Die Grenzen der Meinungsfreiheit – Urteil zu Post auf X

Das Urteil des Amtsgerichts Bamberg gegen David Bendels wegen Verleumdung nach § 188 Abs. 2 StGB wirft zentrale verfassungsrechtliche Fragen auf, insbesondere im Spannungsfeld zwischen der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG und dem Persönlichkeitsschutz politischer Amtsträger.
Sachverhalt:
Am 7. April 2025 verurteilte das Amtsgericht Bamberg den Chefredakteur des „Deutschland-Kuriers“, David Bendels, zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten auf Bewährung. Zusätzlich wurde ihm auferlegt, sich schriftlich bei Bundesinnenministerin Nancy Faeser zu entschuldigen. Hintergrund des Urteils war eine von Bendels veröffentlichte Fotomontage, die Faeser mit einem Schild zeigte, auf dem „Ich hasse die Meinungsfreiheit“ stand.
Hintergrund des Falls
Am 28. Februar 2024 postete der „Deutschland-Kurier“ auf seinem X-Kanal (ehemals Twitter) eine Fotomontage von Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Das Originalbild zeigte Faeser mit einem Schild mit der Aufschrift „We Remember“ anlässlich des Holocaust-Gedenktages. In der bearbeiteten Version wurde der Text in „Ich hasse die Meinungsfreiheit“ geändert. Dieser Post wurde vielfach geteilt und angesehen.
Reaktion von Nancy Faeser
Nancy Faeser wurde von der Polizei auf den Post aufmerksam gemacht und stellte daraufhin Strafantrag gegen Bendels. Sie sah in der Fotomontage eine bewusste Verfälschung ihrer Aussage und eine Verleumdung ihrer Person.
Gerichtsverhandlung und Urteil
Das Amtsgericht Bamberg sah den Tatbestand der Verleumdung gemäß § 188 Abs. 2 StGB als erfüllt an. In der Urteilsbegründung wurde betont, dass die Fotomontage für den unbefangenen Betrachter nicht als solche erkennbar war und den Eindruck erweckte, Faeser habe die gezeigte Aussage tatsächlich getätigt. Das Gericht verhängte eine siebenmonatige Freiheitsstrafe auf Bewährung und ordnete eine schriftliche Entschuldigung bei Faeser an.
Reaktionen auf das Urteil
David Bendels kündigte an, gegen das Urteil Rechtsmittel einzulegen. Er betonte, dass er und der „Deutschland-Kurier“ den Kampf für Presse- und Meinungsfreiheit entschlossen fortsetzen werden.
Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG und Persönlichkeitsschutz politischer Amtsträger
I. Meinungsfreiheit gem. Art. 5 GG
Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG schützt:
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Meinungen in Wort, Schrift und Bild, auch polemische, überzogene und unsachliche,
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unabhängig von Wahrheitsgehalt oder „guter Sitte“ (BVerfGE 61, 1 – „Soldaten sind Mörder“).
Die Schranken der Meinungsfreiheit ergeben sich aber aus:
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den allgemeinen Gesetzen (wie § 188 StGB),
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dem Schutz der persönlichen Ehre,
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und dem Recht der Jugend.
II. Verhältnis zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
Das BVerfG hat mehrfach betont:
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Meinungsfreiheit als konstituierendes Grundrecht der Demokratie
– sie genießt Vorrang im öffentlichen Diskurs (BVerfGE 7, 198 – Lüth). -
Wahrheitswidrige Tatsachenbehauptungen sind nicht geschützt
– insbesondere, wenn sie ehrenrührig und bewusst falsch sind (BVerfGE 90, 241 – „Kruzifix“). -
Presse- oder Satirefreiheit erlaubt bildhafte, auch scharfe Kritik,
– jedoch nur, wenn ein erkennbarer satirischer Kontext oder ein erkennbarer Distanzierungsrahmen gegeben ist (BVerfGE 75, 369 – „Strauß-Karikatur“; BVerfGE 93, 266 – „Flugblatt Holger Börner“).
III. Bewertung des Bamberg-Urteils im Lichte dieser Grundsätze
Die entscheidende Frage ist, ob die Fotomontage mit dem verfälschten Schild („Ich hasse die Meinungsfreiheit“) als Meinung, Satire oder bewusst unwahre Tatsachenbehauptung zu qualifizieren ist.
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Die Montage war nicht als Satire oder Kunstwerk erkennbar gekennzeichnet.
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Nach Auffassung des Gerichts konnte der durchschnittliche Betrachter nicht erkennen, dass es sich um eine Manipulation handelte.
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Die Aussage wurde so dargestellt, als habe Bundesinnenministerin Faeser diese tatsächlich getätigt.
Damit würde eine bewusst unwahre Tatsachenbehauptung mit ehrverletzendem Charakter vorliegen, nicht mehr gedeckt von Art. 5 Abs. 1 GG.
Das Bundesverfassungsgericht hätte in vergleichbaren Fällen (z. B. bei verfälschten Zitaten oder manipulativen Darstellungen ohne satirischen Kontext) ebenfalls zugunsten des Persönlichkeitsrechts entschieden.
Erkennt ein durchschnittlicher Betrachter den manipulierten Inhalt als Fälschung oder nicht? Und: Reicht die Absurdität einer Aussage allein aus, um eine Manipulation zu entkräften?
I. Rechtlicher Maßstab: Der „durchschnittliche Betrachter“
Die Rechtsprechung – insbesondere des Bundesverfassungsgerichts – stellt regelmäßig auf die Sichtweise eines verständigen Durchschnittsrezipienten ab, also:
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eines unvoreingenommenen, aufmerksamen Bürgers,
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mit durchschnittlicher Medienkompetenz,
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und ohne besondere Fachkenntnis in politischer Kommunikation oder Bildbearbeitung.
Nicht entscheidend ist, was einzelne Betrachter (z. B. juristisch oder politisch Gebildete) erkennen, sondern ob die Darstellung im Gesamtkontext eindeutig als satirisch, verfremdet oder unwahr erkennbar ist.
II. Der konkrete Fall: „Ich hasse die Meinungsfreiheit“
1. Zentrale Überlegung
Auch wenn „jeder denkende Mensch“ weiß, dass eine Bundesinnenministerin eine solche Aussage niemals treffen würde, reicht das nicht automatisch aus, um den manipulierten Charakter als offensichtlich zu qualifizieren. Denn:
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Das ursprüngliche Bild (mit „We Remember“-Schild) ist real und weit verbreitet.
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Die visuelle Bearbeitung erfolgte professionell und ohne satirischen Kontext oder Kennzeichnung.
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Der Post war nicht als Satire oder Kommentar kenntlich gemacht, sondern wurde ernsthaft über ein politisches Nachrichtenformat (Deutschland-Kurier) verbreitet.
2. Gefahr der Desinformation
Gerade im digitalen Raum verblassen die Grenzen zwischen echter Aussage, Meinungsäußerung, Satire und Propaganda. Das Bundesverfassungsgericht betont in ständiger Rechtsprechung:
„Wo die Grenze zwischen Tatsache und Meinung bewusst verwischt wird, kann Ehrschutz Vorrang haben“ (vgl. BVerfGE 93, 266 ff.)
Auch wenn der Inhalt absurd erscheint, kommt es rechtlich entscheidend darauf an, wie glaubwürdig die Manipulation inszeniert ist. Eine offensichtlich unwahre Aussage reicht nicht aus, wenn sie so dargestellt wird, dass sie authentisch wirkt. Genau dies war im Fall Faeser/Bendels nach Ansicht des Gerichts gegeben.
Der „durchschnittliche Betrachter“ als Maßstab wirkt dabei wie ein juristisches Kippmoment – und kann, zum eigentlichen Problemfeld werden.
Der „durchschnittliche Betrachter“ als rechtsdogmatisches Problem
Der Begriff des „verständigen Durchschnittsrezipienten“ ist in der Rechtsprechung zwar fest etabliert, aber zunehmend überfordert, weil:
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Medienkompetenz extrem streut:
Zwischen aufgeklärten Politikinteressierten und digitalen Nachrichtennutzern mit geringer Quellenkritik bestehen erhebliche Unterschiede. -
Desinformation professioneller wird:
Manipulierte Inhalte werden heute ästhetisch und technisch so gestaltet, dass sie journalistischen Standards gleichen – gerade für weniger reflektierte Rezipienten. -
Rezeption ist kontextlos und schnell:
Social-Media-Posts werden oft sekundenhaft und aus dem Kontext gerissen wahrgenommen, wodurch der manipulative Gehalt nicht mehr erkannt wird – selbst wenn er theoretisch erkennbar wäre.
Die pauschale Annahme eines „verständigen Betrachters“ kann in der Praxis dazu führen, dass der Schutz der Meinungsfreiheit de facto zur Deckung für strategische Desinformation wird – mit gravierenden Folgen für das demokratische System.
Die richterliche Entscheidung in Bamberg – notwendig oder vermeidbar?
Die Kritik, der Amtsrichter hätte „die Meinungsfreiheit nicht einschränken müssen“, ist nur dann haltbar, wenn man unterstellt, dass:
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die Verfälschung sofort als solche erkennbar war,
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und die Verbreitung keine tatsächliche Rufschädigung bewirkt hat.
Das Gericht ist jedoch gerade zu dem gegenteiligen Ergebnis gekommen:
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Die Manipulation war täuschend echt,
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der Kontext wurde nicht kenntlich gemacht,
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und die Wirkung war geeignet, das öffentliche Wirken zu erschweren (Tatbestandsmerkmal von § 188 StGB).
Wenn man dem Amtsrichter vorwirft, er habe die Meinungsfreiheit zu stark eingeschränkt, müsste man dem Publikum mehr Verantwortung zumuten – konkret:
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Medienkompetenz zur Erkennung von Fakes
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politische Urteilskraft zur Einordnung
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geringeres Schutzbedürfnis für Amtsträger
Diese Sichtweise ist theoretisch vertretbar, aber verfassungsrechtlich riskant, wenn:
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sie große Bevölkerungsteile de facto schutzlos gegenüber Desinformation stellt,
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sie gezielte Diskreditierungen von Amtsträgern toleriert, solange sie „offensichtlich überzogen“ erscheinen,
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und sie damit eine Erosion demokratischer Diskursregeln begünstigt.
3 Antworten
Guten Tag,
Erst Mal: „Tatbestand“ des § 188 StGB? Ich habe ihn bisher nur als Strafzumessungsregel verstanden.
Ansonsten drängt sich der Vergleich mit der heute Show oder extra 3 auf, weil solche Verfremdungen üblich sind. Die Vorstellung, dass jemand wirklich glaubt, dass Faeser so eine Aussage tätigt, erscheint mir vollkommen absurd, auch fiel mir sofort auf, dass der Text nachträglich hineinkopiert wurde.
Es wäre interessant, den Kontext zu sehen.
Ja, Fake News und Hetze haben derzeit ein enormes Ausmaß erreicht; aber dieses Urteil schießt über das Ziel hinaus.
Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen,
Strafrecht war mir schon immer ein Gräuel, danke für den (soweit ich es beurteilen kann) gute Übersicht. Aber wenn ich bei Ihnen die Argumente lese
– grosse Teile der Bevölkerung de facto schutzlos gegen Desinformation stellen
– gezielte Diskreditierung von Amtsträgern TOLERIERT, solange sie „offensichtlich überzogen“ erscheinen UND
– sie DAMIT eine Erosion demokratischer Disskursreglen begünstigt,
gräulet es mich so sehr, dass es mir kalt den Rücken runter läuft und ich Ihnen das mitteilen möchte.
A) Wie soll Satire denn aussehen, wenn nicht mit offensichtlichem Überziehen? Soll jetzt Herr Böhmermann etc. stets sagen, Achtung, Satire?
B) Dank FAZ von heute (Interview) weiss ich nun, dass ich als älteres Semester oft nicht in der Lage bin, Fake in sozialen Netzen zu beurteilen. DANKE – das halte ich genau so übel wie die These, dass „große Bevölkerungsteile“ faktisch schutzlos sein sollen. Wer hat denn welchen „Schutzauftrag“? Müssen diese zu schützenden Personen auch von z.B. Herrn Böhmermann geschützt werden, der zuletzt wegen unrichtiger Tatsachen einen Prozess verloren hat? Was ist mit den RBB Berichten über den Politiker der Grünen? Hier frage ich, WER soll welchem Teil der Bevölkerung das Händchen führen? Vorzugsweise bei Wahlen? Sie sehen, bereits an der Fragestellung, wie problematisch m.E. eine bzw. jede „Fürsorge“ in im Bereich der Meinungsbildung ist. Das Argument passt überhaupt nicht zum „mündigen Bürger“!
Und um es noch deutlicher zu machen: Putin will auch nur den wahren Russen den richtigen Weg weisen.
C) Wenn ich an die Reden von Strauss, Wehner usw im Bundestag denke, dann wären diese Herren bestimmt -heutuge Maßstäbe- permanent mit Ordnungsrufen bedacht worden. M.E wird die sog. Erosion demokratischer Diskussionsregeln (wer ist demokratisch legitimiert, diese aufzustellen, wenn es um harte politische Auseinandersetzung geht?) immer dann bemüht, wenn die „beleidigte“ Partei, möchte eher sagen, die beleidigte Leberwurst, nicht in der Lage ist, inhaltlich und sprachlich auf dem Niveau von z.B. Wehner oder Strauss zu antworten!
Ich hoffe sehr, dass dieses Urteil vor das BVerfG kommt und dort auch angenommen wird. Besser wäre es aber, es würde schon in der nächsten Instanz unter Berücksichtigung der Ausstrahlungen des GG aufgehoben werden. Politisch gesehen denke ich, es ist für die Diskussion fatal, wenn Minister über 1.500 Anzeigen (lt. Spiegel Herbst 2024) im Bereich der Antragsdelikte lostreten. Was ist denn mit „Überlastung der Gerichte“ – ein Argument bei der Freigabe von Kannabis? Hat die Polizei nichts anderes zutun, als Ministeriale darauf hinzuweisen, dass Anzeige erstattet werden „könnte“? Das ist m.E. ganz klar keine Aufgabe der Polizei – denn es ist eben ein Antragsdelikt. Mehr Gelassenheit wäre besser.
Mit freundlichen Grüßen, Simon Acker
Sehr geehrte Frau Acker,
jeder Ihrer Punkte ist sehr gut nachvollziehbar und nach meiner persönlichen Ansicht richtig. Das Urteil zeigt, daß die Richter von einem allumfassend betreuenden Staat ausgehen, dessen Bürger nach dem Maßstab des durchschnittlichen Betrachters nicht in der Lage sind, Satire oder allgemeine Überspritzungen von Fakten zu unterscheiden. Darin liegt das eigentlich Problem. Herrn Böhmermann finde ich geschacklos, aber niemand muß vor ihm geschützt werden – bestenfalls Bürger, wenn die Politik in Gestalt der Innenministerin überreagiert – https://grafkerssenbrock.com/jan-boehmermann-das-zdf-und-die-wahrheit. Das Urteil ist nach den Maßstäben des Bundesverfassungsgerichts ein Eingriff in die Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit, wenn man weiter den „mündigen Bürger“ in Deutschland unterstellt. Dies ist aber zwingend notwendig, denn der Wahlbürger muß ein mündiger Bürger im Rahmen von Demokratie und Rechtsstaat sein. Anders als die FAZ beschreibt, gilt die Frage nach dem zu schützenden Bürger auch mehr der jungen Generation. Bereits vor 15 Jahren haben wir im Rundfunkrat des NDR Studien vorgelegt bekommen, nachdem Jugendliche und junge Erwachsene zunehmend nicht zwischen Fiktion und Non-Fiktion unterscheiden konnten. Selbst die Filmbeiträge in den Nachrichten wurde gerade in Bezug auf das Kriegsgeschehen oft als Fiktion eingeordnet.
Im Ergebnis entmündigt der Staat und auch die Rechtsprechung seine eigenen Bürger unter Aufweichung von Art. 5 GG, wenn dieses Urteil aus Bamberg Bestand hätte und Muster für weitere Fälle würde. Ihre Hoffnung auf das Bundesverfassungsgericht kann ich nur teilen, allein die Zeiten von Wolfgang Hoffmann-Riem sind vorbei.