Erfolglose Organklagen der AfD-Fraktion
Zur Pressemitteilung Nr. 79/2024 vom 18. September 2024 des Bundesverfassungsgerichts
Worum ging es:
Die Fachausschüsse im Deutschen Bundestag übernehmen viele Aufgaben des Plenums, einschließlich der fachlichen Beratung, Vorbereitung von Entscheidungen und Wahrnehmung von Informations-, Kontroll- und Untersuchungsaufgaben. Die Zusammensetzung und der Vorsitz der Ausschüsse richten sich nach dem Stärkeverhältnis der Fraktionen. Ausschussvorsitzende, die von den Fraktionen benannt werden, leiten Sitzungen und führen Beschlüsse durch, wobei sie parteipolitisch neutral agieren müssen.
Traditionell wird im Ältestenrat eine Einigung darüber angestrebt, welche Fraktion welchen Ausschussvorsitz erhält. Falls keine Einigung erzielt wird, kommt ein Zugriffsverfahren zur Anwendung, in dem Fraktionen nacheinander Ausschussvorsitze wählen. Die Bestimmung der Ausschussvorsitzenden erfolgt in der konstituierenden Sitzung des jeweiligen Ausschusses.
Historisch wurde der Vorsitz durch Akklamation bestätigt, sofern es keinen Widerspruch gab. In der 19. Wahlperiode kam es jedoch zu Wahlen zum Ausschussvorsitz, nachdem andere Fraktionen Widerspruch gegen die vorgeschlagenen Kandidaten erhoben hatten. Ein Beispiel ist die Abwahl des Vorsitzenden des Rechtsausschusses, Abgeordneter Brandner, aufgrund des Vorwurfs mangelnder parteipolitischer Zurückhaltung. Der Rechtsausschuss beschloss seine Abberufung mit deutlicher Mehrheit.
Auch in der 20. Wahlperiode führte das Zugriffsverfahren zu Wahlen für die Ausschussvorsitze. Mehrere Kandidaten der Antragstellerin (der benennenden Fraktion) wurden nicht gewählt, sodass die Vorsitze vakant blieben und die stellvertretenden Vorsitzenden die Leitung übernahmen. Die Antragstellerin erhob daraufhin den Vorwurf, in ihren Rechten auf Gleichbehandlung und faire Anwendung der Geschäftsordnung verletzt worden zu sein.
Der Senat stellte fest, dass die Anträge nur zulässig sind, soweit sie sich gegen bestimmte Ausschüsse richten. Die Anträge wurden jedoch als unbegründet zurückgewiesen, da das Grundgesetz, nicht die Geschäftsordnung des Bundestages, als Prüfungsmaßstab gilt. Das Grundgesetz garantiert den Abgeordneten Mitwirkungsrechte, jedoch keinen Anspruch auf Leitungsämter wie den Ausschussvorsitz. Die Geschäftsordnung ermöglicht Wahlen zum Ausschussvorsitz, und eine freie Wahl widerspricht nicht dem Gleichheitsgrundsatz. Auch die Abwahl des Vorsitzenden des Rechtsausschusses erfolgte rechtmäßig, da der Ausschuss seine Abwahlbefugnis nach sachlichen Erwägungen ausübte.
Leitsätze zum Urteil des Zweiten Senats vom 18. September 2024
– 2 BvE 1/20, 2 BvE 10/21 –
Wahl/Abwahl von Ausschussvorsitzenden im Deutschen Bundestag
- Jenseits der spezifischen Statusrechte der Abgeordneten aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG und daraus abgeleitet der Fraktionen gilt der Grundsatz der formalen Gleichheit. Daraus leitet sich ein Recht auf Gleichbehandlung ab.
- Dieser verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsanspruch findet seinen Ausdruck im Recht der Abgeordneten und der Fraktionen auf eine faire und loyale Auslegung und Anwendung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages. Der Gleichbehandlungsanspruch erstreckt sich daher – als Teilhabeanspruch – auch auf Beteiligungsrechte, die in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages eingeräumt werden und über die unmittelbar in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG wurzelnden spezifischen Statusrechte hinausgehen.
- Einschränkungen der spezifischen Statusrechte der Abgeordneten und der Fraktionen durch die Geschäftsordnung unterliegen besonderen verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsanforderungen. Sie müssen dem Schutz anderer Rechtsgüter von Verfassungsrang dienen und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren.
- Geht es demgegenüber allein um den formalen Status der Gleichheit der Abgeordneten in Form der Teilhabe an Rechtspositionen, die erst die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages einräumt, findet eine verfassungsgerichtliche Überprüfung lediglich dahingehend statt, ob die einschlägigen Bestimmungen der Geschäftsordnung oder ihre Auslegung und Anwendung jedenfalls nicht evident sachwidrig und damit willkürlich sind.