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Rückforderungen von Corona-Hilfen

Arbeitsrecht – Erbrecht - Schulrecht

Rückforderungen von Corona-Hilfen

Einsam durch Corona

38 Firmen klagen in SH gegen die Rückzahlung der Hilfen

Seit Beginn der COVID-19-Pandemie im Frühjahr 2020 hat die Investitionsbank Schleswig-Holstein (IB.SH) rund 467 Millionen Euro an Corona-Soforthilfen an etwa 56.000 Unternehmen ausgezahlt, die durch die Pandemie in finanzielle Schwierigkeiten geraten waren. Davon stammten etwa 412 Millionen Euro aus Bundesmitteln und rund 56 Millionen Euro aus Landesmitteln. ndr.de

Im August 2021 begann die IB.SH mit einem Rückmeldeverfahren, bei dem Unternehmen den Einsatz der erhaltenen Mittel nachweisen mussten. Dabei stellte sich heraus, dass häufig zu hohe Beträge ausgezahlt worden waren. Nur ein Drittel der Antragsteller hatte sich zu diesem Zeitpunkt zurückgemeldet. ndr.de

Die rechtliche Grundlage für die Rückforderungen bildet die Verpflichtung der Unternehmen, eine Überkompensation zu vermeiden. Das bedeutet, dass die erhaltenen Hilfen nicht zu einer Überdeckung des tatsächlichen finanziellen Bedarfs führen dürfen. Bei Feststellung einer solchen Überkompensation sind die zu viel erhaltenen Mittel zurückzuzahlen. Für diese Rückforderungen gelten bestimmte Fristen: Bei gemeldeten Überkompensationen beträgt die Zahlungsfrist sechs Monate, während sie bei Rückforderungen aufgrund von Stichprobenprüfungen drei Monate beträgt. ib-sh.de

Um den Rückmeldeprozess zu erleichtern, hat die IB.SH ein Online-Verfahren bereitgestellt, mit dem Unternehmen den Betrag einer möglichen Überkompensation ermitteln und melden können. Sollte eine Überkompensation vorliegen, wird ein Rückforderungsbescheid über den zu viel gezahlten Betrag erlassen. Unternehmen haben die Möglichkeit, eine Stundung der Rückzahlung für bis zu 36 Monate zu beantragen. schleswig-holstein.de

Die Rückforderungen stoßen jedoch nicht überall auf Akzeptanz. In Schleswig-Holstein haben beispielsweise 38 Unternehmen Klage gegen die Rückforderungen eingereicht. kn-online.de

Einige Betroffene argumentieren, dass die Rückforderungen rechtswidrig seien, was zu laufenden Gerichtsverfahren führt.

 

Überkompensation und Rückforderung – Abstrakt und am fiktiven Beispiel eines Friseurbetriebs

1. Was bedeutet Überkompensation?

Überkompensation liegt vor, wenn die erhaltenen Corona-Soforthilfen den tatsächlichen finanziellen Bedarf eines Unternehmens überschreiten. Die Hilfen waren als Überbrückungszahlungen gedacht, um pandemiebedingte Liquiditätsengpässe auszugleichen, nicht aber, um Gewinne zu erzielen oder Verluste aus anderen Ursachen auszugleichen.

Die Berechnung einer möglichen Überkompensation erfolgt meist nach dem Schema:

Erhaltene Soforthilfe – (laufende Fixkosten – verfügbare Einnahmen) = Überkompensation

Falls dieser Wert positiv ist, liegt eine Überkompensation vor, die zurückgezahlt werden muss.


2. Beispiel: Ein kleiner Friseurbetrieb

Ein Friseursalon mit einer Inhaberin und zwei Angestellten erhält im April 2020 eine Corona-Soforthilfe in Höhe von 9.000 Euro. Die Berechnung der Rückforderung könnte wie folgt aussehen:

  • Monatliche Fixkosten des Betriebs: 4.000 Euro
    • Miete: 1.500 Euro
    • Strom, Wasser, Versicherungen: 500 Euro
    • Leasinggeräte & andere Fixkosten: 500 Euro
    • Personalkosten (Kurzarbeitergeld wurde beantragt, daher nicht enthalten)
  • Monatliche Einnahmen während des Lockdowns: 0 Euro
    • (Der Betrieb war von behördlichen Schließungen betroffen)

Für drei Monate wäre der nachgewiesene Liquiditätsbedarf:
3 × 4.000 € = 12.000 €

Da jedoch nur 9.000 Euro Soforthilfe gezahlt wurden und die Fixkosten diesen Betrag übersteigen, liegt keine Überkompensation vor. Es gibt keine Rückforderung.


3. Beispiel einer Überkompensation

Nun nehmen wir an, dass der Friseursalon neben den Soforthilfen noch andere Einnahmen hatte:

  • Er verkaufte Haarpflegeprodukte online und erwirtschaftete damit in drei Monaten 6.000 Euro Umsatz (nach Abzug der Einkaufskosten).
  • Der Liquiditätsbedarf wäre damit 12.000 € – 6.000 € = 6.000 €
  • Da die erhaltene Soforthilfe jedoch 9.000 € betrug, liegt eine Überkompensation von 3.000 € vor.

Folge: Die Investitionsbank könnte die Rückforderung von 3.000 Euro verlangen, da dieser Betrag über den nachgewiesenen finanziellen Bedarf hinausging.

Überkompensation kann entstehen, wenn ein Unternehmen durch Soforthilfen mehr Geld erhalten hat, als es für die Deckung pandemiebedingter Ausfälle benötigt. Wer zusätzliche Einnahmen hatte oder geringere Fixkosten nachweisen konnte, muss mit einer (teilweisen) Rückforderung rechnen. Besonders betroffen sind Betriebe, die ihre Geschäftstätigkeit teilweise aufrechterhalten konnten oder später festgestellte Umsatzrückgänge niedriger ausfielen als ursprünglich prognostiziert.


Klagen vor Verwaltungsgerichten

Am Donnerstag, dem 27. Februar 2025, wird vor dem Verwaltungsgericht (VG) Schleswig eine Klage gegen die Investitionsbank Schleswig-Holstein (IB.SH) verhandelt. Der Kläger, vertreten durch den Prozessbevollmächtigten Jörg Dell-Missier aus Kropp, wendet sich gegen die Rückforderung von Corona-Soforthilfen durch die IB.SH. Die Bank fordert von zahlreichen Unternehmen die teilweise oder vollständige Rückzahlung der während der Pandemie gewährten Hilfen, da bei der Schlussabrechnung Überkompensationen festgestellt wurden. Insgesamt belaufen sich die Rückforderungen auf etwa 189 Millionen Euro. ndr.de

Der Kläger argumentiert, dass die Rückforderungen rechtswidrig seien und beruft sich dabei auf unklare Regelungen in den Bewilligungsbescheiden sowie auf Vertrauensschutz. Ähnliche Klagen wurden bereits in anderen Bundesländern eingereicht, wobei einige Gerichte zugunsten der Kläger entschieden haben. Das Verfahren vor dem VG Schleswig könnte daher richtungsweisend für weitere Fälle in Schleswig-Holstein sein.

Es bleibt abzuwarten, wie das Gericht entscheiden wird und welche Auswirkungen das Urteil auf die Praxis der Rückforderungen von Corona-Soforthilfen in der Region haben könnte.

In mehreren Gerichtsverfahren haben Unternehmen erfolgreich gegen die Rückforderung von Corona-Soforthilfen geklagt. Die Gerichte hoben dabei insbesondere auf unklare Förderbedingungen und die unzureichende Bestimmtheit des Förderzwecks ab.

1. Verwaltungsgericht Karlsruhe:

Am 11. Oktober 2024 entschied das Verwaltungsgericht Karlsruhe zugunsten eines Unternehmens aus Karlsruhe. Das Gericht hob den Widerrufs- und Erstattungsbescheid der Landeskreditbank Baden-Württemberg (L-Bank) auf. In der mündlichen Verhandlung wurde deutlich, dass das Gericht den Zweck der Corona-Soforthilfe als nicht hinreichend bestimmt ansah. Daher sei der Widerruf aufgrund einer vermeintlichen Zweckentfremdung der Soforthilfe nicht gerechtfertigt. Die genaue Urteilsbegründung steht noch aus. dr-stoll-kollegen.de

2. Verwaltungsgericht Stuttgart:

Am 18. September 2024 verhandelte das Verwaltungsgericht Stuttgart zwei Fälle, in denen Unternehmen gegen die Rückforderung von Corona-Soforthilfen klagten. Die L-Bank hatte die Rückforderungen mit einer angeblichen Zweckverfehlung begründet. Das Gericht stellte jedoch fest, dass der Zweck der Soforthilfe in den Richtlinien, Bewilligungsbescheiden und Antragsformularen nicht eindeutig definiert war. Unklare Begrifflichkeiten und sich ändernde FAQs führten dazu, dass die Rückforderungsbescheide aufgehoben wurden. dehogabw.de

3. Verwaltungsgericht Freiburg:

Im Juli 2024 entschied das Verwaltungsgericht Freiburg in fünf von sechs Musterverfahren zugunsten der Kläger. Die Rückforderungsbescheide wurden aufgehoben, da der Zweck der Soforthilfe nicht klar definiert war. Die Gerichte betonten, dass ein Widerruf eines Bewilligungsbescheids nur bei eindeutiger Zweckverfehlung zulässig sei. Da die Förderbedingungen jedoch unklar formuliert waren, konnten die Unternehmen die Soforthilfen behalten. tagesschau.de

4. Oberlandesgericht Nordrhein-Westfalen:

Bereits 2023 entschied das Oberlandesgericht Nordrhein-Westfalen in mehreren Musterverfahren, dass Rückforderungsbescheide rechtswidrig seien. Das Land hatte bei der Auszahlung der Soforthilfen bestimmte Bedingungen festgelegt, sich bei der Rückforderung jedoch nicht an diese gehalten. Die Gerichte stellten fest, dass Unklarheiten in den Bewilligungsbescheiden zu Lasten der Behörden gingen.

Diese Urteile verdeutlichen, dass unklare oder widersprüchliche Förderbedingungen die Grundlage für erfolgreiche Klagen gegen Rückforderungsbescheide sein können. Unternehmen, die mit solchen Bescheiden konfrontiert sind, sollten daher die Rechtmäßigkeit der Forderungen sorgfältig prüfen und gegebenenfalls rechtlichen Beistand in Anspruch nehmen.

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