Gefühlfakes – ein Phänomen unserer Zeit?

Fakten, Tatsachen, Fake News und Gefühlfakes: Ein Spannungsfeld und seine Auswirkungen auf die Informiertheit
1. Begriffliche Differenzierung: Fakten, Tatsachen, Fake News und Gefühlfakes
Fakten und Tatsachen: Im allgemeinen Sprachgebrauch werden Fakt und Tatsache oft synonym verwendet, um eine objektiv nachweisbare Gegebenheit zu beschreiben. Eine Tatsache ist ein wirklich nachweisbarer oder als wahr anerkannter Sachverhalt, der keiner subjektiven Bewertung unterliegt. Juristisch spricht man meist von Tatsachenbehauptungen, wenn es um Aussagen geht, die wahr oder falsch sein können (im Gegensatz zu Meinungsäußerungen, die Werturteile darstellen). Tatsachen sind demnach überprüfbare Fakten der Realität, während Meinungen oder Gefühle nicht diesem Wahrheitsbeweis zugänglich sind. In wirtschaftlichen und rechtlichen Kontexten wird Wert auf präzise Begriffsnutzung gelegt – so wird z.B. in Gerichtsverfahren klar zwischen Tatsachen (belegbaren Fakten) und Werturteilen getrennt, da nur erstere objektiv verifizierbar sind. Fakten/Tatsachen bilden also die Grundlage einer informierten Diskussion, da sie auf Evidenz beruhen und – idealerweise – universell anerkannt werden können.
Fake News: Der englische Begriff Fake News bedeutet wörtlich „gefälschte Nachrichten“ und bezeichnet absichtlich verbreitete Falschnachrichten oder irreführende Informationen, die den Anschein legitimer Nachrichtenmedien erwecken. Wichtig ist dabei die Täuschungsabsicht: Fake News werden meist gezielt erstellt, um bestimmte Vorteile zu erlangen – sei es kommerziell (durch Klickzahlen und Werbeeinnahmen) oder politisch (durch Beeinflussung der öffentlichen Meinung). Ursprünglich wurde der Begriff für reißerische Pseudo-Nachrichten im Internet verwendet, die keine journalistischen Standards erfüllen. Ein bekanntes Beispiel sind jugendliche Betreiber in Mazedonien, die 2016 erfundene Sensationsmeldungen publizierten, um via Clickbait Werbegeld zu verdienen. Diese anfängliche Form von Fake News diente primär kommerziellen Zwecken. Mit der Zeit verlagerte sich das Verständnis jedoch ins Politische: Insbesondere nach den überraschenden Ergebnissen beim Brexit-Referendum 2016 und der US-Wahl 2016 rückten gezielt politisch manipulative Falschmeldungen in den Fokus. Seither werden Fake News meist im Zusammenhang mit Desinformationskampagnen genannt, also als absichtsvoll verbreitete, erfundene oder verdrehte Nachrichten mit dem Ziel, Meinungen zu beeinflussen. Allerdings hat der Begriff durch politische Instrumentalisierung – etwa als Kampfbegriff, mit dem z.B. Donald Trump unliebsame Medienberichte pauschal als „Fake News“ abstempelte – an Trennschärfe verloren. Fachleute nutzen daher lieber präzisere Begriffe:
- Desinformation bezeichnet falsche oder irreführende Informationen, die bewusst in Täuschungsabsicht gestreut werden, z.B. staatliche Propaganda oder Lügen von politischen Akteuren. Klassisch war der Begriff für staatliche Einflusskampagnen reserviert (z.B. Eingriffe Russlands in ausländische Wahlen), wird heute aber auch für gezielte Lügen einheimischer Akteure verwendet, etwa falsche Versprechen oder Anschuldigungen im Wahlkampf.
- Misinformation (Fehlinformation) hingegen meint falsche Informationen, die ohne Absicht zur Täuschung verbreitet werden – z.B. wenn jemand unabsichtlich veraltete oder falsche Inhalte teilt, die er für wahr hält. Der Übergang ist fließend: In der Praxis ist es schwierig, Absicht von Irrtum zu unterscheiden, da die Motivation der Urheber und die Wirkung beim Empfänger nicht immer klar ersichtlich sind. Deshalb werden Fake News im weiteren Sinne oft als Oberbegriff für jegliche falsche/irreführende Meldungen genutzt.
Zusammenfassend sind Fake News also bewusst verbreitete falsche „Nachrichten“, die Tatsachen vortäuschen. Sie stehen im Gegensatz zu echten Fakten/Tatsachen. Rechtlich kann die Verbreitung von Fake News z.B. dann relevant werden, wenn Persönlichkeitsrechte verletzt (Verleumdung durch falsche Tatsachenbehauptungen) oder Volksverhetzung begangen wird – andernfalls fällt auch Desinformation zunächst unter Meinungsfreiheit. Die gesellschaftliche Gefahr von Fake News liegt jedoch darin, dass sie öffentliche Entscheidungen manipulieren und das Vertrauen in echte Fakten untergraben.
Gefühlfakes: Dieser noch ungebräuchliche Begriff lässt sich als „gefühlsbasierte Fälschungen“ verstehen – also Inhalte, die zwar nicht unbedingt klassische Falschmeldungen (faktisch überprüfbare Lügen) sein müssen, aber gezielt mit Emotionen operieren, um eine verzerrte Wirklichkeitswahrnehmung zu erzeugen. Gemeint ist damit vor allem das Phänomen der „gefühlten Wahrheit“, bei der Menschen Aussagen glauben oder weiterverbreiten, weil sie emotional stimmig oder plausibel wirken, nicht weil sie durch Fakten gedeckt sind. Gefühlfakes spielen mit Ängsten, Vorurteilen oder Wünschen der Leute: Sie verstärken Eindrücke, die subjektiv „im Bauch“ richtig erscheinen, auch wenn objektive Daten dem widersprechen. So kann z.B. die ständige Flut negativer Meldungen zu einem Thema (selbst wenn einzelne Meldungen für sich genommen nicht frei erfunden sind) das Gefühl einer Bedrohung schüren, die in diesem Ausmaß gar nicht real existiert. Psychologisch bleiben gerade negativ emotionale Inhalte – etwa Wut oder Angst auslösende Botschaften – länger im Gedächtnis und verbreiten sich leichter, weil Menschen solche Inhalte eifriger teilen (man will andere warnen oder seinem Ärger Luft machen). Diese „gefühlten Fakten“ können gefährlich sein, denn die gefühlte Wahrheit, dass etwas Bedrohliches in der Luft liegt, reicht völlig aus – ob die Bedrohung durch Fakten belegbar ist oder nicht. Mit Gefühlfakes könnte man also emotional aufgeladene Desinformation umschreiben: Narrative, Bilder oder Behauptungen, die gezielt Emotionen ansprechen, um Fakten in den Hintergrund zu drängen und ein bestimmtes (meist verzerrtes) Weltbild zu verankern. Anders gesagt: Während Fake News primär auf die Unterscheidung wahr/falsch bei Tatsachen abzielen, zielen Gefühlfakes auf die Wahrnehmungsebene – sie manipulieren Stimmungen und Gefühle, so dass das Publikum etwas für wahr hält, weil es sich „richtig anfühlt“.
Juristisch sind „Gefühlfälschungen“ schwer zu fassen, da sie oft keine klar falsche Tatsachenbehauptung enthalten, sondern mit halbwahren Andeutungen, emotionalen Appellen oder Meinungen arbeiten. In der öffentlichen Debatte jedoch rücken sie ins Zentrum, wenn von postfaktischen Zeiten die Rede ist – Zeiten, in denen Fakten weniger Beachtung finden als gefühlte Wahrheiten. Die wirtschaftliche und politische Relevanz liegt darin, dass Emotionen sich als äußerst wirksam erwiesen haben, um Klicks zu generieren und Menschen zu mobilisieren. Plattformen und Akteure, die mit Gefühlfakes arbeiten, profitieren davon, dass Erregung und Empörung Aufmerksamkeit binden (siehe Abschnitt 2).
2. Mechanismen der Wirkung: Wie Fake News und Gefühlfakes die Wahrnehmung beeinflussen
Fake News und emotional-manipulative Inhalte (Gefühlfakes) wirken auf mehreren Ebenen auf Individuen und Gesellschaft. Zum einen beeinflussen sie die Wahrnehmung der Wirklichkeit: Indem falsche oder verzerrte Informationen verbreitet werden, entsteht bei Teilen der Bevölkerung ein von den Fakten abweichendes Bild der Realität. Menschen glauben z.B. an angebliche „Tatsachen“, die gar nicht stimmen, oder sie überschätzen aufgrund emotionaler Schlagzeilen die Häufigkeit und Schwere von Problemen. Gefühlfakes verstärken diesen Effekt, indem sie mit unserer intuitiven Urteilsbildung spielen – vieles, was starke Gefühle anspricht, bleibt eher hängen. Psychologische Studien zeigen etwa, dass Menschen zur Bestätigung eigener Sichtweisen tendieren und Informationen, die Emotionen wie Überraschung oder Angst auslösen, eher teilen und erinnern. So können Desinformationen ein verzerrtes Wirklichkeitsgefühl erzeugen, in dem z.B. Verschwörungsmythen oder Stereotype als „irgendwie wahr“ empfunden werden, obwohl Faktenchecks das Gegenteil belegen.
Soziale Medien als Verstärker: Ein wesentlicher Wirkmechanismus ist die Struktur unserer modernen Informationsumgebung. Auf Plattformen wie Facebook, YouTube, Instagram & Co konkurrieren seriöse Fakten mit Meinungen, Gerüchten und gezielter Desinformation – oft ohne klare Trennung. Algorithmische Verstärkung spielt dabei eine große Rolle: Die Algorithmen sozialer Netzwerke sind darauf optimiert, die Nutzenden möglichst lange zu fesseln. Sie bevorzugen daher Inhalte, die hohe Interaktionsraten versprechen – und das sind häufig solche, die starke Emotionen wecken. Wie Datenanalysen zeigen, belohnen Algorithmen Inhalte, die Emotion hervorrufen, insbesondere Empörung und Wut, weil solche Posts häufiger geklickt, geliked oder kommentiert werden. Seriöse, nüchterne Faktenberichte haben es im Wettbewerb um Aufmerksamkeit schwerer als polarisierende, emotionalisierte Darstellungen. Parteipolitische und boulevardeske Medien haben hier einen Vorteil: Mit vereinfachenden, empörenden Botschaften erreichen sie mehr Engagement als ausgewogene, komplexe Analysen. So entstehen Echo-Kammern und Filterblasen, in denen Nutzer vor allem solche (Des-)Informationen sehen, die ihre bereits vorhandenen Gefühle und Überzeugungen bedienen. Dieser Mechanismus verstärkt Fake News und Gefühlfakes in bestimmten Gruppen.
Wahrnehmung von Wirklichkeit: Durch die ständige Wiederholung und Verbreitung von Falschinformationen oder emotional gefärbten Halbwahrheiten sinkt die Fähigkeit, Realität von Fiktion zu unterscheiden. Zum Beispiel kann massenhafte Desinformation über migrantische Straftaten den Eindruck erwecken, es gäbe eine „explodierende Kriminalität“ – selbst wenn die Statistik das nicht hergibt. Die gefühlte Wahrheit überlagert die empirische Realität. Untersuchungen zeigen, dass radikalisierte Teilöffentlichkeiten gezielt nach Informationen suchen, die ihre Sicht stützen, und unbequeme Fakten ausblenden. Solche Gruppen verwenden Information regelrecht als Waffe, um Gegner anzugreifen, und schrecken auch nicht davor zurück, bewusst Unwahrheiten zu teilen, solange diese ihrem Zweck dienen. Durch diese Mechanismen können Fake News & Co. die gesellschaftliche Wirklichkeitswahrnehmung fragmentieren: Anstatt eines gemeinsamen Konsenses über Tatsachen gibt es parallel existierende „Wahrheiten“ verschiedener Lager.
Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse: Fake News und emotionale Desinformation beeinflussen Wahlen und politische Entscheidungen, indem sie die öffentliche Meinungsbildung verzerren. Insbesondere in Wahlkampfzeiten wird der Effekt deutlich: So waren etwa im US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 zahllose falsche Meldungen im Umlauf, die darauf abzielten, Kandidat:innen zu schaden oder zu unterstützen. Nachgewiesenermaßen mischten auch ausländische Akteure mit – die russische „Internet Research Agency“ verbreitete z.B. gezielt Pro-Trump und Anti-Clinton-Inhalte, um das Wahlergebnis zu beeinflussen. Aber auch innerhalb von Ländern setzen politische Gruppen Falschinformationen ein (etwa erfundene Behauptungen über Konkurrenten). Gefühlfakes spielen hier insofern eine Rolle, als sie Wählerinnen und Wähler emotional ansprechen: Ein Bürger, der verängstigt oder wütend ist (z.B. wegen dramatisierter Geschichten über Kriminalität, Korruption oder Bedrohungen), lässt sich leichter in seinem Abstimmungsverhalten beeinflussen. Wahrnehmungsverzerrung durch Desinformation kann somit Wahlentscheidungen verfälschen – etwa wenn ein signifikanter Teil der Bevölkerung falsche Überzeugungen hat (Beispiel: Verschwörungsmythen zur Briefwahl führten dazu, dass Millionen Amerikaner das legitime Wahlergebnis 2020 für gefälscht hielten). Allerdings muss man auch relativieren: Neuere Forschungen deuten darauf hin, dass Fake News in der Breite zwar stark gefürchtet werden, ihr direkter Einfluss aber oft überschätzt wird. Häufig predigen sie vor allem den bereits Überzeugten. So ergaben Inhaltsanalysen, dass im Durchschnitt weniger als 1% der Inhalte, die Nutzer konsumieren, als Fake News eingestuft werden können – der Großteil der Nachrichten stammt weiterhin aus etablierten seriösen Quellen. Zudem stolpert ein unvoreingenommener Bürger nicht zufällig über Desinformation und ändert spontan seine politische Einstellung; vielmehr sind es oft schon politisch oder ideologisch motivierte Personen, die gezielt nach konformen (auch irreführenden) Inhalten suchen und diese teilen. Dennoch: In eng umkämpften Entscheidungsprozessen könnten Desinformationen als Zünglein an der Waage wirken, zumal sie das Vertrauen in offizielle Informationen schwächen (wenn z.B. rund um eine Wahl Gerüchte gestreut werden, das Wahlsystem sei manipuliert, kann dies die Legitimität der Entscheidung in den Augen vieler untergraben).
Auswirkungen auf den gesellschaftlichen Diskurs: Fake News und Gefühlfakes haben das Potenzial, den öffentlichen Diskurs zu vergiften. Indem sie Fakten durch Behauptungen ersetzen und Gegner delegitimieren, fördern sie Polarisierung und Misstrauen. Ein Beispiel: Parteiische Medien oder Social-Media-Influencer mit starker Schlagseite stellen die eigene Weltsicht als einzige Realität dar und diffamieren alle abweichenden Informationen als „Lügenpresse“ oder „Fake“. Damit wird das Vertrauen in traditionelle Medien untergraben und ein konstruktiver Diskurs erschwert. Die Debattenkultur leidet, weil nicht mehr über Lösungen gestritten wird, sondern über die grundlegenden Fakten – oder weil Emotionen die Sachlichkeit verdrängen. Außerdem können Fake News Debatten kapern: Politiker oder Medien sehen sich gezwungen, auf falsche Behauptungen einzugehen (Faktenchecks, Dementis), was ironischerweise die Aufmerksamkeit auf die Falschinformation erst richtig lenken kann. Studien sprechen hier vom „Amplification-Effekt“: Die größte Verbreitung erfahren manche Fake News erst, wenn seriöse Medien sie aufgreifen – sei es, weil ein Prominenter eine Unwahrheit in einem Interview äußert und darüber berichtet wird, oder weil Medien die Falschnachricht widerlegen wollen und sie dadurch einem breiteren Publikum bekannt machen. In jedem Fall tragen solche Dynamiken dazu bei, dass öffentliche Diskussionen sich um Gerüchte statt um Fakten drehen. Extrempositionen verfestigen sich, da Gruppen zunehmend in separaten Realitäten leben.
Zusammengefasst wirken Fake News und Gefühlfakes wie Sand im Getriebe der demokratischen Öffentlichkeit: Sie säen Zweifel, wo eigentlich Klarheit herrschen sollte, und sie emotionalisieren, wo Nüchternheit angebracht wäre. Das Ergebnis ist oft eine verunsicherte, gespaltene Gesellschaft, in der gemeinsames Problemlösen schwieriger wird.
3. Empirische Daten: Verbreitung von Desinformation, Mediennutzung und emotionale Manipulation
Eine Reihe aktueller Studien beleuchtet das Ausmaß von Desinformation, das Vertrauen in Medien sowie Nutzungsgewohnheiten im deutschsprachigen Raum und international. Zunächst zur Verbreitung von Fake News allgemein: Wie erwähnt, legen Inhaltsanalysen nahe, dass gemessen am gesamten Medienkonsum der Anteil bewusst falscher Nachrichten relativ gering ist – unter 1% des durchschnittlich Gesehenen im Internet. Auch auf Social-Media-Plattformen wurden in einer gründlichen US-Studie etwas höhere, aber immer noch kleine Anteile gefunden (leicht über 1%, auf Facebook etwas mehr). Daraus folgt, dass Fake News in der Breite der Bevölkerung keine dominierende Informationsquelle sind. Allerdings konzentriert sich Desinformation stark in bestimmten Teilgruppen: In politisch oder weltanschaulich homogenen Online-Communities – etwa Telegram-Gruppen von Impfgegnern während der Covid-19-Pandemie oder Facebook-Gruppen radikaler Einwanderungsgegner 2015 – kann der Anteil falscher/irreführender Inhalte sehr hoch sein. Zudem gibt es „Super-Spreaders“: Einzelne Meinungsführer mit großer Gefolgschaft tragen überproportional zur Verbreitung bei. So verbreitete der frühere US-Präsident Trump fortlaufend falsche Behauptungen, die von seinen Anhängern begeistert aufgenommen und geteilt wurden. Einige Studien zeigen, dass gerade eine kleine Gruppe sehr aktiver Nutzer den Großteil der Fake-News-Links teilt – teils sogar im Bewusstsein der fragwürdigen Qualität des Inhalts, allein weil die Meldung politisch nützlich scheint.
Mediennutzung und Vertrauen im deutschsprachigen Raum: In Deutschland, Österreich und der Schweiz ist die Nachrichten-Nutzung weiterhin durch klassische Medien geprägt, jedoch mit starken Generationsunterschieden. Laut Digital News Report (DNR) 2023/24 beziehen in Österreich insgesamt noch 30% der Menschen Nachrichten hauptsächlich aus dem Fernsehen, aber bei unter 25-Jährigen sind soziale Medien bereits die wichtigste Nachrichtenquelle (37% nennen Social Media als primären Zugang). Ähnlich ist der Trend in Deutschland und der Schweiz: Jüngere informieren sich überproportional über Instagram, YouTube, TikTok und Messenger, während Ältere stärker TV, Radio und Zeitungen nutzen. Eine österreichische Studie „Jugendliche im Fake-News-Dilemma“ 2023 zeigt eindrücklich, dass 80% der Jugendlichen in Österreich soziale Netzwerke mindestens wöchentlich für aktuelle Infos nutzen, YouTube sogar 75% – weit mehr als traditionelle Nachrichtenseiten (39%) oder TV-Nachrichten (54%). Das Problem: Die meistgenutzten Quellen werden von den Jugendlichen selbst als am wenigsten glaubwürdig eingeschätzt. Nur 8% der jungen Nutzer finden soziale Netzwerke „sehr glaubwürdig“ und 10% YouTube. Am höchsten bewerten sie Wikipedia (25% „sehr glaubwürdig“) und danach klassische Medien wie Radio (21%) oder TV (20%), doch diese werden von der Jugend immer seltener konsumiert. Ein paradoxes Bild: Junge Menschen verlassen sich für News auf Kanäle, denen sie misstrauen, während die vertrauenswürdig erscheinenden Medien von ihnen wenig genutzt werden.
Dieses Muster trägt zur Verunsicherung bei: Tatsächlich fühlen sich fast die Hälfte (49%) der Jugendlichen oft unsicher, ob Informationen im Internet wahr sind. Vielen fehlt es aber an Kompetenzen oder Motivation zur Verifikation: Nur 22% kennen überhaupt Faktencheck-Seiten wie Mimikama oder Correctiv, und lediglich 12% nutzen solche Angebote. Stattdessen verlässt sich die Hälfte der Jugendlichen bei der Beurteilung der Wahrheit auf ihr Bauchgefühl – oder sie fragen Eltern bzw. vergleichen mehrere Quellen oberflächlich. Hier zeigen sich deutlich die Gefahren der „gefühlten Wahrheit“: Was emotional stimmig scheint, wird geglaubt oder weitergeleitet – jeder Zweite junge Mensch gibt zu, Nachrichten ungeprüft zu teilen.
Vertrauen in Nachrichtenquellen: Generell ist im deutschsprachigen Raum das Vertrauen in etablierte Medien relativ hoch, aber mit leichter Abwärtstendenz in den letzten Jahren. Laut Reuters Institute Digital News Report 2024 gaben in der Schweiz 46% der Befragten an, dass sie den Nachrichten „im Allgemeinen“ vertrauen – ein Anstieg um 5 Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr. Damit liegt die Schweiz über dem globalen Durchschnitt (~40%) und deutlich vor Ländern wie den USA. In Österreich liegt der Anteil, der Nachrichten generell vertraut, bei ca. 41%. Die Universität Salzburg berichtet, dass das Österreich-Ergebnis im internationalen Mittelfeld rangiert (Platz 21 von 48 untersuchten Ländern). In Deutschland schwanken die Angaben je nach Studie: Das Mainzer „Medienvertrauen“ Projekt misst regelmäßig ein relativ stabiles Grundvertrauen in öffentlich-rechtliche Medien (über 60% halten ARD/ZDF für vertrauenswürdig), während etwa ein Fünftel bis ein Viertel der Deutschen medienzynisch sind (glauben, Medien und Politik würden gemeinsame Sache machen, um die Öffentlichkeit zu manipulieren). Insgesamt vertrauen deutschen Medien noch deutlich mehr Menschen als z.B. Institutionen wie der Politik oder Kirche. Dennoch fühlt sich auch in Deutschland eine wachsende Minderheit durch „Lügenpresse“ und Co. bestätigt.
Desinformationswahrnehmung: Interessant sind Umfragen, wie groß die Bevölkerung das Problem von Fake News einschätzt. Eine repräsentative Bertelsmann-Studie 2023/24 ergab, dass 84% der Deutschen Desinformation als großes oder sehr großes gesellschaftliches Problem sehen. 81% sind der Ansicht, gezielte Falschinformationen gefährden die Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Über 90% glauben, dass die Urheber solcher Desinfos beabsichtigen, die politische Meinung der Bevölkerung zu beeinflussen; ähnlich viele sehen das Ziel, Wahlergebnisse zu manipulieren (86%) oder die Gesellschaft zu spalten (84%). Diese hohe Sensibilisierung deutet darauf hin, dass die Leute Fake News als reale Gefahr wahrnehmen. Allerdings zeigt sich auch ein „Third-Person-Effekt“: 70% der Deutschen meinen, Desinformation sei vor allem für andere Menschen ein großes Risiko, während nur 16% glauben, selbst in Gefahr zu sein, auf Fakes hereinzufallen. Viele halten sich persönlich für immun, sorgen sich aber um die Beeinflussung ihrer Mitbürger – was die allgemeine Beunruhigung erklärt. Gleichzeitig fühlen sich rund 50% häufig unsicher, ob Informationen im Internet wahr sind, insbesondere Jüngere und Personen mit geringem Medienvertrauen zweifeln oft am Wahrheitsgehalt online gefundener Informationen. Als Hauptquellen für Falschinformationen werden Soziale Medien ausgemacht – vor allem TikTok, Twitter (X) und Facebook gelten laut Umfragen als Nährböden für Unwahrheiten.
Internationaler Vergleich: In den USA ist die Problemlage noch akuter: Die Gesellschaft ist stark polarisiert, was sich auch in der Wahrnehmung von Fake News zeigt. 67% der US-Amerikaner sind unsicher über den Wahrheitsgehalt von Online-Informationen (deutlich mehr als in Deutschland). Sowohl links- als auch rechtsgerichtete Lager beschuldigen sich gegenseitig, Desinformation zu verbreiten, und Politiker werden dort häufiger direkt für Desinformation verantwortlich gemacht. Interessanterweise halten sich Amerikaner weniger für unverwundbar als Deutsche – 39% der US-Bürger sorgen sich, selbst getäuscht zu werden (gegenüber nur 16% in DE). Möglicherweise führt das zu etwas kritischeren Konsumgewohnheiten: Amerikaner überprüfen Inhalte eigenen Angaben nach häufiger auf Korrektheit. Nichtsdestotrotz sind in den USA die negativen Effekte (Verunsicherung, Vertrauensverlust) noch stärker ausgeprägt, was sich z.B. daran zeigt, dass das Vertrauen in die Medien dort mit rund 26% (2023) sehr niedrig ist – Folge einer jahrelangen parteipolitischen Medienschelte. Skandale um Fake News (real und behauptet) haben in den USA zu einem Lagerdenken geführt, in dem jede Seite die andere der Lüge zeiht.
Emotionalität und digitale Plattformen: Empirische Studien bestätigen, dass Emotion ein Treiber für die Viralität von Falschinformationen ist. Eine vielbeachtete Untersuchung des MIT (publiziert 2018 in Science) analysierte Millionen Tweets und kam zum Ergebnis: Falsche Meldungen auf Twitter werden signifikant schneller und weiter verbreitet als wahre. Konkret hatten unwahre Tweets etwa 70% höhere Wahrscheinlichkeit, retweetet zu werden als Fakten-Posts. Politische Fake News erzielten die größte Reichweite, besonders in Wahljahren vermehrte sich ihre Verbreitung lawinenartig. Die Forscher stellten fest, dass nicht Bots, sondern hauptsächlich Menschen für diese rasche Verbreitung verantwortlich sind. Der Grund liegt in der Psychologie der Nutzer: Unwahre Inhalte wirken oft neuartiger und aufregender und lösen stärkere Emotionen wie Überraschung, Angst oder Ekel aus, während wahre Nachrichten tendenziell nüchterner oder trauriger stimmen. Menschen „mögen Neues“ – wer z.B. eine sensationelle falsche Story teilt, kann damit kurzfristig Aufmerksamkeit erlangen und sich interessant machen. Zudem bevorzugen viele Menschen Informationen, die ihre bestehenden Ansichten bestätigen (Confirmation Bias). So tragen Emotionen und Voreinstellungen dazu bei, dass Fake News trotz ihrer geringeren Menge eine unverhältnismäßig große Wirkung im Netz entfalten. Eine weitere Erkenntnis der Studie: Negative Meldungen (Skandale, Gerüchte, Gefahren) bleiben eher hängen. Forscher beobachteten, dass falsche Storys häufig mit Angst und Empörung einhergingen, während wahrheitsgemäße Berichte häufiger Vertrauenswürdigkeit und geringere Erregung hervorriefen. Diese emotionale Schieflage erklärt, warum z.B. Verschwörungsmythen (die oft dramatisch und empörend sind) in gewissen Communities extrem viral gehen, wohingegen Richtigstellungen meist sachlich-trocken daherkommen und weniger spannend wirken.
Insgesamt zeichnen die Daten ein Bild, in dem Desinformation zwar nicht massenhaft jeden erreicht, aber dennoch erhebliche Risiken birgt: Die Mehrheit der Menschen erkennt die Gefahr und ist besorgt, gleichzeitig wächst aber auch Unsicherheit und Zynismus. Im digitalen Raum sorgen technische Mechanismen und psychologische Faktoren dafür, dass Fake News und Gefühlfakes sich gezielt dort ausbreiten, wo sie auf fruchtbaren Boden treffen – sei es durch algorithmische Empfehlung an empfängliche Zielgruppen oder durch selbstverstärkende Dynamiken in Communitys.
4. Auswirkungen auf die Informiertheit von Gesellschaft und Individuum
Angesichts der obigen Befunde stellt sich die Frage, welche Folgen Fake News und emotionale Desinformation für die Fähigkeit der Menschen haben, sich informierte Meinungen zu bilden und fundierte Entscheidungen zu treffen.
Kollektive Informiertheit und demokratische Willensbildung: Auf gesellschaftlicher Ebene besteht die größte Gefahr darin, dass Fake News und Gefühlfakes einen gemeinsamen Wissens- und Faktenbasis erodieren. Demokratien leben davon, dass Bürger über wichtige Themen zumindest ein Mindestmaß an übereinstimmender Faktenkenntnis haben – nur so können sie auf rationaler Grundlage diskutieren und entscheiden. Wenn aber große Gruppen an völlig unterschiedliche „Wahrheiten“ glauben, wird der rationale Diskurs extrem schwierig. Beispielsweise erschwert die Verbreitung von Verschwörungsmythen (etwa dass Klimawandel eine Lüge sei, oder Wahlen systematisch gefälscht würden) die Umsetzung von Mehrheitsentscheidungen oder notwendigen Maßnahmen, weil immer ein Teil der Öffentlichkeit an der Legitimität zweifelt. Das Vertrauen in Institutionen und wissenschaftliche Expertise sinkt, wenn Desinformation diesen immer wieder Illoyalität oder Betrug unterstellt. So geben 81% der Deutschen an, dass Desinformation das Vertrauen in Politik, Parteien und Medien untergräbt – ein Befund, der illustriert, wie der ständige Strom an Falschbehauptungen ein Klima der Skepsis schafft. In der Tat zeigen Langzeitstudien einen Anstieg des „Medienzynismus“: Rund ein Viertel der Deutschen glaubt heute, Medien und Politik steckten unter einer Decke, um die öffentliche Meinung gezielt zu manipulieren. Solche Einstellungen werden von populistischen Narrativen („Lügenpresse“, „Deep State“) befeuert, die oft auf Fake News fußen. Die Folge ist eine gespaltene Öffentlichkeit: Auf der einen Seite diejenigen, die etablierten Quellen vertrauen, auf der anderen jene, die alternative Medien oder Gerüchten mehr glauben. Dadurch fragmentiert sich die Informiertheit – es gibt nicht mehr die informierte Gesellschaft, sondern parallel informierte und desinformierte Teilgesellschaften.
Die Fähigkeit der Gesellschaft, kollektiv informierte Entscheidungen zu treffen, wird dadurch erheblich beeinträchtigt. Zum einen kann es zu falschen politischen Entscheidungen kommen, wenn Wählermehrheiten aufgrund von Fehlinformationen entscheiden. (Man denke an Brexit: Hier spielten nachweislich irreführende Behauptungen – z.B. über finanzielle Vorteile eines EU-Austritts – eine Rolle in der Meinungsbildung. Ob sie das Ergebnis kippten, ist umstritten, aber sie trugen zur Stimmung bei.) Zum anderen droht eine Erosion des rationalen Diskurses: Wenn Fakten nicht mehr überzeugen können, weil jede Seite ihre „eigenen Fakten“ hat oder Fakten überhaupt als relativ abgetan werden („postfaktisches Zeitalter“), dann verliert das bessere Argument an Gewicht. Extreme Gruppierungen nutzen dies aus, indem sie die Informationsflut gezielt mit Desinformation fluten. Das kann dazu führen, dass Moderatere Stimmen untergehen oder dass die Öffentlichkeit „Informationsmüdigkeit“ entwickelt und wichtige Themen meiden.
Individuelle Informiertheit und Entscheidungsfindung: Für das einzelne Individuum können Fake News und Gefühlfakes dazu führen, dass es fehlgeleitete Entscheidungen im Alltag trifft. Das Spektrum reicht von relativ banalen Fehlentscheidungen (z.B. jemand kauft ein nutzloses „Wundermittel“, weil er einer Falschbewertung online glaubt) bis zu gravierenden Konsequenzen (z.B. jemand verweigert aus Angst vor erfundenen Impfschäden eine lebensrettende Impfung, oder fällt auf Finanzbetrug herein). Besonders kritisch ist der Einfluss auf Wahlentscheidungen und politische Haltung des Einzelnen: Wer kontinuierlich mit Desinformation gefüttert wird – etwa durch abonnierten Fake-News-Kanäle oder in einschlägigen Gruppen – entwickelt ein verzerrtes Weltbild und könnte seine Stimme anders abgeben, als er es mit neutraler Information getan hätte. Auch die Teilnahme am gesellschaftlichen Diskurs kann leiden: Einige Menschen reagieren auf das Durcheinander von Wahrheiten und Lügen mit Rückzug (Nachrichtenvermeidung). Tatsächlich zeigen Studien, dass Nachrichtenskepsis und Überforderung zunehmen – in der Schweiz z.B. geben 39% an, aktiv Nachrichten zu meiden, teils weil sie als zu negativ empfunden werden. Dieses Phänomen der „News Avoidance“ steht im Zusammenhang mit Desinformation insofern, als viele Menschen der täglichen Flut auch deshalb entgehen wollen, weil sie nicht mehr sicher wissen, welchen Informationen sie trauen können, und weil die ständige Empörung (oft durch Gefühlfakes geschürt) ihnen aufs Gemüt schlägt. Doch wer wichtige Nachrichten meidet, reduziert seine Informiertheit und läuft wiederum Gefahr, anfälliger für einfache Parolen zu werden.
Ein weiteres Problem ist, dass Desinformation nicht nur falsches Wissen induziert, sondern auch echtes Wissen verdrängt: Wenn z.B. in sozialen Medien Verschwörungstheorien aggressive Präsenz zeigen, beschäftigen sich Menschen mehr mit diesen Irrlichtern als mit verlässlichen Informationen. Zeit und kognitive Ressourcen sind begrenzt – was an Aufmerksamkeit auf Fakes entfällt, fehlt für seriöse Aufklärung. Überdies führt die inflationäre Behauptung von Fake News dazu, dass Vertrauen schwindet: Manche Bürger glauben schließlich gar nichts mehr und werden zynisch („Man kann ja niemandem trauen“). Dieser Zustand der informationalen Apathie ist demokratisch ebenso problematisch wie aktiver Glaube an Lügen, denn ein zynischer, desillusionierter Bürger zieht sich aus der Debatte zurück oder stimmt nur noch protesthalber ab.
Schließlich beeinflussen Fake News und Gefühlfakes die emotional-kognitive Verfassung der Menschen: Dauernde Konfrontation mit alarmierenden, wütend machenden Inhalten – seien sie wahr oder falsch – kann Angst, Wut, Hilflosigkeit erzeugen. In einem solchen Zustand fällt es schwer, nüchterne Entscheidungen zu treffen. Die Informiertheit im Sinne von Verstehen der Zusammenhänge sinkt, wenn Emotionen den Blick verstellen. Desinformation kann also gezielt die Urteilsfähigkeit beeinträchtigen, indem sie Rationalität durch Affekt ersetzt.
Zusammengefasst: Die allgemeine Informiertheit leidet sowohl qualitativ (falsches bzw. verzerrtes Wissen verbreitet sich) als auch quantitativ (viele ziehen sich frustriert aus der Informationssuche zurück). Die kollektive Entscheidungsfindung – etwa in Wahlen oder öffentlichen Debatten – wird unsachlicher, polarisierter und anfälliger für Manipulation. Nicht umsonst sehen über 80% der Deutschen in Desinformation eine Gefahr für Demokratie und Zusammenhalt. Diese Gefahr äußert sich darin, dass informierte Konsensbildung immer schwieriger wird, je mehr Desinformation den Diskurs zersetzt.
5. Handlungsmöglichkeiten: Strategien gegen Fake News und Gefühlfakes
Angesichts der beschriebenen Herausforderungen werden in Politik, Medien und Zivilgesellschaft diverse Gegenmaßnahmen diskutiert und teils bereits umgesetzt. Ein Mix aus Aufklärung, Regulierung und technischer wie gesellschaftlicher Anpassung scheint nötig, um der Wirkung von Fake News und Gefühlfakes entgegenzuwirken. Im Folgenden die wichtigsten Ansatzpunkte:
- Bildung und Medienkompetenz: Weitgehender Konsens besteht, dass langfristig nur ein aufgeklärtes, kritisches Publikum der Desinformationsflut standhalten kann. Daher wird vermehrt gefordert, Medienkompetenz schon in Schulen und durch öffentliche Kampagnen zu fördern. Menschen jeden Alters sollen lernen, Informationen kritisch zu hinterfragen, Quellen einzuschätzen und emotionale Beeinflussung zu erkennen. Klassische Bildungsinitiativen umfassen z.B. Unterrichtsmaterial zu Nachrichten- und Social-Media-Kompetenz, Schulungen für Lehrkräfte, Aufklärungskampagnen in sozialen Netzwerken und Kooperationen mit Jugendorganisationen. Innovative Ansätze setzen auf „Prebunking“ und „Inoculation“: So genannte Serious Games oder interaktive Online-Trainings sensibilisieren spielerisch für typische Manipulationstechniken. Experimente zeigen, dass solche Impfungen gegen Fake News die Nutzer befähigen können, Desinformation besser zu erkennen und weniger weiterzuverbreiten. Allerdings wirken diese Effekte oft nur kurzfristig, sodass kontinuierliche Bildung nötig ist. Auch Organisationen wie die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) bieten umfangreiche Infos, Ratgeber (z.B. spielbar.de für Games gegen Fake News) und Aufklärungstexte. Medienhäuser selbst versuchen ebenfalls, ihr Publikum mitzunehmen: Viele Nachrichtenseiten haben Rubriken wie „Faktencheck“ oder klären in Meta-Berichten über Desinformation auf. Medienkompetenz bedeutet letztlich, dass Bürger Fakten von Meinungen unterscheiden können, seriöse von unseriösen Quellen trennen und sich der eigenen emotionalen Anfälligkeiten bewusst werden. Studien deuten an, dass hohe Medienkompetenz und generelles Vertrauen in Nachrichtenquellen die Wahrscheinlichkeit senken, auf Fake News hereinzufallen. Daher sind Bildungsmaßnahmen zentral.
- Faktenprüfung und Korrekturmechanismen: Eine direkte Reaktion auf Fake News ist der Faktencheck: Nachrichtenredaktionen, unabhängige Organisationen (Correctiv, Mimikama, AFP Factcheck etc.) und engagierte Bürger prüften in den letzten Jahren tausende virale Behauptungen und stellten richtig, was falsch war. Diese Richtigstellungen bleiben wichtig, um zumindest jenen, die nach Wahrheit suchen, eine Überprüfung zu bieten. Allerdings, wie in Abschnitt 2 erwähnt, stoßen Faktenchecks an Grenzen: Sie erreichen oft nicht die Zielgruppen, die bereits fest an die Falschinfo glauben, und können manchmal sogar den falschen Inhalt weiter verbreiten, indem sie ihn überhaupt erst bekannt machen. Dennoch zeigen Experimente, dass Faktenchecks Wissen korrigieren können, besonders bei empfänglichen Personen. Um ihre Wirksamkeit zu erhöhen, werden verschiedene Taktiken eingesetzt: besseres Auffindbar-Machen (z.B. Google markiert verifizierte Faktenchecks in den Suchergebnissen), kuratierte Plattformen (Facebook und Twitter haben zeitweise strittige Posts mit Hinweisen oder Links zu Faktenchecks versehen, z.B. während der Pandemie oder US-Wahl), sowie Zusammenarbeit mit Multiplikatoren. In einigen Ländern müssen politische Werbung oder verdächtige Posts mit Warnhinweisen versehen werden. Ein neuer Ansatz sind „Accuracy-Prompts“ – kleine Pop-up-Hinweise, die Nutzer z.B. beim Teilen fragen: „Haben Sie den Artikel gelesen? Sind Sie sicher, dass die Info stimmt?“. Studien haben gezeigt, dass solche Nudges tatsächlich manche vom unbedachten Teilen falscher Inhalte abhalten können. Allerdings greifen auch sie nur begrenzt, da wie erwähnt die Hardcore-Teiler oft bewusst agieren. Nichtsdestotrotz: Ein Netz an professionellen Faktencheckern verbunden mit technischen Warnsystemen auf großen Plattformen kann zumindest die offensichtlichsten Fakes eindämmen. Wichtig ist dabei die Balance, um Zensurvorwürfen vorzubeugen – Faktenchecks sollten transparent, neutral und nachprüfbar sein, damit sie Vertrauen genießen.
- Technische Lösungen und Plattform-Verantwortung: Große digitale Plattformen (Facebook/Meta, YouTube/Google, TikTok, Twitter/X etc.) stehen in der Kritik, nicht genug gegen die Verbreitung von Desinformation zu tun. Dabei können sie technisch einiges unternehmen: Erkennung und Entfernung von Fake Accounts und Bots (viele Desinfo-Kampagnen arbeiten mit automatisierten Profilen – diese zu löschen vermindert die Reichweite falscher Inhalte), Drosselung der algorithmischen Verstärkung für erwiesenermaßen falsche Inhalte (z.B. Downranking in Feeds), Kennzeichnung zweifelhafter Quellen (ein oft vorgeschlagener Schritt: Hinweise auf Quellenqualität einblenden). Tatsächlich hat sich seit 2016 einiges bewegt: Facebook gründete ein „Integrity“-Team, Twitter führte Richtlinien gegen „manipulated media“ und kennzeichnete z.B. staatliche Propaganda-Kanäle, YouTube entfernte tausende Videos mit Falschinformationen zu Covid-19 und sperrte prominente Desinformationsverbreiter. Doch oft kamen Maßnahmen erst ex post. Die EU hat mit Tech-Firmen einen Verhaltenskodex gegen Desinformation vereinbart (erstmals 2018, verstärkt 2022), in dem sich die Plattformen freiwillig zu Schritten verpflichten wie Transparenz bei politischen Ads, Entmonetarisierung von Fake-News-Seiten, Kooperation mit Factcheckern etc.. Dieser Kodex ist inzwischen Teil des neuen EU-Gesetzespakets: dem Digital Services Act (DSA). Der DSA (in Kraft seit 2024) zwingt große Online-Plattformen, Risiken für die Gesellschaft – explizit genannt werden auch Desinformationen – zu analysieren und Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Verstöße können mit hohen Geldstrafen geahndet werden. Deutschland hatte bereits 2018 mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) einen rechtlichen Rahmen geschaffen, der Plattformen zur schnellen Löschung offensichtlich rechtswidriger Inhalte verpflichtet. Auch wenn das primär auf Hate Speech zielte, tangiert es Desinformation insoweit, als volksverhetzende oder friedensgefährdende Falschmeldungen darunter fallen können. Österreich und andere Länder erließen ähnliche Gesetze (Kommunikationsplattformen-Gesetz). Zudem gibt es Überlegungen, Plattformen zur Einbindung von Faktenchecks und Vertrauenslabels zu verpflichten. Experten fordern, dass Nutzer einfacher Inhalte melden und prüfen können, sowie unabhängiges Monitoring digitaler Inhalte durch Wissenschaft und Medien gefördert wird. Kurz: Die großen Player sollen proaktiv Verantwortung übernehmen, Desinformation einzudämmen, statt nur auf öffentlichen Druck zu reagieren.
- Regulierung und staatliche Initiativen: Neben Selbstverpflichtungen der Industrie greifen Staaten und internationale Organisationen regulierend ein. Die EU betreibt z.B. seit einigen Jahren die Plattform EU vs Disinfo, welche Desinformationsfälle (v.a. aus russischen Quellen) dokumentiert und richtigstellt. Zudem wurde das European Digital Media Observatory (EDMO) geschaffen – ein Netzwerk aus Medien und Forschungsinstituten in Europa, das Desinformationskampagnen aufspürt und analysiert. Nationale Regierungen starten Informationskampagnen (z.B. das deutsche Innenministerium zu „Fakten gegen Fakes“ während Corona) oder fördern zivilgesellschaftliche Projekte. Allerdings ist staatliches Eingreifen inhaltlich heikel – eine Zensur staatlicherseits soll vermieden werden. Daher setzt man eher auf Transparenz und Förderung: Gesetze zur Werbekennzeichnung (damit z.B. politische Botschaften als Anzeige erkennbar sind), Transparenzpflichten für Plattform-Algorithmen, Unterstützung für Qualitätsjournalismus und lokale Nachrichten (damit vertrauenswürdige Informationen verfügbar bleiben) und Monitoring von Wahlkampfmedien. Juristisch wird diskutiert, ob Verbreitung grob fahrlässiger Falschinformationen sanktioniert werden kann – hier prallen aber Meinungsfreiheit und Schutz vor Lüge aufeinander. Einig ist man sich, dass ausländische Desinformationsangriffe (z.B. Cyberpropaganda durch fremde Staaten) aufgedeckt und abgewendet werden müssen – Behörden kooperieren hier international.
- Stärkung des Qualitätsjournalismus: Ein oft genannter Ansatz ist, der Desinformation eine starke, unabhängige Presse entgegenzustellen. Qualitätsmedien sollen sich ihre Glaubwürdigkeit erhalten bzw. zurückgewinnen, indem sie transparent arbeiten, Fehler korrigieren und näher an den Anliegen der Bürger berichten (um die Menschen abzuholen, bevor sie zu „Alternativmedien“ abwandern). Dazu gehört auch, neue Formate zu finden, um Fakten attraktiv zu präsentieren – z.B. lösungsorientierter Journalismus (Solution Journalism), der nicht nur Probleme skizziert, sondern Lösungen diskutiert, um der Negativität etwas entgegenzusetzen. Einige Studien (z.B. DNR 2023) zeigen, dass ein Teil des Publikums aktiv nach konstruktiven Nachrichten sucht, weil sie der Dauerempörung müde sind. Wenn etablierte Medien hier liefern, könnte dies das Vertrauen stärken und polarisierender Desinformation den Wind aus den Segeln nehmen. Zudem braucht Qualitätsjournalismus finanzielle Stabilität: Modelle wie gemeinnütziger Journalismus, Stiftungsfinanzierung, Mitglieder-Modelle oder staatliche Presseförderung (debattiert z.B. in Österreich) sollen sicherstellen, dass es auch in Zukunft investigativen, faktenbasierten Journalismus gibt, der Desinformationskampagnen entlarvt. Öffentlich-rechtliche Sender spielen in DACH weiterhin eine Schlüsselrolle, da sie von vielen als verlässlichste Quelle angesehen werden. Deren Auftrag, umfassend und objektiv zu informieren, ist ein wichtiges Bollwerk gegen Fake News – wenngleich auch sie sich Kritik stellen müssen, um nicht an Rückhalt zu verlieren.
- Gesellschaftliche Resilienz und Dialog: Letztlich darf man den gesellschaftlichen Dialog nicht vernachlässigen. Einige Experten betonen, man müsse aktiv Brücken zwischen den „Lagern“ bauen, um Verschwörungsgläubige oder durch Fake News Verunsicherte wieder in faktenbasierte Diskussionen zu integrieren. Dies kann durch Dialogformate, Bürgerforen, Debatten-Veranstaltungen etc. geschehen, in denen Fakten geklärt werden, aber auch die Ängste und Emotionen der Menschen ernst genommen werden. Denn Gefühlfakes bedienen oft echte Sorgen (z.B. vor sozialem Abstieg, vor Kontrollverlust). Hier anzusetzen – Empathie zeigen, aber falsche Annahmen sachlich korrigieren – ist mühsam, aber nötig, um den Nährboden für Desinformation zu entziehen. Einige Initiativen wie #ichbinhier in Deutschland versuchen, in sozialen Netzwerken mit Fakten und höflichem Ton gegen Hass und Fakes zu halten, um so die Diskurskultur zu verbessern.
Fazit: Das Spannungsfeld zwischen Fakten, Fake News und Gefühlfakes stellt eine der großen Herausforderungen unserer Informationsgesellschaft dar. Unterschiedliche Formen von Desinformation – ob blanke Lügen oder manipulative Halbwahrheiten – beeinflussen spürbar, wie informiert oder desinformiert Bürger sind und wie gut unsere Gesellschaft noch zu vernünftigen Debatten und Entscheidungen fähig ist. Der deutschsprachige Raum bildet hiervon keine Ausnahme; allerdings gibt es hier vergleichsweise hohes Problembewusstsein und bereits vielfältige Gegenmaßnahmen. Aktuelle Daten zeigen, dass Bürger die Gefahr erkannt haben (über 80% sehen Demokratie und Zusammenhalt durch Desinformation bedroht) – nun gilt es, durch klare Begriffsdefinitionen, Bildung, technische und rechtliche Schritte sowie Stärkung der Medien die Resilienz unserer Gesellschaft zu erhöhen. Nur so kann die kollektive Informiertheit – das Fundament einer funktionierenden Demokratie – gegen die Erosion durch Fake News und Gefühlfakes behauptet werden.
Quellen: Die Analyse basiert auf aktuellen Studien und Berichten, u.a. der Bertelsmann Stiftung („Verunsicherte Öffentlichkeit“ 2024), dem Reuters Institute Digital News Report (DNR) 2023/24, Jugendstudien wie Saferinternet.at 2023, Beiträgen der Bundeszentrale für politische Bildung, sowie wissenschaftlichen Untersuchungen (z.B. Science-Studie zur Verbreitung von Fake News auf Twitter). Diese und weitere Quellen sind im Text durch Zitation gekennzeichnet.