Seltene Erden im Zentrum strategischer Rivalitäten

Seit 2025 verschärft China seine Exportkontrollen für Seltene Erden und zugehörige Technologien – insbesondere jene, die in der Halbleiter-, Verteidigungs- und Magnetproduktion verwendet werden. Im April wurden bereits sieben Seltene-Erden-Elemente unter eine Lizenzpflicht gestellt, im Oktober folgte eine Erweiterung auf insgesamt zwölf Elemente sowie strengere Regeln für Ausfuhr von Geräten zur Gewinnung und Verarbeitung. Die Maßnahme zielt ausdrücklich auf Schlüsselindustrien wie Halbleiter und Verteidigung ab.
Die USA reagieren auf diese Schritte mit scharfen Gegenmaßnahmen: Präsident Trump drohte mit 100 % Zöllen auf chinesische Exporte und kündigte neue Exportkontrollen für kritische US-Software an. Parallel dazu wurde in einem bilateralen „Framework“ zwischen China und den USA vereinbart, Chinas seltene Erden wieder exportfähig zu machen – unter Bedingungen der Genehmigungspflichten.
Diese Eskalation bringt die ohnehin fragilen globalen Lieferketten für Seltene Erden unter Druck und rückt sie ins Zentrum strategischer Rivalitäten: Chinas Dominanz in Abbau und Verarbeitung wird zunehmend als politisches Druckmittel eingesetzt, die USA und ihre Verbündeten wiederum forcieren Strategien zur Diversifizierung und Resilienz.
Analyse: Seltene Erden – Definition, Anwendungen, Markt und Alternativen
1. Definition der Seltenen Erden
Seltene Erden (engl. Rare Earth Elements, REE) sind eine Gruppe von 17 chemischen Elementen – dazu zählen die 15 Lanthaniden (Lanthan bis Lutetium) sowie Scandium und Yttrium[1]. Trotz ihres Namens sind diese Elemente in der Erdkruste nicht absolut selten; beispielsweise ist Cer häufiger als Kupfer. Allerdings liegen sie nur selten in abbauwürdigen Konzentrationen vor und treten geologisch meist vermischt auf, was eine aufwändige Trennung erfordert[2]. Üblich ist die Unterteilung in leichte Seltene Erden (vor allem Lanthan, Cer, Praseodym, Neodym, Samarium u.a.) und schwere Seltene Erden (Terbium, Dysprosium, Holmium bis Lutetium sowie Yttrium) aufgrund unterschiedlicher geochemischer Eigenschaften und Vorkommen. Erstere machen mengenmäßig den Großteil der globalen Vorkommen aus, während die schweren Elemente vergleichsweise knapp sind[3]. In reiner Form sind Seltenerdmetalle meist silbrig-glänzend, weich und sehr reaktionsfreudig[4].
2. Anwendungen in Schlüsselindustrien und Technologien
Seltene Erden besitzen einzigartige magnetische, katalytische und optische Eigenschaften und finden sich daher in nahezu allen Hochtechnologie-Bereichen. Beispiele wichtiger Anwendungen sind:
- Unterhaltungselektronik & IT: In Smartphones, Computerfestplatten, Lautsprechern und Displays kommen Seltenerdmagnete (Neodym-Eisen-Bor) für Miniaturlautsprecher und -motoren, sowie Phosphore (Europium, Terbium, Yttrium) für Bildschirme und LEDs zum Einsatz[5]. Ohne diese Komponenten wäre die heutige Miniaturisierung und Leistungsfähigkeit vieler Geräte nicht möglich.
- Erneuerbare Energien (Energiewende): Hochleistungsmagnete aus Neodym, Praseodym, Dysprosium und Terbium sind essentiell für Generatoren von Windkraftanlagen (besonders getriebelose Offshore-Turbinen) und für Elektromotoren in Elektrofahrzeugen[6]. Eine moderne Windturbine (Offshore, 1 MW) enthält beispielsweise Hunderte Kilogramm Neodym- und Dysprosium-haltiger Magnetlegierungen[7]. Die Energiewende treibt daher die Nachfrage nach Seltenen Erden stark an[8].
- Elektromobilität: Jedes Hybrid- oder Elektroauto benötigt leistungsstarke Dauermagneten in den Antriebsmotoren. Pro Fahrzeug können ca. 2–4 kg Neodym-Magnete verbaut sein[7]. Auch Nickel-Metallhydrid-Batterien enthalten Lanthan. Ohne Seltene Erden könnten zentrale Komponenten wie Elektromotoren oder Batteriesysteme heutiger E-Autos nicht in der aktuellen Größe und Effizienz hergestellt werden[8].
- Rüstungsindustrie: Militärische Hochtechnologie ist auf Seltene Erden angewiesen. Neodym-Eisen-Bor-Magnete – die stärksten Dauermagneten der Welt – sind in Präzisionswaffen, Lenkflugkörpern, Radarsystemen, Satelliten, Tarnkappentechnik, elektronischen Kommunikationssystemen und Drohnen verbaut[9]. Sie ermöglichen z.B. miniaturisierte Aktuatoren, leistungsfähige Elektromotoren und Sensoren in modernen Waffensystemen. Auch Europium wird in Laserzielvorrichtungen, und Gadolinium in Röntgen- und MRT-Geräten eingesetzt. Die Verfügbarkeit dieser Metalle ist daher strategisch sicherheitsrelevant.
- Chemische Industrie und Umwelttechnik: Cer und Lanthan dienen in Katalysatoren – etwa in Autokatalysatoren zur Abgasreinigung und in Fluid-Cracking-Katalysatoren der Erdölraffination – zur Beschleunigung chemischer Reaktionen. Seltenerdoxide (z.B. Ceroxid) werden außerdem als Poliermittel in der Glasfertigung und Halbleiterproduktion eingesetzt[10]. Ohne Cer-Verbindungen wären effiziente Abgaskatalysatoren und die Herstellung hochreiner Optiken deutlich schwieriger.
Wirtschaftliche Bedeutung: Permanentmagnete bilden mit rund 30 % den größten Endverbraucheranteil für Seltene Erden, gefolgt von katalytischen Anwendungen (26 %) und Poliermitteln (13 %)[6]. Diese drei Anwendungsfelder dominieren den Verbrauch. Daneben gibt es viele weitere spezialisierte Einsatzgebiete (von Spezialgläsern und Legierungszusätzen bis zu Leuchtstoffen in Leuchtstoffröhren oder LEDs). Mit dem globalen Übergang zu E-Mobilität und erneuerbaren Energien steigt die Nachfrage nach Seltenen Erden stark an – laut Internationaler Energieagentur werden für das Erreichen der Klimaziele bis 2040 etwa viermal so viele kritische Minerale (inkl. Seltene Erden) benötigt wie heute[11]. Dieses Nachfragewachstum hat bereits zu Preissteigerungen etwa bei Neodym geführt[12].
3. Globale Förderländer und Marktanteile
Der Abbau Seltener Erden konzentriert sich auf wenige Länder. China ist mit Abstand der größte Förderer – sowohl geologisch (Verfügbarkeit) als auch aufgrund frühzeitiger industrieller Entwicklung dieser Branche. Daneben spielen die USA, Myanmar und Australien eine Rolle, während andere Länder nur marginale Mengen produzieren. Die folgende Tabelle zeigt die geschätzte Minenproduktion 2023 nach Ländern:
Land |
Weltanteil (≈) |
|
China |
240.000 |
ca. 69 % |
USA |
43.000 |
ca. 12 % |
Myanmar (Burma) |
38.000 |
ca. 11 % |
Australien |
18.000 |
ca. 5 % |
Thailand |
7.100 |
ca. 2 % |
Andere (zusammen) |
~3.900 |
ca. 1 % |
Welt gesamt |
350.000[14] |
100 % |
Quelle: U.S. Geological Survey (Angaben in Tonnen REO-Äquivalent).
China förderte 2023 rund 240.000 t Seltenerdoxide – das entspricht etwa 69 % der Weltproduktion[13][14]. Weit abgeschlagen folgen die USA (~12 %) und Myanmar (~11 %). Myanmar ist dabei ein Sonderfall: Dort wird vor allem das Ionentondeposit Hpakant (Kachin-Region) ausgebeutet, teils illegal, um schwere Seltene Erden für China zu gewinnen[15]. Australien steuerte etwa 5 % bei, hauptsächlich durch die Lynas Corporation, die das Mount-Weld-Vorkommen abbaut. Alle übrigen Länder zusammen hatten weniger als 5.000 t Output (<2 %). Zwar besitzen einige Staaten bedeutende Reserven – beispielsweise Brasilien (~21 Mio. t) und Vietnam (~22 Mio. t) – doch die Exploration dort steckt noch in den Anfängen[16][14]. China verfügt mit geschätzten 44 Mio. t über die größten Reserven[17][14]. Die Dominanz Chinas zeigt sich somit sowohl bei den derzeitigen Fördermengen als auch den geologischen Reserven.
Geopolitische Bedeutung der Förderung: Chinas enorme Marktanteile ergeben sich historisch aus strategischen Investitionen und lockerer Regulierung seit den 1980er Jahren. Westliche Länder, allen voran die USA, hatten zeitweise selbst große Produktion (z.B. Mountain Pass Mine in Kalifornien), gaben diese jedoch auf, da chinesische Anbieter zu äußerst niedrigen Preisen auftraten. Dadurch erlangte China praktisch ein Monopol und Preissetzungsmacht. Kritisch ist insbesondere die Versorgung mit schweren Seltenen Erden (Dy, Tb u.a.): Hier ist der Westen nahezu vollständig auf China bzw. chinesisch kontrollierte Quellen angewiesen[15]. Beispiel: Dysprosium und Terbium – unerlässlich für hitzebeständige Magneten – stammen entweder direkt aus China oder aus Myanmar unter fragwürdigen Bedingungen und werden dann in China raffiniert[15]. Diese Konzentration der Bergwerksförderung in einem Land birgt erhebliche Versorgungsrisiken für globale Industrie und Sicherheit.
4. Weiterverarbeitung und Raffinierung
Noch weitaus stärker als bei der Rohstoffförderung ist China bei der Weiterverarbeitung der Seltenen Erden dominierend. Die frisch gewonnenen Erze (z.B. Bastnäsit oder Monazit) müssen in einem aufwändigen Prozess zu einzelnen Seltenerdoxiden und -metallen getrennt und gereinigt werden. Diese Trennungs- und Raffinierungsstufe erfordert spezialisiertes chemisches Know-how und verursacht erhebliche Umweltbelastungen (u.a. saure Abwässer und radioaktive Rückstände)[18][19]. Westliche Länder scheuten in der Vergangenheit die damit verbundenen Kosten und Umweltrisiken, wodurch China diese Wertschöpfungsstufe fast allein besetzt hat[20][21].
China ist heute das einzige Land mit einer vollständig integrierten Lieferkette von Seltenen Erden – vom Bergbau über die Separation bis zum fertigen Magneten[22][23]. Schätzungen zufolge entfallen rund 90 % der weltweiten Kapazitäten zur Trennung und Raffinierung von Seltenen Erden auf China[23]. Besonders augenfällig ist die Abhängigkeit bei den schweren Elementen: China produziert 100 % der raffinierten schweren Seltenen Erden der Welt[24]. Selbst wenn Rohkonzentrate anderswo abgebaut werden (z.B. USA, Australien), müssen diese fast immer nach China oder in chinesisch betriebene Anlagen exportiert werden, da es außerhalb Chinas kaum funktionsfähige Trennanlagen gibt[23][24]. Beispielsweise exportieren die USA über 95 % ihrer gewonnenen Seltenerdkonzentrate nach Asien (v.a. China), wo sie zu Metallen, Legierungen und Magneten weiterverarbeitet werden[23][25].
Neben China betreibt lediglich Malaysia (Lynas Corp.) eine größere Trennanlage für leichte Seltene Erden, die aber mengenmäßig nur einen Bruchteil des chinesischen Outputs liefert. Kleine Kapazitäten existieren auch in Estland (Silmet/Neo Performance Materials) und pilotartig in Japan und Frankreich, meist jedoch unter Nutzung chinesischer Vorprodukte[26][27]. Insgesamt kann von einer Quasi-Monopolstellung Chinas in der Seltenerd-Verarbeitung gesprochen werden. Dies erstreckt sich auch auf nachgelagerte Produkte: Rund 93 % der weltweiten Herstellung von Seltenerd-Magneten (Neodym-Eisen-Bor-Magnetlegierungen) erfolgt in China[28]. Chinesische Unternehmen dominieren zudem die Produktion anderer Seltenerd-basierter Werkstoffe wie Leuchtstoffe und Legierungen.
Die Gründe für diese Dominanz sind neben frühen Investitionen auch kostenseitige Vorteile: Die laxere Umweltregulierung und staatliche Subventionen in China ermöglichten niedrigere Produktionskosten. Westliche Produzenten konnten damit kaum konkurrieren. Zudem hat China gezielt Know-how aufgebaut und gilt heute als Technologieführer bei Trennverfahren – dieses Wissen wird mittlerweile durch Exportkontrollen für Technologie im Land gehalten[29]. Folglich ist die Welt bei verarbeiteten Seltenen Erden weitgehend auf chinesische Lieferanten angewiesen, was erhebliche Abhängigkeiten schafft.
5. Marktstruktur und chinesische Quasi-Monopolstellung
China verfügt derzeit über ein De-facto-Monopol entlang der gesamten Wertschöpfungskette der Seltenen Erden. Im Upstream (Rohstoffabbau) kontrolliert China knapp 70 % des Weltmarktes; im Midstream (Raffinierung) etwa 85–90 % (bzw. 100 % bei schweren REE) und im Downstream (z.B. Magnetproduktion) über 90 %[28]. Keine andere Nation hat einen vergleichbaren Einfluss auf diesen Sektor.
Diese Marktkonzentration hat weitreichende Folgen: China kann durch seine dominante Stellung Preise, Angebot und Qualitätsstandards maßgeblich diktieren. Zwischen 2005 und 2011 senkte China seine Exportquoten, was 2010 zu einer vielbeachteten „Seltenerd-Krise“ führte: Die Preise für Neodym, Dysprosium & Co. vervielfachten sich damals, nachdem China zeitweise Lieferstopps verhängte (u.a. gegenüber Japan)[30]. Zwar wurden nach WTO-Verfahren die formellen Exportquoten aufgehoben, dennoch behält China über Exportsteuern, inländische Produktionsquoten und strategische Reserven faktisch die Kontrolle über den Weltmarkt.
Aus chinesischer Sicht ist die Konzentration politisch und wirtschaftlich gewollt: Seltene Erden gelten in China als strategischer Rohstoff. Durch die staatliche Bündelung der Bergwerke in sechs konzessionierte Großunternehmen (sog. „Rare Earth Groups“) wurde ein starker staatlicher Einfluss sichergestellt. In den letzten Jahren konsolidierte China die Branche weiter, schuf z.B. 2021 die China Rare Earth Group als neuen Giganten, um Preiswettbewerb zu vermindern und eine geordnete Versorgung sicherzustellen. Für westliche Abnehmer bedeutet dies allerdings, dass Lieferausfälle oder -beschränkungen jederzeit zum politischen Druckmittel werden können.
Geopolitische Abhängigkeit: Westliche Industrien – von Automobil bis Verteidigung – sind in hohem Maße auf chinesische REE-Lieferungen angewiesen. Nach EU-Angaben stammen 98 % der in Europa benötigten Seltenen Erden aus China-Importen[31]. Ähnlich hoch ist die Quote für die USA. Diese Abhängigkeit wird als strategische Verwundbarkeit betrachtet, da China im Konfliktfall Lieferketten gezielt stören könnte. Die Marktstruktur lässt sich derzeit als oligopolistisch mit chinesischer Vorherrschaft beschreiben. Andere Länder spielen maximal Nischenrollen. Somit besitzt China ein Quasi-Monopol, insbesondere bei kritischen schweren Elementen und verarbeiteten Produkten – eine Situation, die Spannungen im Welthandel und aktive Gegenstrategien der importabhängigen Nationen provoziert (siehe Abschnitt 6).
6. Geopolitische Konflikte und Auswirkungen auf die Versorgung
Die Rivalität zwischen den USA und China spiegelt sich deutlich im Bereich kritischer Rohstoffe wie Seltenen Erden wider. In den letzten Jahren kam es zu gegenseitigen Handelsrestriktionen, die die fragilen Lieferketten dieses Sektors ins Rampenlicht rückten.
China hat wiederholt signalisiert – und teilweise umgesetzt –, dass es seine Rohstoffdominanz als Druckmittel einsetzen kann. Bereits 2010 stoppte China aus politischen Gründen vorübergehend die Seltenerd-Lieferungen an Japan, was die Abnehmer schockartig auf die Abhängigkeit aufmerksam machte[30]. In jüngerer Zeit, im Jahr 2023, führte Peking neue Exportkontrollen ein: Bestimmte Seltene Erden (insb. einige schwere Elemente) und Magnetprodukte unterliegen seitdem einer Ausfuhrgenehmigungspflicht[32][33]. Offiziell begründet China solche Schritte mit nationaler Sicherheit. Praktisch erhöhen sie die Hürden für ausländische (v.a. westliche) Unternehmen, sich mit chinesischem Material zu versorgen. Im April 2025 reagierte China auf US-Handelssanktionen, indem es den Export von sieben Seltenerdmetallen und bestimmten Magnetlegierungen restriktiv begrenzte[34]. Diese überraschende Maßnahme drohte in den USA zu Produktionsverzögerungen bis hin zu Fertigungsstopps (etwa in der Automobilindustrie) zu führen[34], da kurzfristig keine alternativen Lieferquellen in ausreichendem Volumen verfügbar waren. Zwar konnte diese konkrete Krise durch Verhandlungen entschärft werden[35], doch sie unterstrich die potenzielle Verwundbarkeit westlicher Lieferketten.
Die USA und ihre Verbündeten reagieren auf diese Lage mit verschiedenen Gegenmaßnahmen: Einerseits werden strategische Reserven aufgebaut. So hat z.B. die US-Regierung begonnen, Seltene-Erden-Magnete und Oxide in die Nationale Verteidigungsreserve aufzunehmen (FY 2024 u.a. geplant: 300 Tonnen Nd-Pr-Oxid und 286 Tonnen Neodym-Eisen-Bor-Magnete)[36]. Andererseits fließen erhebliche Investitionsmittel in den Aufbau eigener Lieferketten. Unter dem Defense Production Act stellten die USA seit 2020 Hunderte Millionen Dollar bereit, um die Verarbeitung und Magnetfertigung im Inland anzukurbeln[37]. Bisher bleibt der Erfolg begrenzt – die Mountain-Pass-Mine in Kalifornien fördert zwar wieder (~45.000 t 2024, Platz 2 weltweit)[37], doch werden die Konzentrate mangels heimischer Trennanlagen weiterhin nach China exportiert[25]. Europa hat 2023 mit dem Critical Raw Materials Act ebenfalls Maßnahmen angestoßen, um bis 2030 eigene Kapazitäten beim Abbau (10 % des EU-Bedarfs), der Verarbeitung (40 %) und dem Recycling (15 %) kritischer Rohstoffe aufzubauen – Seltene Erden stehen dabei im Fokus. Auch Japan und Südkorea sichern sich über Joint Ventures mit Anbietern (z.B. Lynas) sowie durch Recycling-Programme gegen Engpässe ab.
Zusätzlich werden Diversifizierungsallianzen geschmiedet: Die USA kooperieren mit Australien (größter nicht-chinesischer Produzent) und Indien, um Lieferketten außerhalb Chinas zu etablieren. Indien etwa besitzt große Reserven (Platz 5 weltweit) und will zusammen mit japanischen Unternehmen eine eigene Magnetproduktion aufbauen[38][39]. China seinerseits versucht, durch strengere Exportkontrollen für Know-how und Anlagen (z.B. Verbot des Technologietransfers für REE-Verarbeitung seit Ende 2023) seine Technologieführerschaft zu sichern[29].
Insgesamt hat die geopolitische Konkurrenz die kritische Bedeutung der Seltenen Erden für Wirtschaft und Sicherheit offengelegt. Die jüngsten Konflikte führen kurz- bis mittelfristig eher zu einer Verstärkung von Exportkontrollen und Lagerhaltungen als zu einer raschen Entspannung. Langfristig könnte jedoch der Aufbau alternativer Bezugsquellen (siehe Abschnitt 7) die Lage entschärfen. Bis dahin bleiben Seltene Erden ein machtpolitisches Faustpfand Chinas in der Auseinandersetzung mit den westlichen Industrienationen[40].
7. Alternativen und Diversifizierung der Versorgung
Angesichts der skizzierten Abhängigkeiten suchen Industrie und Politik nach Alternativen – sowohl technologische Substitute für Seltene Erden in der Anwendung als auch neue Lieferquellen außerhalb Chinas. Diese Ansätze sollen die Versorgungsrisiken mindern.
7.1 Technische Substitute für Seltene Erden
In vielen Anwendungsfeldern wird intensiv geforscht, um den Einsatz Seltener Erden zu reduzieren oder ganz zu ersetzen. Allerdings gilt: „Substitutes are available for many applications but generally are less effective.“ – Ersatzstoffe sind meist weniger leistungsfähig[41]. Nachfolgend einige wichtige Substitute und deren Vor- und Nachteile:
Anwendung / Produkt |
Betroffene REE |
Mögliche Substitute (Beispiele) |
Permanentmagnete (Elektromotoren, Generatoren) |
Neodym, Praseodym (sowie Dysprosium, Terbium als Additive) |
– Ferrit-Magnete aus Eisenoxid (ohne REE) – günstiger und abundant, aber deutlich geringere Magnetstärke.<br/>– Magnetfreie Motoren (z.B. Reluktanz- oder Induktionsmotoren) – verzichten auf Dauermagneten, dafür komplexere Steuerung und tendenziell höheres Gewicht[42][43]. |
Katalysatoren (Autoabgaskatalysatoren, petrochemische Katalysatoren) |
Cer, Lanthan |
– Edelmetalle (Platin, Palladium, Rhodium) können die Rolle teilweise übernehmen (insb. in Abgaskatalysatoren), sind aber sehr teuer.<br/>– Andere Oxide (z.B. Zirkoniumoxid in Abgaskatalysatoren) ersetzen Cer teilweise, mit Trade-offs in Effizienz. |
Leuchtstoffe (Bildschirme, LED, Leuchtstoffröhren) |
Europium, Terbium, Yttrium |
– Quantum Dots und andere neuartige Leuchtmaterialien können in Displays die konventionellen Phosphore teilweise ersetzen (bisher v.a. in Premium-Bildschirmen eingesetzt).<br/>– Neue Phosphorchemien mit reduziertem REE-Gehalt (z.B. halbleiterbasierte LEDs ohne Yttrium-Garnet-Phosphor) befinden sich in Entwicklung. |
Batterien (NiMH) in Hybridfahrzeugen |
Lanthan (als Legierung in der Anode) |
– Lithium-Ionen-Batterien haben NiMH-Akkus weitgehend abgelöst (höhere Energiedichte, kein Lanthan benötigt). Dadurch sinkt der Lanthan-Bedarf in der Fahrzeugindustrie bereits.<br/>– Wasserstoff-Brennstoffzellen als Alternativtechnologie benötigen ebenfalls keine Seltenerdmetalle in der Stack-Herstellung. |
Erläuterung: Die bedeutendste Herausforderung liegt im Ersatz der Neodym-Eisen-Bor-Magnete, da derzeit keine Nicht-REE-Magnete vergleichbare Energie- und Leistungsdichten bieten. Ferritmagnete sind erheblich schwerer für die gleiche Leistung; Alnico-Magnete (auf Nickel-Cobalt-Basis) haben ebenfalls schwächere magnetische Eigenschaften. Ein Ansatz ist daher der technologische Umstieg – z.B. auf Reluktanzmotoren, die komplett ohne seltene Erden auskommen[42]. Diese Motoren nutzen nur Spulen und Eisen, was Lieferabhängigkeiten reduziert. Bereits heute setzen etwa BMW und Nissan bei bestimmten E-Modellen auf magnetfreie oder Dy/Tb-freie Motoren[43]. Allerdings sind solche Lösungen teils größer und erfordern aufwändige Elektroniksteuerung, um an die Leistung von Magnetmotoren heranzukommen[43].
In anderen Bereichen gibt es ebenfalls Fortschritte: So werden in der Beleuchtungstechnik weiße LEDs entwickelt, die weniger oder keine Terbium/Europium-haltigen Phosphore benötigen (Stichwort: UV-LEDs mit konversionsfreien Phosphoren). Recycling ist eine weitere Option zur Substitution von Primärmaterial: Seltenerd-Magnete aus alten Festplatten oder E-Motoren können recycelt werden, um Neodym und Dysprosium zurückzugewinnen. Dieses „urbane Mining“ steckt aber noch in den Anfängen und kann derzeit nur kleine Mengen liefern.
Zusammengefasst sind technische Substitute oft mit Leistungseinbußen oder höheren Kosten verbunden[41]. In sicherheitskritischen oder hochleistungs-Anwendungen (z.B. Militär, Windkraft) gibt es bislang keinen vollständigen Ersatz für bestimmte Seltene Erden. Dennoch verringern technologische Innovationen schrittweise die Abhängigkeit – etwa durch effizientere Motoren, Recycling und Materialforschung an neuen Magnetlegierungen (z.B. auf Basis von Mangan-Bismut oder Ferritverbundwerkstoffen).
7.2 Diversifizierung der Lieferketten – neue Förderländer
Parallel zur Substitution wird global versucht, die Lieferketten geografisch zu diversifizieren. Zahlreiche Länder mit bislang ungenutzten Vorkommen nehmen Projekte auf, um Abbau und Verarbeitung von Seltenen Erden außerhalb Chinas aufzubauen. Einige relevante Entwicklungen:
- Australien: Als etabliertem Produzenten (Lynas) kommt Australien eine Schlüsselrolle zu. Neben dem laufenden Mount-Weld-Betrieb entstehen neue Projekte – z.B. Arafura Resources’ Nolan’s Projekt (Nd-Pr) im Northern Territory. Laut Deutscher Rohstoffagentur werden dort erste Liefermengen ab 2027 erwartet[44]. Australien baut zudem zusammen mit den USA Verarbeitungsanlagen (Lynas errichtet eine Trennanlage in Texas mit US-Fördermitteln).
- Vereinigte Staaten: Die USA haben die Mountain Pass Mine reaktiviert (Kalifornien) und fördern wieder in großem Stil Rohkonzentrat[37]. Zudem investieren sie in heimische Raffination: Ein Konsortium um MP Materials plant eine Separation in Kalifornien, General Motors will Magnetfabriken in den USA ansiedeln. Bis diese Wertschöpfungsstufen voll einsatzfähig sind, setzen die USA auf Kooperation mit Verbündeten (z.B. Import von Lynas-Produkten) und auf den Aufbau strategischer Reserven.
- Europa: Europa besitzt selbst einige Vorkommen, die nun verstärkt erkundet werden. 2023 wurde in Schweden (Kiruna) ein großes REE-Vorkommen (Per Geijer) mit ~1 Mio. t entdeckt. Noch größer ist ein neues Vorkommen im Süden Norwegens (Fen-Komplex) mit geschätzten 8,8 Mio. t Seltenerdoxid – dem größten in Europa[45]. Geplant ist dort ein Minenstart ab 2030[46]. Diese Projekte befinden sich allerdings erst im Genehmigungs- und Entwicklungsstadium. Kurzfristig setzt Europa daher v.a. auf Importe aus befreundeten Ländern und Recycling. Die EU hat 2020 eine European Raw Materials Alliance gegründet, um Investitionen in heimische Förderprojekte zu bündeln.
- Andere Länder: Vietnam und Brasilien verfügen über riesige Reserven und prüfen eine Ausweitung der Förderung mit ausländischen Partnern. Indien hat 2023 Auktionen für neue Abbaulizenzen angekündigt und kooperiert mit Japan, um eigene Verarbeitungsanlagen und Magnetfertigung aufzubauen[38][47]. In Afrika entstehen ebenfalls Projekte: Südafrika (Steenkampskraal) und Tansania (Buchans-Projekt) könnten mittelfristig liefern, und kleinere Produzenten wie Burundi oder Madagaskar exportieren bereits Erze in begrenztem Umfang. Kanada hat 2021 mit einem Pilotabbau (Nechalacho in den Nordwest-Territorien) begonnen; dort soll ein kompletter Lieferweg bis zur Oxidtrennung in Saskatchewan entstehen. Schließlich engagiert sich auch Japan: durch Joint Ventures (z.B. Beteiligung an Lynas) und die Erschließung von Tiefsee-Schlammvorkommen im Pazifik, die hohe Konzentrationen an Seltenen Erden aufweisen (allerdings technisch noch schwierig auszubeuten).
Trotz dieser weltweiten Initiativen ist klar, dass der Aufbau neuer Minen und Raffinerien Zeit und Investitionen erfordert. Viele Projekte stoßen auf ökologische Auflagen, lokale Widerstände und finanzielle Risiken. Die DERA-Studie 2025 konstatiert, dass zahlreiche bekannte Vorkommen außerhalb Chinas zwar existieren, aber (noch) nicht wirtschaftlich erschlossen sind. Hemmnisse seien niedrige Weltmarktpreise, fehlendes Kapital, Infrastrukturdefizite und mangelndes Know-how, was den schnellen Aufbau unabhängiger Lieferketten bremst[48][49]. Kurzfristig bleibt der Westen daher vor allem bei den schweren Seltenen Erden auf chinesische Lieferungen angewiesen[50].
Dennoch werden ab Mitte der 2020er-Jahre zusätzliche Kapazitäten verfügbar: Lynas erhöht die Produktion in Australien/Malaysia; in den USA könnten erste lokal raffinierte Produkte ab 2025–2026 auf den Markt kommen (z.B. Nd-Pr-Oxid aus Texas); und Australien sowie Kanada planen die Belieferung Europas mit gewissen Mengen ab ~2027[44]. Diese Schritte – so klein sie im Vergleich zu Chinas Output sein mögen – markieren den Beginn einer vorsichtigen Diversifizierung. Langfristig, mit Projekten wie Norwegen (ab 2030) oder potentiellen brasilianischen/vietnamesischen Minen, könnte Chinas Marktanteil allmählich sinken. Realistisch ist jedoch, dass China auf absehbare Zeit die dominierende Stellung behält[51]. Selbst optimistische Szenarien gehen davon aus, dass der Westen bei kritischen schweren Elementen (Dy, Tb, etc.) noch über Jahre zu >80–90 % von China abhängig bleiben wird[50].
Fazit: Seltene Erden sind ein Paradebeispiel für die Verzahnung von Hochtechnologie, globalen Märkten und Geopolitik. Ihre einzigartige Rolle in Schlüsselindustrien macht sie wirtschaftlich wie strategisch unverzichtbar. Aktuell besitzt China eine beherrschende Position über diesen Rohstoff – eine Position, die es aktiv absichert und nutzt. Westliche Staaten und Industrieunternehmen arbeiten daran, durch technologische Innovation (Substitution, Effizienz, Recycling) und neue Rohstoffquellen die Abhängigkeit zu verringern. Diese Bemühungen zeigen erste Früchte, doch werden sie viele Jahre benötigen, um eine echte Alternative zum chinesischen Quasi-Monopol aufzubauen[48]. Bis dahin bleibt die Versorgungslage angespannt und unter ständiger Beobachtung von Wirtschaft und Politik. Eine robuste, diversifizierte Lieferkette für Seltene Erden zu schaffen, ist zu einer Frage von Rohstoffsouveränität und nationaler Sicherheit geworden – mit juristischen, ökonomischen und diplomatischen Implikationen weltweit.
Quellen: Offizielle Berichte und Daten u.a. der U.S. Geological Survey (USGS)[52][53], der Deutschen Rohstoffagentur (DERA/BGR)[54][15], industrieanalytische Publikationen[6][55] sowie aktuelle Nachrichtenbeiträge[40][28]. Diese belegen die dargestellten Fakten zur Marktsituation, politischen Maßnahmen und zukünftigen Entwicklungen im Bereich der Seltenen Erden.