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Expertenkommission zur Reform der Strafprozessordnung nimmt Arbeit auf

Arbeitsrecht – Erbrecht - Kommunalrecht

Expertenkommission zur Reform der Strafprozessordnung nimmt Arbeit auf

Deutsches Recht

Am 25. September 2025 hat im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJ) die von Ministerin Dr. Stefanie Hubig einberufene Expertenkommission zur Reform der Strafprozessordnung (StPO) ihre Arbeit aufgenommen. Ihr Ziel: eine zügigere, modernere und zugleich grundrechtskonforme Ausgestaltung des deutschen Strafprozesses.

Hintergrund: Ein Reformauftrag mit Verfassungsrang?

Seit Jahren wird die zunehmende Verfahrensdauer in Strafprozessen von Richterschaft, Anwaltschaft und Wissenschaft kritisiert – nicht nur als Belastung für die Justiz, sondern auch als Verlust an Rechtsfrieden, Resozialisierungschancen und öffentlichem Vertrauen in den Rechtsstaat. Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt angemahnt, dass unangemessen lange Verfahren eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren (Art. 6 EMRK, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) darstellen können. Die nun eingesetzte Kommission ist Ausdruck eines politischen Konsenses: Die Strafjustiz muss effizienter werden – ohne ihre rechtsstaatliche Substanz einzubüßen.

Besetzung: Wissenschaft trifft Praxis

Die Kommission wurde so besetzt, dass die Perspektiven von Richterschaft, Anwaltschaft, Strafverteidigung, Justizverwaltungen und Wissenschaft gleichermaßen einfließen. Vertreten sind unter anderem:

  • Landesjustizministerien

  • Bundesrechtsanwaltskammer

  • Deutscher Anwaltverein und Strafverteidigerverbände

  • Deutscher Juristinnenbund

  • Wissenschaftliche Strafprozessrechtler

Diese interdisziplinäre Zusammensetzung verspricht einen realitätsnahen und zugleich verfassungsbewussten Diskurs.

Inhaltliche Agenda: Beschleunigung, Digitalisierung, Straffung

Kernaufgabe ist die Entwicklung von Vorschlägen zur Verfahrensbeschleunigung – insbesondere in der strafgerichtlichen Hauptverhandlung. Neben strukturellen Reformen (z. B. zur Unterbrechungsfrist nach § 229 StPO) dürften folgende Themen auf der Agenda stehen:

  • Digitalisierung des Strafverfahrens (z. B. Videoverhandlung, digitale Aktenführung)

  • Reform der Beweisaufnahme, insbesondere zur Rolle von Gutachten und Zeugenvernehmungen

  • Straffung der Rechtsmittelverfahren

  • Beteiligungsrechte der Nebenklage und Opferrechte

  • Verhältnis von Abspracheverfahren (§ 257c StPO) und Beschleunigungsinteresse

Im Fokus steht dabei stets das Spannungsfeld: Effizienz versus Fairness, Beschleunigung versus Verteidigungsrechte.

Politischer Kontext: Umsetzung des Koalitionsvertrags

Die Einsetzung der Kommission geht auf eine Verpflichtung aus dem Koalitionsvertrag der Ampelregierung zurück. Während sich die Legislative bislang auf punktuelle Reformen beschränkte (etwa bei § 100a StPO oder im Kontext des Legal-Tech-Gesetzes), markiert dieser Schritt den Versuch einer systematischen Überarbeitung des Verfahrensrechts – vergleichbar mit der großen StPO-Reform von 1975.

Perspektive: Vom Diskurs zur Gesetzgebung

Die Kommissionsarbeit ist bis Herbst 2026 terminiert. Das BMJ hat bereits angekündigt, nach Vorlage der Empfehlungen einen Gesetzentwurf auszuarbeiten. Ob es zu einem großen Reformgesetz kommt oder zu einer Reform in Etappen (wie bei der ZPO) wird sich zeigen. Entscheidend wird sein, ob es gelingt, praxisgerechte Vorschläge zu formulieren, die politischen Rückhalt und verfassungsrechtliche Tragfähigkeit besitzen.

Bewertung: Chancen und Herausforderungen

Die Einsetzung der Kommission soll ein wichtiger Schritt hin zu einer modernen, resilienten Strafjustiz sein. Aber: Eine bloße Verkürzung der Hauptverhandlungen darf nicht auf Kosten der Verteidigungsrechte oder der Wahrheitsfindung gehen.

Die Herausforderung liegt darin, die Verfahrensgerechtigkeit nicht dem Effizienzparadigma zu opfern, sondern beides in Einklang zu bringen – ein „Tempo mit Augenmaß“.


 

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