Einstellung des Verfahrens gegen Kardinal Woelki – eine juristische und gesellschaftliche Einordnung

Die Einstellung des Verfahrens gegen Kardinal Woelki wirft weniger juristische als gesellschaftliche Fragen auf. Die Entscheidung folgt der Dogmatik des Strafrechts – gleichwohl bleibt der Eindruck zurück, dass Amtsträger mit besonderer Verantwortung auch einer besonderen Verantwortung für ihr öffentliches Wort unterliegen sollten. Vertrauen entsteht nicht nur durch Strafverfahren, sondern durch Transparenz, Reue und Konsequenz.
Quis custodiet ipsos custodes? – Wer wacht über die Wächter? Die Antwort darauf muss nicht immer das Strafrecht sein, wohl aber das kritische Bewusstsein einer informierten Öffentlichkeit.
Der Sachverhalt
Ausgangspunkt des Verfahrens war eine eidesstattliche Versicherung, die Kardinal Woelki im Rahmen eines presserechtlichen Verfahrens gegen die Bild-Zeitung abgegeben hatte. In dieser hatte er versichert, erst zu einem bestimmten Zeitpunkt über Missbrauchsvorwürfe gegen einen Priester in seinem Bistum informiert worden zu sein. Spätere Recherchen legten jedoch nahe, dass diese Information bereits früher vorgelegen habe – was Zweifel an der Wahrheit der Versicherung aufwarf.
Nach eingehender Prüfung kam die Staatsanwaltschaft Köln zu dem Ergebnis: Die Versicherung war zwar falsch, jedoch sei Woelki irrtümlich davon ausgegangen, die Wahrheit gesagt zu haben. Somit liege keine vorsätzliche Falschangabe und damit keine strafbare falsche Versicherung an Eides statt gemäß § 156 StGB vor.
Hintergrund: Falsche Versicherung an Eides statt und Meineid
Die falsche Versicherung an Eides statt (§ 156 StGB) ist dem Meineid (§ 154 StGB) ähnlich, aber weniger schwerwiegend. Beide Straftatbestände setzen Vorsatz voraus. Wer aus Versehen, also fahrlässig, eine falsche eidesstattliche Erklärung abgibt, bleibt straflos – es sei denn, § 161 StGB („Fahrlässige falsche Versicherung an Eides statt“) greift, was aber meist nur bei besonderen gesetzlichen Vorschriften der Fall ist.
Der Unterschied ist nicht nur juristisch, sondern auch praktisch erheblich: Der Meineid wird mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr geahndet. Die falsche eidesstattliche Versicherung hingegen mit bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.
Juristische Bewertung
Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft ist aus strafrechtlicher Sicht vertretbar: Vorsatz ist schwer zu beweisen, insbesondere bei komplexen Erinnerungslagen und unklarer Aktenlage. Die Schwelle zur Strafbarkeit ist bewusst hoch angesetzt – ein Grundpfeiler des Rechtsstaats.
Zugleich stellt sich aber die gesellschaftspolitische Frage: Wie wirkt eine solche Entscheidung auf das Vertrauen in die Gleichbehandlung vor dem Gesetz? Ist es glaubwürdig, dass ein Kardinal sich „verirrt“, während andere für ähnlich gelagerte Vorgänge belangt werden?
Tagesschau.de:
Lange haben die Ermittlungen gedauert. Nun teilt die Kölner Staatsanwaltschaft mit, dass es Entscheidungen gibt. Es geht um drei Fälle. Woelki muss 26.000 Euro zahlen.
Die Verhängung einer hohen Geldauflage zugunsten eines gemeinnützigen Zwecks im Rahmen der Einstellung eines Strafverfahrens – etwa nach § 153a StPO – ist ein häufig genutztes Instrument der deutschen Strafjustiz, das rechtlich und politisch ambivalent zu bewerten ist.
1. Rechtsgrundlage und Zielsetzung
Nach § 153a Abs. 1 StPO kann die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des Beschuldigten und des Gerichts ein Verfahren vorläufig einstellen, wenn der Beschuldigte bestimmte Auflagen erfüllt – insbesondere eine Zahlung an eine gemeinnützige Einrichtung oder die Staatskasse.
Ziel ist es, Verfahren effizient zu beenden, wenn eine hinreichende Schuld vorliegt, aber keine erhebliche Strafzumessung zu erwarten ist – etwa bei fehlendem Vorsatz oder geringem Unrechtsgehalt.
2. Die Symbolik bei Prominenten
In prominenten Fällen – wie mutmaßlich auch bei Kardinal Woelki – kommt es jedoch häufig zu hohen Geldauflagen (oft fünf- oder sechsstellige Beträge). Das soll:
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eine gewisse Sühnefunktion erfüllen,
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gesellschaftliche Erwartungen an Gerechtigkeit aufgreifen,
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aber zugleich eine formelle Verurteilung vermeiden, z. B. aus Gründen der Reputation oder weil ein Strafurteil schwerer wiegen würde (etwa für Amtsträger).
Die Zahlung wird also zur quasi-moralischen Kompensation einer nicht strafbaren, aber gesellschaftlich kritisierten Handlung.
3. Kritik und Einordnung
Diese Praxis ist rechtlich zulässig, aber gesellschaftlich nicht unumstritten:
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Pro: Ressourcenersparnis, Entlastung der Gerichte, freiwillige Schadenswiedergutmachung, mildes Mittel bei geringer Schuld.
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Contra: Eindruck von „Freikaufen“, ungleiche Behandlung von Vermögenden gegenüber Mittellosen, fehlende Klarheit in der Schuldfrage, besonders bei hochrangigen Personen.
Die hohe Geldauflage in solchen Fällen ist ein Strafvermeidungsinstrument mit politischer Wirkung. Sie wahrt die formale Unschuld, stellt aber dennoch einen spürbaren Nachteil dar – vor allem finanziell und reputativ. Ihre Akzeptanz hängt maßgeblich von der Transparenz der Entscheidung und dem gesellschaftlichen Kontext ab.
Aus ethischer, politischer und institutioneller Perspektive wäre ein Amtsverzicht, Schuldeingeständnis und klare Kommunikation – vermutlich glaubwürdiger und langfristig heilsamer gewesen, nicht nur für Kardinal Woelki selbst, sondern für die gesamte katholische Kirche in Deutschland.
Amtlicher Schaden vs. persönlicher Schutz
Ein Amtsverzicht hätte signalisiert:
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Verantwortungsübernahme, unabhängig von strafrechtlicher Schuld,
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Demut gegenüber dem Amt, das moralisch höhere Maßstäbe setzt als das Strafrecht,
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und ein klares Zeichen, dass die Kirche institutionelle Glaubwürdigkeit über den Schutz einzelner Würdenträger stellt.
Stattdessen wirkt der Verbleib im Amt nach der juristisch formal korrekten Verfahrenseinstellung wie ein Versuch, das Thema „auszusitzen“.
Das Problem des „freigesprochen, aber beschädigt“
Auch ohne Verurteilung bleibt ein massiver Vertrauensverlust zurück – sowohl in die Person Woelki als auch in die institutionelle Kirche. Die juristische Unschuld beseitigt nicht das ethisch-moralische Problem: Ein Kardinal, der objektiv eine falsche eidesstattliche Erklärung abgegeben hat, bleibt moralisch kompromittiert – auch wenn kein Vorsatz festgestellt wurde.
Der größere Schaden durch Beharren
Ein freiwilliger Rücktritt hätte:
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den Fokus auf den Inhalt statt die Person gelenkt,
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möglicherweise eine Versachlichung der Debatte ermöglicht,
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und wäre ein Schritt der Reue gewesen, der bei vielen Gläubigen auf Verständnis gestoßen wäre.
Stattdessen entsteht der Eindruck einer Kirche, die weiterhin mit innerer Abwehrhaltung auf berechtigte Kritik reagiert – was insbesondere vor dem Hintergrund des Missbrauchsskandals institutionelles Vertrauen weiter untergräbt.
Präzedenzfall und Führungskultur
Gerade weil es hier nicht um irgendeinen Bistumsleiter, sondern einen Metropoliten von Köln geht, wäre ein klarer, transparenter Rücktritt ein Lehrstück kirchlicher Führungskultur gewesen. So aber wird der Fall zum Gegenteil eines Präzedenzfalls, der Verantwortung betont.