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Wirtschaftliches Eigentum an zur Sicherheit übereigneten Aktien

Arbeitsrecht – Erbrecht - Schulrecht

Wirtschaftliches Eigentum an zur Sicherheit übereigneten Aktien

Rechtsprechung

BFH – Urteil vom 13. November 2024, I R 3/21

Leitsätze

1. Zur Sicherheit übereignete Aktien sind dem Sicherungsnehmer als Inhaber der Aktien zuzurechnen, wenn dieser die wesentlichen mit den Aktien verbundenen Rechte (insbesondere Veräußerung und Ausübung von Stimmrechten) rechtlich und tatsächlich ab dem Eigentumsübergang unabhängig vom Eintritt eines Sicherungsfalls ausüben kann.

2. Bei der Prüfung der steuerlichen Zurechnung von Wirtschaftsgütern nach § 39 der Abgabenordnung (AO) ist zu prüfen, wem die wesentlichen mit dem Vollrecht an Aktien verbundenen Rechte objektiv und in tatsächlicher Hinsicht zustehen; nicht relevant ist, ob der Inhaber dieser Rechte sie subjektiv auch wahrnehmen möchte.

3. Aus einer zeitlich nach dem Streitjahr eingeführten spezialgesetzlichen Missbrauchsvermeidungsvorschrift (hier: § 8b Abs. 10 des Körperschaftsteuergesetzes i.d.F. des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008) lässt sich nicht im Wege eines Umkehrschlusses die Folgerung ziehen, dass eine von ihr erfasste Sachverhaltskonstellation vor dem Inkrafttreten den Tatbestand der allgemeinen Missbrauchsvermeidungsvorschrift des § 42 AO nicht erfüllen kann.

Zusammenfassung des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 11.01.2024 – I R 36/19


1. Sachverhalt (Tatbestand)

Die Klägerin, eine Aktiengesellschaft, tätigte im Streitjahr 2006 mit einer Bank auf Grundlage eines Rahmenvertrags zahlreiche Wertpapierpensionsgeschäfte, gekoppelt mit gegenläufigen Wertpapierdarlehensgeschäften („Wertpapierleihe“).

  • Ablauf:

    • Die Klägerin erwarb festverzinsliche Wertpapiere mit Rückkaufvereinbarung („echte Repos“ gem. § 340b Abs. 2 HGB) und erhielt dafür einen Repozins.

    • Die gleichen Wertpapiere wurden im Rahmen eines Wertpapierdarlehens wieder an die Bank verliehen, wofür die Klägerin eine Leihgebühr von 0,02 % erhielt.

  • Besicherung:

    • Zur Absicherung übertrug die Bank der Klägerin das zivilrechtliche Eigentum an britischen Aktien.

    • Diese wurden in einem Depot der Klägerin verbucht, und die Klägerin durfte über diese Aktien frei verfügen.

    • Eine Rückgabe gleichartiger Aktien nach Darlehensende war vertraglich vereinbart.

  • Weitere Vertragsbedingungen:

    • Marginzahlungen bei Kursschwankungen.

    • Pflicht zur Kompensationszahlung bei Dividenden: Klägerin musste Bruttodividenden an Bank zurückzahlen.

    • Klägerin zahlte eine „Arrangierungsgebühr“ i.H.v. 2,2 % der vereinnahmten Dividenden an die Bank.

  • Zielsetzung der Klägerin:

    • Die Klägerin ließ sich gezielt Dividendenaktien übertragen und tauschte diese nach der Ausschüttung wieder aus, um wieder neue Dividenden zu vereinnahmen.

    • Dadurch wurden Dividendenzahlungen generiert, die sie gem. § 8b Abs. 1 KStG steuerfrei behandelte.

    • Die Kompensationszahlungen an die Bank wurden vollständig als Betriebsausgabe berücksichtigt.

  • Folge: Effektiv wurde der steuerpflichtige Ertrag minimiert, obwohl ein wirtschaftlicher Verlust tatsächlich nicht entstanden war.

  • Finanzamt (FA):

    • Wertete die Konstruktion als Gestaltungsmissbrauch i.S.d. § 42 AO und eine Umgehung von § 8b Abs. 7 KStG.

    • Erhöhung des zu versteuernden Einkommens um die Dividenden abzüglich 5%-Hinzurechnung nach § 8b Abs. 5 KStG.

  • Finanzgericht (FG München): Wies die Klage ab.


2. Entscheidung des BFH

Der BFH hob das Urteil auf und verwies den Fall zur weiteren Sachaufklärung zurück an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

a) Steuerrechtliche Zurechnung der Aktien (§ 39 AO)

  • Die britischen Aktien waren der Klägerin steuerlich zuzurechnen, da sie:

    • zivilrechtlich Eigentümerin war,

    • über die Aktien jederzeit frei verfügen durfte (einschl. Verkauf),

    • die Kursrisiken und Kurschancen trug,

    • auch faktisch die Stimmrechte ausüben konnte (z.B. über CREST-System dokumentierter Inhaberwechsel),

    • keine faktische Verfügungsbeschränkung vorlag (z.B. kein kurzfristiges Kündigungsrecht der Bank).

→ Daher waren die Dividenden der Klägerin steuerlich zuzurechnen und unterlagen § 8b Abs. 1 KStG.

b) Kein typischer Sicherungsfall i.S.v. § 39 Abs. 2 Satz 2 AO

  • Zwar handelte es sich formal um eine Sicherheitengestellung, aber nicht um ein klassisches Sicherungseigentum.

  • Die Klägerin durfte die Aktien jederzeit ohne Eintritt eines Sicherungsfalls veräußern.

  • Daher sei wirtschaftliches Eigentum auf Klägerin übergegangen – die Sicherungsvereinbarung wirke vielmehr wie ein Wertpapierdarlehen mit Rückgabeverpflichtung gattungsgleicher Aktien.

c) Verstoß gegen § 42 AO möglich – Prüfung im zweiten Rechtsgang

  • Da wirtschaftliches Eigentum der Klägerin bejaht wurde, ist nun im zweiten Rechtsgang zu klären:

    • War die Gestaltung rechtsmissbräuchlich? (§ 42 AO)

    • Gab es außersteuerliche Gründe für die Besicherung durch Aktien?

d) Hinweise zur Prüfung des Missbrauchs

Der BFH gibt umfangreiche Hinweise, worauf das FG achten soll:

  1. Fehlen eines außersteuerlichen Zwecks:

    • Es bestand kein Sicherungsbedarf, da die Geschäfte gegeneinander abgesichert waren.

    • Die Arrangierungsgebühr war an die Höhe der Dividenden gekoppelt → Indiz für Steuervermeidungszweck.

    • Auswahl der Aktien erfolgte ausschließlich nach dem Kriterium der Dividendenzahlung.

  2. Sicherungsvereinbarung diente allein der Generierung eines steuerlich relevanten Verlustes:

    • Die Gestaltung zielte erkennbar darauf, die 5%-Nichtabziehbarkeit gem. § 8b Abs. 5 KStG zu umgehen.

    • Der Aufwand wurde steuerlich voll berücksichtigt, obwohl die Einnahmen im Ergebnis steuerfrei waren.

  3. Ein Handelsbilanzgewinn genügt nicht als außersteuerlicher Rechtfertigungsgrund.

  4. Versicherungsaufsichtsrechtliche Gründe (sofern vorgetragen) müssten konkret belegt werden, könnten ggf. anerkannt werden.

e) Anwendung des § 8b Abs. 10 KStG n.F. keine Rückwirkung

  • Der BFH stellt klar, dass die spätere Einführung des § 8b Abs. 10 KStG (durch UntStRefG 2008) nicht rückwirkend im Streitfall angewendet wird.

  • Das ändert jedoch nichts daran, dass der Sachverhalt bereits nach § 42 AO i.d.F. des Streitjahrs zu prüfen ist.

  • Kein Rückwirkungsverbot, da nur allgemeine Missbrauchsregel (§ 42 AO) angewendet wird.


3. Ergebnis

  • Das Urteil des FG München wurde aufgehoben.

  • Die Klägerin war im Zeitpunkt der Dividendenausschüttung steuerrechtliche Eigentümerin der Aktien.

  • Die Anwendung des § 8b Abs. 1 KStG ist deshalb grundsätzlich möglich.

  • ABER: Das FG muss nun prüfen, ob ein Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO vorliegt, weil die Sicherheitengestellung womöglich allein dem Zweck der Steuerersparnis diente.


4. Praxisrelevanz

Das Urteil klärt zentrale Fragen zur steuerlichen Behandlung sog. Cum/Ex-ähnlicher Strukturen und der wirtschaftlichen Zurechnung von Sicherheiten:

  • Es zeigt, dass wirtschaftliches Eigentum auch bei Sicherheitsgeschäften angenommen werden kann, wenn keine Einwirkungsbeschränkung vorliegt.

  • Gleichzeitig wird die Anwendung von § 42 AO gestärkt, wenn außersteuerliche Gründe für die Gestaltung fehlen.

  • Das Urteil ist auch im Kontext der Diskussion um aggressive Steuergestaltungen und deren Bekämpfung von hoher Bedeutung.

Eine Antwort

  1. Simon Acker sagt:

    1. Da zahlt der Fiskus Mrd. an Euro KapESt aus. Und keiner beim Bundeszentralamt für Steuern will es gemerkt haben?
    – Wenn jemand sich bei Quellensteuern auf Lizenzen auf klare DBA-Regeln stützt, Fragen über Fragen, keine Freistellungsbescheinigung, in Jahren (mittlerweile) nicht!
    – Wenn jemand seinen Hund Gassi führen läßt und das als „haushaltsnahe Dienstleistung“ abgesetzt hat, reagierte die Finanzverwaltung blitzschnell, auf Verwaltungs- und Gesetzgebungsebene.

    Das Nicht-Handeln-(Wollen???) bei Cum-Ex usw.. das verstehe wer will.

    2. REPO ist eine Form von Finanzgeschäften, also nicht per se eine unzulässige Rechtsumgehung. Ohne den Fall zu kennen, nur einige Gedanken:

    A) Wenn eine Gesellschaft so 50-100 Mio. Euro „Cash“ hat (z.B. Schiffs- oder Anlagenbauer aus der Anzahlung für ein Projekt), warum sollte sie dieses Geld nicht auf dem EU-Finanzmarkt (UK gehörte damals zur EU) anlegen?
    Oder sind nur Girokonto und Bausparen steuerlich anzuerkennen? Wenn ja, wo ist die Anspruchsgrundlage für eine solche Einschränkung?

    B) Wenn das für das Projekt wichtige Geld sicher angelegt sein soll, und das ist unzweifelhaft der Fall, dann ist es geboten, eine Sicherung einzugehen. Für mich sieht es nach kursorischem Lesen genau so aus: Geldanlage und gute Sicherung.

    C) Auswahl der Aktien „nur“ nach Dividendenkriterien. WAS denn SONST? Schönheit des Aktie? In 2006 gab es noch keine Berichterstattung nach Nachhaltigkeit. Wenn es diese gegeben hätte, wäre DAS bestimmt berücksichtig worden. So würde ich vortragen …….

    3. Es ist schon ein wenig abenteuerlich, im Bereich der Eingriffsverwaltung eine spätere Rechtsvorschrift auf einen früheren Sachverhalt anwenden zu wollen. Dieses Ansinnen sollte jedem Volljuristen die Schamesröte ins Gesicht treiben. Leider ist nicht nur die Tendenz, sondern der erklärte Willen der Finanzverwaltung und m.E. Klar zu erkennen (Irrtum vorbehalten), §42 AO zu einer Vorschrift auszubauen, mit der gesagt werden kann: Wenn wir gewusst hätten, dass unsere anderen Gesetze und insbesondere unsere eigenen Auslegungsvorschriften (inkl. der Nichtanwendungserlassen) zu DIESEM Ergebnis führen, dann hätten wir es verboten.
    Schöne neue Welt – statt der Logik zu folgen, wer A sagt muss dann B gelten lassen. Jedes Verbot, jede „Verschärfung“ enthält doch den Kern für eine sachgerechte, sprich steuersparende Lösung, wenn man sie findet (vgl. das vergriffene Buch „Steuern sparen, Steuern gestalten, Steuern hinterziehen“).

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