24111 Kiel, Rendsburger Landstraße 436
+49 431 12807082
kanzlei@grafkerssenbrock.com

VG und OVG zur OB-Wahl in Ludwigshafen

Arbeitsrecht – Erbrecht - Kommunalrecht

VG und OVG zur OB-Wahl in Ludwigshafen

Rechtsprechung

 


Ausschluss von Joachim Paul von der OB-Wahl in Ludwigshafen – Analyse von VG Neustadt und OVG Rheinland-Pfalz

Der Ausschluss des AfD-Politikers Joachim Paul von der Oberbürgermeisterwahl in Ludwigshafen ist ein bislang in der kommunalrechtlichen Praxis seltenes Vorgehen. Die Entscheidung berührt zentrale Spannungsfelder des Wahlrechts: Wahlrechtsgleichheit und Parteienfreiheit einerseits, wehrhafte Demokratie und Verfassungstreuepflicht andererseits. Inzwischen liegt neben dem Beschluss des VG Neustadt vom 18. August 2025 auch die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz (OVG) vom 25. August 2025 vor, die den Eilantrag Pauls endgültig zurückgewiesen hat.

Im Folgenden werden die rechtlichen Grundlagen, die Argumentation beider Gerichte und die verfassungsrechtlichen Implikationen beleuchtet und gegenübergestellt.

Rechtliche Analyse: AfD-Kandidat und die OB-Wahl Ludwigshafen im Vorfeld der Gerichtsentscheidungen.


1. Rechtsgrundlagen

1.1. Gemeindeordnung Rheinland-Pfalz

Nach § 53 Abs. 3 GemO RLP ist wählbar zum Bürgermeister nur, wer die Gewähr dafür bietet, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung (FDGO) einzutreten.

(3) Wählbar zum Bürgermeister ist, wer Deutscher im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes oder Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union mit Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland ist, am Tag der Wahl das 18. Lebensjahr vollendet hat, nicht von der Wählbarkeit im Sinne des § 4 Abs. 2 des Kommunalwahlgesetzes ausgeschlossen ist sowie die Gewähr dafür bietet, daß er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt. Zum hauptamtlichen Bürgermeister kann nicht gewählt werden, wer am Tag der Wahl das 65. Lebensjahr vollendet hat.


➡ Diese Vorschrift stellt die Verfassungstreuepflicht für kommunale Wahlbeamte sicher und orientiert sich an der beamtenrechtlichen Treuepflicht (§ 7 Abs. 1 Nr. 2 BeamtStG).

1.2. Kommunalwahlgesetz und Wahlprüfung

  • § 23 Abs. 3 KWG RLP: Verweist auf die Eignungsvoraussetzungen.

(3) Der Wahlausschuss entscheidet vom 47. bis spätestens zum 41. Tage vor der Wahl über die Gültigkeit und Zulassung der Wahlvorschläge. Ein Wahlvorschlag ist zurückzuweisen, wenn er den Anforderungen nicht entspricht, die durch dieses Gesetz oder die Kommunalwahlordnung aufgestellt sind, es sei denn, dass in diesen Vorschriften etwas anderes bestimmt ist. Sind bei einem Wahlvorschlag die Anforderungen nur hinsichtlich einzelner Bewerber nicht erfüllt, so werden ihre Namen gestrichen. Die Entscheidung über die Zulassung der Wahlvorschläge ist in der Sitzung des Wahlausschusses bekannt zu geben.

  • § 58 KWG RLP: Regelt die Wahlprüfung.

  • § 29 KWO RLP: Wahlausschuss darf Bewerber streichen, die gesetzliche Voraussetzungen nicht erfüllen.

(3) Bewerber, welche die gesetzlichen Voraussetzungen nicht erfüllen, werden im Wahlvorschlag gestrichen. Ist ein Bewerber in Wahlvorschlägen verschiedener Parteien und Wählergruppen für dieselbe Wahl aufgestellt, so ist er in allen Wahlvorschlägen zu streichen. Die Reihenfolge der danach aufgeführten Bewerber ändert sich entsprechend. Wird in einem Wahlvorschlag für die Wahl zum Bezirkstag ein Bewerber gestrichen, für den ein Nachfolger benannt ist, so rückt der Nachfolger an die Stelle des Bewerbers.

1.3. Verfassungsrechtlicher Rahmen

  • Art. 28 Abs. 1 GG: Grundsatz der allgemeinen, gleichen und freien Wahlen.

  • Art. 21 GG: Parteiengleichheit; Parteienverbot nur durch BVerfG.

  • Art. 19 Abs. 4 GG: Anspruch auf effektiven Rechtsschutz.

  • Art. 33 Abs. 5 GG: Hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums, einschließlich Treuepflicht zur Verfassung.


2. Entscheidung des VG Neustadt (18. August 2025, 3 L 889/25.NW)

Das Verwaltungsgericht erklärte Pauls Eilantrag für unzulässig:

  • Grundsatz der Wahlbeständigkeit: Wahlverfahren dürfen nicht durch Eilverfahren fragmentiert werden; Rechtsschutz grundsätzlich nur nach der Wahl im Wahlprüfungsverfahren.

  • Ausnahme: Offenkundige Rechtswidrigkeit. Nur wenn die Entscheidung des Wahlausschusses evident fehlerhaft sei, könne eine einstweilige Anordnung ergehen.

  • Keine Offenkundigkeit: Aufgrund der Hinweise im Verfassungsschutzbericht RLP 2024, der AfD-Einstufung als Verdachtsfall (VG Köln, OVG NRW) und konkreter Aktivitäten (Quartier Kirschstein, Kontakte zur „Neuen Rechten“) habe der Wahlausschuss jedenfalls nicht willkürlich gehandelt.

➡ Das Gericht traf keine inhaltliche Bewertung, sondern verwies Paul auf das Wahlprüfungsverfahren nach der Wahl.


3. Entscheidung des OVG Rheinland-Pfalz (25. August 2025, 10 B 11032/25.OVG)

Das Oberverwaltungsgericht bestätigte die Linie des VG, präzisierte aber die Maßstäbe:

  • Kein Eilrechtsschutz: Der Verweis auf das nachgelagerte Wahlprüfungsverfahren sei verfassungsrechtlich zulässig. Die Sicherung der Wahlbeständigkeit gehe dem individuellen Rechtsschutz im Wahlablauf grundsätzlich vor.

  • Offenkundigkeitsprüfung: Eine einstweilige Zulassung kommt nur in Betracht, wenn die Nichtzulassung „offensichtlich rechtswidrig“ ist.

  • Rechtsgrundlage bestätigt: § 53 Abs. 3 GemO i.V.m. § 23 Abs. 3 KWG sei eine verfassungsgemäße Beschränkung des passiven Wahlrechts. Sie sei durch Art. 33 Abs. 5 GG (Treuepflicht) gedeckt.

  • Individuelle Anhaltspunkte: Das OVG nannte explizit Pauls Beteiligung an Remigrationsdiskursen: Vortrag „Schicksalsfrage Einwanderung – Warum Remigration nötig und machbar ist“, Artikel „Remigration statt Unterwerfung“ im Freilich-Magazin, sowie die Nutzung seines Büros für Veranstaltungen Martin Sellners.

    • Nach der Rechtsprechung des BVerwG stehe das Konzept der „Remigration“ – wie von Sellner vertreten – im Widerspruch zur Menschenwürde und FDGO.

    • Paul habe sich hiervon nicht distanziert, sondern unterstützend geäußert.

  • Schlussfolgerung: Es bestünden hinreichende Zweifel an seiner Verfassungstreue. Damit fehle es an Offenkundigkeit der Rechtswidrigkeit des Ausschlusses.


4. Verhältnis der beiden Entscheidungen

  • VG Neustadt: Formale Prüfung – keine Offenkundigkeit, keine Eilentscheidung. Fokus auf Verfahrensrecht und Wahlbeständigkeit.

  • OVG Koblenz: Geht weiter und betont die materielle Rechtfertigung der Verfassungstreue-Klausel. Es konkretisiert die Zweifel gegen Paul anhand seiner Äußerungen zu Remigration und bezieht sich auf die Menschenwürdegarantie.

Damit markiert das OVG den Ausschluss nicht nur als verfahrensrechtlich haltbar, sondern auch inhaltlich plausibel begründet – wenngleich es die endgültige Prüfung ins Wahlprüfungsverfahren verschiebt.


5. Verfassungsrechtliche Bewertung

  • Kein automatischer Ausschluss: Die Einstufung der AfD als Verdachtsfall allein reicht nicht; erforderlich sind individuelle Tatsachen (hier: Pauls konkrete Aktivitäten und Publikationen).

  • Wehrhafte Demokratie: Die Treuepflicht für kommunale Wahlbeamte erlaubt es, Personen mit erkennbar verfassungsfeindlichen Positionen präventiv auszuschließen.

  • Problem des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG): Durch die enge Offenkundigkeitsschwelle im Eilrechtsschutz droht faktisch eine Rechtsschutzlücke. Ein Kandidat wie Paul ist für die laufende Wahl ausgeschlossen; selbst ein späterer Erfolg im Wahlprüfungsverfahren käme zu spät.

  • Abwägung: Das OVG nimmt bewusst in Kauf, dass individuelles Wahlrecht zugunsten von Wahlbeständigkeit und Gemeinwohlinteresse zurücktritt.

 

Der Fall Joachim Paul zeigt die Spannungsachse zwischen Demokratieprinzip und wehrhafter Demokratie:

  • Das VG Neustadt stellte auf das Verfahren ab und lehnte Eilrechtsschutz mangels Offenkundigkeit ab.

  • Das OVG Koblenz bestätigte dies und unterlegte die Entscheidung inhaltlich mit der Einschätzung, dass Pauls Äußerungen zur „Remigration“ begründete Zweifel an seiner Verfassungstreue auslösen.

Damit ist Paul für die OB-Wahl 2025 in Ludwigshafen ausgeschlossen. Ob dieser Ausschluss auch endgültig verfassungsrechtlich trägt, wird erst ein späteres Wahlprüfungsverfahren oder – im Zweifel – das Bundesverfassungsgericht klären müssen.

 

2 Antworten

  1. Michael Ellwanger sagt:

    Gute juristische Beurteilung und Gegenüberstellung der widerstreitenden Interessen im „Fall Joachim Paul durch die Anwaltkanzlei Graf Kerssenbrock.

    Und ebenso guter Kommentar hierzu von Rechtsanwalt Dr. Claus-Peter Becke.

    Ich bin der Ansicht, dass es nicht alleine um das passive Wahlrecht des von der Wahl ausgeschlossenen Kandidaten Joachim Paul geht, sondern auch um das Recht der Wähler in Ludwigshafen, diesen Kandidaten zu wählen.

    Ich kenne Herrn Paul nicht persönlich, doch die Umstände und die Art und Weise, wie sein Ausschluss unter Mitwirkung der bisherigen Amtsinhaberin zustande gekommen ist und auch die Zusammensetzung des Wahlausschusses sind gemessen an den demokratischen Prinzipien mehr als bedenklich und haben mehr als nur ein „Geschmäckle“.

    Ich bin gespannt, wie die durch die Gerichtentscheidungen im Eilverfahren nicht ausgeschlossene nachgelagerte Wahlprüfung ausgeht.

  2. Dr. Claus-Peter Becke sagt:

    In einer funktionierenden Demokratie sollte dem Wähler die Entscheidung darüber überlassen bleiben, wenn er in Ämter wählt und wen nicht. Die ‚matrialen‘ OVG-Gründe, die eine wohl politisch motvierte Entscheidung eines Wahlausschusses legitimieren sollen, hinterlassen mehr als nur ein Geschmäckle.

    Der renommierte Jurist Ulrich Vosgerau hat in der JF vom 26.8.25 darauf aufmerksam gemacht, dass die Joachim Paul zur Last gelegte Präsentation von Büchern Werke von Ernst Jünger betraf. Remigartion bedeutet das Gegenteil von Immigration, nämlich Rückkehr in ein Land, das zuvor verlassen worden war. Darüber hinaus ist Joachim Paul auf Lebenszeit verbeamteter Lehrer, der also tagtäglich Kinder unterrichtet, sofern er seinem Beruf nachgeht. Wie er sich dieser Aufgabe entledigt, weiß ich nicht.

    Ich weiß aber, dass es Kultusministerien gegeben hat, die ihre Lehrer angewiesen haben, Kinder ‚gegen Rechts‘ zu erziehen, d.h. faktisch Wahlkampf gegen die AfD im Unterricht als Lehrstoff weiterzugeben. Das verstößt zumindest gegen das Beamtengesetz, das aus guten Grünen Lehrer zu strikter Neutralität verpflichtet, um Kinder nicht in unzumutbare Konflikte zu stürzen.

    Dass Gerichte sich zu Erfüllungsgehilfen von politisch weisungsgebundenen Verfassungsschutzämtern machen, empfinde ich als höchst problematisch. Das zeigt, dass unser Land Gefahr läuft, das Prädikat, eine liberale Demokratioe zu sein, zu verspielen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Translate »