Braucht man in Zeiten von KI und Blockchain noch Notare, Steuerberater und Insolvenzverwalter?

Ein kritischer Rechts- und Systembefund
I. Einleitung
Die Debatte über die Notwendigkeit traditioneller rechts- und wirtschaftsnaher Berufe in einer zunehmend digitalisierten Welt ist kein akademisches Gedankenspiel mehr, sondern realpolitische und wirtschaftsethische Gegenwartsdiagnose. Insbesondere die Berufsgruppen der Notare, Steuerberater und Insolvenzverwalter geraten dabei ins Blickfeld, da sie durch gesetzlich normierte Zugangshürden, Tätigkeitsmonopole und Honorarsysteme geschützt sind. Gleichzeitig steht mit künstlicher Intelligenz (KI) und Blockchain-Technologie ein technisches Instrumentarium bereit, das weite Teile dieser Berufspraxis nicht nur automatisieren, sondern strukturell obsolet machen könnte.
Dieser Beitrag untersucht die Rechtfertigungspflicht dieser Berufsfelder unter ökonomischen, juristischen und technologischen Gesichtspunkten. Zugleich wird der Frage nachgegangen, wie hoch die volkswirtschaftliche Belastung durch diese Berufsgruppen ist – und was der Wegfall oder die Restrukturierung ihrer Aufgaben für den Verbraucher bedeuten würde.
II. Gesetzliche Grundlagen als Erhaltungsmechanismus
1. Notare
Das Beurkundungserfordernis in §§ 311b, 518, 873 BGB oder § 15 GBO sichert dem Notar einen quasi-monopolistischen Zugang zur rechtsverbindlichen Gestaltung zentraler Lebenssachverhalte wie Grundstückskauf, Eheverträge, Erbschaften. Die notarielle Urkunde dient der Beweissicherung, Warnfunktion und soll die materielle Richtigkeitsvermutung erzeugen (§ 415 ZPO).
2. Steuerberater
Die Steuerberatung ist nach dem StBerG (insb. §§ 2, 3 StBerG) berufsrechtlich geschützt. Wer unbefugt steuerberatend tätig wird, begeht eine Ordnungswidrigkeit (§ 160 StBerG) oder ggf. eine Straftat (§ 5 UWG). Damit wird die Berufsausübung durch das Gesetz verteidigt, unabhängig von Effizienz oder technologischer Ersetzbarkeit.
3. Insolvenzverwalter
Die Auswahl durch Gerichte (§ 56 InsO) erfolgt nicht über Marktmechanismen, sondern quasi-öffentlich-rechtlich. Der Verwalter wird durch das Gericht bestimmt, sein Honorar erfolgt meist über die Vergütungsverordnung (InsVV), unabhängig vom wirtschaftlichen Erfolg.
Zwischenergebnis: Der Bestand dieser Berufsfelder ist strukturell gesetzlich abgesichert. Ein technologisch bedingter Funktionsverlust führt nicht automatisch zum Wegfall der Institution, solange das Recht an diesen Monopolen festhält.
III. Disruptionspotenzial durch KI und Blockchain
1. KI
KI-Systeme wie steuerrechtliche Expertensysteme, Vertragsgeneratoren oder Insolvenzsimulatoren (z.B. DATEV AI, Taxfix, GPT-4o) sind bereits heute in der Lage, 80–90 % standardisierter Tätigkeiten dieser Berufe mit vergleichbarer Genauigkeit und höherer Geschwindigkeit zu übernehmen. Dies betrifft etwa:
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Erstellung von Steuererklärungen inkl. Abgrenzung privater und betrieblicher Sphären
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Vertragsgestaltung (Kaufverträge, GmbH-Satzungen etc.)
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Gläubigeranalysen und Planrechnungen in Insolvenzverfahren
2. Blockchain
Die Blockchain erlaubt die automatisierte, manipulationssichere Beurkundung durch Smart Contracts. Transaktionen, Eigentumsübertragungen (z.B. Tokenisierung von Immobilien), Testamente (zeitgestempelte Hashes) können ohne Mittler dauerhaft rechtssicher dokumentiert werden.
Ein blockchainbasiertes Grundbuch mit digitalem Wallet-Zugang und biometrischer Authentifikation ließe notariellen Vollzug faktisch entfallen.
IV. Was kosten diese Berufe die Gesellschaft?
Schätzungen auf Basis von Daten der Bundessteuerberaterkammer, Bundesnotarkammer und empirischen Studien (u. a. DIW, IW Köln):
Berufsgruppe | Anzahl Berufsträger (2024) | Jährliche Bruttoumsätze (geschätzt) | Anteil am BIP | Pro-Kopf-Kosten für Verbraucher |
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Steuerberater | ca. 94.000 | ~24 Mrd. € | ~0,6 % | ~290 € / Jahr |
Notare | ca. 7.000 | ~3,5 Mrd. € | ~0,09 % | ~42 € / Jahr |
Insolvenzverwalter | ca. 1.000 aktiv | ~1,2 Mrd. € | ~0,03 % | ~15 € / Jahr |
Gesamtvolumen: ca. 28,7 Mrd. € p.a.
Einsparpotenzial durch Teil- oder Vollautomatisierung: bis zu 70 % (optimistisch geschätzt), also rund 20 Mrd. € jährlich.
V. Rechtsdogmatische und verfassungsrechtliche Beurteilung
1. Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG)
Ein Verbot oder die vollständige Technologisierung wäre ein Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit. Doch bei funktionalem Wegfall der Berufserforderlichkeit könnte der Gesetzgeber Einschränkungen rechtfertigen, wenn legitime Gemeinwohlinteressen (Effizienz, Kostenwahrheit, Digitalisierung) überwiegen.
2. Rechtsstaatliche Sicherungsfunktion
Das Argument, dass Notare und Insolvenzverwalter systemisch für Rechtssicherheit sorgen, verliert an Schlagkraft, wenn digitale Mittel mit höherer Nachvollziehbarkeit und weniger Korruptionsanfälligkeit operieren. Die Frage lautet also nicht mehr: „Ob“, sondern „wie“ die rechtsstaatliche Sicherung technisch neu gedacht werden kann.
VI. Erhalt aus Strukturkonservatismus – oder Funktion?
Die heutige Existenz der Berufsgruppen Notar, Steuerberater und Insolvenzverwalter ist weniger funktional begründet, als vielmehr gesetzlich konserviert. Ein erheblicher Teil ihrer Aufgaben kann bereits heute effizienter, günstiger und neutraler durch KI und Blockchain übernommen werden.
Die Einsparungspotenziale für die Allgemeinheit sind erheblich, während die Risiken einer technologischen Umstellung – bei adäquater rechtlicher und technischer Begleitung – vertretbar erscheinen.