Elektronischer Widerrufsbutton

Gesetz zur Änderung des Verbrauchervertrags- und des Versicherungsvertragsrechts
Verbraucherinnen und Verbraucher sollen es künftig vielfach einfacher haben, wenn sie einen im Internet geschlossenen Vertrag widerrufen wollen: Unternehmen sollen verpflichtet werden, den elektronischen Widerruf per Schaltfläche (Button) zu ermöglichen. Diese und weitere Änderungen sieht ein Gesetzentwurf vor, den die Bundesregierung heute auf Vorschlag der Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz beschlossen hat.
Der Gesetzentwurf zur Änderung des Verbrauchervertrags-, des Versicherungsvertrags- sowie des Behandlungsvertragsrechts setzt insbesondere zwei EU-Richtlinien um:
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RL (EU) 2023/2673 zur Fernabsatzfinanzdienstleistung (bis 19.12.2025 umzusetzen, anwendbar ab 19.06.2026)
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RL (EU) 2024/825 zur Förderung nachhaltigen Konsums (bis 27.03.2026 umzusetzen, anwendbar ab 27.09.2026)
Zudem wird die EuGH-Rechtsprechung vom 26.10.2023 (C‑307/22) zur Unentgeltlichkeit der ersten Akteneinsicht in Patientenakten berücksichtigt.
Zusammenfassung der wesentlichen Änderungen
1. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
a) § 312 BGB – Anwendungsbereich bei Ausnahmen
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Präzisierung der Ausnahmen vom Widerrufsrecht, insbesondere bei:
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Notariellen Verträgen, soweit keine gesetzliche Pflicht zur Beurkundung besteht und über den Entfall des Widerrufs belehrt wurde.
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Sozialen Dienstleistungen (z. B. Kinderbetreuung, Langzeitpflege).
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Wohnraummietverträgen, allerdings gelten teilweise dennoch Informationspflichten (§§ 312b, c, d, g).
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b) § 312a BGB – Telefonische Vertragsabschlüsse
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Unternehmer müssen zu Beginn des Anrufs ihre Identität und den geschäftlichen Zweck offenlegen.
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Bei Finanzdienstleistungen: Hinweispflicht auf etwaige Gesprächsaufzeichnung.
**c) § 356a BGB – Elektronische Widerrufsfunktion
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Einführung einer verpflichtenden Widerrufsfunktion bei Online-Verträgen.
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Klare Bezeichnung („Vertrag widerrufen“, „Widerruf bestätigen“).
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Automatische Eingangsbestätigung auf dauerhaftem Datenträger.
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Zugang des Widerrufs wird bei rechtzeitiger Nutzung der Funktion fingiert.
d) § 356 BGB – Widerrufsfrist und Erlöschen
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Einführung einer absoluten Ausschlussfrist: spätestens 12 Monate und 14 Tage nach Beginn der Frist erlischt das Widerrufsrecht.
e) §§ 356c – 356f BGB – Besondere Widerrufsregeln
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Neue Regelungen zu Widerrufsfristen bei:
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Teilzeit-Wohnrechteverträgen
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Ratenlieferungsverträgen
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Verbraucherbauverträgen
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Unentgeltlichen Darlehensverträgen
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2. Einführungsgesetz zum BGB (EGBGB)
a) Artikel 246b – Vorvertragliche Informationspflichten bei Finanzdienstleistungen
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Detaillierte Pflicht zur Information über:
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Anbieter, Widerrufsrechte, Kommunikationswege
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Nachhaltigkeitsziele, Automatisierung, Vertragsmerkmale
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Anforderungen an barrierefreie Darstellung, insbesondere bei Menschen mit Behinderungen.
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Pflicht zur menschlichen Interaktion bei Online-Tools auf Wunsch des Verbrauchers.
b) Artikel 246e – Verbraucherrechteverletzungen als Ordnungswidrigkeiten
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Verletzungen bei digitalen Widerrufsfunktionen (z. B. keine Bestätigung) können mit Bußgeldern bis zu 4 % des Jahresumsatzes geahndet werden.
c) Artikel 246, 246a – Neuerungen im Bereich Nachhaltigkeit
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Kennzeichnungspflichten zu Haltbarkeit, Reparierbarkeit, Verfügbarkeit von Ersatzteilen
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Hinweis auf Mindestdauer für Softwareupdates bei digitalen Produkten
3. Versicherungsvertragsgesetz (VVG)
a) § 8 VVG – Widerrufsrechte
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Anpassung an digitale Fernabsatzverträge (Verweis auf § 356a BGB)
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Klare Voraussetzungen, wann der Widerruf beginnt und wann er erlischt
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Einbindung der Informationspflichten und Basisinformationsblätter bei bestimmten Produkten (z. B. PEPP, PRIIPs)
b) § 9 VVG – Rückabwicklung nach Widerruf
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Differenzierung nach Beginn des Versicherungsschutzes und Informationslage
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Möglichkeit, auch den Rückkaufswert statt gezahlter Prämien zurückzufordern (§ 152 VVG)
4. Behandlungsvertragsrecht (§§ 630f–630h BGB)
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Begriff der „Behandlungsakte“ ersetzt „Patientenakte“.
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Erste Kopie muss kostenlos zur Verfügung gestellt werden (EuGH C‑307/22).
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Einsichtsrechte gelten auch für Erben und nächste Angehörige (mit Kostenerstattung).
5. Weitere Gesetze
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Vermögensanlagengesetz & Kapitalanlagegesetzbuch: Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen richtet sich künftig ausschließlich nach dem BGB.
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Preisangabenverordnung: Redaktionelle Folgeänderung.
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SGB V und Maritime-Medizin-Verordnung: Anpassung des Begriffs „Behandlungsakte“.
Bewertung
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Die Umsetzung führt zu einer weitgehenden Harmonisierung im Bereich des Fernabsatzes – insbesondere bei Finanzdienstleistungen – und stärkt die digitale Widerrufsmöglichkeit.
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Gleichzeitig wird das bislang ewige Widerrufsrecht bei fehlender Belehrung effektiv begrenzt (12 Monate + 14 Tage).
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Die erhöhten Transparenzpflichten bei Nachhaltigkeitsinformationen, Reparierbarkeit und Updates stärken ökologisch motivierte Verbraucherschutzinteressen.
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Durch die hohen Bußgeldrahmen (§ 246e EGBGB) wird der Schutz durchsetzungsstärker ausgestaltet.
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Für Anbieter bedeutet dies erheblichen Umstellungsaufwand (104 Mio. Euro geschätzt), vor allem in technischen Systemen und Compliance.