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Transparenz versus Diskriminierungsgefahr

Arbeitsrecht – Erbrecht - Kommunalrecht

Transparenz versus Diskriminierungsgefahr

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Zur neuen Anweisung des Justizministeriums Schleswig-Holstein zur Nennung der Herkunft von Straftätern

Einleitung
Am 22. Mai 2025 hat das Justizministerium Schleswig-Holstein eine neue Verwaltungsvorgabe erlassen, wonach die Polizei bei der Öffentlichkeitsarbeit über Straftaten künftig grundsätzlich auch die Staatsangehörigkeit von tatverdächtigen Personen angeben soll – unabhängig davon, ob es sich um deutsche oder nichtdeutsche Täter handelt. Diese Maßnahme wurde vom Justizminister mit dem Gebot der Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit begründet. Die Entscheidung ist sowohl politisch als auch juristisch brisant. Dieser Beitrag beleuchtet die Maßnahme ausführlich im verfassungsrechtlichen, verwaltungsrechtlichen und gesellschaftspolitischen Kontext und analysiert die zentralen Argumente der Kritiker und Befürworter.


Rechtsgrundlagen und verfassungsrechtlicher Rahmen

Die rechtliche Grundlage für Pressearbeit der Polizei ergibt sich aus den Polizeigesetzen der Länder, in Schleswig-Holstein konkret aus dem Landesverwaltungsgesetz (LVwG SH), dem Landespolizeigesetz (PolG SH) sowie aus der Presseordnung und den dazugehörigen Richtlinien der Polizei. Ergänzend sind die Grundrechte aus dem Grundgesetz (GG) zu berücksichtigen, insbesondere:

  • Art. 5 Abs. 1 GG (Informationsfreiheit und Pressefreiheit),

  • Art. 3 Abs. 1 und 3 GG (Allgemeiner Gleichheitssatz und Diskriminierungsverbot),

  • Art. 1 Abs. 1 GG (Menschenwürde),

  • Art. 20 Abs. 1 GG (Demokratieprinzip: Transparente Staatsgewalt).

Die Angabe der Herkunft in Pressemitteilungen kann rechtlich zulässig sein, wenn sie verhältnismäßig ist und einem legitimen Zweck dient. Dieser Zweck wird in der neuen Anweisung mit dem Schutz des öffentlichen Diskurses, der Wahrnehmung staatlicher Neutralität sowie der Vermeidung selektiver Informationspolitik begründet.


Der Inhalt der Anweisung

Nach den neuen Vorgaben sollen Polizeibehörden künftig bei der Kommunikation mit der Presse standardmäßig angeben:

  • die Staatsangehörigkeit (auch bei Mehrstaatigkeit),

  • den Aufenthaltsstatus bei nichtdeutschen Tatverdächtigen (soweit bekannt),

  • nur in Ausnahmefällen davon absehen, wenn schutzwürdige Interessen oder die Ermittlungen entgegenstehen.

Es handelt sich um eine Abkehr von der früher praktizierten Einzelfallprüfung, bei der die Herkunft oft nur genannt wurde, wenn sie „für das Verständnis des Sachverhalts erforderlich“ war. Der jetzige Schritt ist Ausdruck einer sogenannten neutralen Vollständigkeitsstrategie.


Argumente für die Anweisung

a) Transparenz und Gleichbehandlung
Durch die Standardisierung wird vermieden, dass Herkunftsinformationen nur in bestimmten Fällen kommuniziert werden, etwa bei nichtdeutschen Tatverdächtigen. Dies kann dem Vorwurf entgegenwirken, die Behörden würden durch selektive Informationspolitik „etwas verschweigen“ und damit dem Vertrauen in die Institutionen schaden.

b) Stärkung der öffentlichen Debatte
Eine informierte Öffentlichkeit ist ein Grundpfeiler demokratischer Gesellschaften. Die Angabe der Herkunft kann – sachlich vermittelt – dazu beitragen, Missverständnisse und Gerüchte im Keim zu ersticken und extremistischen Narrativen vorzubeugen.

c) Gleichheit vor dem Recht
Wenn nur nichtdeutsche Täter genannt werden, liegt eine mittelbare Diskriminierung vor. Die jetzt vorgesehene Gleichbehandlung – Nennung aller Nationalitäten – ist mit Art. 3 Abs. 1 GG eher vereinbar als eine selektive Erwähnung.

d) Präventive Wirkung
Einige Strafrechtler vertreten die Auffassung, dass erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit bei bestimmten Kriminalitätsformen auch eine präventive Wirkung entfalten kann – etwa bei bandenmäßiger Jugendgewalt, die auf sozialen Plattformen nachhallt.


Kritik und Gegenargumente

a) Diskriminierung und Stigmatisierung
Kritiker – darunter auch der Deutsche Anwaltverein und Vertreter der Antidiskriminierungsstelle des Bundes – warnen vor der Gefahr, dass durch die Herkunftsnennung insbesondere Menschen mit Migrationshintergrund pauschal unter Generalverdacht gestellt werden. Gerade in ländlichen Regionen oder bei bestimmten Delikten könne dies rassistische Vorurteile verstärken.

b) Fehlende Kontextualisierung
In der Regel werden keine sozioökonomischen Hintergründe, keine Bildungskontexte oder Jugendbiografien genannt – eine bloße Nennung der Staatsangehörigkeit könne daher irreführend sein und komplexe Ursachen von Kriminalität auf ein Merkmal reduzieren.

c) Gefahr der politischen Instrumentalisierung
Ein weiterer Vorwurf lautet, dass die Maßnahme durch populistische Kräfte vereinnahmt werden könne, um migrationsfeindliche Narrative zu legitimieren. Dies könne zu einer Verzerrung des gesellschaftlichen Diskurses führen und den sozialen Frieden gefährden.

d) Verstoß gegen das Übermaßverbot?
Einige Stimmen vertreten die Auffassung, dass die Maßnahme nicht im engeren Sinne „erforderlich“ sei, um die Öffentlichkeit zu informieren, da die Herkunft in vielen Fällen keine Relevanz für das Tatgeschehen habe. Die pauschale Nennung könnte daher als unverhältnismäßig eingestuft werden.


Bewertung und verfassungsrechtliche Würdigung

Die Entscheidung des Justizministeriums ist in ihrer Intention verfassungsrechtlich legitim, wenn nicht sogar notwendig, um dem Prinzip der Gleichbehandlung, Transparenz und staatsbürgerlichen Aufklärung Rechnung zu tragen. Sie stärkt das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden und reduziert die Gefahr einer selektiven oder strategisch gefärbten Informationspolitik.

Die Kritik an der Maßnahme ist nicht unbegründet, insbesondere mit Blick auf gesellschaftliche Wirkungen und mögliche Fehlinterpretationen. Dennoch ist der Maßstab nicht, ob ein Risiko von Fehlgebrauch besteht, sondern ob die Regelung in sich konsistent, verhältnismäßig und grundrechtlich vertretbar ist. Dies ist bei entsprechender Umsetzung, insbesondere durch sachliche Pressearbeit und die Schulung von Polizeisprecherinnen und -sprechern, der Fall.

Zentral ist: Nicht die Information an sich erzeugt Diskriminierung, sondern deren Verwendung. Der Staat kann nicht aus Angst vor Missbrauch auf Transparenz verzichten – vielmehr muss er Missbrauch begegnen, ohne die Aufklärungspflicht aufzugeben.

Die neue Regelung des Justizministeriums Schleswig-Holstein ist ein Schritt zu mehr staatlicher Transparenz und Gleichbehandlung. Sie stärkt das demokratische Prinzip der öffentlichen Kontrolle staatlichen Handelns. Die Umsetzung muss jedoch flankiert werden von klaren Standards der Kommunikationsethik und einer präventiven Medienbildung. Andernfalls droht ein Rückschlag, bei dem die eigentlich begrüßenswerte Entscheidung in ihrer Wirkung verkehrt wird.

 


Quellen (Auswahl):

  • Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland

  • Verwaltungsvorschriften der Polizei Schleswig-Holstein

  • Empfehlungen der Innenministerkonferenz zur Pressearbeit

  • Stellungnahmen Deutscher Journalistenverband, Antidiskriminierungsstelle, DAV

  • OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 26.11.2019 – 5 B 1425/19

 

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