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Klima-Prüfbericht 2025: Deutschland nur bis 2030 auf Kurs bei wirtschaftlicher Stagnation

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Klima-Prüfbericht 2025: Deutschland nur bis 2030 auf Kurs bei wirtschaftlicher Stagnation

CO2 aus fossilen Energie

Am 15. Mai 2025 veröffentlichte der Expertenrat für Klimafragen seinen aktuellen Prüfbericht zur Entwicklung der deutschen Treibhausgasemissionen für das Jahr 2024 sowie zu den Projektionsdaten bis 2045.

Kurzfristige Zielerreichung bis 2030

Laut dem Bericht wird das Emissionsbudget bis 2030 voraussichtlich eingehalten.

Langfristige Zielverfehlungen ab 2040

Der Expertenrat prognostiziert jedoch, dass Deutschland ab 2040 seine Klimaziele deutlich verfehlen wird.

Expertenrat für Klimafragen (2025): Prüfbericht zur Berechnung der deutschen Treibhausgasemissionen für das Jahr 2024 und zu den Projektionsdaten 2025. Verfügbar unter: www.expertenrat-klima.de.


Zusammenfassung:

1. Überblick der Emissionsentwicklung 2024

Die vom Umweltbundesamt (UBA) berichteten Treibhausgasemissionen (THG-Emissionen) in Deutschland sind im Jahr 2024 gegenüber dem Vorjahr um 23 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente gesunken – ein Rückgang um −3,4 % auf insgesamt 649 Mio. t CO₂-Äq..

Vergleich zum Vorjahr:

  • Der Rückgang ist deutlich schwächer als im Jahr 2023 (−77 Mio. t CO₂-Äq.).

  • Insgesamt zeigt sich ein kontinuierlicher Abwärtstrend seit mehreren Jahren.


2. Ursachen für den Rückgang der THG-Emissionen im Jahr 2024

Der Emissionsrückgang ist sektorenspezifisch sehr unterschiedlich ausgeprägt. Die wesentlichen Ursachen lassen sich in strukturelle, witterungsbedingte und konjunkturelle Faktoren einteilen.

a) Strukturelle Ursachen (politisch gewollt und längerfristig wirksam):

► Energiewirtschaft (–17,6 Mt CO₂-Äq.)

  • Hauptverantwortlich für den Gesamtrückgang.

  • Rückbau von Kohlekraftwerken.

  • Substantieller Zubau erneuerbarer Energien (Wind, Solar).

  • Verminderung des Stromverbrauchs in energieintensiven Branchen.

  • Emissionsarme Stromerzeugung senkt die sektorübergreifende Emissionsintensität.

Langfristig wirksam und auf politische Maßnahmen zurückzuführen (EEG, EU-ETS, Kohleausstiegsgesetz etc.).

► Gebäudesektor (–2,4 Mt CO₂-Äq.)

  • Rückgang v. a. aufgrund milder Witterung (weniger Heizenergie).

  • Ein Teil durch strukturelle Maßnahmen wie Gebäudesanierung, Umstellung auf Wärmepumpen und Fernwärmenetze.

  • Allerdings Unsicherheiten durch Lagereffekte bei Heizöl (geschätzter Einfluss ca. 7,1 Mt CO₂-Äq.).

Milder Winter als kurzfristiger Effekt; Effizienzmaßnahmen langfristig bedeutsam.


b) Konjunkturelle Ursachen (nicht dauerhaft, wirtschaftsbedingt):

► Verkehr (–2,1 Mt CO₂-Äq.)

  • Rückgang der Güterverkehrsleistung infolge schwächelnder Konjunktur.

  • Leichter Rückgang des fossilen Kraftstoffverbrauchs.

► Industrie (nahezu konstant, +0,084 Mt CO₂-Äq.)

  • Rückläufige Produktion in bestimmten energieintensiven Branchen.

  • Teilweise strukturelle Anpassungen (z. B. Elektrifizierung, Effizienzsteigerung).

  • Geringere Energienachfrage infolge stagnierender Wirtschaft.

Keine nachhaltige Minderung, sondern vorübergehende Effekte durch wirtschaftliche Schwäche.


c) Weitere Sektoren:

  • Landwirtschaft: –0,8 Mt CO₂-Äq., vor allem durch strukturelle Veränderungen (Tierbestand, Düngemitteleinsatz).

  • Abfallwirtschaft und Sonstiges: –0,1 Mt CO₂-Äq., geringfügige Veränderung.


3. Bewertung durch den Expertenrat

  • Die Jahresgesamtmenge der Emissionen im Jahr 2024 wurde eingehalten – trotz Überschreitungen im Verkehrs- und Gebäudesektor.

  • Die Ziele der Europäischen Lastenteilung (2021–2023) wurden ebenfalls eingehalten.

  • Unsicherheiten bestehen insbesondere wegen Frühschätzung der Energiebilanz und Heizöllagereffekten im Gebäudesektor.

  • Der Emissionsrückgang in 2024 basiert zu einem relevanten Teil auf strukturellen Veränderungen, aber auch auf temporären Einflüssen (Wirtschaft, Wetter).


4. Projektionsdaten 2025 – Ausblick bis 2030

  • Die Projektion der Emissionen bis 2030 liegt insgesamt unter dem zulässigen Emissionsbudget, allerdings nur wegen der „Pufferjahre“ 2021–2024.

  • Für die Jahre 2025–2030 wird eine Überschreitung von 32 Mt CO₂-Äq. erwartet.

  • Sektorale Problemfelder bleiben: Verkehr und Gebäude werden das Ziel klar verfehlen.

  • Andere Sektoren wie Industrie und Energiewirtschaft leisten hingegen Übererfüllungen.

  • Ohne Nachsteuerung besteht hohe Unsicherheit, ob das 65 %-Reduktionsziel bis 2030 eingehalten wird.

 


Wenn Deutschland in den kommenden Jahren sein wirtschaftliches Wachstum ankurbeln will, ergeben sich aus dem Prüfbericht 2025 des Expertenrats für Klimafragen mehrere konkrete Herausforderungen und Zielkonflikte, die klimapolitisch, ökonomisch und regulatorisch bedeutend sind.

 


1. Grundsätzlicher Zielkonflikt: Wirtschaftswachstum vs. Emissionsminderung

Wirtschaftswachstum bedeutet i.d.R.:

  • Steigender Energiebedarf, insbesondere in Industrie, Verkehr und Gebäuden.

  • Höherer Materialverbrauch, z. B. für Bau, Konsumgüter, Mobilität.

  • Wachsende Emissionen, wenn keine vollständige Entkopplung gelingt.

Der Expertenrat zeigt:

Bereits in den Projektionsdaten 2025 ist ein „niedrigeres Wirtschaftswachstum“ mit einer geringeren Emissionserwartung verbunden. Eine Wachstumsbeschleunigung würde demnach tendenziell zu höheren Emissionen führen, sofern nicht gleichzeitig neue Klimaschutzmaßnahmen greifen.


2. Was passiert bei beschleunigtem Wachstum?

Laut Sensitivitätsanalyse im Bericht:

  • Höheres BIP-Wachstumhöherer Energieverbrauchmehr Emissionen, besonders in:

    • Industrie (Produktionsausweitung)

    • Verkehr (mehr Güter- und Individualverkehr)

    • Gebäude (steigender Wohn- und Gewerberaum)

  • Das THG-Budget bis 2030 wird dann nicht mehr eingehalten, wenn keine zusätzliche Entkopplung gelingt.

  • Verkehr und Gebäude bleiben ohnehin Problemsektoren mit strukturellen Defiziten – mehr Wachstum würde die Lücke vergrößern.


3. Folgen für die Klimapolitik bei wachstumsorientierter Wirtschaftspolitik

Ein auf Wachstum ausgerichteter wirtschaftspolitischer Kurs erfordert:

  • Massiven zusätzlichen Investitionsbedarf in grüne Technologien und Infrastruktur.

    • Z. B. Wasserstoff, Ladeinfrastruktur, Wärmepumpen, Stromnetze, Gebäudesanierung.

  • Schnelleres Genehmigungs- und Planungsrecht, damit neue Infrastruktur zeitgerecht entsteht.

  • Preissignale (z. B. CO₂-Preis im EU-ETS und nationalen Emissionshandel), die stark genug sind, Investitionen in emissionsarme Technologien zu lenken.

  • Förderprogramme, die auch unter erhöhter Schuldenbremse (nach dem Urteil des BVerfG 2023) rechtlich abgesichert sind.

  • Lenkung von Konsum und Mobilität (Verkehrsverlagerung, Gebäudeeffizienz), um Rebound-Effekte zu vermeiden.


4. Wachstum und Klimaziele – ist beides möglich?

Ja, aber nur unter strikten Bedingungen:

  • Das Wirtschaftswachstum muss qualitativ verändert werden:

    • Wachstum durch Digitalisierung, Dienstleistungssektor, Kreislaufwirtschaft.

    • Material- und energieintensive Wirtschaftsbereiche müssen dekarbonisiert oder zurückgedrängt werden.

  • Der Emissionsrückgang muss technologisch und regulatorisch abgesichert sein, nicht zufällig (wie z. B. durch milde Winter oder Konjunkturdellen).

  • Eine absolute Entkopplung (mehr Wachstum bei sinkenden Emissionen) ist bisher nicht ausreichend gelungen – insbesondere nicht in den Sektoren Verkehr und Gebäude.

 


Verkehr und Gebäude sind strukturell schwerfällige Sektoren, in denen die marginalen Vermeidungskosten (Grenzkosten) für CO₂ bereits sehr hoch sind – teilweise höher als in anderen Volkswirtschaften oder in anderen deutschen Sektoren.

Eine nationale Maximierung der CO₂-Reduktion in diesen Bereichen droht daher, ökonomisch ineffizient, global ineffektiv und fiskalisch unverhältnismäßig teuer zu werden.

Im Lichte der Grundprinzipien von globaler Vorsorge, wirtschaftlicher Effizienz und wirksamer Klimapolitik lassen sich folgende Optionen als sinnvoll und prioritätswürdig einordnen:


1. Vermeidung dort, wo sie global am kostengünstigsten ist („Least-Cost-Prinzip“)

Internationale Kooperation und Klimafinanzierung stärken

  • Deutschland sollte mehr in internationale Projekte investieren, wo CO₂-Vermeidungskosten geringer sind (z. B. Methanreduktion, Abholzung, Solar- und Windparks im globalen Süden).

  • Beispiel: 1 Tonne CO₂ zu vermeiden kostet im deutschen Gebäudesektor >300 €/t, in manchen internationalen Projekten <20 €/t.

  • Instrumente:

    • Klimapartnerschaften, Artikel-6-Kooperationen (Paris-Abkommen)

    • Internationale Klimafonds (z. B. Green Climate Fund)

    • Investitionen in „globale öffentliche Güter“ wie Aufforstung, saubere Kochherde, Methanfackelung

Effektivität: Global wirksam
Effizienz: Extrem hoch
Vorsorge: Unterstützt globale Resilienz


2. Klimaschutz durch europäische Marktmechanismen

Verstärkte Einbindung in und Fokussierung auf das EU-Emissionshandelssystem (EU-ETS 1 & 2)

  • Im EU-ETS wird CO₂ dort reduziert, wo es am billigsten ist – unabhängig vom Ort.

  • Seit 2027 werden auch Gebäude und Verkehr über den EU-ETS 2 bepreist: ein marktwirtschaftlich optimales Instrument, um Grenzkosten zu nivellieren.

  • Statt ineffizienter Förderprogramme wäre es klüger, CO₂-Preise ansteigen zu lassen, gleichzeitig aber die sozialen Härten über Klimadividenden oder Strompreisreduktionen abzufedern.

Effektivität: Systemisch steuerbar
Effizienz: Marktlogik priorisiert günstige Vermeidung
Vorsorge: Berechenbarer Pfad, EU-weite Planbarkeit


3. „No Regret“-Investitionen mit doppeltem Nutzen priorisieren

Investitionen in Infrastruktur, Digitalisierung und Netze

  • Verkehr und Gebäude lassen sich nicht über Nacht dekarbonisieren – aber Investitionen in:

    • E-Mobilitätsinfrastruktur

    • Gebäudeautomation und Digitalisierung

    • Wärmenetze

    • Bahnausbau / ÖPNV
      sind voraussetzungsbildend für künftige CO₂-Senkungen – unabhängig vom CO₂-Preis.

Diese Maßnahmen erzeugen positive externe Effekte: weniger Luftschadstoffe, Energieeinsparung, mehr Resilienz und Energieunabhängigkeit.

Effektivität: Mittel- bis langfristig hoch
Effizienz: Investiv sinnvoll, vor allem bei gleichzeitiger Zielerreichung (Digitalisierung, Energieeffizienz)
Vorsorge: Reduziert Pfadabhängigkeit fossiler Systeme


4. Sektorale Umschichtung von Maßnahmen – Industrie und Energiewirtschaft vorziehen

  • Sektoren wie Industrie und Energiewirtschaft haben laut Prüfbericht deutlich niedrigere Grenzvermeidungskosten und größeres Innovationspotenzial.

  • Klimapolitik sollte daher dort stärker investieren, wo:

    • Skalierbare Lösungen wie Wasserstoff, CCS, Elektrifizierung möglich sind.

    • Synergien mit Wettbewerbsfähigkeit und Export bestehen.

Beispiel: 1 € in industrielle Prozessumstellung bringt 3–5 mal mehr CO₂-Reduktion als 1 € in Gebäudesanierung unter heutigen Bedingungen.

Effektivität: Hoch durch Skalierung
Effizienz: Technologieoffenheit und Innovation ermöglichen Flexibilität
Vorsorge: Erhöht industrielle Resilienz und globalen Technologietransfer


5. Politische und wirtschaftliche Kommunikation anpassen

  • Der Fokus sollte sich weg von „Deutschland als Klimavorreiter um jeden Preis“ und hin zu „Deutschland als Systemgestalter effizienter Klimapolitik“ verschieben.

  • Dies erfordert:

    • Ehrlichkeit über die Kosten-Nutzen-Relation einzelner Maßnahmen

    • Betonung auf Systemtransformation statt Symbolpolitik

    • Kooperation mit Ländern mit höherem Emissionsvermeidungspotenzial


Zusammenfassend:

Ein ökonomisch sinnvolles Vorgehen in Deutschland bedeutet:

Grundsatz Maßnahme
Effizienz CO₂ dort vermeiden, wo es am günstigsten ist (EU-ETS, Ausland, Industrie)
Vorsorge In Grundlagen investieren: Netze, Infrastruktur, Digitalisierung
Globales Denken Klimafinanzierung, Artikel-6-Marktmechanismen, Technologietransfer
Realismus und Priorität Kein „Alles-gleichzeitig“, sondern Umschichtung nach Kosten-Nutzen
Systemtransformation Aufbau klimaneutraler Sektoren, nicht bloß Reduktion von Symptomen

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