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Coltan und das EU-Lieferkettengesetz

Arbeitsrecht – Erbrecht - Kommunalrecht

Coltan und das EU-Lieferkettengesetz

Nachhaltigkeit

Was ist Coltan und wofür wird es benötigt?

Dazu ein Beitrag der NZZ: Wie der Kongo-Krieg in unseren Handys steckt

Coltan ist ein mineralisches Erz, das hauptsächlich aus zwei Mineralien besteht:

  • Columbit (auch Niobit, enthält Niob)

  • Tantalit (enthält Tantal)

Der Name Coltan ist eine Wortverschmelzung aus Columbit und Tantalit.


Verwendung von Coltan

Das wichtigste Element im Coltan-Erz ist Tantal. Tantal wird verwendet für:

  • Kondensatoren (Tantal-Elektrolytkondensatoren) in Handys, Laptops, Tablets, Spielkonsolen, Medizingeräten etc., da es hohe Kapazitäten bei kleinen Volumen erlaubt.

  • Hochtemperatur-Legierungen in der Luft- und Raumfahrtindustrie

  • Chirurgische Instrumente (biokompatibel)

  • Atom- und Energietechnik, z. B. für Hitzeschilde

  • Superlegierungen in Turbinen und Reaktoren


Abbaugebiete von Coltan

Coltan kommt weltweit vor, allerdings sind einige Regionen besonders relevant:

Hauptabbaugebiete:

  • Demokratische Republik Kongo (DR Kongo):

    • Die Region Kivu ist eines der größten Fördergebiete.

    • Der Abbau steht dort häufig in Verbindung mit Menschenrechtsverletzungen, Kinderarbeit, illegaler Ausbeutung, und der Finanzierung bewaffneter Gruppen.

  • Rwanda:

    • Häufig werden Coltan-Exporte aus dem Kongo über Rwanda abgewickelt.

  • Australien:

    • Technologisch hochentwickelte Förderung, wichtiger stabiler Exporteur.

  • Brasilien:

    • Fördergebiet im Amazonasgebiet, oft in schwer zugänglichem Gelände.

  • Kanada und China:

    • Eher kleinere Fördermengen, teils technologisch weiterverarbeitet.

Coltan gilt als Konfliktrohstoff, da der Abbau insbesondere in Zentralafrika zur Finanzierung von Bürgerkriegen beigetragen hat. Die internationale Debatte über „Blut-Coltan“ ist vergleichbar mit der Diskussion um sogenannte „Blutdiamanten“.

Seit einigen Jahren gibt es internationale Regelwerke wie:

  • Dodd-Frank Act (USA) – verpflichtet US-Unternehmen zur Offenlegung von Lieferketten (Section 1502).

  • EU-Verordnung 2017/821 – legt Sorgfaltspflichten für Einführer von Konfliktmineralien wie Tantal fest (seit 2021 vollumfänglich in Kraft).


Die Vereinbarkeit des Coltanabbaus mit dem EU-Lieferkettengesetz, konkret der EU-Verordnung 2017/821, ist ein zentraler Prüfstein für die Glaubwürdigkeit europäischer Nachhaltigkeits- und Menschenrechtsstandards in globalen Lieferketten.


1. Rechtsgrundlage: EU-Verordnung 2017/821

Diese Verordnung ist seit dem 1. Januar 2021 in vollem Umfang anzuwenden und betrifft sog. „Konfliktmineralien“, konkret:

  • Zinn

  • Tantal (aus Coltan)

  • Wolfram

  • Gold

Adressatenkreis:

Importeure von Rohmaterialien in die EU, nicht jedoch Endprodukte (z. B. Smartphones). Die Verordnung richtet sich vor allem an metallverarbeitende Unternehmen und Raffinerien mit einem jährlichen Import über bestimmten Mengenschwellen (Schwellenwerte in Anhang I der Verordnung).

Pflichten nach der Verordnung:

Die Unternehmen müssen:

  • Sorgfaltspflichten entlang der Lieferkette anwenden (Due Diligence)

  • Die Herkunft und den Lieferweg dokumentieren

  • Risikoanalysen durchführen und gegebenenfalls Maßnahmen zur Risikominderung ergreifen

  • Öffentliche Berichterstattung leisten

  • Sich ggf. extern auditieren lassen

Die Verordnung lehnt sich eng an die OECD-Leitlinien für verantwortungsvolle Lieferketten von Konfliktmineralien an.


2. Vereinbarkeit mit der Realität des Coltanabbaus

Problematische Realitäten:

  • In der DR Kongo stammen große Mengen Coltan aus informellem oder illegalem Kleinbergbau

  • Häufige Probleme:

    • Kinderarbeit,

    • Ausbeutung lokaler Arbeiter,

    • Finanzierung bewaffneter Gruppen,

    • fehlende Umweltstandards

  • Coltan wird oft über Drittländer wie Rwanda exportiert, wodurch die Herkunft verschleiert werden kann.

Implikation für EU-Importeure:

Importeure, die Coltan oder Tantal aus dieser Region beziehen, müssen nachweisen, dass der Stoff aus einer konfliktfreien Lieferkette stammt. Dies ist faktisch äußerst schwierig und teuer, insbesondere für KMU.

Einige Firmen umgehen dies durch:

  • Verzicht auf kongolesisches Coltan

  • Bezug von Tantal aus Australien, Brasilien oder Kanada, wo Sorgfaltspflichten leichter nachweisbar sind

  • Bezug über zertifizierte Schmelzhütten (Smelter) mit „conflict-free“-Zertifikat (z. B. CFSI / RMI)


3. Verknüpfung mit EU-Lieferkettengesetz (Corporate Sustainability Due Diligence Directive – CSDDD)

Neben der Verordnung 2017/821 steht seit 2024 die CSDDD (EU-Lieferkettenrichtlinie) im Raum, deren Umsetzung in nationales Recht bis 2026 erfolgen muss. Diese:

  • Erweitert die Pflichten auch auf nachgelagerte Produkte (z. B. Elektronikhersteller)

  • Verlangt Risikomanagement für Menschenrechte und Umwelt über die gesamte Wertschöpfungskette

  • Enthält auch zivilrechtliche Haftungstatbestände bei Verstößen

Coltan und Tantal stehen damit doppelt im Fokus:

  • Als klassischer Konfliktrohstoff unter der Spezialverordnung (2017/821)

  • Und als menschenrechtsrelevanter Stoff unter der allgemeinen Lieferkettenregulierung


4. Wirtschaftliche und strategische Abhängigkeit der EU

Aktuelle Lage:

  • Die EU ist nicht autark bei Tantal

  • Hauptbezugsquellen sind China, Ruanda, Brasilien, Australien

  • Strategisch ist Tantal für die EU ein kritischer Rohstoff (gelistet in der EU-Rohstoffstrategie)

  • Substitution ist technisch kaum möglich, Recycling ist begrenzt.

Konflikt zwischen Versorgungssicherheit und Sorgfaltspflichten:

  • Einerseits: Industrieinteresse an stabiler Versorgung (z. B. Automobil-, Medizintechnik-, Rüstungssektor)

  • Andererseits: zunehmende regulatorische Lasten und Reputationsrisiken

Der Abbau und die Verwendung von Coltan stehen nur dann im Einklang mit dem EU-Lieferkettengesetz, wenn Unternehmen die strengen Sorgfaltspflichten tatsächlich umsetzen. Dies ist in vielen Fällen schwierig, teuer oder nur mit Umwegen (z. B. über zertifizierte Zwischenhändler) möglich.

Die EU steht damit in einem klassischen Zielkonflikt zwischen:

  • Wirtschaftlicher Versorgungssicherheit

  • Ethisch-rechtlicher Verantwortung

Die zukünftige Umsetzung der CSDDD wird diesen Zielkonflikt weiter verschärfen. Es ist zu erwarten, dass europäische Unternehmen zunehmend auf „risikofreie“ Quellen ausweichen oder den Druck an die vorgelagerten Akteure in Drittstaaten weitergeben.


Wenn europäische Unternehmen aus Sorge um rechtliche und reputative Risiken vermehrt auf risikofreie Quellen von Coltan und anderen Konfliktrohstoffen zurückgreifen, hat dies tiefgreifende ökonomische, soziale und geopolitische Konsequenzen für die betroffenen Förderländer – insbesondere in Zentralafrika, etwa der Demokratischen Republik Kongo (DR Kongo).


1. Ökonomische Folgen für die Förderländer

a) Einnahmeverluste im informellen Bergbau

  • In Ländern wie der DR Kongo hängt ein erheblicher Teil der ländlichen Bevölkerung von artisanalem (informellem) Coltan-Bergbau ab.

  • Wenn EU-Unternehmen diese Lieferketten meiden, bricht die Nachfrage nach deren Coltan ein.

  • Folge: Verlust von Einkommensquellen für hunderttausende Kleinbergleute und deren Familien.

b) Wettbewerbsverzerrung zugunsten anderer Märkte

  • Abnehmer mit niedrigeren oder fehlenden Sorgfaltsanforderungen (z. B. China, Indien, Türkei) übernehmen den Bezug.

  • Dadurch sinkt der Anreiz zur Verbesserung sozialer und ökologischer Bedingungen – der „Sanktionsmechanismus“ wird ausgehebelt.


2. Soziale und menschenrechtliche Folgen

a) Arbeitslosigkeit und soziale Destabilisierung

  • Der Rückgang europäischer Nachfrage kann zu Arbeitsplatzverlusten führen, insbesondere in Regionen ohne wirtschaftliche Alternativen.

  • Gefahr von sozialem Abstieg, Kinderarbeit, Migration und Gewalt steigt, da der Bergbau teils einzige Einkommensquelle ist.

b) Schwächung von Reformbewegungen

  • Lokale Bemühungen um eine Legalisierung und Formalisierung des Bergbaus (z. B. durch Kooperativen, Zertifizierungsprogramme wie iTSCi) verlieren an internationalem Rückhalt.

  • Staatliche Strukturen in fragilen Staaten sind häufig zu schwach, um ohne internationalen Druck die Kontrolle über Lieferketten zu verbessern.


3. Politische und geopolitische Folgen

a) Einflussverlust der EU

  • Wenn die EU sich aus komplexen Lieferketten zurückzieht, überlässt sie geopolitisch sensiblen Regionen anderen Mächten das Feld (z. B. China, das bewusst informelle Rohstoffmärkte integriert).

  • Der Hebel zur Durchsetzung von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit sinkt, wenn die wirtschaftliche Verflechtung nachlässt.

b) Risiko einer neuen Rohstoffordnung

  • Der Ausschluss ganzer Regionen aus „sauberen Lieferketten“ kann zu einer Zweiklassengesellschaft im Rohstoffhandel führen:

    • einerseits: „zertifizierte, ethische Rohstoffe“ für westliche Märkte

    • andererseits: „graue Rohstoffe“ für weniger regulierte Märkte

Diese Fragmentierung untergräbt globale Ansätze für Nachhaltigkeit und Menschenrechte.


4. Alternativen und Lösungsperspektiven

Statt Rückzug könnte die EU folgende Strategien verfolgen:

a) Förderung von Kapazitätsaufbau vor Ort

  • Investitionen in Transparenzsysteme, staatliche Kontrolle, Infrastruktur im Bergbausektor (z. B. öffentlich-private Partnerschaften)

b) Zertifizierungssysteme stärken

  • Unterstützung für Multi-Stakeholder-Programme wie:

    • iTSCi (International Tin Supply Chain Initiative)

    • Better Sourcing Program

    • CFSI / RMI (Responsible Minerals Initiative)

c) Differenzierung statt Ausschluss

  • „Risk-based Due Diligence“ statt blanket bans: Nicht der Risikokontext per se ist ausschlaggebend, sondern der Umgang mit dem Risiko.

  • Ziel: „Engagement statt Disengagement“ – also Lieferketten verbessern statt verlassen.

Ein Rückzug europäischer Unternehmen aus risikobehafteten Coltan-Lieferketten ist aus Unternehmenssicht nachvollziehbar, aber für die betroffenen Förderländer ökonomisch und entwicklungspolitisch möglicherweise verheerend.

Lieferkettensorgfaltspflichten müssen daher durch internationale Kooperation, Entwicklungszusammenarbeit und institutionellen Kapazitätsaufbau flankiert werden, um nicht unbeabsichtigt Armut, Instabilität und geopolitischen Kontrollverlust zu fördern.

Ein rein auf Risikovermeidung ausgerichteter Ansatz läuft Gefahr, gerade die Menschen zu bestrafen, die eigentlich geschützt werden sollen.

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