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Präventivschlag – vom Völkerrecht gedeckt?

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Präventivschlag – vom Völkerrecht gedeckt?

Saubere Luft

Israel führt seit dem 13. Juni 2025 Luftangriffe auf iranische Nuklear- und Militäreinrichtungen durch („Operation Rising Lion“). Der Iran reagierte mit Raketen- und Drohnenattacken auf israelische Städte.

1. Schlag Israel – „Operation Rising Lion“ gestartet

  • 13. Juni 2025 begann Israel mit umfangreichen Luftangriffen auf über 100 iranische Ziele (u. a. Atom- und Raketenanlagen rund um Natanz, Bushehr, Kermanshah sowie Gebäude des IRGC und Militärführung).

  • Die Akteure: Einsatz von über 200 Flugzeugen sowie verdeckten Operationen durch den Mossad zur Sabotage iranischer Luftabwehr .

2. Ziele und Wirkung

  • Hauptziel: Das iranische Nuklearprogramm und ballistische Raketeninfrastruktur lahmzulegen.

  • Laut IDF wurde ein Drittel aller iranischen Raketenstellplätze zerstört; Top-Kommandeure und Nuklearwissenschaftler wurden getötet.

3. Gegenschlag des Iran

  • Bereits am 14.–16. Juni startete Iran mehrere Raketen- und Drohnenangriffe auf Israel (Tel Aviv, Haifa, Bat Yam, Tamra u.a.).

4. Eskalationsdynamik

  • Israel warnte Hunderttausende in und um Teheran, sich von militärischen Einrichtungen fernzuhalten.

  • Ein bedeutendes Symbolziel: das Gebäude des iranischen Staatsfernsehens IRIB, getroffen während laufender Live-Sendung – Panik und Evakuierungen in Teheran folgten.

5. Internationale Reaktionen

  • USA und G7 bekennen sich zu Israels Selbstverteidigungsrecht und unterstützen israelische Luftabwehr.

  • EU, UN, Arabische Liga, China, Türkei warnen vor regionaler Eskalation und drängen auf Deeskalation.

  • Präsident Trump forderte Teherans Bevölkerung zur Flucht auf und beendete seinen Aufenthalt beim G7-Gipfel.

6. Lagebeurteilung

  • Die aktuelle Eskalation ist beispiellos seit Jahrzehnten – es handelt sich um direkte offene Kriegshandlungen zwischen Israel und Iran .

  • Die Zerstörung strategischer Infrastruktur bei gleichzeitigem Auftreten vieler ziviler Opfer erhöht Risiko einer regionalen Ausweitung (z. B. via Hisbollah, Houthis) .

  • Ökonomisch steigt die Sorge um globale Ölpreise; diplomatisch werden dringende Vermittlungsbemühungen unternommen, bislang jedoch ohne nennbare Deeskalation .



I. Ausgangspunkt für Israel: Fortdauernde Bedrohungslage durch den Iran

Israel sieht sich seit Jahren einer existenziellen Bedrohung durch den Iran ausgesetzt, insbesondere aufgrund:

  • der iranischen Staatsdoktrin zur „Auslöschung Israels“ („Zionistisches Regime“), wiederholt geäußert durch hohe staatliche Repräsentanten,

  • der militärischen Unterstützung anti-israelischer Terrororganisationen (Hisbollah, Hamas, PIJ),

  • der permanenten Drohungen und Angriffe durch Stellvertretermilizen in Gaza, im Libanon, Syrien und Irak,

  • und – zentral – dem fortschreitenden iranischen Atomprogramm, dessen Ziel nach israelischer Auffassung der Erwerb nuklearer Erstschlagsfähigkeit ist.


II. Art. 51 UN-Charta – Auslegung im Sinne einer präemptiven Selbstverteidigung

Israel stützt sich auf eine erweiterte Auslegung des Selbstverteidigungsrechts nach Art. 51 UN-Charta:

„Diese Charta beeinträchtigt im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied […] nicht das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung […]“

Argumentation Israels:

  1. „Imminenter Angriff“ muss nicht nur zeitlich unmittelbar, sondern auch sicher erkennbar sein.

    • Die Caroline-Doktrin (1837) verlangt, dass die Notwendigkeit zur Selbstverteidigung „instant, overwhelming, leaving no choice of means, and no moment for deliberation“ ist. Israel behauptet, genau dies sei im Blick auf das iranische Nuklearprogramm und Raketenarsenal gegeben.

  2. Existenzieller Charakter der Bedrohung durch das Atomprogramm.

    • Israel nimmt an, dass der Iran kurz davorsteht, die sogenannte „Break-out capability“ zu erreichen (also in der Lage ist, binnen Wochen eine einsatzfähige Atomwaffe zu produzieren).

    • Die Kombination aus dieser Fähigkeit und dem erklärten Vernichtungswillen des iranischen Regimes stellt aus Sicht Israels einen latenten, aber fortdauernden Angriff dar.

  3. Selbstverteidigung gegen einen dauerhaften hybriden Angriff:

    • Iran führt über Stellvertreter einen asymmetrischen Krieg gegen Israel (Cyberangriffe, Terroranschläge, Raketenbeschuss).

    • Diese Angriffe stellen eine Serie bewaffneter Angriffe i.S.d. Art. 51 UN-Charta dar, auf die eine Reaktion nicht auf Einzelereignisse beschränkt bleiben muss.

  4. Scheitern kollektiver Sicherheit.

    • Der UN-Sicherheitsrat sei aufgrund russischer und chinesischer Blockaden faktisch handlungsunfähig. Der Rückgriff auf nationale Selbstverteidigung sei damit das einzig effektive Mittel.


III. Mögliche Rechtfertigung anhand des Prinzips der Verhältnismäßigkeit

Die Caroline-Doktrin (1837) – Kern des „imminent threat“-Konzepts

Die Kriterien, die aus diesem Präzedenzfall (USA vs. Großbritannien) hervorgehen:

  1. Notwendigkeit der Selbstverteidigung muss unmittelbar, überwältigend und ohne Alternativen sein

  2. Reaktion muss verhältnismäßig sein

Diese Kriterien sind von der überwiegenden Lehre und Staatspraxis anerkannt. Entsprechend kann argumentiert werden:

  • Die angegriffenen Ziele (z. B. Raketenbasen, Urananreicherungsanlagen, Kommandozentralen) sind militärische Objekte im Sinne des humanitären Völkerrechts.

  • Die Angriffe sind gezielt, punktuell und auf das absolute Minimum beschränkt, um die iranische Angriffsfähigkeit zu unterbinden, nicht um politische Führung oder Zivilbevölkerung zu treffen.

  • Damit sei der Einsatz verhältnismäßig im engeren Sinne (Begrenzung von Schaden) und auch im weiteren Sinne (geeignet, erforderlich und angemessen).


IV. Präzedenzfälle, auf die Israel sich stützen könnte

  1. Operation Opera (1981):
    Israel zerstörte den irakischen Atomreaktor Osirak.
    → Zunächst international kritisiert, später aber – nach dem Golfkrieg – in Teilen westlicher Staaten als „präventive Friedenssicherung“ angesehen.

  2. USA 2003 (Irakkrieg):
    Präventivkrieg auf Basis von Massenvernichtungswaffen-Bedrohung – die sich nicht bestätigte.
    → Völkerrechtlich sehr umstritten, aber zeigt: Selbst mächtige Staaten beanspruchen ein erweitertes Selbstverteidigungsrecht.

  3. USA und Israel zu Cyberangriffen (Stuxnet, 2010):
    → Frühzeitige Intervention zur Schwächung eines Atomprogramms wurde trotz völkerrechtlicher Grauzone nicht sanktioniert.


V. Mögliche Einwände

Einwand Erwiderung
Es liegt kein bewaffneter Angriff i.S.v. Art. 51 UN-Charta vor. Ein Angriff muss nicht abgeschlossen sein – ein unmittelbar bevorstehender, durch Geheimdienste belegbarer nuklearer Angriff reicht aus.
Die Atomwaffenentwicklung ist noch nicht abgeschlossen. Das Zeitfenster zur Verhinderung eines nuklear bewaffneten Iran schließt sich – danach wäre eine Selbstverteidigung zu spät.
Der Angriff verletzt die territoriale Integrität des Iran. Das Ziel ist ausschließlich die Abwehr eines globalen Sicherheitsrisikos.
Israel hätte den UN-Sicherheitsrat anrufen müssen.  

VI. Fazit 

Aus israelischer Sicht ist ein präemptiver Angriff gegen iranische Nuklear- und Militärziele vom Selbstverteidigungsrecht des Art. 51 UN-Charta gedeckt, weil:

  • die Bedrohung durch das iranische Nuklearprogramm in Kombination mit einem bereits bestehenden hybriden Krieg ein fortdauernder, unmittelbar bevorstehender Angriff sei,

  • keine wirksame alternative Abwehrmöglichkeit zur Verfügung stehe,

  • die Maßnahmen verhältnismäßig und zielgerichtet seien,

  • und das Handeln in einem Kontext internationaler Schutzverweigerung (insbes. durch UN-Blockaden) erfolge.

Die israelische Argumentation bewegt sich völkerrechtlich auf einem engen Grat, da sie auf einer erweiterten Auslegung des Art. 51 UN-Charta beruht.

Eine Antwort

  1. Jürgen Steinbrink sagt:

    Der israelische Angriff auf den IRAN ist rechtlich nicht klar abgedeckt. Der Angriff wurde im Vorfeld mit den USA abgestimmt. Die EU-Staaten wurden im Nachhinein in Kenntnis gesetzt. Der Angriff erfolgte wohl auch aus den bisher erfolglosen Verhandlungsbemühungen zur Minimierung der Uranaufbereitung sowie der permanenten Unterstützung der zahlreichen Terrorgruppen und Schläfer zur Auslöschung Israels und zur Unterwanderung des Westens.
    Der Kriegseintritt der USA ist sicher auch eine rechtliche Betrachtung wert, wahrscheinlich mit dem Tenor der Selbstverteidigung zur Unterbindung einer globalen Bedrohung durch Islamisten.
    Die G7-Staaten, NATO-Staaten (außer USA) und die EU-Staaten spielen in diesem Krieg keine tragende Rolle mehr.

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