Lieferkettengesetz: Was bleibt, wenn das deutsche Gesetz fällt – und was kommt mit dem EU-Gesetz?

Die künftige Bundesregierung plant laut Koalitionsvertrag, das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) abzuschaffen. Gleichzeitig hat die EU am 15. März 2024 die sogenannte Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD), kurz EU-Lieferkettenrichtlinie, verabschiedet, die in absehbarer Zeit in nationales Recht umgesetzt werden muss.
Was bedeutet das für Unternehmen in Deutschland? Und worin unterscheiden sich das deutsche Lieferkettengesetz und das künftige EU-Regelwerk?
1. Status quo: Das deutsche Lieferkettengesetz (LkSG)
Seit dem 1. Januar 2023 gilt in Deutschland das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Es verpflichtet größere Unternehmen zur Wahrung menschenrechtlicher und umweltbezogener Sorgfaltspflichten entlang ihrer Lieferketten.
Geltungsbereich
- Seit 2023: Unternehmen mit mindestens 3.000 Beschäftigten in Deutschland.
- Seit 2024: Schwelle gesenkt auf 1.000 Beschäftigte.
- Gilt auch für ausländische Unternehmen mit entsprechender Mitarbeiterzahl in deutschen Niederlassungen.
Pflichten
- Risikoanalyse menschenrechtlicher und umweltbezogener Risiken.
- Einrichtung eines Risikomanagementsystems.
- Verankerung von Präventions- und Abhilfemaßnahmen.
- Einrichtung eines Beschwerdemechanismus.
- Jährlicher Bericht über die Erfüllung der Pflichten.
Haftung und Kontrolle
- Zuständig: Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA).
- Es drohen Bußgelder (bis zu 8 Millionen Euro bzw. 2 % des weltweiten Umsatzes) und Vergabeausschlüsse bei öffentlichen Aufträgen.
- Keine zivilrechtliche Haftung nach LkSG – betont wird die „Nichtbegründung neuer zivilrechtlicher Anspruchsgrundlagen“.
2. Das kommende EU-Lieferkettengesetz (CSDDD)
Die EU-Richtlinie über unternehmerische Sorgfaltspflichten wurde 2024 beschlossen und muss nach Inkrafttreten innerhalb von zwei Jahren von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden.
Geltungsbereich
- Unternehmen mit:
- mehr als 1.000 Beschäftigten und
- mindestens 450 Millionen Euro weltweitem Umsatz.
- Auch Nicht-EU-Unternehmen, die diese Umsatzschwelle in der EU erreichen, sind erfasst.
- In mehreren Stufen anwendbar – zunächst auf sehr große Unternehmen, später auch auf kleinere (siehe Umsetzungszeitplan).
Pflichten
- Ähnlich dem LkSG, jedoch:
- Stärkere Betonung der Klimapflichten (z. B. Pläne zur Emissionsreduktion).
- Sorgfaltspflichten auch in Bezug auf eigene Tochterunternehmen und indirekte Lieferanten.
- Integration menschenrechtlicher, umweltbezogener und klimabezogener Sorgfaltspflichten in die Unternehmensstrategie.
Haftung und Kontrolle
- Mitgliedstaaten müssen zivilrechtliche Haftungsregeln einführen: Betroffene (z. B. Arbeiter in Zulieferbetrieben) können Schadensersatz einklagen, wenn ein Unternehmen gegen die Sorgfaltspflichten verstößt.
- Es wird eine Aufsichtsbehörde auf nationaler Ebene vorgesehen – mit Sanktionen und Überwachungsbefugnissen.
- Sanktionen können Geldbußen bis zu 5 % des weltweiten Umsatzes umfassen.
3. Unterschiede im Überblick
Aspekt | Deutsches LkSG | EU-Richtlinie (CSDDD) |
---|---|---|
Anwendungsbereich | Ab 1.000 MA in DE | Ab 1.000 MA + 450 Mio. € Umsatz |
Rechtsform | Gesetz | Richtlinie (muss umgesetzt werden) |
Zivilrechtliche Haftung | Nein | Ja – verpflichtend einzuführen |
Klimaschutzpflichten | Nicht geregelt | Ja, explizit Bestandteil |
Sorgfaltspflichtumfang | Risikoanalyse, Maßnahmen, Bericht | Zusätzlich Strategieintegration und Klimaplan |
Kontrollinstanz | BAFA | Nationale Behörden nach EU-Vorgabe |
Sanktionen | Bußgelder, Vergabeverbot | Höhere Bußgelder, zivilrechtliche Ansprüche |
4. Bewertung: Abschaffung national, aber nicht ohne Ersatz
Die Abschaffung des deutschen LkSG bedeutet keine Rückkehr zur Regellosigkeit. Vielmehr erfolgt eine Harmonisierung auf europäischer Ebene – allerdings mit zum Teil strengeren Anforderungen. Für Unternehmen ergibt sich eine gewisse Entlastung, soweit Doppelregulierungen wegfallen. Gleichzeitig wachsen durch die EU-Vorgaben neue Herausforderungen – insbesondere durch die Möglichkeit der zivilrechtlichen Inanspruchnahme.
Die Kritik am deutschen Gesetz betraf häufig seine Bürokratiebelastung, unklare Rechtsbegriffe und die Schwierigkeit der praktischen Umsetzung. Die EU-Richtlinie greift viele dieser Aspekte auf – jedoch mit klareren Standards, verbindlicher Haftung und größerem Druck auf Unternehmen, sich aktiv mit ihren Lieferketten auseinanderzusetzen.
Wer glaubt, mit dem Wegfall des deutschen Lieferkettengesetzes sei das Thema vom Tisch, irrt. Die EU schafft ein umfangreicheres Regelwerk mit größerer Tragweite. Unternehmen sollten daher nicht auf einen „Regress“ hoffen, sondern sich zügig auf die neuen europäischen Anforderungen einstellen – sowohl organisatorisch als auch rechtlich.
Der Gesetzgeber geht nicht weg vom Lieferkettenschutz – er europäisiert ihn.
Eine spürbare Entlastung im Rahmen des Lieferkettengesetzes erfordert zwingend eine Rücknahme oder massive Abschwächung der EU-Richtlinie. Die bloße Abschaffung des nationalen Gesetzes ohne Einfluss auf die EU-Regelung verlagert die Pflichten nur – sie verschwinden nicht.
Wer politisch oder wirtschaftlich auf eine echte Deregulierung zielt, muss seinen Fokus auf die EU-Ebene richten – sei es durch politische Mehrheiten, Lobbyarbeit, Klagen oder Neuverhandlungen.
1. Entlastung setzt eine Abschwächung oder Abschaffung der EU-Richtlinie (CSDDD) voraus
Die EU-Richtlinie über unternehmerische Sorgfaltspflichten (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, CSDDD) wurde im März 2024 politisch beschlossen. Sie verpflichtet große Unternehmen in der gesamten EU zur Einhaltung menschenrechtlicher, umweltbezogener und klimabezogener Sorgfaltspflichten in der gesamten Wertschöpfungskette – mit zivilrechtlicher Haftung.
Ergo:
-
Selbst wenn Deutschland das nationale Gesetz streicht, sind deutsche Unternehmen spätestens nach Ablauf der Umsetzungsfrist (voraussichtlich 2026) an die EU-Vorgaben gebunden.
-
Die EU-Richtlinie steht höherrangig als nationales Recht, soweit sie in Kraft tritt und ordnungsgemäß umgesetzt wird.
2. Was müsste passieren, damit es tatsächlich zur Entlastung kommt?
a) Rücknahme oder grundlegende Änderung der EU-Richtlinie
-
Die einzige rechtlich wirksame Möglichkeit wäre, dass die CSDDD auf EU-Ebene aufgehoben, verwässert oder blockiert wird – etwa durch:
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Klage eines Mitgliedstaats (z. B. wegen Kompetenzüberschreitung),
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Verweigerung der Umsetzung durch nationale Parlamente (was ein Vertragsverletzungsverfahren nach sich ziehen würde),
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eine Neuverhandlung bei politischem Wechsel auf europäischer Ebene (z. B. nach der Europawahl 2024).
-
b) Aussetzung oder Nichtratifizierung durch den Rat
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Die CSDDD war im März 2024 im Rat politisch nur knapp beschlossen worden. Sollte sie im endgültigen Gesetzgebungsverfahren nicht mehr die qualifizierte Mehrheit erreichen oder auf nationaler Ebene auf politischen Widerstand stoßen, könnte sie scheitern – allerdings ist dies Stand April 2025 unwahrscheinlich.
c) Minimalumsetzung durch Deutschland
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Deutschland könnte versuchen, die Richtlinie formal umzusetzen, aber inhaltlich möglichst verwässert:
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hohe Schwellenwerte für die Anwendung,
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reduzierte Bußgeldrahmen,
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schwache nationale Aufsichtsbehörde,
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restriktive zivilrechtliche Ausgestaltung.
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Solch eine Umsetzung wäre jedoch angreifbar und könnte zu Verfahren vor dem EuGH führen.
3. Was wäre keine echte Entlastung – aber suggeriert eine?
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Abschaffung des LkSG alleine (wie im Koalitionsvertrag angekündigt) hat nur temporäre oder symbolische Wirkung.
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Auch Verschiebungen in der Berichtspflicht oder Verlagerung auf Konzernebene (z. B. nur Muttergesellschaft haftet) wären lediglich operative Erleichterungen – keine substantielle Deregulierung.