Verurteilungen des thüringischen AfD-Fraktionsvorsitzenden rechtskräftig

BGH – Beschlüsse vom 20. August 2025 – 3 StR 484/24 und 3 StR 519/24
BGH bestätigt Verurteilungen wegen SA-Parole „Alles für Deutschland“ – rechtliche Einordnung, Tragweite und Praxishinweise
Der Bundesgerichtshof (3. Strafsenat) hat die Revisionen gegen zwei Urteile des LG Halle verworfen und damit Geldstrafen gegen den thüringischen AfD-Fraktionsvorsitzenden rechtskräftig bestätigt. Gegenstand war in beiden Fällen die öffentliche Verwendung der SA-Parole „Alles für Deutschland“ (einschließlich eines bewusst initiierten Call-and-Response). Zentrale Aussagen: Indemnität greift nicht, die Parole ist ein Kennzeichen i.S.d. § 86a StGB, die Meinungsfreiheit wird zulässig beschränkt; Ausnahmen nach § 86 Abs. 4 StGB (u.a. Aufklärung, Berichterstattung) lagen nicht vor. (Bundesgerichtshof)
1) Sachverhalt
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Fall 1 (Merseburg, 29.05.2021): Öffentliche Wahlveranstaltung, Verwendung der Parole „Alles für Deutschland“.
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Fall 2 (Gera, 12.12.2023): „Stammtisch“ der AfD; der Angeklagte sagte „Alles für“ und animierte die Anwesenden per Gestik zur Vervollständigung „Deutschland“. Mehrere Personen folgten – wie beabsichtigt.
Beide Handlungen knüpften an die SA-Losung an, die in der NS-Zeit als Parole und Kennzeichen genutzt wurde. (Bundesgerichtshof)
2) Prozessgeschichte und Sanktionen
Das LG Halle verurteilte 2024 in zwei Verfahren wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB) zu Geldstrafen. Die Revisionsangriffe blieben vor dem BGH erfolglos; die Urteile sind rechtskräftig. (Bundesgerichtshof)
Zu den konkreten Tagessatzhöhen teilte das Justizministerium Sachsen-Anhalt mit:
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Urteil vom 14.05.2024 (5 KLs 6/23): 100 Tagessätze à 130 €
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Urteil vom 01.07.2024 (5 KLs 8/24): 130 Tagessätze à 130 €. (Landesportal Sachsen-Anhalt)
3) Rechtlicher Rahmen: § 86a StGB und Kennzeichenbegriff
§ 86a StGB sanktioniert u.a. das öffentliche Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger bzw. ehemaliger nationalsozialistischer Organisationen; Kennzeichen sind namentlich Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen, Grußformen (§ 86a Abs. 2 S. 1 StGB). Ausnahmen nach § 86 Abs. 4 StGB (Aufklärung, Abwehr, Kunst, Wissenschaft, Lehre, Berichterstattung u.ä.) erfassen die vorliegende Konstellation nicht. (Gesetze im Internet)
Der BGH betont: Für die Einordnung als Kennzeichen kommt es nicht darauf an, ob das Symbol/der Spruch einen heutigen Bekanntheitsgrad als Erkennungszeichen aufweist oder auch in anderem Kontext verwendet wird. Maßgeblich ist, dass die SA sich die Parole zu eigen gemacht hatte – was die Vorinstanz tragfähig festgestellt hat. (Bundesgerichtshof)
4) Keine Indemnität, zulässige Beschränkung der Meinungsfreiheit
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Indemnität (Art. 46 Abs. 1 GG) scheidet aus, weil die Äußerungen nicht in Ausübung des Mandats erfolgten (keine parlamentarische Äußerung, keine Plenarsituation). (Bundesgerichtshof)
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Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG): Die Sanktion bezieht sich nicht auf den Inhalt der politischen Aussage, sondern auf die Verwendung eines Kennzeichens einer nationalsozialistischen Organisation. Das ist – so der BGH – eine zulässige gesetzliche Schranke. (Bundesgerichtshof)
5) Besondere Konstellation: Verwendung
Im zweiten Fall genügte es, dass der Angeklagte den verbotenen Teil („Deutschland“) gezielt durch Gestik herbeiführte und damit die Vervollständigung der Parole bewusst veranlasste. Auch dies stellt Verwenden eines Kennzeichens dar. (Bundesgerichtshof)
6) Praxisfolgen
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Veranstalter und Redner: Öffentliche Parolen mit NS-Bezug sind hochriskant, auch indirekte Formen (Anstoßen eines Publikums-Chors) können strafbar sein.
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„Kontext-Verteidigung“: Der Hinweis, die Worte seien „allgemein“ oder „anders gemeint“, trägt regelmäßig nicht, wenn die Organisation den Spruch historisch als Kennzeichen verwendete. (Bundesgerichtshof)
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Ausnahmen (§ 86 Abs. 4 StGB): Nur bei ernsthafter staatsbürgerlicher Aufklärung, tatsächlicher Berichterstattung, Kunst/Wissenschaft/Lehre etc. – hier verneint. (Gesetze im Internet)
Beschluss des BGH – Zusammenfassung
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Entscheidungen: BGH, Beschlüsse vom 20.08.2025, 3 StR 484/24 und 3 StR 519/24.
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Ergebnis: Revisionen verworfen, Verurteilungen des LG Halle (vom 14.05.2024 – 5 KLs 6/23 und 01.07.2024 – 5 KLs 8/24) sind rechtskräftig. (Bundesgerichtshof)
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Tatgeschehen: Öffentliche Verwendung der SA-Parole „Alles für Deutschland“ (2021 Merseburg); 2023 Gera bewusstes Animieren des Publikums zur Vervollständigung („Call-and-Response“). (Bundesgerichtshof)
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Kernaussagen des BGH:
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Kennzeichenbegriff: Es kommt nicht auf heutigen Bekanntheitsgrad an; maßgeblich ist die historische Zu-Eigen-Machung durch die SA.
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Keine Indemnität: Keine Äußerung in Ausübung des Mandats.
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Meinungsfreiheit: Die Strafbarkeit betrifft die Kennzeichenverwendung, nicht die politische Meinung; zulässige Schranke.
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§ 86a StGB anwendbar; Ausnahmen nach § 86 Abs. 4 StGB nicht einschlägig. (Bundesgerichtshof)
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Sanktionen der Vorinstanz: 100 bzw. 130 Tagessätze à 130 €. (Landesportal Sachsen-Anhalt)
Gesetzesgrundlagen
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§ 86a StGB – Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen (insbes. Parolen als Kennzeichen, Abs. 2 S. 1). (Gesetze im Internet)
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§ 86 StGB – Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger und terroristischer Organisationen (Ausnahmen Abs. 4). (Dejure)
Quellen: BGH-Pressemitteilung Nr. 168/2025 vom 11.09.2025; Mitteilung des Justizministeriums Sachsen-Anhalt zu den Tagessätzen; Gesetze-im-Internet zu §§ 86, 86a StGB; juristische Fachberichte (LTO, beck-aktuell). (Bundesgerichtshof)