Reform der gerichtlichen Zuständigkeiten – neue Streitwertgrenze und Spezialisierung

Mit dem neuen Regierungsentwurf zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) wird die Zuständigkeitsverteilung zwischen Amts- und Landgerichten grundlegend modernisiert. Ziel ist eine Stärkung der Amtsgerichte, die Sicherung ortsnahen Rechtsschutzes sowie eine weitere Spezialisierung der Gerichte in komplexen Rechtsmaterien.
Anhebung des Zuständigkeitsstreitwerts
Seit 1993 galt in § 23 Nr. 1 GVG eine Streitwertgrenze von 5.000 €. Dieser Wert wurde trotz massiver Inflationsentwicklung nie angepasst. Nun erfolgt eine Verdoppelung auf 10.000 €.
Konsequenz:
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Deutlich mehr Zivilsachen werden künftig wieder erstinstanzlich bei den Amtsgerichten verhandelt.
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Bürgerinnen und Bürger erhalten dadurch leichteren Zugang zu ortsnahem Rechtsschutz.
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Die Landgerichte werden entlastet und können ihre Ressourcen stärker auf komplexe Spezialmaterien konzentrieren.
Neue streitwertunabhängige Zuständigkeiten
Neben der reinen Streitwertregelung werden auch spezifische Materien unabhängig vom Streitwert den Amts- oder Landgerichten zugewiesen. Hintergrund ist die Erkenntnis, dass bei bestimmten Rechtsgebieten Ortsnähe (z. B. Nachbarrecht) oder rechtliche Komplexität (z. B. Vergabe-, Medien- und Arzthaftungsrecht) entscheidend sind.
a) Amtsgerichte
Amtsgerichte sind künftig streitwertunabhängig zuständig für ausgewählte nachbarrechtliche Streitigkeiten:
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Überhang von Pflanzen (§ 910 BGB)
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Überfall von Früchten (§ 911 BGB)
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Grenzbäume (§ 923 BGB)
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Immissionsansprüche (§ 906 BGB, soweit keine gewerblichen Großanlagen betroffen sind)
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Ansprüche aus landesrechtlichen Nachbarrechtsgesetzen (Nachbarwände, Hammerschlags- und Leiterrecht, Licht- und Fensterrechte etc.).
Begründung: Ortsnähe, Bedarf an Ortsterminen und die persönliche Beziehung zwischen den Parteien machen die Zuständigkeit der Amtsgerichte sinnvoll.
b) Landgerichte
Den Landgerichten werden folgende Rechtsgebiete streitwertunabhängig zugewiesen:
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Veröffentlichungsstreitigkeiten (Persönlichkeitsrecht, Presserecht, Online-Veröffentlichungen)
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Vergabesachen (Primärrechtsschutz unterhalb der EU-Schwellenwerte und Schadensersatzansprüche aus fehlerhaften Vergaben)
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Heilbehandlungssachen (vertragliche und deliktische Ansprüche gegen Ärzte, Zahnärzte, Heilpraktiker, Psychotherapeuten, Physiotherapeuten; einschließlich Einsicht in Krankenunterlagen und Vergütungsansprüche)
Nicht umfasst: Ansprüche gegen Tierärzte (diese fallen nicht unter § 630a BGB).
Weitere Anpassungen
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Gerichte können künftig Kostenentscheidungen nachträglich anpassen, wenn sich der Streitwert ändert. Dies beseitigt bisherige Wertungswidersprüche.
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Begleitend werden Rechtsbereinigungen im Verbraucherstreitbeilegungsgesetz (VSBG), im UKlaG und in der Luftverkehrsschlichtungsverordnung vorgenommen, da die EU-Plattform für Online-Streitbeilegung eingestellt wurde.
Übersicht: Neue Zuständigkeiten ab 2026
Gerichtsebene | Zuständigkeit bisher | Neue Zuständigkeit |
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Amtsgerichte | bis 5.000 € Streitwert | bis 10.000 € Streitwert |
teilweise streitwertunabhängige Sondermaterien | künftig zusätzlich: Nachbarrecht (Überhang, Überfall, Grenzbäume, Immissionen, Nachbarwände, Hammerschlags- und Leiterrechte etc.) | |
Landgerichte | ab 5.000 € Streitwert | ab 10.000 € Streitwert |
spezialisierte Kammern für bestimmte Materien | künftig streitwertunabhängig: Veröffentlichungsstreitigkeiten, Vergabesachen (unterhalb EU-Schwellenwerte, Schadensersatz), Heilbehandlungen (außer Tierärzte) |
Damit wird ein Doppelziel verfolgt: Amtsgerichte sollen gestärkt und bürgernäher werden, während die Landgerichte ihre Spezialisierung in komplexen Materien ausbauen.