GO-SH: Abwahl eines Bürgermeisters – Teil 7

Nach den Abwahlentscheidungen in Wedel und Sylt stehen nun Neuwahlen bzw. Stichwahlen an.
- Stichwahl am 8. Dezember in Wedel zwischen der amtierenden Bürgermeisterin Julia Fisauli-Aalto (CDU) und Timo Steyer (parteilos).
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Wahl eines Bürgermeisters in der Gemeinde Sylt am 16. März 2025.
In der Gemeinde Sylt amtiert gegewärtig Carsten Kerkamm, ein Kommunalpolitiker der Gemeinde Sylt. Er ist seit vielen Jahren Mitglied der Gemeindevertretung, und hat auch das (Ehren-)Amt des 1. Stellvertretenden Bürgermeisters inne. Darüber hinaus ist der 55-jährige Rechtsanwalt und Notar Vorsitzender der CDU der Gemeinde Sylt und stellvertretender Vorsitzender des Vereins Sylter Unternehmer.
In der Stadt Wedel amtiert Julia Fisauli-Aalto – Betriebswirtin – Ratsfrau und Vorsitzende der CDU-Ratfraktion, 1. Stellvertretende Bürgermeisterin und Vorsitzende des Ausschusses für Bildung, Kultur, Sport. Sie schreibt auf ihrer Homepage:
Nebenbei berate ich seit 15 Jahren freiberuflich kleine und mittelständische Unternehmen in den Bereichen Marketing und Kommunikation.
Aktuell arbeite ich als Referentin für Unternehmenskommunikation & Fundraising bei der Großstadtmission Hamburg, einem großen Jugendträger.
Für beide Personen ist die Entscheidung des OVG Lüneburg, einen Antrag auf Berufung zum Urteil des VG Göttingen nicht zuzulassen und damit das Urteil des Verwaltungsgericht rechtskräftig werden zu lassen, bedeutsam.
Im Ergebnis hat das Gericht eine kompette Wahlwiederholung angeordnet, die nun nach Rechtskraft des Urteils zu erfolgen hat.
Es geht um die Verletzung der Neutralitätspflicht im kommunalen Wahlkampf durch eine Bürgermeisterin.
Verwaltungsgericht Göttingen, Urt. v. 28.02.2024, Az.: 1 A 258/21
OVG Lüneburg, Beschluß vom 16.9.2024 – 10 LA 84/24
Zusammenfassung von Sachverhalt und Urteil
Amtlicher Leitsatz:
Die wiederholte Abhaltung von Ortsterminen in amtlicher Eigenschaft während der heißen Wahlkampfphase kann unzulässige Wahlbeeinflussung darstellen, wenn wahlkampfrelevante Themen behandelt werden und eine umfassende mediale Aufbereitung im Rahmen der amtlichen Öffentlichkeitsarbeit erfolgt.
Sachverhalt:
Ein Kläger, Einwohner der Stadt A-Stadt, erhob Wahleinspruch gegen die Bürgermeisterwahl vom 12.09.2021 und die Stichwahl vom 26.09.2021. Die amtierende Bürgermeisterin (Beigeladene) hatte sich zur Wiederwahl gestellt und die Stichwahl mit 57,27 % der Stimmen gewonnen.
Kritikpunkte des Klägers:
- Ortstermine („Gespräche über den Gartenzaun“): Die Beigeladene führte vor der Wahl 15 Termine in den Dörfern des Stadtgebiets durch, bei denen wahlkampfrelevante Themen besprochen wurden. Diese Treffen wurden öffentlich über die Kommunikationskanäle der Stadt angekündigt und im Nachgang medial aufbereitet.
- Amtsressourcen: Die Veranstaltungen wurden in amtlicher Eigenschaft durchgeführt, wodurch die Beigeladene sich gegenüber anderen Kandidaten einen Vorteil verschaffte.
- Mediale Aufbereitung: Die Termine wurden auf der offiziellen Homepage und in Pressemitteilungen der Stadt behandelt, wodurch sie den Anschein einer offiziellen Maßnahme erhielten.
- Urlaubsplanung: Die Beigeladene legte ihren Urlaub so, dass sie während der heißen Wahlkampfphase im Dienst war.
- Neutralitätsverstöße: Verlinkung der Webseite ihrer Partei im amtlichen Lebenslauf auf der Homepage der Stadt.
Die Gemeindewahlleiterin und der Beklagte wiesen den Einspruch zurück. Sie argumentierten, dass die Beigeladene repräsentative Aufgaben wahrgenommen habe und die Veranstaltungen weder einseitig noch unzulässig beeinflusst hätten.
Der Kläger erhob Klage und beantragte die Ungültigerklärung der Wahlen, da die unzulässige Wahlbeeinflussung das Ergebnis entscheidend beeinflusst habe.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht entschied zugunsten des Klägers und erklärte die Bürgermeisterwahl und Stichwahl für ungültig.
Rechtsgrundlagen:
- § 48 Abs. 1 und 2 NKWG i.V.m. § 1 Abs. 1 und § 46 Abs. 1 Satz 1 NKWG
- Verfassungsrechtlicher Grundsatz der freien Wahl (Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG, Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG)
Das Gericht stellte fest, dass die Neutralitätspflicht verletzt wurde. Das Neutralitätsgebot verpflichtet Amtsträger, jede Art von Wahlbeeinflussung zu unterlassen. Diese Pflicht gilt besonders in der heißen Wahlkampfphase, in der die Willensbildung der Bürger nicht durch amtliche Maßnahmen beeinflusst werden darf. Die Beigeladene überschritt diese Grenze durch:
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Ortstermine ohne Anlass:
- Die Veranstaltungen fanden ohne sachlichen Grund in der heißen Wahlkampfphase statt.
- Die behandelten Themen wie Hochwasserschutz, ÖPNV oder Kita-Plätze waren wahlkampfrelevant.
- Der Amtsbonus der Beigeladenen wurde durch die Einbindung amtlicher Ressourcen und weiterer Funktionsträger verstärkt.
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Mediale Aufbereitung:
- Die umfassende Berichterstattung über amtliche Kanäle verstärkte den Eindruck, dass es sich um amtliche Tätigkeiten handelte.
- Die Termine wurden unter der Rubrik „Kommunalwahlen Kandidatur“ angekündigt, was eine Verquickung von Amts- und Wahlkampfaktivitäten darstellt.
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Einfluss auf das Wahlergebnis:
- Der Wahlfehler war so schwerwiegend, dass er das Wahlergebnis nicht nur unwesentlich beeinflusst haben konnte.
- Nach der Berechnung des Klägers hätten lediglich 182 Stimmen gefehlt, um die Beigeladene von der Stichwahl auszuschließen. Diese Anzahl hätte durch die breite Wirkung der Veranstaltungen leicht erreicht werden können.