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Julia Ruhs – welche Verantwortung haben Intendanten und Programmdirektoren der ARD?

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Julia Ruhs – welche Verantwortung haben Intendanten und Programmdirektoren der ARD?

Saubere Luft

In einer Presseerklärung  und einer Stellungnahme des Programmdirektors Frank Beckmann rechtfertigt der NDR seine Entscheidung, Julia Ruhs als Moderatorin nicht mehr einzusetzen.

 

Ausgangspunkt: Hohe Akzeptanz von Klar

Die Pilotphase des Magazins Klar erzielte nachweislich hohe Zustimmungswerte: 63 % der Befragten gaben der Sendung die Note 1 oder 2, über Alters-, Bildungs- und Geschlechtergrenzen hinweg. Zudem wurde das Format als glaubwürdig, relevant und meinungspluralistisch wahrgenommen. Damit erfüllte Klar zentrale Vorgaben aus Art. 5 Abs. 1 GG und § 11 MStV: Förderung freier Meinungsbildung, Abbildung gesellschaftlicher Vielfalt, Sicherung von Glaubwürdigkeit. Gerade angesichts dieser positiven Resonanz überrascht die Entscheidung des NDR, Julia Ruhs nicht mehr als Moderatorin einzusetzen, da hierfür weder eine sachliche Begründung noch Kritik an ihrer journalistischen Leistung benannt wurde.


Die Argumentation des NDR

Die Presseerklärungen des NDR und die Stellungnahmen von Programmdirektor Frank Beckmann lassen sich auf folgende Punkte verdichten:

  • Pluralisierung der Moderation: Statt einer festen Moderatorin sollen künftig mehrere Köpfe das Format tragen, um die Inhalte stärker in den Mittelpunkt zu rücken.

  • Relativierung des Eingriffs: Beckmann bezeichnete die Kritik als „absurd“, da Ruhs weiterhin für den BR moderieren werde. Der NDR habe ihr lediglich die exklusive Rolle entzogen.

  • Betonung der Inhalte: Das Konzept solle weniger auf Personen, sondern primär auf Themen fokussiert sein.

Rechtfertigungen für die konkrete Entscheidung gegen Ruhs fehlen:

Es wird kein journalistischer Fehler, keine Qualitätsfrage, keine Zuschauerablehnung benannt. Vielmehr wird ihre Absetzung zur reinen „Konzeptentscheidung“ erklärt.


Juristische und medienethische Würdigung

a) Verfassungsrechtliche Maßstäbe

Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG schützt nicht nur die Programmfreiheit der Sender, sondern verpflichtet öffentlich-rechtliche Anstalten, Meinungsvielfalt aktiv zu gewährleisten. Das BVerfG fordert, dass „alle gesellschaftlich relevanten Kräfte zu Wort kommen“ und Programmvielfalt unangetastet bleibt. Wo Formate hohe Akzeptanz genießen und kontroverse Themen im Sinne des Auftrags transportieren, ist eine plötzliche Absetzung ohne Begründung problematisch, da sie den Eindruck erweckt, unliebsame Stimmen würden verdrängt.

b) Staatsvertragliche Verpflichtungen

§ 11 MStV verlangt von ARD-Anstalten Objektivität, Unparteilichkeit und Vielfalt. Die NDR-Presseerklärung verweist zwar auf Meinungspluralität, doch bleibt offen, warum gerade die Moderatorin, die diese Vielfalt erfolgreich verkörperte, von der eigenen Anstalt ausgeschlossen wird. Die Entscheidung wirkt damit widersprüchlich: öffentlich wird Meinungspluralität beschworen, faktisch wird aber eine profilierte Stimme entfernt.

c) Medienethische Dimension

Medienethisch besteht eine besondere Pflicht zur Transparenz. Entscheidungen, die ein von Zuschauern anerkanntes Format personell verändern, müssen nachvollziehbar kommuniziert werden, um Vertrauen in den Rundfunk zu sichern. Stattdessen wird die Debatte von Seiten des NDR als „absurd“ bezeichnet. Dieses Abwiegeln verkennt die besondere Rolle der Senderleitung als Garant für Glaubwürdigkeit. Gerade Intendanten und Programmdirektoren repräsentieren das öffentlich-rechtliche System und müssen erklären können, warum ein erfolgreicher Programmbaustein personell verändert wird.


Bewertung: Strukturelles und individuelles Versagen

  • Individuelles Versagen: Programmdirektor Beckmann verfehlte es, eine überzeugende, transparente und sachlich nachvollziehbare Begründung für die Entscheidung vorzulegen. Dies untergräbt das Vertrauen in die Programmautonomie.

  • Strukturelles Versagen: Der NDR als Institution sendet das widersprüchliche Signal, Meinungspluralität propagieren zu wollen, aber gleichzeitig eine profilierte Journalistin ohne Begründung aus dem Programm zu nehmen. Dies beschädigt die Wahrnehmung des öffentlich-rechtlichen Auftrags und damit mittelbar auch die Legitimation des Rundfunkbeitrags.

Die Presseerklärungen des NDR rechtfertigen die Absetzung von Julia Ruhs nicht ausreichend. Angesichts der hohen Akzeptanz von Klar und des Fehlens jeder inhaltlichen oder professionellen Kritik entsteht der Eindruck, dass eine unbequeme oder zu polarisierende Stimme aus dem Programm genommen wurde. Damit laufen Intendant und Programmdirektor Gefahr, den Kernauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – Sicherung der Meinungsvielfalt und Stärkung der Glaubwürdigkeit – zu verfehlen. Insofern ist hier weniger von einer sachgerechten Programmentscheidung, sondern eher von einem institutionellen Fehlgriff zu sprechen, der das Vertrauen der Beitragszahler nachhaltig beschädigen kann.

 


Öffentlich-rechtlicher Auftrag und Rundfunkfreiheit

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland ist per Staatsvertrag zu umfassender Information, Bildung und kultureller Förderung verpflichtet. §11 des (jetzt geltenden Medien-)Rundfunkstaatsvertrags (MStV) legt den Programmauftrag fest: Die Sender sollen „als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung“ wirken und so „die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft“ erfüllen[1]. Konkret bedeutet das beispielsweise:

  • Freie Meinungsbildung: Die Sender müssen einen umfassenden Überblick über internationale, nationale und regionale Ereignisse bieten und so die Meinungsbildung der Bürger fördern[2].
  • Bildungs- und Kulturauftrag: Ihre Angebote sollen Bildung, Information, Beratung und Unterhaltung vermitteln und Beiträge zur Kultur anbieten[3].
  • Objektivität und Vielfalt: Bei der Ausgestaltung des Programms haben sie die Grundsätze der Objektivität, Unparteilichkeit, Meinungsvielfalt und Ausgewogenheit zu beachten[4].

Die Finanzierung durch die Beitragszahler ist gerechtfertigt, weil die öffentlich-rechtlichen Sender eine unverzichtbare gesellschaftliche Aufgabe erfüllen. Der Medienstaatsvertrag betont zudem allgemein, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk der freien Meinungsbildung und der Meinungsvielfalt verpflichtet ist[6].

Verfassungsrechtlich wird dieser Auftrag durch die Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG abgesichert. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts genießt der öffentlich-rechtliche Rundfunk dabei weitgehende Programm­autonomie und Unabhängigkeit: Er darf seine Inhalte frei von äußerem Einfluss gestalten, muss aber im Gegenzug selbst zur inhaltlichen Vielfaltssicherung beitragen[7]. In mehreren Entscheidungen mahnt das Gericht, dass die Sender so organisiert sein müssen, dass alle gesellschaftlich relevanten Kräfte zu Wort kommen und die Freiheit der Berichterstattung unangetastet bleibt[8]. Der Rundfunk ist danach „Sache der Allgemeinheit“ und muss überparteilich und vollständig unabhängig betrieben werden[9].

Verantwortung von Intendanten und Programmdirektion

Die Intendanten und Programmdirektoren der Anstalten haben die Aufgabe, diesen öffentlich-rechtlichen Auftrag in ihren Programmen umzusetzen. Sie repräsentieren dabei das gesamte System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: Ihre Entscheidungen wirken wie ein Spiegel dessen, was die Sender im Rahmen unabhängiger Vielfaltssicherung zu liefern haben. Sie sind deshalb rechtlich weisungsfrei und können Personal- und Programmfragen in eigener Zuständigkeit regeln, unterliegen aber den genannten verfassungsrechtlichen und staatsvertraglichen Grundsätzen[8][4].

Die Programmdirektoren müssen insbesondere darauf achten, dass die konkrete veröffentlichte Berichterstattung „objektiv“ und „unparteilich“ ist und die Vielfalt der Meinungen abbildet[4]. Das Bundesverfassungsgericht fordert weiter, dass die Gremienbesetzung und interne Abläufe staatsfern und transparent sein sollen, damit keine einseitige politische Einflussnahme stattfinden kann[8]. Gerade weil Intendanten und Direktoren das System öffentlich-rechtlicher Medien  nach innen und außen vertreten, müssen sie konsequent für Programmfreiheit, Gremienunabhängigkeit und Meinungspluralismus eintreten. Versagen sie hier, kann das dem Ansehen und der Akzeptanz des gesamten Systems schaden.

Fall Julia Ruhs und NDR-Entscheidung

Julia Ruhs war Moderatorin des neuen NDR/BR-Reportagemagazins „Klar“ und hatte mit dem Format gezielt kontroverse Streitfragen der Gesellschaft aufgegriffen (z.B. Migration)[10][11]. Nun gab der Norddeutsche Rundfunk überraschend bekannt, dass Julia Ruhs künftig nicht mehr die Sendung für den NDR moderieren werde[12][13]. Einen sachlichen Grund für diese Entscheidung nannte der Sender zunächst nicht. Parallel berichteten Medien, dass der Bayerische Rundfunk an Julia Ruhs als Moderatorin festhalte, während der NDR den Schritt als notwendig erachtete[13][12].

Ruhs selbst reagierte mit deutlicher Kritik. Sie verwies darauf, dass ihr Team gerade in der Zielgruppe großes Vertrauen zurückgewonnen habe, in der das Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk verloren wurde [11]. Sie nannte die Entscheidung „absolut unverständlich“ und warnte, dass das Vorgehen dem Ruf des gesamten öffentlich-rechtlichen Rundfunks schade[14]. Dies illustriert einen zentralen Konflikt: Klar war ausdrücklich so konzipiert, dass es „Streitfragen, die in der Mitte der Gesellschaft kontrovers diskutiert werden“ mit verschiedenen Perspektiven beleuchtet[10]. Die plötzliche Absetzung ihrer Stimme aus diesem Format wirkt daher wie ein Bruch mit dem erklärten Programmauftrag.

Tatsächlich hatten mediale Reaktionen auf die erste Folge von Klar eine Polarisierung ausgelöst. Eine ARD-Kollegin äußerte Kritik und NDR-Manager entschuldigten sich später für missverständliche Wortwahl[15][16]. Unabhängig von diesen Querelen ist zu fragen: Hat die Senderführung hier ihr Pflichtbewusstsein verletzt? Nach den vorgenannten Regeln müssten gerade kontroverse Inhalte und neue Stimmen im Programm geschützt werden, solange sie sachgerecht recherchiert und präsentiert werden. Die Entscheidung des NDR, die Moderation zu ändern, ohne dass ein fachlicher Mangel benannt wurde, lässt sich daher als Wendung weg von dieser Pflicht verstehen.

Bewertung und Fazit

Rein rechtlich kann man der Intendanten-Entscheidung nichts entgegensetzen – die Sender genießen Programmfreiheit. Doch aus öffentlich-rechtlicher Perspektive wirkt der Schritt widersprüchlich: Die Leitlinien verlangen Meinungsvielfalt und Unabhängigkeit[4][8]Klar wurde als Spiegel strittiger Themen gestartet [10]. Die plötzliche Trennung von einer Moderatorin, die diese Vielfalt ansprach, bringt mindestens Zielkonflikte mit sich.

Vor diesem Hintergrund kann man argumentieren:

Ja, Intendant und Programmdirektor haben in diesem Fall versagt. Statt offenen Diskurs zu fördern, sendeten sie (bewusst oder unbewusst) das Signal, dass kritische oder unbequeme Programme und Moderatoren unwillkommen sind. Das widerspricht der staatsvertraglichen Vorgabe, „alle gesellschaftlich relevanten Kräfte zu Wort kommen“ zu lassen, um Vielfaltssicherung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu gewährleisten.

Dieser Eingriff unterminiert aus Sicht vieler Beobachter das Vertrauen in die Unparteilichkeit des Senders und stellt somit einen Verstoß gegen den Kernauftrag des Öffentlich-Rechtlichen dar.

Am 17.9.2025 legten die öffentlich-rechtlichen Sender eine Studie zum Zusammenhalt in der Gesellschaft vor und attestierten sich selbst eine große Aufgabe für ARD, ZDF und Deutschlandradio

Studie zeigt Sorge um Zusammenhalt in Deutschland / Junges Publikum attestiert öffentlich-rechtlichen Medien besonders wichtige Rolle

Quellen: Rechtsprechung und Gesetze (Art.5 GG, MStV), öffentlich-rechtliche Programmgrundsätze, sowie Berichte über den Fall Julia Ruhs.

 

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