SPD-Pläne zur Erhöhung der Kapitalertragsteuer auf 30 % – Eine Gefahr für die private Altersvorsorge?

Im Zuge der laufenden Koalitionsverhandlungen hat die SPD erneut die Forderung eingebracht, Kapitalerträge künftig mit mindestens 30 % zu besteuern. Dies würde faktisch das Ende der seit 2009 geltenden Abgeltungsteuer in Höhe von 25 % (§ 32d EStG) bedeuten und stellt eine steuerpolitische Zäsur mit weitreichenden Folgen dar – insbesondere für die private Altersvorsorge, die seit Jahren politisch gefördert wird, um die gesetzliche Rentenversicherung zu entlasten.
Was ist geplant?
Die SPD setzt sich laut Medienberichten und internen Verhandlungspapieren dafür ein:
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die Abgeltungsteuer abzuschaffen,
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Kapitalerträge dem progressiven Einkommensteuertarif zu unterwerfen,
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jedoch einen Mindeststeuersatz von 30 % gesetzlich festzuschreiben.
Formal bleibt offen, ob dieser Satz als neue Abgeltungsteuer ausgestaltet wird oder als Mindestbesteuerung innerhalb des § 32d EStG, möglicherweise sogar mit Progressionsvorbehalt. Klar ist: Der bisherige pauschale Steuersatz von 25 % soll nicht mehr gelten.
Betroffen: Sparer, Aktionäre – und Vorsorgesparer
Die Pläne betreffen alle natürlichen Personen, die:
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Zinsen aus Anleihen oder Bankguthaben erzielen,
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Dividenden aus Aktien oder Fonds erhalten,
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Veräußerungsgewinne aus Wertpapieren oder Fondsanteilen realisieren.
Gerade privat vorsorgende Bürgerinnen und Bürger, die langfristig in ETF-Sparpläne, Fonds oder Aktiendepots investieren, wären von der Steuererhöhung besonders betroffen. Dies widerspricht fundamental der politischen Rhetorik, wonach die private Altersvorsorge gestärkt werden soll, um die gesetzliche Rente zu stabilisieren.
Widerspruch zur Rentenpolitik: Ein ökonomischer Zielkonflikt
In den letzten Jahren wurde die kapitalgedeckte Altersvorsorge ausdrücklich gefördert:
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durch steuerfreie Zuflüsse in Riester- und Rürup-Verträge,
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durch die Diskussion um eine „Aktienrente“, etwa durch den Staatsfonds für die Rentenversicherung,
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durch die Schaffung des freiwilligen ETF-Sparens als Alternative zur Umlagefinanzierung.
Die geplante Steuererhöhung konterkariert diese Ziele. Vorsorgesparer, die mit langfristigem Anlagehorizont und Risikostreuung Eigenverantwortung übernehmen, werden durch die geplante Reform steuerlich bestraft. Das ist insbesondere problematisch, weil:
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gesetzliche Rentenleistungen der Besteuerung unterliegen (nachgelagerte Besteuerung),
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und private Vorsorge künftig doppelt belastet würde – durch versteuertes Einkommen beim Ansparen und höhere Steuern auf Kapitalerträge beim Vermögensaufbau.
Finanzielle Auswirkungen im Vergleich
Ein Rechenbeispiel (vereinfachend, ohne Soli/KiSt):
Anlageform | Kapitalertrag | Steuerlast bei 25 % | Steuerlast bei 30 % | Differenz |
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ETF-Depot (10.000 € Gewinn) | 10.000 € | 2.500 € | 3.000 € | 500 € |
Die Mehrbelastung summiert sich über Jahrzehnte erheblich. Der Zinseszinseffekt wird durch die höhere Besteuerung spürbar abgeschwächt – ein direkter Eingriff in den Vermögensaufbau zur Altersvorsorge.
Verfassungsrechtliche Dimension
Ein Eingriff in die bestehende Systematik der Abgeltungsteuer wirft auch verfassungsrechtliche Fragen auf:
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Vertrauensschutz nach Art. 20 Abs. 3 GG für langfristige Anlageentscheidungen?
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Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG) bei unterschiedlichen Besteuerungen von Einkunftsarten?
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Förderung der Familie und Altersvorsorge als Staatsziel (Art. 6 GG i. V. m. Art. 20 GG)?
Solange der Staat einerseits private Vorsorge einfordert und fördert, andererseits aber den Kapitalaufbau fiskalisch erschwert, droht ein Systemwiderspruch, der auch juristisch angreifbar sein könnte.
Historisch-juristisch-ökonomische Kurzeinordnung:
1. Rechtslage heute (§ 32d EStG – Abgeltungsteuer)
Kapitalerträge werden seit 2009 mit einem gesonderten Steuertarif in Höhe von 25 % (zzgl. Soli/KiSt) besteuert. Dies soll die Steuererhebung vereinfachen und Steuerflucht eindämmen. Die Abgeltungsteuer ersetzt damit den progressiven Einkommensteuertarif für diese Einkünfte.
2. Geplanter Systemwechsel
Die SPD will die Abgeltungsteuer abschaffen und Kapitalerträge wieder dem persönlichen Einkommensteuertarif unterwerfen, mit einem Mindeststeuersatz von 30 % (so die Aussagen führender SPD-Politiker, z. B. in Wahlprogrammen und Interviews).
Das hieße konkret:
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Mindestbesteuerung von Kapitalerträgen mit 30 % (eventuell auch als pauschaler Satz),
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Abschaffung der Abgeltungsteuer und Rückführung in die Einkommensteuer,
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Ggf. Beibehaltung des Sparerpauschbetrags (aktuell 1.000 €/2.000 € bei Zusammenveranlagung).
3. Betroffene Einkünfte
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Zinsen
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Dividenden
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Gewinne aus Wertpapierverkäufen
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Möglicherweise auch Veräußerungsgewinne aus Beteiligungen, je nach gesetzlicher Ausgestaltung
4. Ökonomische Auswirkungen
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Private Anleger würden spürbar stärker belastet.
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Kapitalgesellschaften mit Streubesitz könnten unattraktiver werden (Dividenden würden höher belastet).
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Investitionen in den Kapitalmarkt könnten gedämpft werden.
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Steuermoral bei Kapitaleinkünften könnte sinken (Verlagerung ins Ausland, Umgehungsgestaltungen).
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Finanzplatz Deutschland könnte an Attraktivität verlieren, insbesondere für vermögende Privatpersonen.
5. Begründung der SPD
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Leistungsgerechtigkeit: Kapitaleinkommen sollen nicht niedriger besteuert werden als Arbeitseinkommen.
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Mehr Steuergerechtigkeit: Wohlhabendere Personen mit hohen Kapitalerträgen sollen einen höheren Beitrag leisten.
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Finanzierung öffentlicher Aufgaben (z. B. Bildung, Infrastruktur).
6. Kritik
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Leistungsfeindlich: Höhere Steuerlast für Sparer und Anleger.
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Gefahr von Kapitalflucht: Verlagerung ins Ausland oder in andere Anlageklassen.
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Systembruch: Erneuter Systemwechsel untergräbt steuerliche Planbarkeit und Vertrauen.
Kapitalertragsteuer: Kann es zur Einigung zwischen SPD und CDU/CSU kommen?
Während die SPD in den Koalitionsverhandlungen eine Erhöhung der Kapitalertragsteuer auf mindestens 30 % fordert, zeigen sich CDU und CSU bei diesem Thema deutlich zurückhaltender – ja sogar grundsätzlich ablehnend. Eine substanzielle Einigung erscheint daher zweifelhaft, sofern nicht erhebliche Kompromisse eingegangen werden.
Position der CDU/CSU zur Besteuerung von Kapitalerträgen
Die Union hat sich in der Vergangenheit – und auch im Bundestagswahlprogramm – klar für den Erhalt der Abgeltungsteuer ausgesprochen. Ihre zentralen Argumente lauten:
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Planbarkeit und Vertrauensschutz: Anleger benötigen verlässliche steuerliche Rahmenbedingungen, insbesondere bei der Altersvorsorge.
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Verhinderung von Steuerflucht: Die Abgeltungsteuer sollte Kapitalflucht ins Ausland eindämmen – eine Rückkehr zur individuellen Besteuerung erhöht Anreize zur Verlagerung.
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Stärkung des Finanzstandorts Deutschland: Kapitalmarktorientierte Altersvorsorge soll attraktiver werden, nicht unattraktiver.
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Keine pauschale Erhöhung der Steuerlast: Eine solche würde die „Mitte der Gesellschaft“ treffen – gerade jene, die mit kleinen Beträgen privat vorsorgen.
In mehreren Reden führender Unionspolitiker, insbesondere aus dem Wirtschaftsflügel (u. a. Friedrich Merz, Carsten Linnemann), wurde ausdrücklich vor einer höheren Besteuerung von Kapitalerträgen gewarnt – mit dem Verweis auf Wettbewerbsfähigkeit, Anlageverhalten und steuerliche Gerechtigkeit gegenüber Erwerbseinkommen.
Potenzial für Kompromiss – realistisch oder nur rhetorisch?
Eine Einigung in den Koalitionsverhandlungen erscheint nur dann möglich, wenn folgende Abschwächungen oder Modifikationen in Betracht gezogen werden:
Kompromissoption | Realistische Umsetzbarkeit | Bewertung |
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Erhöhung nur für sehr hohe Kapitaleinkünfte (z. B. ab 100.000 € p.a.) | gering bis mäßig | Würde das Steuersystem verkomplizieren und bringt wenig Einnahmen |
Option zwischen Abgeltungsteuer (25 %) und Regelbesteuerung (Progression) | mäßig | Besteht bereits (Günstigerprüfung), aber ohne Mindestbesteuerung |
Einführung einer „Reichensteuer“ auf Kapitalerträge ab bestimmter Schwelle | gering | Politisch symbolisch, ökonomisch ineffizient |
Beibehaltung der Abgeltungsteuer, aber Reduzierung von Ausnahmen/Subventionen | realistisch | z. B. Einschränkung Verlustverrechnung, weniger Gestaltungsspielräume |
Die SPD verfolgt eine steuerpolitisch interventionistische Linie, die Kapital stärker belasten und Arbeitseinkommen entlasten will. Die Union hingegen steht für Kapitalmarktfreundlichkeit, Eigentumsschutz und steuerliche Planungssicherheit.
Eine Einigung wäre nur denkbar, wenn:
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die SPD auf die vollständige Abschaffung der Abgeltungsteuer verzichtet,
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und die Union ggf. bei Detailfragen oder Missbrauchsvermeidung Entgegenkommen zeigt.
Der Konflikt berührt grundlegende ideologische Gegensätze in der Steuerpolitik. Aus Sicht der Union wäre eine Steuererhöhung auf Kapitalerträge ein Bruch mit marktwirtschaftlicher Ordnungspolitik, während die SPD darin einen Schritt zu mehr „Leistungsgerechtigkeit“ sieht.
Für Vorsorgesparer und Kapitalanleger heißt das: Die Lage bleibt unsicher – aber die Pläne der SPD stoßen innerhalb der Union auf deutlichen Widerstand. Eine Einigung ist daher nicht wahrscheinlich, es sei denn, andere Politikfelder (z. B. Rentenreform, Kindergrundsicherung, Investitionen) werden zum Tauschobjekt gemacht.