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Bundesverfassungsgericht kippt Altersgrenze für Anwaltsnotarinnen und Anwaltsnotare – Verstoß gegen die Berufsfreiheit

Arbeitsrecht – Erbrecht - Kommunalrecht

Bundesverfassungsgericht kippt Altersgrenze für Anwaltsnotarinnen und Anwaltsnotare – Verstoß gegen die Berufsfreiheit

Bundesverfassungsgericht

Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen gesetzliche Altersgrenze für Anwaltsnotarinnen und Anwaltsnotare

Mit seiner am 23. September 2025 veröffentlichten Entscheidung (Pressemitteilung Nr. 84/2025) hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts einen tiefen Eingriff in die bisherige Struktur des deutschen Notariats vorgenommen: Die gesetzliche Altersgrenze für Anwaltsnotarinnen und Anwaltsnotare nach §§ 47 Nr. 2, 48a BNotO ist mit der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar. Bislang schied jeder Anwaltsnotar mit Vollendung des 70. Lebensjahres zwingend aus dem Amt aus. Diese starre Grenze sollte einerseits die Funktionsfähigkeit der vorsorgenden Rechtspflege durch eine geordnete Altersstruktur sichern, andererseits jüngeren Bewerbern Berufschancen eröffnen und altersbedingte Leistungsgrenzen berücksichtigen. Das Bundesverfassungsgericht hält diese Ziele zwar grundsätzlich für legitim, bescheinigt der Altersgrenze aber angesichts der Realität des Anwaltsnotariats nur noch eine geringe tatsächliche Wirkung. Seit Jahren herrscht ein struktureller Bewerbermangel, sodass das „Freiwerden“ von Stellen keine Verjüngung oder Chancenverteilung bewirkt. Auch eine pauschale Vermutung altersbedingter Leistungseinbußen sei wissenschaftlich nicht belegbar. Vor diesem Hintergrund wiegt der Eingriff in die Berufsfreiheit – sowohl im Hinblick auf die Sicherung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage als auch auf die persönliche Entfaltung der Amtsträger – unverhältnismäßig schwer.

Gleichzeitig ordnete der Senat eine Fortgeltung der bisherigen Altersgrenze bis zum 30. Juni 2026 an, um einen abrupten Systembruch zu vermeiden und dem Gesetzgeber Zeit für eine verfassungskonforme Neuregelung einzuräumen. Damit wird die Rechtslage für Anwaltsnotarinnen und Anwaltsnotare zwar grundlegend verschoben, jedoch bleibt Raum für eine neue, differenzierte Ausgestaltung. Die Entscheidung markiert einen wichtigen Meilenstein für die Berufsfreiheit im Bereich der vorsorgenden Rechtspflege und wird erhebliche praktische Auswirkungen für die Landesjustizverwaltungen und die Organisation des Notariats haben.

 


Praktische Konsequenzen

  • Fortgeltung bis 30. Juni 2026
    Die Altersgrenze gilt übergangsweise weiter. Bis dahin scheiden Anwaltsnotarinnen und -notare weiterhin mit 70 Jahren aus dem Amt.

  • Neuregelungsbedarf
    Ab dem 1. Juli 2026 darf die Altersgrenze in der bisherigen Form nicht mehr angewendet werden. Der Gesetzgeber muss bis dahin eine verfassungskonforme Lösung schaffen.

  • Rechtsstellung ausgeschiedener Anwaltsnotare
    Wer bereits wegen der Altersgrenze ausgeschieden ist, kann sich künftig erneut auf ausgeschriebene Stellen bewerben. Ein unmittelbarer „Wiedereintritt“ ins Amt ist aber nicht vorgesehen.

  • Praxisrelevanz für Justizverwaltungen
    Die Landesjustizverwaltungen müssen ihre Bedarfsermittlung und Ausschreibungspraxis anpassen. Insbesondere in Regionen mit Bewerbermangel werden voraussichtlich mehr ältere Notarinnen und Notare im Amt verbleiben.

  • Signalwirkung für Nur-Notare
    Zwar betrifft die Entscheidung unmittelbar nur das Anwaltsnotariat, sie wirft aber auch Fragen zur Altersgrenze der Nur-Notare auf. Der Gesetzgeber muss hier für klare Differenzierungen sorgen.


Konsequenzen für den Gesetzgeber

  • Gestaltungsspielraum
    Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich betont, dass eine Altersgrenze nicht generell verfassungswidrig ist. Eine Neuregelung ist möglich, sofern sie verhältnismäßig ausgestaltet ist.

  • Differenzierung nach Berufsausübungsformen
    Der Gesetzgeber muss berücksichtigen, dass Bewerberlage und Funktionsbedingungen im Anwaltsnotariat und im Nur-Notariat unterschiedlich sind. Eine einheitliche Altersgrenze dürfte künftig schwer zu rechtfertigen sein.

  • Einbeziehung individueller Leistungsfähigkeit
    Eine starre Grenze wird kaum Bestand haben. Denkbar sind flexiblere Modelle, etwa Einzelfallprüfungen oder Eignungskontrollen, die das individuelle Leistungsvermögen stärker berücksichtigen.

  • Arbeitsmarktpolitische Anpassung
    Da der Bewerbermangel strukturell ist, wird die Altersgrenze nicht mehr als Steuerungsinstrument taugen. Gesetzgeber und Justizverwaltungen müssen über Anreize nachdenken, um das Anwaltsnotariat für jüngere Anwältinnen und Anwälte attraktiver zu machen.

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