Hybride Bedrohung und Sabotageaktionen im Weltraum

Wir müssen auch im All für unsere Sicherheit einstehen und wir müssen uns dort auch verteidigen können.
Verteidigungsminister Boris Pistorius
Hintergrund und Motivation
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Wachsende Bedrohung im Weltraum
Pistorius warnt, dass Staaten wie Russland und China zunehmend Fähigkeiten ausbilden, um Satelliten auszuschalten, zu stören, zu blenden, zu manipulieren oder gar kinetisch zu zerstören.
Er führte konkret an, dass russische Luch-Olymp-Satelliten zwei Intelsat-Satelliten beobachten, die von der Bundeswehr genutzt werden, was zeigt, dass bereits operative Objekte ins Visier geraten.
Die Abhängigkeit moderner Staaten von Satellitentechnologien (Kommunikation, Navigation, Aufklärung etc.) macht sie anfällig gegenüber Angriffen im All. -
Strategische Selbstständigkeit und Abschreckung
Deutschland will sich weniger abhängig von Partnern (z. B. den USA) machen, wenn es um Sicherung seiner Raumfahrtinfrastruktur geht.
Weiterhin betont Pistorius, dass Abschreckungsfähigkeiten auch im All nötig seien: Man müsse gegenüber möglichen Angreifern zeigen, dass auch Gegenmaßnahmen möglich sind. -
Investitionsvorsorge und struktureller Aufbau
Bis 2030 sollen rund 35 Milliarden Euro in Weltraumprojekte und eine Widerstandsfähigkeit des Systems „Sicherheitsarchitektur im All“ fließen.
Damit soll eine robuste, redundante, digitale Infrastruktur errichtet werden, um Systeme auch bei Angriffen stabil zu halten.
Was ist unter „Sicherheitsarchitektur im All“ gemeint?
Pistorius spricht nicht von einem konkreten einzelnen System, sondern von einem integrierten Ensemble von Komponenten und Maßnahmen, um Raumfahrt-Assets zu schützen. Konkret nannte er:
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Satellitenkonstellationen mit Redundanzen und Vernetzung, um Ausfälle zu kompensieren
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Bodenstationen (Ground Segment) zur Steuerung, Kontrolle und Datenverbindung
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Gesicherte Startkapazitäten ins All (Launch-Infrastruktur)
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Dienste/Services (z. B. Kommandierung, Kommunikation, Datenverarbeitung, Monitoring)
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Cybersicherheit für alle Weltraumsysteme – Schutz gegen digitale Angriffe, Manipulation, Störungen
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Lageerfassung/Monitoreinrichtungen im Orbit, z. B. durch Radars, Teleskope oder Wächtersatelliten (watch-Satellites)
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Resilienz / Ausfallsicherheit durch Redundanzen und Diversifikation der Systeme
Was soll geschützt werden – welche Objekte und Interessen?
Im Kern geht es um den Schutz von Raumfahrt-Assets, die für zivile wie militärische Funktionen unverzichtbar sind. Beispiele:
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Kommunikationssatelliten / Datenverbindungssysteme
Militärische und staatliche Kommunikation, Befehls- und Kontrollfunktionen sind ohne Satellitenverbindungen gefährdet. -
Navigations- und Ortungssysteme (z. B. GPS, Galileo, GLONASS u. ä.)
Viele Systeme und Anwendungen sind auf präzise Positionierung angewiesen (z. B. Logistik, Führungssysteme, autonome Systeme). -
Aufklärung, Erdbeobachtung, Überwachung
Satelliten liefern Bilder, Radardaten, Signalerkennung – wichtig für Situationsbewusstsein, Frühwarnung, militärische Planung. -
Signalintelligenz und elektronische Kriegsführung
Satelliten, die elektromagnetische Signale empfangen oder stören, sind gefährdet und zugleich kritische Elemente der Systemsteuerung. -
Startinfrastrukturen und Bodenstationen
Raketenstartplätze, Telemetrieinrichtungen, Bodenkontrollzentren sind Teil der Infrastruktur, deren Ausfall Folgen für das System hat. -
Integrität und Kontinuität von Diensten
Ein Ausfall, Störung oder Manipulation eines Satelliten kann ganze Services (Kommunikation, Navigation, Datenübertragung etc.) ausfallen lassen – was kritische Infrastrukturen, Notfallmechanismen und staatliche Systeme gefährden kann. -
Abschreckungspotenzial / Verteidigungsfähigkeiten
Damit potenzielle Gegner wissen, dass Angriffe im All nicht folgenlos bleiben, könnte auch der Schutz von Gegensystemen gemeint sein – z. B. Reagieren oder Gegenmaßnahmen.
Risisken und Herausforderungen
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Kein natürlicher Schutzraum: Der Weltraum kennt keine klaren Grenzen wie beim Land oder See. Objekte “über uns” sind grundsätzlich angreifbar.
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Technologischer Wettlauf: Staaten investieren in sogenannte Counter-Space-Fähigkeiten (z. B. Anti-Satellitenwaffen, Signalstörungen, kinetische Angriffe).
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Asymmetrische Wirkung: Ein gezielter Angriff auf wenige Satelliten kann große Wirkung erzeugen, weil viele irdische Systemketten davon abhängen.
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Kosten & Komplexität: Der Bau einer robusten Architektur mit Redundanzen, Schutzmaßnahmen und Monitoring ist technisch anspruchsvoll und teuer – daher auch der hohe Finanzbedarf (35 Mrd. €).
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Rechtliche Grenzen: Das Weltraumrecht (insbesondere der Weltraumvertrag von 1967) schreibt vor, dass der Weltraum friedlich nutzbar bleiben soll. Pistorius betont, dass Deutschland eine regelbasierte Ordnung unterstützt – aber zugleich realistisch sein müsse.
Realisierbarkeit
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Machbar, aber hochkomplex: Satellitenkonstellationen mit Redundanzen, abgesicherten Kommunikationskanälen und Weltraumlagezentren sind technisch heute möglich (vgl. US-Programme Space Force, EU-Projekt IRIS²).
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Kostenfaktor: Deutschland plant 35 Mrd. €, verteilt bis 2030. Das ist im internationalen Vergleich eher bescheiden: die USA investieren jährlich ca. 30–40 Mrd. $ in „Space Security“. Deutschland kann mit 35 Mrd. keine vollständige Eigenarchitektur schaffen, wohl aber Module (Erdbeobachtung, sichere Kommunikation, redundante Satelliten).
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Abhängigkeit von Partnern: Deutschland wird bei Trägern (Raketenstarts), Bauteilen und Überwachungstechnik weiterhin auf Kooperation (ESA, USA, Frankreich, private Anbieter) angewiesen sein. Eine „Autarkie im All“ ist unrealistisch.
Ökonomische Dimension
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Opportunitätskosten: 35 Mrd. € für Weltraumprojekte stehen im Wettbewerb mit Verteidigungs-, Infrastruktur- und Sozialausgaben. Der Nutzen (Schutz kritischer Satelliten) ist nicht unmittelbar sichtbar, sondern abstrakt präventiv.
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Industriepolitik: Die deutsche Raumfahrtindustrie (OHB, Airbus Defence & Space) profitiert erheblich. Das Vorhaben ist auch industriepolitisch motiviert, um Schlüsselkompetenzen in Europa zu halten.
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Private Konkurrenz: Firmen wie SpaceX, Amazon (Kuiper) oder OneWeb schaffen riesige Konstellationen. Deren Redundanz- und Resilienzmodell könnte günstiger sein als staatliche Eigenlösungen. Frage: Soll der Staat teuer eigene Systeme bauen – oder sich stärker kommerzieller Dienste bedienen?
Rechtlich-politische Dimension
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Weltraumvertrag 1967: Verbietet die Stationierung von Massenvernichtungswaffen, verlangt friedliche Nutzung. Defensiv orientierte Systeme (Kommunikationssicherung, Weltraumlageerfassung, Cyberabwehr) sind zulässig.
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Grauzonen: „Abschreckung im All“ klingt politisch heikel. Schon defensive Fähigkeiten (z. B. Manöversatelliten, Laser gegen Störsatelliten) können als offensive Bedrohung gewertet werden. Das wirft völkerrechtliche Spannungsfragen auf.
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EU/NATO-Kontext: Deutschland agiert nicht allein – die NATO erklärte 2019 den Weltraum zum Operationsraum. Eine deutsche Architektur muss mit NATO-Systemen kompatibel sein. Die EU fördert IRIS² (sichere Satellitenkommunikation bis 2027). Pistorius’ Vorstoß dürfte primär eine deutsche Beteiligung und Mitgestaltung sichern.
Strategische Realisierbarkeit
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Militärische Notwendigkeit: Ja, Satelliten sind heute kritische Infrastruktur (Kommunikation, Navigation, Aufklärung). Ohne Schutz wären Bundeswehr und Gesellschaft im Ernstfall blind und taub.
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Politische Durchsetzbarkeit: Die Summe (35 Mrd.) könnte innenpolitisch umstritten sein, insbesondere, da sie nicht direkt in sichtbare „soziale Sicherheit“ fließt. Aber im Kontext von NATO-Zielen (2 %-BIP für Verteidigung) ist sie argumentierbar.
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Risiko der Militarisierung: Politisch muss Berlin einen Balanceakt schaffen: Abschreckung ohne Wettrüsten, Schutz ohne Aggression. Hier droht die größte Glaubwürdigkeitslücke.
Realistische Erwartung
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Bis 2030 wird Deutschland keine autarke Sicherheitsarchitektur im All haben.
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Realistisch ist ein europäisch eingebettetes Teilsystem, das deutsche Interessen absichert (z. B. gesicherte Kommunikationssatelliten, Cyber-Abwehr, Überwachung der Umlaufbahnen).
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Die „Abschreckung“ wird wohl eher durch Resilienz und Redundanz erfolgen (Systeme überstehen Angriffe, Dienste bleiben verfügbar), nicht durch offensive Gegenschläge.
Analyse: Abhängigkeit von Satellitensystemen im Alltag
1. Grundlagen – warum Satelliten kritisch sind
Satelliten sind ein zentraler Bestandteil der modernen Daseinsvorsorge. Sie ermöglichen Infrastrukturleistungen, die für Wirtschaft, Verwaltung, Sicherheit und Alltag unverzichtbar geworden sind. Juristisch sind sie Teil der „kritischen Infrastrukturen“ i. S. v. § 2 Abs. 10 BSIG. Ökonomisch sind sie ein klassisches Beispiel für „essential facilities“, deren Ausfall systemische Schäden verursachen würde.
2. Kernbereiche der Abhängigkeit
a) Navigation und Positionierung
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GPS, Galileo, GLONASS steuern:
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zivile Mobilität: Smartphone-Navigation, ÖPNV-Systeme, Schifffahrt, Luftfahrt
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Logistik und Güterverkehr: Containerverfolgung, LKW-Routenplanung
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Landwirtschaft: präzise Maschinensteuerung, „Smart Farming“
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Abhängigkeit: Ohne Satelliten fallen präzise Zeit- und Positionssignale weg, mit massiven Folgen für Lieferketten, Rettungsdienste, Notfallkoordination.
b) Kommunikation
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Satelliteninternet (z. B. Starlink, Eutelsat, SES) sichert Konnektivität in ländlichen Regionen oder bei Netzausfällen.
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Fernsehen / Rundfunk: Ein erheblicher Teil der globalen Übertragung läuft weiterhin über geostationäre Satelliten.
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Sicherheitskommunikation: Bundeswehr, Polizei und Katastrophenschutz nutzen Satelliten als redundante Netze, wenn Bodeninfrastruktur gestört ist.
c) Zeit- und Synchronisationsdienste
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GPS/Galileo liefern nicht nur Ortsdaten, sondern hochpräzise Zeitstempel (Nanosekundenbereich).
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Diese Synchronisation ist Grundlage für:
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Finanztransaktionen (Börsen, Banken)
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Energieversorgung (Netzsynchronisation in Stromnetzen)
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Mobilfunknetze (5G/6G)
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Ohne diese Zeitgeber droht Instabilität: Transaktionen fehlschlagen, Netze brechen zusammen, Blackouts sind möglich.
d) Erdbeobachtung und Umwelt
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Wetterprognosen basieren auf Satellitendaten (Meteosat, Copernicus).
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Klimaforschung nutzt Langzeitbeobachtungen (Temperatur, Gletscher, Ozeane).
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Katastrophenschutz: Erdbeben, Waldbrände, Überschwemmungen werden per Satellit erkannt und kartiert.
e) Sicherheit und Verteidigung
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Militärische Aufklärung (SAR-Radarsatelliten, optische Systeme).
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Frühwarnsysteme gegen Raketenstarts.
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Kommunikationssatelliten für Auslandseinsätze.
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Juristischer Aspekt: Art. 87a GG (Bundeswehr als Verteidigungsarmee) stützt sich in der Realität auf diese Daten.
f) Wirtschaft und Alltag
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Navigation im Taxi / Lieferdienst: präzise Ortung sichert Geschäftsmodelle (z. B. Plattformökonomie: Uber, Lieferando).
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Finanzwirtschaft: Zeitstempel für algorithmischen Handel.
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Reise und Tourismus: Ticketbuchungen, Flugrouten, Kreuzfahrtschiffe – alle abhängig von globaler Kommunikation und Navigation.
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E-Commerce / Logistik: Paketverfolgung in Echtzeit (DHL, Amazon).
3. Systemische Risiken bei Ausfall
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Kurzfristig (Stunden): Störungen bei Flug- und Schiffsverkehr, Navigationsfehler bei Rettungsdiensten, Ausfall von Live-TV-Übertragungen.
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Mittelfristig (Tage): Börsenhandel und Finanztransaktionen destabilisieren, Stromnetze geraten aus Takt, Mobilfunknetze verlieren Synchronisation.
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Langfristig (Wochen): Versorgungsketten brechen, Landwirtschaft erleidet Produktionsverluste, militärische Einsatzfähigkeit sinkt, Wettervorhersage wird ungenau.
4. Ökonomische Dimension
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Studien schätzen den wirtschaftlichen Schaden eines GPS-Ausfalls in der EU auf mehrere Milliarden Euro pro Tag.
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Bereits kleine Störungen (z. B. „Jamming“ durch Russland an den Ostgrenzen) haben Flugverkehr und Schiffslogistik massiv beeinträchtigt.
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Der ökonomische Wert satellitenbasierter Dienste in Deutschland liegt laut EU-Kommission im zweistelligen Milliardenbereich jährlich.
5. Juristisch-politische Bewertung
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Grundrechte: Art. 2 Abs. 2 GG (körperliche Unversehrtheit) wird indirekt berührt, wenn Rettungssysteme ohne Satelliten nicht arbeiten.
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Staatliche Schutzpflicht: Der Staat muss gemäß Art. 20a GG (Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen) u. a. durch Satellitenüberwachung Klimadaten sichern.
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Europarecht: Galileo ist als EU-Projekt auch Ausdruck europäischer Souveränität und reduziert Abhängigkeit von den USA.
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Sicherheitsrecht: Satelliten zählen zu kritischer Infrastruktur, daher Pflicht zum Schutz (§§ 8a, 8b BSIG).