ARD und ZDF: Der Reformstaatsvertrag

Die Regierungschefs der Länder haben am 26. September 2024 einen Staatsvertragsentwurf zur Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ReformStV) zur öffentlichen Anhörung freigegeben.
Gleichzeitig hat die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) einen KEF-Sonderbericht zu finanziellen Auswirkungen möglicher Ansätze zur Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks veröffentlicht. Ein Ansatz, der Inhalt und Qualität der Rundfunkangebote von der rein finanziellen Seite her beleuchtet.
Beides ist auf der Seite der Rundfunkkommission der Länder abrufbar und einsehbar.
Zur Seite der Rundfunkkommission
Alle Interessierten sind aufgerufen, eine Stellungnahme zum Enturf des Reformstaatsvertrages abzugeben.
Hauptpunkte neben der Einstellung des Programms 3sat sind:
-
Konkretisierung des Auftrags der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten:
- Der Auftrag der Rundfunkanstalten bleibt bestehen, ihre Angebote zur Förderung der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung zu nutzen. Es wird jedoch eine stärkere Betonung auf spezifische gesellschaftliche Bedürfnisse gelegt, um den gesamtgesellschaftlichen Diskurs zu fördern und die kulturelle, soziale und demokratische Funktion zu erfüllen.
-
Reduktion der Anzahl digitaler Spartenkanäle:
- Ein zentrales Ziel der Reform ist die Verringerung der Anzahl digitaler Spartenkanäle sowie der Abbau von Mehrfachstrukturen. Durch die Nutzung von Flexibilisierungsmöglichkeiten soll eine effizientere Struktur geschaffen werden. Dies beinhaltet auch die klare Zuordnung von Verantwortlichkeiten durch Federführungen bei gemeinsamen Angeboten.
-
Stärkung der Angebote für junge Menschen und interaktive Formate:
- Besondere Aufmerksamkeit wird auf die Stärkung der Angebote für jüngere Zielgruppen gelegt. Dies umfasst die Einführung interaktiver und partizipativer Formate, die es Nutzern ermöglichen, aktiv an der Gestaltung von Themen und Formaten teilzunehmen.
-
Neuer Medienrat:
- Der Medienrat soll als Gremium fungieren, das die öffentliche Debatte und die Kontrolle der Auftragserfüllung der Rundfunkanstalten fördert. Obwohl der Medienrat Kritik äußern kann, bleibt die endgültige Entscheidungskompetenz bei den bestehenden Gremien der Rundfunkanstalten, was bedeutet, dass keine direkte Verpflichtung zur Umsetzung der Kritik besteht.
-
Flexibilisierung der Programmbereiche:
- Einführung eines „Körbemodells mit Schwerpunktangeboten“, das das bisherige System der linearen Spartenprogramme ersetzt. Dies ermöglicht eine flexiblere Gestaltung und Anpassung des Programmportfolios, insbesondere im Hinblick auf die wechselnden Anforderungen der Rezipienten.
-
Zusammenarbeit von ARD, ZDF und Deutschlandradio:
- Die Reform legt großen Wert auf eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den öffentlich-rechtlichen Anstalten. Dabei soll insbesondere die Nutzung gemeinsamer Ressourcen wie Studios und technischer Infrastruktur optimiert werden. Diese Zusammenarbeit soll zur Kosteneffizienz beitragen und gleichzeitig die Eigenständigkeit der Anstalten wahren.
-
Stärkung der Bildungs- und Medienkompetenzangebote:
- Ein besonderer Fokus liegt auf der Förderung von Bildungsinhalten und der Medienkompetenz. Die Rundfunkanstalten sollen ihre Bildungsangebote leicht zugänglich machen und Partnerschaften mit Bildungs- und Kultureinrichtungen stärken.
-
Sportberichterstattung:
- Die Sportberichterstattung soll diversifiziert werden, um auch nicht kommerziell vermarktete Sportarten stärker in den Fokus zu rücken. Dabei soll ein arbeitsteiliges Vorgehen zwischen den Rundfunkanstalten etabliert werden, um eine breitere Abdeckung ohne Redundanz sicherzustellen.
Diese inhaltlichen Änderungen können aber auch als eine Einmischung der Politik in die Rundfunkfreiheit der Sendeanstalten gewertet werden, weil detaillierte politische Vorgaben für ihr Programm erfolgen und ihre Unabhängigkeit durch Programmautonomie nicht gewahrt bleibt.
Eine Kommentierung:
Die angestrebten Veränderungen bezüglich der Veranstaltung von 3sat, der Einführung eines neuen Medienrats und der Beschränkung der Hörfunkprogramme stellen unter dem Gesichtspunkt der Medienfreiheit erhebliche Probleme dar, insbesondere im Hinblick auf die Programmautonomie der Rundfunkanstalten und die Rolle der bestehenden Kontrollgremien.
1. Programmautonomie der Rundfunkanstalten
Die Programmautonomie ist ein essenzieller Bestandteil der Rundfunkfreiheit, die durch Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) geschützt wird. Sie gewährleistet, dass Rundfunkanstalten unabhängig von politischer Einflussnahme und ökonomischen Interessen agieren können, um ihre Funktion als Medium und Faktor der freien Meinungsbildung zu erfüllen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk einen besonderen Funktionsauftrag, der die Förderung des demokratischen, sozialen und kulturellen Zusammenhalts in der Gesellschaft umfasst. Jede Form von direkter oder indirekter Einflussnahme auf die inhaltliche Gestaltung der Programme könnte als Eingriff in diese Autonomie interpretiert werden und wäre daher verfassungsrechtlich problematisch.
Die geplanten Beschränkungen der Programme (3sat und Hörfunk) könnten eine Einschränkung der inhaltlichen Vielfalt bedeuten und damit dem Auftrag der Rundfunkanstalten widersprechen, eine möglichst breite Themen- und Meinungsvielfalt zu bieten. Solche Eingriffe können die journalistische Unabhängigkeit und die Objektivität der Berichterstattung beeinträchtigen, was einen wesentlichen Verstoß gegen die Vorgaben des Grundgesetzes darstellen würde.
Anstelle einer konkreten Programmbeauftragung sollte eine völlig Unabhängigkeit der Anstalten für das Programmangebot formuliert werden, so daß der Beitragszahler über seinen Nutzungsentscheidungen signalisiert, was der Medienmarkt tatsächlich nachfragt. Der Qualitätsanspruch über den öffentlich-rechlitchen Auftrag bliebe davon unberührt.
2. Schaffung eines neuen Medienrats
Der neue Medienrat, wie er im Entwurf des Reformstaatsvertrages vorgesehen ist, bringt die Gefahr einer Entmachtung der bestehenden Kontrollgremien mit sich, die traditionell die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gewährleisten sollen. Diese Kontrollgremien, wie die Rundfunkräte, Verwaltungsräte und Fernsehrat, sind in ihrer Funktion darauf ausgerichtet, die Staatsferne und die pluralistische Zusammensetzung der Rundfunkanstalten sicherzustellen. Eine neue Instanz, die möglicherweise mit staatlich nahestehenden Akteuren besetzt wird, könnte diese Prinzipien untergraben und damit die verfassungsrechtlich gebotene Staatsferne des Rundfunks in Frage stellen.
Zudem bedeutet ein Gremien nicht Qualitätsgewinn sondern Erhöhung des Abstimmungsbedarfs, unabhänigig von der Frage der echten Kompetenzabgrenzung.
3. Einfluss auf 3sat und Konsequenzen für die Programmvielfalt
Die angestrebten Änderungen zur Veranstaltung von 3sat im Rahmen des Reformstaatsvertrages sind falsch. Ein solcher Eingriff würde die Informationsfreiheit in einem Sprachraum bedrohen, Wahrnehmung und Austausch mit den Ländern Österreich und Schweiz kulturell erschweren.
3sat ist finanziell kein Beitrag zum Sparen.
3sat wurde immer wieder durch die Initiative einzelner Ministerpräsidenten in der Vergangenheit zum Wohle aller gerettet. Dies sollte auch jetzt der Fall sein.
4. Verfassungsrechtliche Einordnung und Bedeutung der Medienfreiheit
Die Medienfreiheit nicht nur ein individuelles Grundrecht, sondern stellt auch eine objektiv-rechtliche Verpflichtung dar, die dem Staat untersagt, in die Struktur und Funktionsweise der Medien in einer Weise einzugreifen, die ihre Unabhängigkeit gefährden würde. Der Schutz der Medien vor staatlicher Einflussnahme ist ein zentraler Bestandteil einer freiheitlichen Demokratie, die auf der Vielfalt und Unabhängigkeit der Meinungsbildung beruht.
Die Schaffung neuer Gremien oder eine veränderte Auftragsdefinition für öffentlich-rechtliche Anstalten darf nicht zu einer faktischen Kontrolle der Inhalte durch den Staat führen. Solche Maßnahmen sind als ein Verstoß gegen die verfassungsmäßig garantierte Rundfunkfreiheit zu werten, da sie die institutionelle Unabhängigkeit der Medien und ihre Fähigkeit, als vierte Gewalt zu fungieren, schwächen.
5. Fazit
Die angestrebten Veränderungen in Bezug auf die Veranstaltung von 3sat, die Einführung eines neuen Medienrats und die Beschränkung der Hörfunkprogramme sind als unzulässige Eingriffe in die Programmautonomie der Rundfunkanstalten und als Entmachtung der etablierten Kontrollgremien zu verstehen. Diese Maßnahmen stehen im Widerspruch zur verfassungsrechtlich geschützten Rundfunkfreiheit und der notwendigen Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Sie laufen Gefahr, die Unabhängigkeit der Berichterstattung zu untergraben und somit die demokratische Funktion der Medien als Instrument der freien Meinungsbildung zu beeinträchtigen. Es wäre ratsam, diese Reformvorhaben kritisch zu überdenken und sicherzustellen, dass jede Änderung im Einklang mit den Prinzipien der Medienfreiheit und der demokratischen Kontrolle steht.
Die Länder, die nun den Reformstaatsvertrag vorgelegt haben sind u.a. die Bundesländer, über die der Medienrechtler Prof. Dieter Dörr in einem Vortrag am 9.4.2024 im Rahmen der Veranstaltungsreihe Mainz Media Forum an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz ausführte:
Es ist aber nicht damit zu rechnen, dass die Länder den Vorschlag der KEF umsetzen werden. Vielmehr haben ganz im Gegenteil sechs Länder – bevor die Prüfung durch die KEF überhaupt begonnen hatte bzw. abgeschlossen war und deren Vorschlag vorlag – bereits vorab erklärt, dass sie einer Beitragserhöhung nicht zustimmen werden.[33] Dem schloss sich später der Berliner Regierende Bürgermeister an.[34] Auch nachdem am 17.11.2023 der Inhalt des Berichtsentwurfs der KEF mit einem Erhöhungsvorschlag von 0,58 € bekannt geworden war,[35] bekräftigten der Medienstaatssekretär Brandenburgs, der Ministerpräsident Bayerns und der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt ausdrücklich, dass ihre Länder einen Erhöhungsvorschlag der KEF in jedem Fall ablehnen werden, ohne dafür einen Abweichungsgrund anzuführen. Noch weiter ging der Medienstaatssekretär Benjamin Grimm, der am Tag der Veröffentlichung des KEF-Berichts und dessen Vorstellung durch den Vorsitzenden Martin Detzel in der Pressekonferenz vom gleichen Tage seinerseits erklärte, dass Brandenburg jede Erhöhung ablehnen werde.[36] Auch der Regierende Bürgermeister von Berlin und das Land-Sachsen Anhalt kündigten unmittelbar nach der Übergabe des KEF-Berichts ihre Ablehnung einer Beitragserhöhung an.[37] Schließlich haben sich nunmehr alle Länder darauf geeinigt, dass Verfahren einer möglichen Beitragserhöhung vorerst nicht weiter zu betreiben, sondern stattdessen im Herbst 2024 einen „Reformstaatsvertrag“ vorzulegen, der auch Änderungen herbeiführen soll, welche sich kostendämpfend auf den künftigen Finanzbedarf auswirken sollen.
Daher ist schon jetzt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Länder bis zum 31.12.2024 sich nicht darauf einigen werden, den Vorschlag der KEF, den Rundfunkbeitrag um 0,58 € zu erhöhen, durch den Abschluss eines entsprechenden Medienänderungsstaatsvertrag umzusetzen und diesen dann jeweils durch entsprechende Landesgesetze bzw. in Bayern und Nordrhein-Westfalen Landtagsbeschlüsse zum Bestandteil des Landesrechts zu machen. Spätestens mit der Einigung auf das oben beschriebene „Moratorium“ haben sie eindeutig zu erkennen gegeben, dass sie den KEF-Vorschlag ablehnen, also dessen Umsetzung unterlassen werden.