Dient die Demokratie der Verwaltung oder umgekehrt?

Die Bundeswahlleiterin Ruth Brand hat in Interviews und einem Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz vor den Risiken eines zu frühen Wahltermins gewarnt. Sie betonte, dass eine Neuwahl im Januar oder Februar organisatorische Herausforderungen mit sich bringen könnte, die die Qualität und Integrität der Wahl gefährden könnten.
Sie wies darauf hin, dass die Vorbereitungszeit von 60 Tagen, die im Grundgesetz festgelegt ist, voll ausgeschöpft werden sollte, um eine ordnungsgemäße Durchführung der Wahl zu gewährleisten.
In ihrem Brief an Scholz äußerte sie Bedenken, dass ein überstürzter Wahltermin zu Problemen bei der Beschaffung von Wahlunterlagen und der Organisation von Wahllokalen führen könnte. Sie betonte, dass die demokratische Qualität der Wahl und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Wahlprozess nicht gefährdet werden dürften.
Dies könne zu „unabwägbaren Risiken auf allen Ebenen“ führen. So müssten in kurzer Zeit zahlreiche Aufgaben erledigt werden:
- Bereitstellung der IT-Infrastruktur auf Ebene von Bund, Ländern und Kommunen, inklusive Sicherheitsmaßnahmen gegen hybride Bedrohungen
- Beschaffung von Wahlunterlagen wie Stimmzettel, was aufgrund aktueller Lieferengpässe erschwert ist
- Bestellung und Schulung von Wahlhelfern
- Organisation und Ausstattung geeigneter Wahlräume
Brand befürchtet zudem, dass Wahlvorschläge in der Eile fehlerhaft eingereicht und dann nicht zugelassen werden. Nicht etablierte Parteien, die Unterstützungsunterschriften sammeln müssten, stünden unter zusätzlichem Zeitdruck. Eine Überlastung der Wahlämter könnte dazu führen, dass Briefwahlunterlagen besonders ins Ausland nicht rechtzeitig versendet werden.
Aber dient die Verwaltung nicht der Demokratie – muß sie nicht alles tun, um den Willen des Soveräns nach Neuwahlen zu erfüllen, und alles unterlassen, was der Pflicht zur politischen Unabhängigkeit von Verwaltung widerspricht?
Bundeswahlleiterin:
Dr. Ruth Brand wurde auf Vorschlag der Bundesministerin des Innern und für Heimat, Nancy Faeser, vom Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier am 15.12.2022 zur Präsidentin des Statistischen Bundesamtes ernannt. Mit dieser Ernennung übernahm sie auch das Amt der Bundeswahlleiterin, da dieses traditionell mit der Leitung des Statistischen Bundesamtes verknüpft ist.
Die Berufung erfolgt in der Regel wie folgt:
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Vorschlag durch das Bundesministerium des Innern und für Heimat: Die Bundesministerin oder der Bundesminister schlägt eine geeignete Person für das Amt vor.
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Ernennung durch den Bundespräsidenten: Auf Basis dieses Vorschlags ernennt der Bundespräsident die vorgeschlagene Person offiziell zur Präsidentin oder zum Präsidenten des Statistischen Bundesamtes.
Durch diese Vorgehensweise soll sichergestellt werden, dass die Position unabhängig von parteipolitischen Einflüssen besetzt wird und die Neutralität bei der Durchführung von Wahlen gewährleistet ist.
Die Priorisierung organisatorischer Abläufe vor einer schnellen Umsetzung demokratischer Willensbildung kann als problematisch betrachtet werden, insbesondere wenn die Verwaltung sich darauf beruft, dass logistische Herausforderungen demokratische Prozesse verzögern oder behindern könnten.
In einer Demokratie steht der Wille des Volkes – der Souverän – im Vordergrund, und das Verwaltungshandeln sollte darauf ausgerichtet sein, diesen Willen so reibungslos wie möglich umzusetzen.
Aus einer kritischen Perspektive könnte das Verhalten der Bundeswahlleiterin, organisatorische Hürden wie die Papierknappheit als Grund gegen eine rasche Durchführung von Neuwahlen zu nennen, als Versuch gewertet werden, die Entscheidungsmacht der Wählerschaft zugunsten administrativer Bedenken einzuschränken. Das könnte den Eindruck erwecken, dass die Verwaltung die Möglichkeit zur demokratischen Mitbestimmung nur dann gewährt, wenn sie bequem in ihre Abläufe passt. Dies würde das Prinzip der Volkssouveränität – ein Kernprinzip der Demokratie – einschränken.
Ein demokratischer Staat sollte seine Verwaltung darauf ausrichten, Hindernisse zu überwinden, anstatt sie als Gründe für die Verzögerung demokratischer Prozesse anzuführen. Die Verwaltung müsste daher Wege finden, logistische Herausforderungen zu bewältigen, um Neuwahlen auch kurzfristig zu ermöglichen. Eine strikte Orientierung an den Bedürfnissen der Verwaltung könnte dagegen das Vertrauen der Wahlberechtigten in die Demokratie beeinträchtigen, da sie sich möglicherweise von ihrer Möglichkeit zur politischen Teilhabe und Mitsprache entkoppelt fühlen.
Die Verwaltung sollte sich in einer Demokratie eher als Dienstleister des Souveräns verstehen der Lösungen finden muß, anstatt Hindernisse in den Vordergrund zu stellen.
Mehrheit für Neuwahl – Politbarometer ZDF
Für einen Neuwahltermin im März sprechen sich 30 Prozent aus, für einen früheren Termin 54 Prozent und 12 Prozent sind der Meinung, dass die Wahl zum regulären Termin im September des nächsten Jahres stattfinden sollte.