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Keine unmenschliche Aufnahmesituation für männliche Schutzberechtigte in Griechenland

Arbeitsrecht – Erbrecht - Kommunalrecht

Keine unmenschliche Aufnahmesituation für männliche Schutzberechtigte in Griechenland

europa

Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts

Bundesverwaltungsgericht – Keine unmenschliche Behandlung bei Rückführung nichtvulnerabler Männer nach Griechenland

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat in seinem Urteil vom 23.10.2025 (Az. 1 C 11.25) entschieden, dass alleinstehenden, arbeitsfähigen und nichtvulnerablen männlichen Schutzberechtigten bei einer Rückkehr nach Griechenland keine unmenschlichen oder erniedrigenden Lebensbedingungen drohen. Damit bekräftigte das Gericht seine bisherige Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Urteile vom 16. April 2025 – 1 C 18.24 und 1 C 19.24).


Hintergrund des Falles

Der Kläger, ein syrischer Staatsangehöriger, hatte in Griechenland bereits internationalen Schutz erhalten, war jedoch 2018 nach Deutschland eingereist und hatte hier erneut Asyl beantragt.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lehnte den Antrag als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Griechenland an.
Sowohl die Klage als auch die Berufung blieben erfolglos – der Hessische Verwaltungsgerichtshof sah keine Gefahr einer Verletzung von Art. 4 der EU-Grundrechtecharta (GRC), der das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung enthält.


Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts

Das BVerwG bestätigte nun die Entscheidung der Vorinstanzen und stellte klar:
Es besteht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass gesunde, alleinstehende Männer bei einer Rückkehr nach Griechenland in eine extreme materielle Notlage geraten, die ihre elementarsten Grundbedürfnisse – Unterkunft, Ernährung, Hygiene – unzumutbar beeinträchtigen würde.

Nach Auffassung des Gerichts ist es diesen Personen zuzumuten, sich gegebenenfalls auch außerhalb staatlicher oder karitativer Einrichtungen eine Schlafstelle zu suchen – etwa in behelfsmäßigen Unterkünften, Zeltlagern oder Containern, sofern keine reguläre Unterkunft verfügbar ist.
Zur Deckung ihres Lebensunterhalts könnten sie zudem gelegentliche Erwerbstätigkeiten, auch in der Schattenwirtschaft, aufnehmen. Ergänzend verwies das Gericht auf die Hilfsstrukturen zahlreicher NGOs und nationaler Gemeinschaften, die Unterstützung leisten.


Rechtlicher Rahmen

Die Entscheidung knüpft an die in der europäischen Asylrechtsprechung etablierte „hohe Schwelle der Erheblichkeit“ an:
Nur wenn die Lebensbedingungen in einem Aufnahmestaat ein „besonders hohes Maß an Verelendung“ erreichen, das die Menschenwürde verletzt, liegt eine Verletzung von Art. 4 GRC vor.
Das BVerwG folgt damit der Linie des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), die eine restriktive Anwendung dieser Schwelle vorsehen, um den unionsrechtlichen Verantwortungsmechanismus der Dublin-Verordnung nicht auszuhöhlen.


Einordnung und Bedeutung

Das Urteil stärkt die Rückführungsfähigkeit von Asylbewerbern in EU-Mitgliedstaaten, in denen formell Schutzstatus besteht, selbst wenn die dortigen Lebensbedingungen prekär oder behelfsmäßig sind.
Es verdeutlicht zugleich die Differenzierung nach Vulnerabilität:
Während Familien, Kranke oder psychisch belastete Personen weiterhin besonderen Schutz genießen, gelten für junge, gesunde Männer deutlich höhere Zumutbarkeitsanforderungen.

Politisch und praktisch bedeutet die Entscheidung:
Deutschland kann Rückführungen nach Griechenland im Regelfall wieder vollziehen, sofern keine individuellen besonderen Schutzbedürfnisse vorliegen.
Für Behörden und Gerichte schafft das Urteil damit Rechtssicherheit bei der Anwendung von § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG (Unzulässigkeit eines Asylantrags bei bereits gewährtem internationalen Schutz in einem anderen EU-Staat).


Bewertung

Die Entscheidung markiert eine realistische Rückkehr zur rechtlichen Normalität im europäischen Asylsystem, bleibt aber gesellschaftlich umstritten.
Während Kritiker auf mangelhafte Aufnahmestrukturen in Griechenland und soziale Ausgrenzung hinweisen, betont das Gericht den Eigenverantwortungscharakter arbeitsfähiger Schutzberechtigter.
Damit wird das Spannungsverhältnis zwischen menschenrechtlicher Schutzpflicht und europäischer Verantwortungsteilung erneut deutlich:
Nicht jede soziale Härte ist zugleich eine Verletzung der Menschenwürde – wohl aber bleibt die Grenze dort, wo staatliche Strukturen bewusstes Wegsehen gegenüber realer Verelendung zuließen.

 


Quelle:
Bundesverwaltungsgericht, Pressemitteilung Nr. 81/2025 vom 23. Oktober 2025 – BVerwG 1 C 11.25
Vorinstanz: Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 21. Februar 2025 – 10 A 2793/23.A

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