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Politiker und Strafanzeigen wegen Beleidigung: Rechtliche Hintergründe und kontroverse Maßnahmen

Arbeitsrecht – Erbrecht - Schulrecht

Politiker und Strafanzeigen wegen Beleidigung: Rechtliche Hintergründe und kontroverse Maßnahmen

Justicia ist blind- Unabhängigkeit

Die jüngsten Strafanzeigen von Politikern wie Robert Habeck, Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Hendrik Wüst gegen Personen, die sie vermeintlich beleidigt haben, werfen eine zentrale Frage auf: Wo liegt die Grenze zwischen Meinungsfreiheit und strafbarer Beleidigung? Besonders der Fall eines Rentners, der Robert Habeck als „Schwachkopf“ bezeichnet haben soll und bei dem daraufhin eine Hausdurchsuchung angeordnet wurde, erregt die Gemüter. Dieser Artikel beleuchtet die strafrechtlichen Grundlagen, insbesondere § 188 StGB, und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Abschließend wird die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen kritisch diskutiert.


Beleidigung und besondere Schutzvorschriften für Amtsträger (§§ 185, 188 StGB)

Die Beleidigung nach § 185 StGB ist eine der häufigsten Delikte im Bereich der Ehrverletzungsdelikte. Eine Beleidigung wird definiert als die Kundgabe der Missachtung oder Nichtachtung einer Person in einer Art und Weise, die geeignet ist, deren persönliche Ehre zu verletzen. Neben § 185 StGB können auch § 186 StGB (üble Nachrede) und § 187 StGB (Verleumdung) einschlägig sein, wenn ehrverletzende Tatsachenbehauptungen hinzukommen.

Für Personen des politischen Lebens kommt der § 188 StGB zum Tragen, der den Schutz von Amtsträgern und Personen des politischen Lebens vor Verleumdungen und üblen Nachreden verschärft. Der Paragraph lautet auszugsweise:

„Wenn eine Beleidigung, üble Nachrede oder Verleumdung gegen eine Person des politischen Lebens begangen wird und geeignet ist, ihre Stellung oder Aufgaben in der Öffentlichkeit erheblich zu erschweren, so wird die Strafe verschärft.“

Damit bietet § 188 StGB Politikern einen besonderen Schutz, da ihre öffentliche Stellung sie anfälliger für Angriffe macht, die über die bloße private Beleidigung hinausgehen.

Abgrenzung: Kritik oder Schmähkritik?

Politiker müssen sich, wie das Bundesverfassungsgericht mehrfach festgestellt hat, einer erhöhten Kritik stellen. Dabei gilt jedoch eine klare Grenze: Schmähkritik, die keine sachliche Auseinandersetzung darstellt und allein der Herabwürdigung dient, fällt nicht unter den Schutz der Meinungsfreiheit nach Artikel 5 Abs. 1 GG. Eine bloße Überspitzung oder Polemik, die im Kontext einer politischen Debatte fällt, ist hingegen zulässig.


Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: Meinungsfreiheit versus Persönlichkeitsschutz

Das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren Entscheidungen zur Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz Stellung genommen. Zu den wichtigsten Leitentscheidungen gehören:

  • „Strauß-Karikatur“ (BVerfGE 75, 369): Hier wurde betont, dass Politiker in ihrer Funktion als öffentliche Personen eine gesteigerte Kritikbereitschaft aufbringen müssen. Solange eine Äußerung im Rahmen des politischen Diskurses steht und nicht ausschließlich beleidigend ist, fällt sie unter den Schutz der Meinungsfreiheit.

  • „Soldaten sind Mörder“ (BVerfGE 93, 266): Das Gericht stellte klar, dass Meinungsäußerungen, selbst wenn sie provozierend oder überspitzt sind, grundsätzlich von Artikel 5 GG geschützt sind, solange sie einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung leisten.

In der Praxis wird die Abwägung zwischen den Grundrechten auf Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsschutz individuell vorgenommen. Entscheidend sind der Kontext der Äußerung, die Formulierung und die Intention des Sprechers.


Die Hausdurchsuchung bei einem Rentner: Über das Ziel hinausgeschossen?

Besondere öffentliche Aufmerksamkeit erregte der Fall eines Rentners, der Robert Habeck in einem Facebook-Kommentar als „Schwachkopf“ bezeichnet haben soll. Die Polizei ordnete daraufhin eine Hausdurchsuchung an, um Beweismaterial sicherzustellen.

Verhältnismäßigkeit von Durchsuchungen

Nach § 102 StPO sind Durchsuchungen zulässig, wenn der Verdacht besteht, dass Beweismittel in einer Wohnung gefunden werden können. Allerdings stellt das Grundgesetz mit Artikel 13 GG die Unverletzlichkeit der Wohnung unter besonderen Schutz. Eine Durchsuchung darf daher nur dann angeordnet werden, wenn sie verhältnismäßig ist. Die Verhältnismäßigkeit misst sich an drei Kriterien:

  1. Geeignetheit: Die Maßnahme muss geeignet sein, den Zweck der Ermittlungen zu fördern.
  2. Erforderlichkeit: Es darf kein milderes Mittel geben, um das Ziel zu erreichen.
  3. Angemessenheit: Der Eingriff muss in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der Straftat stehen.

Kritik an der Durchsuchung

Der Vorwurf, eine Person öffentlich als „Schwachkopf“ bezeichnet zu haben, ist eine geringfügige Beleidigung und bewegt sich im unteren Bereich der Strafbarkeit. Ob die Durchsuchung erforderlich war, ist mehr als fraglich. Ein milderes Mittel, wie die Vorladung des Beschuldigten oder eine schriftliche Stellungnahme, hätte ausgereicht.

Die Maßnahme erscheint zudem angesichts der Bagatellstraftat als unangemessen. Das Bundesverfassungsgericht hat in der Vergangenheit klargestellt, dass der Staat bei der Verfolgung von Bagatelldelikten Zurückhaltung üben sollte, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Rechtsstaatlichkeit nicht zu gefährden.

Politiker müssen als öffentliche Personen eine erhöhte Kritikbereitschaft aufbringen. Der Staat hingegen sollte sorgfältig abwägen, ob und in welchem Umfang Maßnahmen wie Hausdurchsuchungen gerechtfertigt sind – insbesondere bei geringfügigen Delikten. Ein übermäßiger Einsatz solcher Mittel kann die Grenze zum repressiven Verhalten überschreiten und den Eindruck erwecken, dass Kritik an der politischen Elite unterdrückt werden soll. Ein rechtsstaatliches Verfahren erfordert hier Fingerspitzengefühl und Augenmaß.


So Done

Politiker wie Habeck, Strack-Zimmermann, Wüst oder Klöckner werben für die Abmahnkanzlei So Done.

Dies ist umso fragwürdiger, als die Kanzlei von ihr scheinbar identifizierte Täter mit folgendem Text auf ihrer Homepage unter Druck zu setzen sucht.

Wenn Sie als vermeintlicher Täter auf den Button von So Done klicken, erscheint folgender Text:

Sie haben Post von uns erhalten?

Wenn Sie ein Aufforderungsschreiben von uns erhalten haben, dann haben wir Sie als Urheber einer strafrechtlich relevanten Äußerung identifiziert. In aller Regel haben wir bereits ein Strafverfahren eingeleitet und nehmen Sie jetzt zivilrechtlich in Anspruch.

Sie sind aufgrund Ihres deliktischen Verhaltens gegenüber unserem Mandanten verpflichtet, eine Unterlassungserklärung abzugeben, den Beitrag zu löschen, ggf. eine Geldentschädigung zu zahlen und unseren Mandanten von den hier entstandenen Kosten freizustellen. 

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH besteht eine Wiederholungsgefahr, da zu befürchten ist, dass Sie unseren Mandanten erneut beleidigen werden. Daher sind Sie dazu verpflichtet, eine Unterlassungserklärung abzugeben, in der Sie sich gegenüber unserem Mandanten verpflichten, diesen nicht erneut zu beleidigen und für den Fall der Zuwiderhandlung eine angemessene Vertragsstrafe zu zahlen. Da es sich hierbei um ein sogenanntes abstraktes Schuldanerkenntnis handelt, müssen Sie diese Erklärung gemäß § 780 BGB in Schriftform abgeben. Das bedeutet, dass das Übersenden der Erklärung per E-Mail oder Fax nicht ausreicht. Sie müssen die Erklärung unterschrieben im Original an uns zurücksenden.

 Wenn wir Sie nicht nur zur Abgabe einer Unterlassungsverpflichtungserklärung, sondern auch zur Zahlung einer Geldentschädigung aufgefordert haben, dann handelt es sich um eine besonders schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung. Wir haben Ihr Posting auf die Begleitumstände (Inhalt, Form, Anlass und Wirkung der betreffenden Äußerung, Reichweite, Intensität der Verletzung, Verschulden) geprüft und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass nur die Zahlung einer angemessenen Geldentschädigung die Persönlichkeitsrechtsverletzung wiedergutmachen kann. Zweck der Geldentschädigung ist auf der einen Seite die Genugtuung und auf der anderen Seite die Prävention vor weiteren Verletzungen.

Als Verantwortlicher für die Persönlichkeitsrechtsverletzung haben Sie auch die Kosten zu tragen, die infolge unserer Beauftragung entstanden sind. Anspruchsgrundlagen dabei sind §§ 823 ff. BGB bzw. die Grundsätze über die berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag. Unsere Gebühren berechnen sich anhand des Streitwerts, den wir in der Kostenberechnung angeben. Daneben haben Sie eventuell anfallende Auslagen, wie die Aktenversendungspauschale, zu erstatten.

Sind Sie denn Täter – wie es So Done festgestellt haben will?

In den meisten Fällen sicherlich nicht – aber man neigt schnell zur Zahlung von Geld und der Abgabe einer Unterlassungserklärung, weil man sich unsicher fühlt.

Der Text der Kanzlei bewegt sich rechtlich innerhalb des deutschen Persönlichkeits- und Meinungsfreiheitsrechts, wirft jedoch Fragen zur Verhältnismäßigkeit und Transparenz auf. Der pauschale Ton und die Betonung potenzieller Strafverfahren könnten als unverhältnismäßiger Druck wahrgenommen werden, insbesondere wenn es sich um geringfügige oder grenzwertige Äußerungen handelt. Eine differenzierte Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht sowie ein individuell begründeter Ansatz sind unerlässlich, um das Vertrauen in den Rechtsstaat und die Glaubwürdigkeit der Kanzlei zu gewährleisten.

Wir haben den Text für Sie nachfolgend analysiert, machen Sie sich ein eigenes Bild.

Unser Rat an Sie: Suchen Sie einen Anwalt Ihres Vertrauens auf,  bevor Sie Geld zahlen oder eine Unterlassungserklärung abgeben.

1. Seriosität des Vorgehens der Kanzlei

Der Text vermittelt auf den ersten Blick ein professionelles Vorgehen. Die Kanzlei legt dar, dass sie:

  • den Verursacher einer „strafrechtlich relevanten Äußerung“ identifiziert habe,
  • bereits ein Strafverfahren eingeleitet und eine zivilrechtliche Inanspruchnahme vorbereitet habe,
  • auf Basis rechtlicher Grundlagen wie § 780 BGB (Schriftform für abstrakte Schuldanerkenntnisse) und §§ 823 ff. BGB (Schadensersatzpflicht bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen) handelt.

Die Struktur des Textes und die detaillierte Erklärung der Rechtslage deuten auf Fachkenntnis hin, was die Kanzlei als seriös erscheinen lässt. Gleichzeitig können jedoch bestimmte Formulierungen einen Eindruck von Druck und Einschüchterung erwecken, was die Seriosität infrage stellen könnte, insbesondere wenn der Text in einem pauschalisierenden Ton verfasst wurde, ohne auf individuelle Umstände einzugehen.


2. Rechtliche Grundlage und Zulässigkeit des Vorgehens

a) Strafrechtliche Ebene: Verleumdung und Beleidigung

Die Kanzlei beruft sich offenbar auf strafrechtlich relevante Tatbestände wie Beleidigung (§ 185 StGB), üble Nachrede (§ 186 StGB) oder Verleumdung (§ 187 StGB). Diese Straftatbestände setzen voraus, dass die Äußerung die Ehre des Betroffenen verletzt, was objektiv festgestellt werden muss.

Die Einleitung eines Strafverfahrens ist in solchen Fällen zulässig, jedoch bleibt unklar, ob tatsächlich ein Ermittlungsverfahren eröffnet wurde. Ohne eine rechtskräftige strafrechtliche Entscheidung kann die pauschale Behauptung, jemand habe eine strafrechtlich relevante Tat begangen, als problematisch angesehen werden.

b) Zivilrechtliche Ebene: Unterlassung und Schadensersatz

Die zivilrechtlichen Forderungen (Unterlassungserklärung, Geldentschädigung, Erstattung der Anwaltskosten) basieren auf § 823 BGB (Schutz des Persönlichkeitsrechts). Solche Ansprüche setzen eine erhebliche Verletzung des Persönlichkeitsrechts voraus. Dabei spielt die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) eine zentrale Rolle:

  • Der BGH fordert, dass bei der Beurteilung einer Persönlichkeitsrechtsverletzung stets eine Abwägung zwischen dem Schutz des Persönlichkeitsrechts und der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 GG vorgenommen werden muss.
  • Nur schwerwiegende Eingriffe rechtfertigen eine Geldentschädigung, und diese darf keine Strafzahlung darstellen, sondern muss verhältnismäßig sein.

Die Kanzlei betont diese Abwägung, lässt jedoch die genauen Kriterien (z. B. Schwere der Verletzung, Reichweite der Äußerung) offen. Ohne nähere Erläuterung wirkt das Vorgehen daher potenziell pauschalisierend.


3. Spannungsfeld zur Meinungsfreiheit

Die Meinungsfreiheit ist durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützt. Auch provokative oder überspitzte Äußerungen genießen Schutz, sofern sie keinen rein beleidigenden Charakter haben (Schmähkritik). Der Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht haben mehrfach klargestellt, dass:

  • Kritik, insbesondere an Personen des öffentlichen Lebens, einen wesentlichen Beitrag zur demokratischen Meinungsbildung leistet.
  • Schmähkritik nur vorliegt, wenn die Äußerung allein der Herabwürdigung dient und keinen sachlichen Bezug hat.

Es bleibt fraglich, ob die Kanzlei ausreichend zwischen zulässiger Meinungsäußerung und einer strafbaren Beleidigung differenziert. Wenn etwa eine Äußerung wie „Schwachkopf“ ohne zusätzlichen Kontext verfolgt wird, könnte dies als unverhältnismäßiger Eingriff in die Meinungsfreiheit ausgelegt werden.


4. Verhältnismäßigkeit und Druckausübung

a) Anforderungen an Verhältnismäßigkeit

Das deutsche Recht verlangt, dass zivil- und strafrechtliche Maßnahmen stets verhältnismäßig sein müssen. Dies betrifft insbesondere:

  • die Höhe der geforderten Geldentschädigung,
  • die Erstattungsansprüche für Anwaltskosten,
  • die Verpflichtung zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung.

Im vorliegenden Text wird die Verpflichtung zur Zahlung einer Geldentschädigung als selbstverständlich dargestellt. Es fehlt jedoch eine konkrete Begründung, warum eine Zahlung erforderlich und verhältnismäßig ist. Ein solcher pauschaler Anspruch könnte als unverhältnismäßig angesehen werden, insbesondere bei geringfügigen oder unbedachten Äußerungen.

b) Einschüchterungspotenzial

Die Formulierungen im Schreiben („Sie sind verpflichtet …“, „In aller Regel haben wir bereits ein Strafverfahren eingeleitet …“) erzeugen einen Eindruck von Druck und könnten als Einschüchterung wahrgenommen werden. Ohne detaillierte Erläuterung der konkreten Rechtsverletzung könnte dies als unangemessen angesehen werden.

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