Vorkaufsrecht nach dem Baugesetzbuch – Begriff des „Dritten“

BVerwG 4 C 4.24 – Urteil vom 17. Juni 2025
1. Sachverhalt und Verfahrensstand
Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) betrifft die Auslegung des Begriffs „Dritter“ im Kontext des gesetzlichen Vorkaufsrechts nach §§ 24 ff. BauGB. Konkret ging es um zwei Parallelverfahren, in denen GmbH & Co. KGs Grundstücke an andere GmbH & Co. KGs veräußerten. Auf beiden Seiten der Kaufverträge standen gesellschaftsrechtlich formal getrennte, aber tatsächlich wirtschaftlich identisch beherrschte Rechtsträger: Einpersonen-GmbH & Co. KGs mit demselben alleinigen natürlichen Gesellschafter.
Nach Abschluss der notariellen Kaufverträge im Mai 2021 übten die Gemeinden das gesetzliche Vorkaufsrecht nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB aus – teils zugunsten einer städtischen Entwicklungsgesellschaft, teils nach Abgabe einer Abwendungserklärung durch die Erwerberin. Die Klägerinnen wehrten sich mit Klagen gegen diese Ausübung. Die Verwaltungsgerichte gaben ihnen zunächst Recht, weil sie den Käufer nicht als „Dritten“ im Sinne des § 463 BGB qualifizierten.
Das Bundesverwaltungsgericht hat nun die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Nach Ansicht des BVerwG liegt sehr wohl ein Kaufvertrag mit einem Dritten im Sinne von § 28 Abs. 2 Satz 2 BauGB i.V.m. § 463 BGB vor.
2. Kernaussagen der Entscheidung
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Formale Trennung trotz personeller Identität: Auch wenn Verkäufer- und Käufergesellschaften jeweils durch denselben wirtschaftlich berechtigten Gesellschafter beherrscht werden, handelt es sich gesellschaftsrechtlich um rechtlich selbständige juristische Personen bzw. Personengesellschaften.
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Begriff des „Dritten“ im Vorkaufsrecht: Der Begriff des Dritten wird vom Bundesverwaltungsgericht nicht wirtschaftlich, sondern formal-juristisch verstanden. Maßgeblich ist die rechtliche Selbstständigkeit des Erwerbers, nicht die wirtschaftliche Identität oder Einflussnahme durch eine natürliche Person im Hintergrund.
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Keine einschränkende Auslegung zugunsten wirtschaftlicher Einheit: Eine wirtschaftliche Betrachtung auf Gesellschafterebene – wie sie die Vorinstanz vorgenommen hatte – ist weder durch Sinn und Zweck des Vorkaufsrechts noch durch verfassungsrechtliche Überlegungen geboten. Das Baugesetzbuch kennt keine „Durchgriffshaftung“ oder Zurechnung auf Ebene wirtschaftlicher Einheit im Kontext des Vorkaufsrechts.
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Zurückverweisung wegen fehlender Sachverhaltsaufklärung: Ob die Ausübung des Vorkaufsrechts im konkreten Fall auch materiell-rechtlich gerechtfertigt war, konnte das BVerwG nicht abschließend entscheiden, da die Vorinstanz keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen dazu getroffen hatte. Die Verfahren wurden daher an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
3. Juristische Erläuterung: Begriff des „Vorkaufsrechts“ nach dem BauGB
a) Definition (gesetzliches Vorkaufsrecht)
Ein Vorkaufsrecht ist ein gesetzlich oder vertraglich eingeräumtes Gestaltungsrecht, durch das ein Dritter (hier: eine Gemeinde) in einen bereits geschlossenen Kaufvertrag eintreten kann, indem er den Kaufgegenstand zu den vereinbarten Bedingungen anstelle des Käufers erwirbt.
Im Baugesetzbuch ist dieses Recht in den §§ 24 ff. BauGB geregelt. Zweck des gesetzlichen Vorkaufsrechts der Gemeinde ist die Sicherung städtebaulicher Entwicklungsziele.
b) Voraussetzungen gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 2 BauGB
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Die Gemeinde kann das Vorkaufsrecht bei Grundstücksveräußerung ausüben, wenn das Grundstück in einem förmlich festgelegten städtebaulichen Entwicklungsbereich liegt, oder wenn es sich um Flächen handelt, die z. B. für die städtebauliche Entwicklung oder Ordnung von Bedeutung sind.
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Das Vorkaufsrecht kann nur ausgeübt werden, wenn ein Kaufvertrag im Sinne des § 433 BGB mit einem „Dritten“ abgeschlossen wurde.
c) Begriff des „Dritten“ i.S.d. § 28 Abs. 2 Satz 2 BauGB i.V.m. § 463 BGB
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Nach § 463 BGB ist Voraussetzung für die Ausübung des Vorkaufsrechts, dass ein gültiger Kaufvertrag mit einem Dritten zustande gekommen ist.
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Der Begriff „Dritter“ ist – so das BVerwG – formal zu verstehen, d.h. erfasst jede von der verkaufenden Partei verschiedene juristische oder natürliche Person, unabhängig von etwaiger gesellschaftsrechtlicher oder wirtschaftlicher Verflechtung.
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Damit genügt für die Annahme eines „Dritten“ jede rechtlich selbstständige Person, selbst wenn sie durch denselben wirtschaftlich Berechtigten kontrolliert wird wie der Verkäufer.
d) Rechtsfolgen der Ausübung des Vorkaufsrechts
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Die Gemeinde kann das Grundstück zu denselben Bedingungen wie der ursprüngliche Käufer erwerben, § 28 Abs. 2 BauGB.
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Eine rechtsmissbräuchliche Umgehung durch konzerninterne oder gesellschafteridentische Übertragungen wird durch die formale Betrachtungsweise ausgeschlossen.
4. Bedeutung der Entscheidung
Die Entscheidung stärkt die Position der Kommunen bei der Durchsetzung städtebaulicher Ziele, indem sie den Vorkaufsbegriff klar konturiert und wirtschaftliche Durchgriffserwägungen zurückweist. Sie setzt damit zugleich Maßstäbe für die Gestaltung konzerninterner Grundstücksübertragungen und unterstreicht, dass eine bewusste Entscheidung für rechtlich selbstständige Gesellschaftsformen – etwa zur steuerlichen Optimierung – auch im Kontext öffentlich-rechtlicher Eingriffsrechte Bindungswirkung entfaltet.
Fazit:
Ein Kaufvertrag zwischen zwei rechtlich selbständigen GmbH & Co. KGs – selbst bei Identität des wirtschaftlich Berechtigten – stellt einen Vertrag mit einem „Dritten“ im Sinne des § 463 BGB dar. Eine wirtschaftliche Einheit begründet keine Ausnahme vom Vorkaufsrecht der Kommune. Wer sich der rechtlichen Selbstständigkeit von Gesellschaften bedient, muss sich auch an deren rechtliche Konsequenzen binden lassen.