Überblick über Recht – Wirtschaft – Politik

Themenübersicht
Erbrecht
Pflichtteilsverzicht ohne persönliche Anwesenheit?
BGH, Urteil vom 20.11.2024 – IV ZR 263/23
Sachverhalt:
Die Klägerin wurde von ihrem Vater als Alleinerbin eines landwirtschaftlichen Hofes eingesetzt. Um die Pflichtteilsansprüche ihrer Schwester auszuschließen, beurkundete ein Notar 2006 einen Pflichtteilsverzichtsvertrag, obwohl der Vater bei der Beurkundung nicht persönlich anwesend war. Der Vertrag sah vor, dass die Klägerin ihrer Schwester 30.000 € als Abfindung zahlt, was auch geschah. Nach dem Tod des Vaters im Jahr 2020 focht die Schwester den Pflichtteilsverzicht an und forderte Pflichtteilsansprüche. Die Klägerin verklagte daraufhin den Notar auf Schadensersatz wegen fehlerhafter Beurkundung.
Entscheidung:
Der Bundesgerichtshof bestätigte, dass der Notar seine Amtspflichten verletzt hat, da ein Pflichtteilsverzicht nur bei persönlicher Anwesenheit des Erblassers wirksam beurkundet werden kann. Die daraus resultierende Nichtigkeit des Vertrags setzte die Klägerin Pflichtteilsansprüchen ihrer Schwester aus. Eine ergänzende Auslegung des Vertrags als Erbschaftsvertrag zwischen den Schwestern wurde verneint, da dies nicht dem Willen der Parteien entsprach. Die Klägerin erlitt erst mit dem Tod des Vaters einen Vermögensschaden, wodurch die Schadensersatzforderung nicht verjährt war. Der Notar wurde daher zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt.
Arbeitsrecht
Kündigungsschutz für Leiharbeiter
EuGH Urteil vom 24.10.2024 – C-441/23
Sachverhalt:
Eine Arbeitnehmerin (LM) war über verschiedene Dienstleistungsverträge bei Microsoft tätig, obwohl sie formal bei der Firma Leadmarket angestellt war. Während ihrer Schwangerschaft kündigte Microsoft die Zusammenarbeit mit Leadmarket, und kurz nach ihrem Mutterschaftsurlaub wurde LM von Leadmarket aus angeblich wirtschaftlichen Gründen entlassen. LM klagte auf Wiedereinstellung und Schadensersatz und argumentierte, ihre Tätigkeit sei faktisch Leiharbeit gewesen, sodass auch Microsoft haftbar sei. Das erstinstanzliche Gericht wies Microsofts Haftung zurück, stellte aber die Unwirksamkeit der Kündigung durch Leadmarket fest. LM legte Berufung ein, um Microsoft gesamtschuldnerisch in die Verantwortung zu nehmen.
Entscheidung:
Der Europäische Gerichtshof entschied, dass die Richtlinie 2008/104/EG auch dann gilt, wenn ein Unternehmen Arbeitnehmer überlässt, ohne als Leiharbeitsunternehmen zugelassen zu sein. Entscheidend sei, ob der Arbeitnehmer tatsächlich unter der Leitung und Aufsicht des entleihenden Unternehmens arbeitet. Wenn dies der Fall ist, müssen Leiharbeitnehmer gleiche Arbeitsbedingungen, einschließlich gleicher Bezahlung, wie direkt angestellte Mitarbeiter erhalten. Zudem haften Leiharbeitsunternehmen und entleihende Unternehmen gesamtschuldnerisch für die Folgen einer nichtigen Kündigung, wie Wiedereinstellung und Lohnnachzahlung. Damit könnte auch Microsoft in diesem Fall haftbar sein, wenn eine tatsächliche Überlassung vorlag.
Beamtenrecht
Unverhältnismäßige Anordnung einer amtsärztlichen Untersuchung
OVG Münster, Beschluss vom 20.11.2024 – 1 B 515/24
Sachverhalt:
Die Antragstellerin wurde im Jahr 1999 aufgrund einer psychischen Erkrankung in den Ruhestand versetzt. Nach 25 Jahren forderte die Bundesanstalt für Post und Telekommunikation Deutsche Bundespost die Antragstellerin auf, sich einer psychiatrischen Untersuchung zur Überprüfung ihrer Dienstfähigkeit zu unterziehen. Die Antragstellerin wehrte sich gegen diese Anordnung mit der Begründung, dass sie nach so langer Untätigkeit der Behörde nicht mehr mit einer solchen Untersuchung habe rechnen müssen. Zudem argumentierte sie, dass die Anordnung unverhältnismäßig sei, da sie inzwischen an weiteren gesundheitlichen Beschwerden leide und eine fachpsychiatrische Untersuchung nicht ausreichend sei. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf wies ihren Antrag zunächst ab, woraufhin sie erfolgreich Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen einlegte.
Entscheidung:
Das OVG Nordrhein-Westfalen untersagte der Antragsgegnerin vorläufig, die Antragstellerin auf ihre Dienstfähigkeit untersuchen zu lassen. Die Untersuchungsanordnung sei unverhältnismäßig, da sie Art und Umfang der Untersuchung nicht konkretisiere und somit einen unangemessenen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Antragstellerin darstelle. Besonders wurde bemängelt, dass die Anordnung eine umfassende ärztliche Untersuchung ohne konkrete Eingrenzung auf frühere Diagnosen erlaubte. Das Gericht betonte, dass nach einer 25-jährigen Untätigkeit mildere Mittel, wie die Einholung bereits vorhandener ärztlicher Atteste, hätten geprüft werden müssen. Die Kosten des Verfahrens wurden der Antragsgegnerin auferlegt.
Schulrecht
Härtefallantrag im Fall von verspätetem Praktikumsbericht
OVG Lüneburg, Beschluss vom 6. 11.2024 – 2 LA 117/22
Sachverhalt:
Der Kläger war im Bachelorstudiengang Forstwissenschaften und Waldökologie eingeschrieben. Ihm wurde von der Hochschule mit Bescheid vom 23. November 2020 mitgeteilt, dass er die Bachelorprüfung endgültig nicht bestanden habe, da er bis zum Beginn des dritten Fachsemesters nicht die vorgeschriebenen 30 Credits erreicht hatte. Der Kläger argumentierte, dass ihm zusätzliche Credits aus einem vorangegangenen Landwirtschaftsstudium sowie aus einem Praktikum angerechnet werden müssten. Er reichte jedoch den erforderlichen Praktikumsbericht verspätet ein, sodass ihm die dafür vorgesehenen Credits nicht anerkannt wurden. Das Verwaltungsgericht Göttingen wies seine Klage ab, und der Antrag auf Zulassung der Berufung beim OVG Niedersachsen blieb erfolglos.
Entscheidung:
Das OVG Niedersachsen lehnte den Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung ab. Die Hochschule durfte gemäß § 7 Abs. 4 Satz 3 NHG und der Prüfungsordnung den Studiengang beenden, da der Kläger die geforderten Credits nicht rechtzeitig nachweisen konnte. Ein Härtefallantrag hätte rechtzeitig gestellt werden müssen, um Fristüberschreitungen zu vermeiden, was der Kläger jedoch versäumte. Der verspätet eingereichte Praktikumsbericht konnte nicht berücksichtigt werden, da er außerhalb der festgelegten Frist einging. Das Gericht stellte klar, dass die Regelung zur Einhaltung von Studienfristen rechtmäßig und verhältnismäßig ist, um die Ausbildungsqualität sicherzustellen.
News diese Woche:
BGH: Birkenstocksandalen Kunst?
Der Bundesgerichtshof (BGH) befasst sich derzeit mit der Frage, ob bestimmte Birkenstock-Sandalenmodelle wie „Madrid“, „Arizona“, „Gizeh“ und „Boston“ als Werke der angewandten Kunst gelten und somit urheberrechtlich geschützt sind. Birkenstock verklagt mehrere Konkurrenten, darunter Tchibo, wegen der Nachahmung dieser Modelle und argumentiert, dass ihr Design durch besondere gestalterische Elemente urheberrechtlichen Schutz verdient. Das Unternehmen verweist auf den einzigartigen Stil im Brutalismus und vergleicht seine Designs mit anerkannten Kunstwerken wie Bauhaus-Leuchten oder Porsche-Modellen. Die Vorinstanzen waren sich uneinig: Während das Landgericht Köln den Schutz bejahte, lehnte das Oberlandesgericht diesen mit Verweis auf fehlende Schöpfungshöhe ab. Eine endgültige Entscheidung des BGH steht noch aus und könnte weitreichende Folgen für den Schutz von Designprodukten haben.