75 Jahre ARD – Hüterin der Rundfunkfreiheit oder Akteurin im Zeitgeist?

Am 9. Juni 2025 feiert die ARD ihr 75-jähriges Bestehen – ein Jubiläum, das nicht nur Anlass zur Rückschau, sondern auch zur kritischen Standortbestimmung bietet. Denn in einer Zeit, in der sich Informationsströme beschleunigen, Öffentlichkeiten fragmentieren und das Vertrauen in Medien erodiert, steht der öffentlich-rechtliche Rundfunk mehr denn je im Spannungsfeld zwischen verfassungsrechtlichem Auftrag und gesellschaftlicher Erwartung. Die zentrale Frage lautet: Wie viel vom Geist der Gründungsjahre ist heute noch übrig – und betreibt die ARD heute wirklich unabhängigen Journalismus? In diesem Kontext stellt sich die Frage, wie die ARD ihre Rolle als Medieninstitution über 75 Jahre hinweg interpretiert, besonders im Hinblick auf die Bedeutung ihrer 75 Jahre ARD.
Die ARD befindet sich in einem Spannungsfeld zwischen gesellschaftlicher Verantwortung und redaktioneller Balance. Ihre Orientierung am Zeitgeist ist besonders in diskursheiklen Themenfeldern zu beobachten. Dabei verschwimmen mitunter die Grenzen zwischen pluralistischer Darstellung und publizistischer Steuerung. Der verfassungsrechtlich gebotene Ausgleich von Perspektiven darf jedoch nicht der Dynamik medialer „Lagerbildung“ geopfert werden.
Die Herausforderung liegt darin, gesellschaftliche Entwicklungen journalistisch zu begleiten, ohne sie zu normativ zu überhöhen – und so der Rundfunkfreiheit in ihrem dienenden Verständnis gerecht zu werden.
In Anbetracht der 75 Jahre ARD müssen wir auch die Herausforderungen und Chancen der digitalen Transformation für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk beleuchten.
Die Diskussion rund um die 75 Jahre ARD ist nicht nur ein Blick zurück, sondern auch ein Anstoß, über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nachzudenken.
Das „Verfolgen des Zeitgeistes“ durch die ARD wird insbesondere in bestimmten Themenfeldern deutlich, bei denen gesellschaftliche Diskurse stark moralisiert, emotionalisiert oder politisiert sind. Hier zeigt sich eine inhaltliche Schwerpunktsetzung, die in Teilen als Indikator für journalistische Haltung und nicht bloß für neutrale Berichterstattung gelesen werden kann. Beispiele sind: Im Rahmen der 75 Jahre ARD Feierlichkeiten wird besonders deutlich, wie diese Themen in den Fokus rücken.
Rundfunkfreiheit in ihrer Bedeutung
Unabhängigkeit der ARD zwischen Anspruch und Realität
Formal ist die ARD staatsfern organisiert – materiell jedoch zeigen sich Strukturrisiken, die die Unabhängigkeit faktisch schwächen können. Die Nähe zum Zeitgeist, die selektive Thematisierung kontroverser gesellschaftlicher Debatten sowie das zurückhaltende Auftreten gegenüber politischen Entscheidungsträgern lassen Zweifel aufkommen, ob die verfassungsrechtlich gebotene dienende Funktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks uneingeschränkt erfüllt wird.
Die ARD läuft Gefahr, ihren Funktionsauftrag selbst zu untergraben, wenn sie sich zu sehr als politische oder gesellschaftliche Akteurin versteht und dabei ihre Rolle als unabhängige Plattform für offenen Diskurs vernachlässigt. Eine glaubhafte Erfüllung dieses Auftrags verlangt – gerade im Jubiläumsjahr – kritische Selbstreflexion, Transparenz gegenüber dem Publikum und strukturelle Distanz zur politischen Macht. Nur so bleibt die ARD das, was sie laut Verfassung sein soll: eine Garantin freiheitlicher Öffentlichkeit in einer demokratischen Gesellschaft.
Der verfassungsrechtliche Funktionsauftrag: Vielfalt, Staatsferne, Unabhängigkeit
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts drei wesentliche Anforderungen zu erfüllen:
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Vielfaltssicherung im Sinne einer breiten, nicht einseitigen Meinungsdarstellung,
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Staatsferne in organisatorischer, finanzieller und inhaltlicher Hinsicht,
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Programmliche Unabhängigkeit, auch gegenüber gesellschaftlichen Strömungen und wirtschaftlichem Druck.
Diese Anforderungen sind nicht bloß programmatische Leitlinien, sondern konstitutionelle Verpflichtungen – der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist „dienende Freiheit“ im Sinne eines grundrechtlich geschützten Kommunikationsraums, nicht politisches oder gesellschaftliches Steuerungsinstrument.
Gefährdung des Funktionsauftrags durch Orientierung am Zeitgeist?
Wenn die ARD sich in einzelnen Themenfeldern – etwa Klimapolitik, Identitätspolitik oder Migration – diskursiv verengt und sich normativ mit bestimmten gesellschaftlichen Positionen identifiziert, dann droht eine Einengung pluraler Diskurse. Diese Entwicklung unterläuft das verfassungsrechtlich gebotene Prinzip der „Vielfalt im Einzelnen wie im Ganzen“ (BVerfGE 73, 118).
Zudem besteht die Gefahr, dass sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht mehr als Ermöglicher von Meinungsbildung, sondern als Akteur im Meinungsbildungsprozess versteht – ein Rollentausch, der mit der dienenden Freiheit nicht vereinbar ist.
Unabhängigkeit der Intendantinnen und Intendanten gegenüber der Politik
Die Intendantinnen und Intendanten der ARD-Anstalten stehen formell unter dem Schutz institutioneller Unabhängigkeit. Sie werden von plural besetzten Rundfunkräten gewählt, die Staatsferne sicherstellen sollen. In der Praxis zeigt sich jedoch ein ambivalentes Bild:
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Einfluss der Ministerpräsidenten auf die Rundfunkpolitik ist nicht zu verkennen. Die Ministerpräsidentenkonferenz der Länder ist für die medienpolitische Ausgestaltung des Rundfunkstaatsvertrags zuständig – einschließlich Budgetfragen und Beitragshöhe.
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Personalpolitik und informelle Netzwerke zwischen Intendanten, Landespolitik und Verwaltungen begünstigen eine Nähe zur Exekutive. Zwar ist diese Nähe nicht per se verfassungswidrig, sie wirft aber die Frage auf, ob eine „strukturelle Rücksichtnahme“ entsteht, die sich auf Programmgestaltung oder Selbstkritik auswirkt.
Insbesondere in der Debatte um Gehälter, Reformblockaden und Strukturkritik fällt auf, dass kritische Distanz zur politischen Macht nicht immer ausreichend gewahrt scheint – etwa wenn Reformvorschläge von Ministerpräsident:innen politisch zurückhaltend beantwortet oder nicht offensiv kommuniziert werden – obwohl die Intendanten in ihrer Unabhängigkeit den Fundktionsauftrag des Rundfunks erfüllen sollen.