Kinder im digitalen Zeitalter – OECD-Studie zu Bildschirmzeit und ihren Folgen

Die vollständige OECD-Studie finden Sie hier: How’s Life for Children in the Digital Age?OECD
Heutige Kinder und Jugendliche wachsen mit digitalen Medien auf und nutzen diese so früh und intensiv wie keine Generation zuvor. Eine aktuelle OECD-Übersichtsstudie hat in 38 Ländern (darunter weite Teile Europas, aber z. B. auch Japan, die Türkei, Mexiko und Israel) untersucht, wie sich dieses steigende Digitalverhalten auf ihr Wohlbefinden auswirkt tagesschau.de. Die Zahlen zeigen dabei einen nahezu flächendeckenden Zugang zu digitalen Geräten: Bereits rund 93 % der Zehnjährigen hatten 2021 einen Internetzugang zu Hause, und etwa 70 % in diesem Alter besitzen ein Smartphone oecd.org. Unter 15-Jährigen ist die Geräteausstattung fast universell – im OECD-Schnitt verfügen 96 % zu Hause über einen Computer oder Tablet und 98 % über ein internetfähiges Handy oecd.org. Entsprechend hoch ist die Nutzungsdauer: 15-Jährige in Deutschland kommen auf durchschnittlich 48 Stunden Bildschirmzeit pro Woche, also fast sieben Stunden täglich spiegel.de. Fast drei Viertel der deutschen 15-Jährigen verbringen mehr als zwei Stunden pro Tag vor dem Bildschirm – allein zu Unterhaltungszweckenspiegel.de. In einigen Ländern ist die Freizeit-Screenzeit etwas geringer – in Japan liegt dieser Anteil laut OECD bei unter 30 %, während er in osteuropäischen Ländern wie Lettland oder Polen noch höher ausfällt als in Deutschland spiegel.de. Der OECD-Bericht („How’s Life for Children in the Digital Age?“, 2025) beleuchtet, welche Auswirkungen diese intensive Bildschirmnutzung auf Gesundheit, Bildung und soziales Verhalten von Kindern und Jugendlichen haben kann oecd.org.
Gesundheit: Körperliche und psychische Auswirkungen
Die OECD-Studie warnt vor möglichen gesundheitlichen Folgen übermäßiger Bildschirmzeit. Noch sind nicht alle Effekte abschließend erforscht, doch als gesichert gilt, dass späte Mediennutzung am Abend die Schlafqualität beeinträchtigt. Wird bis in die Nacht am Smartphone oder Tablet gesurft, schlafen Jugendliche schlechter – die Folge ist ein Teufelskreis: Mangelnder Schlaf führt zu Tagesmüdigkeit, wodurch am nächsten Tag eher passive Aktivitäten (wiederum vor dem Bildschirm) bevorzugt werden. Besonders ungünstig ist es laut Studie, wenn elektronische Geräte im Schlafzimmer der Kinder stehen und so die Nachtruhe stören.
Auch die mentale Gesundheit junger Menschen leidet zunehmend. In den vergangenen 15 Jahren hat sich die psychische Verfassung von Jugendlichen laut OECD dramatisch verschlechtert, ein Trend, der durch die COVID-19-Pandemie weiter verstärkt wurde. Im selben Zeitraum ist die Mediennutzung explosionsartig gestiegen – ein klarer Kausalzusammenhang lässt sich zwar bisher nicht beweisen, doch negativen Effekte treten vermehrt auf: Depressionen, Angstzustände, Einsamkeit, ein ungesundes Körperbild und Schlafstörungen stehen in Zusammenhang mit exzessivem digitalem Konsum. Insbesondere problematische bzw. suchtartige Nutzung (wenn Jugendliche also kaum noch offline sein können) erhöht dieses Risikoprofil deutlich. Auffällig ist, dass Mädchen von vielen dieser negativen psychischen Folgen häufig stärker betroffen sind als Jungen. So zeigen Studien, dass übermäßiger Social-Media-Konsum bei Mädchen eher zu Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper und zu seelischen Problemen führen kann.
Neben der Psyche bleibt auch die körperliche Gesundheit nicht unbeeinflusst. Verbringen Heranwachsende sehr viel Zeit online, geht dies oft zulasten von Bewegung und Schlaf. Denn je länger Kinder vor dem Bildschirm sitzen, desto weniger Zeit bleibt für körperliche Aktivitäten wie Sport oder draußen Spielen – mit möglichen Folgen für Fitness und Körpergewicht. OECD-Daten deuten darauf hin, dass längere Onlinezeiten andere wichtige Alltagsaktivitäten verdrängen. Gesundheitsexperten warnen zudem, dass stundenlanges Nahsehen auf Bildschirme die Augengesundheit beeinträchtigen kann (z. B. Risiko von Kurzsichtigkeit). Insgesamt gilt: „Je weniger Bildschirmzeit, desto besser“ – so empfiehlt etwa die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung für 15-Jährige maximal zwei Stunden Freizeit-Screenzeit pro Tag, ein Wert, der in vielen Ländern derzeit klar überschritten wird.
Bildung: Einfluss auf Lernen, Lernerfolg und Konzentration
Im Bereich Bildung zeigt die OECD-Studie ein ambivalentes Bild: Digitales Medienangebot bietet Chancen fürs Lernen, birgt aber auch Risiken für den Lernerfolg. So kann übermäßige freizeitorientierte Bildschirmzeit zu schulischen Schwierigkeiten beitragen. Wenn Jugendliche stundenlang vor sozialen Netzwerken oder Games sitzen, fehlt diese Zeit für Hausaufgaben, Lesen oder andere lernförderliche Beschäftigungen. Tatsächlich beobachtet die OECD, dass lange Onlinephasen Aktivitäten wie das Lesen verdrängen, die jedoch für die kognitive Entwicklung essenziell sind. Erste Hinweise deuten darauf hin, dass Schülerinnen mit sehr hohem Freizeit-Medienkonsum im Durchschnitt etwas schlechtere Schulleistungen zeigen. Konzentrationsprobleme und Müdigkeit durch Schlafmangel (siehe oben) können das Lernen am nächsten Tag erschweren. So warnen Expertinnen, dass ein Zuviel an Bildschirmzeit die Aufmerksamkeit im Unterricht beeinträchtigen und mittelbar zu schlechteren Noten führen kann.
Andererseits betonen die Autor*innen der OECD-Studie ausdrücklich, dass „Bildschirmzeit nicht gleich Bildschirmzeit“ ist. Entscheidend ist die Art der Nutzung: Viele digitale Anwendungen – etwa E-Books, Lern-Apps oder Bildungsmedien – können Kinder beim Lernen effektiv unterstützen. In der Tat nutzen zahlreiche Jugendliche das Internet und digitale Geräte durchaus sinnvoll, um sich zu informieren, zu üben oder kreativ zu werden. Die Daten zeigen, dass vor allem Mädchen und sozial bessergestellte Jugendliche vermehrt auf digitale Lernangebote zurückgreifen. Diese Gruppen scheinen die positiven Potenziale der Digitalisierung besser auszuschöpfen, sei es durch Online-Recherche für die Schule, Sprachlern-Apps oder programmieren lernen. Für sie kann moderater Bildschirmgebrauch mit höherem Lernerfolg einhergehen. Demgegenüber verwenden Jungen und sozial benachteiligte Gruppen digitale Medien öfter primär zum Spielen oder für soziale Netzwerke, was weniger bildungswirksam ist. Die Studie macht deutlich, dass digitale Kompetenzen und ein bewusster, ausgewogener Medienumgang gefördert werden müssen, damit Bildschirmnutzung zum Bildungswerkzeug statt zur Ablenkung wird. Komplett auf digitale Medien zu verzichten, ist heute weder realistisch noch ratsam – vielmehr kommt es darauf an, Wie und wie lange Kinder sie nutzen. Schulen und Eltern sind daher gefordert, begleitende Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Chancen der digitalen Welt für das Lernen genutzt werden, ohne dass der schulische Erfolg unter exzessiver Freizeitnutzung leidet.
Soziales Verhalten: Auswirkungen auf soziale Kompetenzen und Beziehungen
Die soziale Entwicklung und das Verhalten von Kindern werden durch digitale Medien ebenfalls beeinflusst. Einerseits eröffnen Smartphones und soziale Netzwerke neue Möglichkeiten, mit Freunden in Kontakt zu bleiben und Gemeinschaft zu erleben. Andererseits kann intensive Bildschirmnutzung persönliche Kontakte im echten Leben verdrängen. Wenn Jugendliche einen Großteil ihrer Freizeit online verbringen, bleibt weniger Zeit für direkte Interaktionen – gemeinsames Spielen, Sportvereine, Treffen mit Freund*innen oder einfach Familiengespräche. Solche realen Begegnungen sind jedoch wichtig, um soziale Kompetenzen wie Empathie, Kommunikationsfähigkeit und Konfliktlösung zu entwickeln. Studien weisen darauf hin, dass langes Online-Sein zulasten des zwischenmenschlichen Miteinanders gehen kann: Weniger Face-to-Face-Kontakt bedeutet weniger Übungsfeld für soziale Fertigkeiten. Die OECD warnt, dass eine „Crowding-Out“ wichtiger offline-Aktivitäten (wie eben Bewegung, Lesen und persönliches Sozialleben) die sozio-emotionale Entwicklung von Kindern beeinträchtigen kann.
Hinzu kommen neue Risiken im Online-Sozialverhalten. So nimmt Cybermobbing in allen OECD-Ländern zu – immer mehr Kinder berichten, im Internet beleidigt, belästigt oder ausgeschlossen worden zu sein. Mobbing über Chatgruppen oder Social-Media-Plattformen kann gravierende Folgen für das psychosoziale Wohlbefinden haben und reale Schulbeziehungen belasten. Ebenso zeigt sich bei manchen Jugendlichen eine problematische Social-Media-Nutzung: Eine beträchtliche Minderheit entwickelt Anzeichen von digitaler Abhängigkeit. Beispielsweise gaben im OECD-Durchschnitt 17 % der 15-Jährigen an, nervös oder unruhig zu werden, wenn sie kein digitales Gerät zur Verfügung haben. Solche Symptome von „Fear of Missing Out“ und ständiger Erreichbarkeit deuten darauf hin, dass für diese Gruppe das Online-Sein zur psychologischen Crutch geworden ist. Auch Gefühle von Einsamkeit können paradoxerweise steigen, obwohl man doch ständig virtuell „verbunden“ ist. Das Familienleben bleibt von diesen Entwicklungen nicht unberührt: Häufig klagen Eltern über Konflikte und Spannungen zuhause, wenn es um Bildschirmzeiten oder die Handy-Nutzung ihrer Kinder geht. Wenn Jugendliche sich in digitale Welten zurückziehen, kann das die familiären Bindungen schwächen und zu weniger gemeinsamen Aktivitäten führen – etwa wenn das Abendessen schweigend vor dem Fernseher oder Tablet stattfindet, anstatt sich zu unterhalten.
Fazit: Die OECD-Studie macht deutlich, dass digitale Medien längst fester Bestandteil der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen sind – mit sowohl Chancen als auch Risiken. Gesundheitlich können exzessive Bildschirmzeiten Schlaf, körperliche Aktivität und psychisches Wohlbefinden beeinträchtigen, während bildungstechnisch vor allem die Art der Nutzung darüber entscheidet, ob schulischer Nutzen oder Ablenkung überwiegt. Im sozialen Bereich ergeben sich neue Vernetzungsmöglichkeiten, gleichzeitig aber Herausforderungen für die Entwicklung sozialer Fähigkeiten und die Qualität von Beziehungen. Die Studie wurde auf Basis internationaler Daten (u. a. PISA 2022, WHO-Schülergesundheitsstudie HBSC 2021/22 und IEA PIRLS 2021) erhoben und liefert vergleichbare Kennzahlen zum digitalen Leben von Kindern in den OECD-Ländern. Die OECD ruft zu einem umfassenden Ansatz auf, der Kinder sicher und kompetent durch die digitale Welt begleitet. Dazu gehören Aufklärung, zeitliche Grenzen und Schutzmechanismen genauso wie die aktive Förderung der digitalen Kompetenz und Resilienz der jungen Generation. Letztlich ist das Ziel, dass Kinder und Jugendliche die Vorteile der Digitalisierung nutzen können, ohne dass ihre Gesundheit, Bildungschancen oder sozialen Beziehungen darunter leiden.
Im internationalen Vergleich bietet die OECD-Studie „How’s Life for Children in the Digital Age?“ umfassende Daten zur Bildschirmzeit von 15-jährigen Schülern in verschiedenen Ländern. Diese Studie zeigt signifikante Unterschiede in der durchschnittlichen wöchentlichen Bildschirmzeit. OECD
Hier eine vergleichende Übersicht:
Land | Durchschnittliche Bildschirmzeit pro Woche (15-Jährige) | Quelle |
---|---|---|
Deutschland | ca. 48 Stunden | OECD-Studie „How’s Life for Children in the Digital Age?“ |
Australien | ca. 49 Stunden | OECD-Studie „How’s Life for Children in the Digital Age?“ |
Japan | ca. 21 Stunden | OECD-Studie „How’s Life for Children in the Digital Age?“ |
Estland | ca. 50 Stunden | OECD-Studie „How’s Life for Children in the Digital Age?“ |
Lettland | ca. 52 Stunden | OECD-Studie „How’s Life for Children in the Digital Age?“ |
Die hohe Bildschirmzeit deutscher Jugendlicher ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen:
-
Früher Zugang zu digitalen Geräten: Bereits 93 % der 10-Jährigen in Deutschland haben einen Internetzugang zu Hause, und etwa 70 % besitzen ein Smartphone. OECD
-
Intensive Nutzung sozialer Medien: Plattformen wie WhatsApp, Instagram und TikTok sind bei Jugendlichen äußerst beliebt. 94 % der 12- bis 19-Jährigen nutzen regelmäßig WhatsApp, 62 % Instagram und 59 % TikTok. LFK
-
Multiscreening: Viele Jugendliche nutzen mehrere Geräte gleichzeitig, beispielsweise das Smartphone während des Fernsehens, was die Gesamtbildschirmzeit erhöht.
-
Pandemiebedingte Veränderungen: Die COVID-19-Pandemie hat den digitalen Medienkonsum verstärkt, insbesondere durch Online-Unterricht und eingeschränkte Freizeitmöglichkeiten.
Mediennutzungsdauer bei Kleinkindern: Musik- und Hörspielboxen verdrängen Bücher von Platz eins
Insgesamt 67 Minuten am Tag schauen Zwei- bis Fünfjährige hierzulande durchschnittlich Bewegtbildangebote. Auch hier steigt die Nutzung mit zunehmendem Alter an – Vier- bis Fünfjährige verbrachten 2023 bereits 72 Minuten am Tag mit Videostreaming und Fernsehen. Innerhalb der Bewegtbildangebote können Abo-Streamingdienste wie Netflix & Co. (23 Min.) und kostenfreie Videoportale wie YouTube (18 Min.) im Vergleich zum Jahr 2020 in puncto Nutzungsdauer etwas zulegen. Die tägliche Nutzungsdauer des linearen Fernsehens geht bei den Zwei- bis Fünfjährigen 2023 auf 15 Minuten zurück. Die Nutzung von Onlineangeboten der TV-Sender wie Mediatheken bleibt stabil (12 Min.).