fraglichen Methoden einer Selbstverwaltung auf, die sich berufen fühlt, einen frei gewählten Bürgermeister entweder zu beherrschen oder abwählen zu lassen. Die Besonderheiten in der schleswig-holsteinischen Gemeindeordnung im Verhältnis zu  anderen Bundesländern – z.B. die Bezugnahme auf den Bürgerentscheid – sollten vor dem Hintergrund des Urteils aus Schleswig zu einem Umdenken beim Landesgesetzgeber führen.

 

Einzelheiten zu Wedel in Wedel News vom 27.11.2024

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