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Verpackungssteuer in Tübingen zulässig

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Verpackungssteuer in Tübingen zulässig

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I. Der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts

Tübinger Verpackungssteuer: Verfassungsgericht bestätigt Rechtmäßigkeit

Das Bundesverfassungsgericht hat eine Verfassungsbeschwerde gegen die Verpackungssteuer der Universitätsstadt Tübingen abgewiesen. Seit dem 1. Januar 2022 erhebt die Stadt eine Steuer auf den Verbrauch nicht wiederverwendbarer Verpackungen, Geschirr und Besteck, die für den Verzehr vor Ort oder als Take-away genutzt werden. Ziel ist die Förderung von Mehrwegsystemen.

Ein Schnellrestaurant in Tübingen hatte gegen diese Regelung geklagt, da sie die Steuer als verfassungswidrig ansah. Das Bundesverwaltungsgericht wies diese Klage 2023 ab, woraufhin die Betreiberin Verfassungsbeschwerde einlegte. Das Gericht bestätigte jedoch, dass die Steuer eine zulässige „örtliche Verbrauchsteuer“ gemäß Art. 105 Abs. 2a GG ist und keine Widersprüche zum bundesweiten Abfallrecht bestehen. Auch der Eingriff in die Berufsfreiheit sei verhältnismäßig.

Pressemitteilung des Gerichts

Leitsätze zum Beschluss des Ersten Senats vom 27. November 2024- 1 BvR 1726/23


Tübinger Verpackungssteuer


1. a) Die Örtlichkeit einer nicht direkt an den Verbrauch, sondern indirekt an den Verkauf
von Waren anknüpfenden Verbrauchsteuer im Sinne des Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG ist
nur gegeben, wenn der Steuertatbestand den typischen Fall des Verbrauchs der
verkauften Ware innerhalb des Gemeindegebiets realitätsgerecht erfasst.
b) Dem genügt jedenfalls eine tatbestandliche Anknüpfung der Steuerpflicht an den
Verkauf von Waren „zum Verbrauch an Ort und Stelle“.
c) Die Örtlichkeit kann aber auch bei Waren gegeben sein, die nicht „zum Verbrauch an
Ort und Stelle“ des Verkaufs bestimmt sind, wenn der Verbrauch typischerweise im
Gemeindegebiet erfolgt. Hierfür kann insbesondere die Beschaffenheit der Ware
sprechen und sind die weiteren Gegebenheiten zu berücksichtigen wie etwa die
Versorgungsstruktur oder die Größe der Gemeinde. Eine darauf bezogene
Steuerpflicht setzt voraus, dass im Steuertatbestand diejenigen Waren benannt oder
aufgrund konkreter Kriterien bestimmbar sind, die im Anschluss an den Verkauf
typischerweise noch innerhalb der Grenzen der jeweiligen Gemeinde verbraucht
werden; dem Normgeber kommt hierbei ein Einschätzungsspielraum zu.
2.
Art. 12 Abs. 1 GG ist verletzt, wenn eine Steuer mit berufsregelnder Tendenz es den
betroffenen Unternehmen in aller Regel unmöglich macht, den gewählten Beruf ganz
oder teilweise zur Grundlage ihrer Lebensführung oder unternehmerischen
Erwerbstätigkeit zu machen. Maßgeblich ist, ob ein durchschnittlich ertragsstarkes,
dem jeweiligen Berufszweig oder einer in spezifischer Weise betroffenen Gruppe
desselben zugehöriges Unternehmen nach Abzug der notwendigen Aufwendungen
wegen der Steuer keinen angemessenen Gewinn erzielen kann

Tübingen will mit der Verpackungssteuer eine Lekungswirkung erzielen, das heißt den Abfallanfall beim Verzehr bestimmter Speisen und Getränke reduzieren. Andere Städte in Deutschland – so Kiel – haben bereits angekündigt, vergleichsweise Maßnahmen einführen zu wollen.

Aber ist die Ausgestaltung der Verpackungsabgabe als Steuer tatsächlich ein umweltpolitischen Instrument, oder wäre eine Verpackungsgebühr bzw. ein Verpackungsentsorgunsbeitrag eine bessere Alternativ, weil neben der angestrebtenn Lenkungswirkung ein Zweckbindung der Einnahmen

 

II. Abgaben: Steuer, Gebühr, Beitrag – die Unterschiede

Im deutschen Rechtssystem gibt es drei grundlegende Arten von staatlichen Abgaben: Steuern, Gebühren und Beiträge. Diese unterscheiden sich in ihrer rechtlichen Grundlage, ihrer Zweckbindung und ihrer Verwendung. Ein Verständnis dieser Unterschiede ist entscheidend, um die Funktionsweise der öffentlichen Finanzierung und die Rechte und Pflichten der Bürger zu verstehen. Im Folgenden wird dies im Detail erläutert, wobei ein besonderes Augenmerk auf die Frage der Zweckbindung gelegt wird.


1. Steuern

Rechtsgrundlage und Definition

Steuern sind in § 3 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) definiert. Dort heißt es:

„Steuern sind Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen auferlegt werden, um Einnahmen zu erzielen; die Erzielung von Einnahmen kann Nebenzweck sein.“

Zweckbindung

Steuern sind nicht zweckgebunden. Das bedeutet, die Einnahmen aus Steuern fließen in den allgemeinen Haushalt des Staates oder der Kommune und können dort für beliebige öffentliche Zwecke verwendet werden. Beispielsweise wird die Einkommensteuer nicht ausschließlich für soziale Projekte oder Infrastrukturmaßnahmen genutzt, sondern steht der öffentlichen Hand zur allgemeinen Verfügung.

Beispiele

  • Einkommensteuer
  • Umsatzsteuer
  • Kfz-Steuer
  • Erbschaftsteuer

2. Gebühren

Rechtsgrundlage und Definition

Gebühren sind Geldleistungen für eine konkrete Gegenleistung einer öffentlichen Stelle. Das bedeutet, dass der Bürger eine bestimmte Leistung in Anspruch nimmt oder eine Amtshandlung auslöst, wofür die öffentliche Hand eine Gebühr erhebt. Grundlage hierfür sind spezielle Gebührenordnungen, wie beispielsweise die Verwaltungskostengesetze der Länder oder die Gerichtskostengesetze.

Zweckbindung

Gebühren sind zweckgebunden, da sie ausschließlich dazu dienen, die Kosten der konkreten Leistung oder Amtshandlung zu decken. Eine Behörde darf keine Gebühren verlangen, die über den tatsächlichen Verwaltungsaufwand hinausgehen, da dies eine versteckte Steuer darstellen würde. Der Grundsatz der Äquivalenz (angemessenes Verhältnis zwischen Gebühr und Leistung) ist hier entscheidend.

Arten von Gebühren

  • Verwaltungsgebühren: z. B. Ausstellung eines Personalausweises oder einer Baugenehmigung
  • Benutzungsgebühren: z. B. Abwassergebühren, Eintritt in ein Schwimmbad
  • Gerichtsgebühren: z. B. für Klagen vor Gericht

3. Beiträge

Rechtsgrundlage und Definition

Beiträge sind Geldleistungen, die für die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer öffentlichen Einrichtung oder Leistung erhoben werden, unabhängig davon, ob der Einzelne diese tatsächlich nutzt. Beiträge werden vor allem für Infrastrukturmaßnahmen verwendet.

Zweckbindung

Beiträge sind wie Gebühren zweckgebunden, allerdings nicht an eine konkrete individuelle Leistung, sondern an die Finanzierung einer bestimmten öffentlichen Einrichtung oder Maßnahme. Die erhobenen Beiträge dürfen nur für den vorgesehenen Zweck verwendet werden.

Beispiele

  • Straßenausbaubeiträge: Finanzierung von Straßenbauprojekten durch Anlieger
  • Kurtaxe: Beitrag für touristische Infrastruktur
  • Rundfunkbeitrag: Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks

Wesentliche Unterschiede im Überblick

Merkmal Steuern Gebühren Beiträge
Rechtsgrundlage Abgabenordnung (AO) Gebührenordnungen Spezielle Gesetze
Zweckbindung Keine Zweckgebunden Zweckgebunden
Gegenleistung Keine Konkrete Leistung Möglichkeit der Nutzung
Beispiele Einkommensteuer, Umsatzsteuer Baugenehmigungsgebühr Straßenausbaubeiträge, Kurtaxe

Fazit: Zweckbindung als entscheidendes Unterscheidungskriterium

Der zentrale Unterschied zwischen den drei Abgabearten liegt in der Zweckbindung der Einnahmen. Während Steuern ohne konkrete Zweckbindung erhoben werden und der allgemeinen Finanzierung des Gemeinwesens dienen, sind Gebühren und Beiträge zweckgebunden. Gebühren stehen in direktem Zusammenhang mit einer konkreten Amtshandlung, während Beiträge die Möglichkeit der Nutzung einer öffentlichen Einrichtung oder Infrastruktur finanzieren.

Dieses System stellt sicher, dass die öffentlichen Finanzen in einer Weise organisiert werden, die sowohl den allgemeinen Bedarf als auch individuelle Leistungen abdeckt. Es gewährleistet zudem Transparenz und Gerechtigkeit in der Verteilung der finanziellen Lasten.

III. Was wäre umweltpolitisch optimal?

Die Diskussion über die Erhebung einer Verpackungssteuer versus einer Verpackungsgebühr oder einem Verpackungsentsorgungsbeitrag wirft wichtige rechtliche, wirtschaftliche und umweltpolitische Fragen auf. Der entscheidende Unterschied zwischen diesen Alternativen liegt in der Zweckbindung der Einnahmen sowie in der rechtlichen Struktur, die sich auf die Akzeptanz, die Lenkungswirkung und die Einsatzmöglichkeiten auswirkt.


1. Die Verpackungssteuer in Tübingen – Charakter und Probleme

Eine Verpackungssteuer, wie sie in Tübingen erhoben wird, basiert auf der steuerrechtlichen Grundlage von § 3 Abs. 1 AO. Sie dient vor allem der Lenkungswirkung, indem sie Anreize für die Reduzierung von Verpackungen schafft, etwa durch Mehrweg- oder andere umweltfreundliche Alternativen.

Vorteile der Steuer:

  • Rechtsklarheit: Als Steuer darf die Einnahme ohne konkrete Zweckbindung in den allgemeinen Haushalt der Stadt fließen.
  • Einfachheit der Erhebung: Die Steuer wird auf die Bereitstellung bestimmter Verpackungen erhoben, unabhängig von deren Nutzung oder Entsorgung.
  • Lenkungswirkung: Unternehmen und Verbraucher werden finanziell motiviert, auf Einwegverpackungen zu verzichten.

Probleme der Steuer:

  • Fehlende Zweckbindung: Die Einnahmen können für beliebige Zwecke verwendet werden und nicht zwingend für Umweltmaßnahmen. Dies kann die Legitimation der Maßnahme aus Sicht der Betroffenen schwächen.
  • Gerichtliche Anfechtung: Verpackungssteuern stehen häufig in der Kritik, da sie möglicherweise in den Kompetenzbereich des Bundes fallen (Art. 105 GG), der das Steuerrecht regelt.
  • Begrenzter umweltpolitischer Nutzen: Ohne direkte Zweckbindung kann die Steuer als reine Einnahmequelle wahrgenommen werden, was ihre Akzeptanz verringern könnte.

2. Verpackungsgebühr – Eine zweckgebundene Alternative

Eine Verpackungsgebühr könnte auf der Grundlage einer konkreten Verwaltungsleistung erhoben werden, etwa für die Sammlung, Sortierung und Entsorgung von Verpackungsmaterialien. Sie wäre rechtlich als Gebühr zu qualifizieren und unterläge damit den strengen Anforderungen der Äquivalenz und Kostendeckung.

Vorteile der Gebühr:

  • Zweckbindung: Einnahmen müssten für die tatsächliche Entsorgung oder für Maßnahmen zur Müllvermeidung und Umweltförderung verwendet werden.
  • Lenkungswirkung kombiniert mit Transparenz: Die Gebühr kann so ausgestaltet werden, dass sie die Verursacher direkt belastet und die Einnahmen sichtbar für ökologische Maßnahmen verwendet werden.
  • Rechtssicherheit: Gebühren sind aufgrund der klaren Zweckbindung und Verbindung zu einer Leistung rechtlich weniger angreifbar.

Probleme der Gebühr:

  • Erhebungsaufwand: Die Berechnung und Zuweisung der Gebühr auf Grundlage des tatsächlichen Verpackungsaufkommens kann administrativ aufwändig sein.
  • Begrenzte Flexibilität: Da die Einnahmen zweckgebunden sind, besteht die Gefahr, dass nicht alle Mittel effizient eingesetzt werden können.

3. Verpackungsentsorgungsbeitrag – Der Beitrag als Mischform

Ein Verpackungsentsorgungsbeitrag könnte ähnlich wie ein Beitrag zur Finanzierung von Straßenbauprojekten gestaltet werden. Er wäre darauf ausgelegt, die Bereitstellung und Unterhaltung eines allgemeinen Systems zur Entsorgung und Vermeidung von Verpackungsmaterialien zu finanzieren.

Vorteile des Beitrags:

  • Zweckbindung: Die Einnahmen wären für die Finanzierung von Entsorgungsstrukturen und Präventionsmaßnahmen zweckgebunden.
  • Kostenteilung: Ein Beitrag könnte auf alle Beteiligten (z. B. Hersteller, Handel und Verbraucher) umgelegt werden, wodurch die finanzielle Last breiter verteilt wird.
  • Lenkungswirkung: Durch gezielte Ausgestaltung könnte eine Umstellung auf nachhaltigere Verpackungen gefördert werden.

Probleme des Beitrags:

  • Komplexität der Einführung: Die Festsetzung eines Beitrags bedarf einer klaren gesetzlichen Grundlage und differenzierter Berechnungsmodelle.
  • Erhebungswiderstände: Beiträge könnten von Betroffenen als zusätzliche Belastung wahrgenommen werden, insbesondere wenn diese nicht direkt auf einzelne Verpackungseinheiten umgelegt werden können.

4. Bewertung: Welche Maßnahme ist am sinnvollsten?

Verpackungssteuer:

Die Verpackungssteuer hat eine starke Lenkungswirkung und ist vergleichsweise einfach umzusetzen. Allerdings schwächt die fehlende Zweckbindung ihre Legitimation, da Einnahmen nicht zwingend für ökologische Zwecke eingesetzt werden.

Verpackungsgebühr:

Eine Verpackungsgebühr könnte die Lenkungswirkung mit einer zweckgebundenen Verwendung der Einnahmen kombinieren. Allerdings ist die Erhebung administrativ aufwendiger, und die Kostendeckungsgrenze schränkt ihre Flexibilität ein.

Verpackungsentsorgungsbeitrag:

Ein Beitrag wäre die rechtlich und politisch sinnvollste Alternative, da er zweckgebunden und nachhaltig eingesetzt werden könnte. Gleichzeitig bietet er die Möglichkeit, nicht nur Verbraucher, sondern auch Hersteller und Handel in die Verantwortung einzubinden.


Fazit

Eine Verpackungsgebühr oder ein Verpackungsentsorgungsbeitrag wären im Vergleich zur Verpackungssteuer die besseren Alternativen, da sie nicht nur eine Lenkungswirkung erzielen, sondern auch die Einnahmen zweckgebunden für Umweltmaßnahmen verwenden würden. Gerade in Zeiten wachsender Sensibilität für Umweltfragen ist die Zweckbindung entscheidend für die Akzeptanz und Legitimation solcher Maßnahmen. Die Entscheidung hängt letztlich davon ab, ob die Stadt Tübingen bereit ist, den administrativen Mehraufwand für die Erhebung von Gebühren oder Beiträgen zu tragen, um langfristig einen größeren umweltpolitischen Nutzen zu erzielen.

 

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