National Security Strategy 2025 (NSS) der USA
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Der neue strategische Rahmen legt Wert auf Klarheit, Eigeninteresse und Machbarkeit: Durch Fokussierung auf Kerninteressen soll außenpolitisches Handeln effizienter und kalkulierbarer werden.
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Gleichzeitig signalisiert die NSS 2025 einen Bruch mit früheren außenpolitischen Paradigmen — insbesondere mit liberalem Internationalismus, transatlantischer Solidarität und globalem Führungsanspruch.
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Der Schwerpunkt auf Regionen wie der westlichen Hemisphäre und Asien deutet auf eine geostrategische Neuordnung hin, weg von Europa und globalen multilateralen Verpflichtungen.
Grundlegende Intention
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Die NSS zielt ausdrücklich darauf ab, die “Kerninteressen” der USA zu schützen. Außenpolitik orientiert sich allein daran, ob ausländische Entwicklungen direkt US-Interessen tangieren — nicht daran, ob sie theoretisch „global stabilisierend“ wirken.
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Der Anspruch, die USA als globale Ordnungsmacht wie früher zu positionieren, wird aufgegeben: Mit der Formel „Die Tage, in denen die USA die Welt wie Atlas getragen haben, sind vorbei“ wird ein Rückzug aus globalen Verpflichtungen proklamiert.
Geografische Schwerpunktsetzung: Westhalbkugel
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Die NSS reaktiviert faktisch eine moderne Version der Monroe Doctrine, also den Vorrang der USA im westlichen Halb- erdteil. Ziel: Einfluss- und Sicherheitsdominanz in Nord-, Mittel- und Südamerika.
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Maßnahmen: Bekämpfung von Migration und Drogenhandel, stärkere Kontrolle der Grenzen, Förderung eigener Wirtschaftsstrukturen innerhalb der Hemisphäre.
Neuverteilung globaler Prioritäten
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Regionen wie der Mittlere Osten verlieren im strategischen Fokus zugunsten der westlichen Hemisphäre an Bedeutung. US-Militär und Ressourcen sollen neu konzentriert werden.
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Internationale Zusammenarbeit und globaler Ordnungspolitik – z.B. demokratische Transformation, globale Klima- oder Gesundheitsinitiativen – sind deutlich entwertet. Internationale Hilfe wird nicht mehr als Pflicht, sondern allenfalls als Zweck im Interesse der USA verstanden.
Stellung gegenüber Europa und Verbündeten
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Die Strategie hält Europa nicht mehr per se für einen verlässlichen Partner, sondern sieht den Kontinent in einer Phase institutioneller, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Schwäche.
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Europa wird vor „zivilisatorischer Auslöschung“ gewarnt — Ursachen seien u.a. Migration, demografischer Wandel, angebliche Einschränkungen der Meinungsfreiheit und Identitätsverlust. Die USA fordern ein „Korrigieren des derzeitigen Kurses“ und zeigen Bereitschaft, politischen Einfluss zu nehmen, inkl. Unterstützung nationalistischer Bewegungen.
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Militärische Unterstützung für europäische NATO-Partner wird an Bedingungen geknüpft — insbesondere an erhöhte eigene Verteidigungsausgaben und aktives Engagement.
Verteidigung, Wirtschaft und technologische Strategie
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Ausbau einer umfassenden Verteidigungsarchitektur inklusive moderner Raketendefensesysteme mit dem Ziel, die USA und ihre globalen Interessen zu schützen.
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Fokus auf wirtschaftlichen Eigeninteressen: Schutz von Lieferketten, Sicherung des Zugangs zu wichtigen Rohstoffen, Stärkung der US-Industrie und des Technologiesektors. Außenpolitik soll wirtschaftliche Staatskunst sein – nicht globales Altruismus-Engagement.
Bewertung der strategischen Neuausrichtung
Die NSS 2025 markiert einen klaren Bruch mit dem bisherigen außenpolitischen Paradigma: Statt auf multilaterale Führerschaft, internationale Verantwortung und Werte-Export zu setzen, folgt der neue Ansatz einem strikt interessen- und machtökonomischen Kalkül. Damit korrespondiert eine erneute Fokussierung auf das westliche Hemisphären-Umfeld und eine teilweise Abrückung von traditionellen Allianzen und globalen Verpflichtungen.
Europa vom Partner zum „Problemraum“
Die Strategie beschreibt Europa nicht primär als Verbündeten, sondern als wirtschaftlich und „zivilisatorisch“ krisenhaften Raum, dem ein „civilizational erasure“ drohe; zentrale Ursachen seien Migration, EU-Institutionen, „censorship of free speech“, sinkende Geburtenraten und Identitätsverlust.
Gleichzeitig fordert die NSS, die USA sollten „Widerstand gegen Europas aktuellen Kurs kultivieren“ und sich mit „patriotischen europäischen Parteien“ verbünden – gemeint sind faktisch rechtspopulistische Parteien.
Konsequenz für Europa insgesamt:
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Die USA definieren Europa nicht mehr als Kernadressaten von Schutz- und Stabilisierungsleistungen, sondern als politisch zu „korrigierenden“ Raum.
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Das ist ein Bruch mit der bisherigen Logik „gemeinsame Werte – gemeinsame Sicherheit“ und bedeutet: Wertegemeinschaft ↓, instrumentelle Nutzung ↑.
Folgen für die NATO
Die NSS fordert ausdrücklich, dass Europa „primary responsibility for its own defense“ übernehmen soll und dass der Eindruck einer „permanently expanding alliance“ (NATO-Erweiterung) beendet werden müsse.
a) Beistandsgarantie und Glaubwürdigkeitsrisiko
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Formal bleibt Art. 5 NATO bestehen; die NSS kündigt ihn nicht auf.
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De facto signalisiert die Strategie aber:
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US-Beistand wird politisch konditioniert (Ausgaben, „richtige“ Politik, Migrationskurs).
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Erweiterungen (Ukraine, Georgien, ggf. Schweden/weitere) sollen politisch ausgebremst werden.
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Das erzeugt ein Glaubwürdigkeitsproblem: Je stärker die USA öffentlich Zweifel säen, desto eher muss Europa davon ausgehen, dass Beistand im Krisenfall zumindest verzögert oder politisch gefeilscht wird.
b) Lastenteilung – faktisch „Lastenverlagerung“
Bisher: Diskussion um 2-Prozent-Ziel, „burden sharing“.
Neu: De facto „burden shifting“ – also ein Herausziehen der USA aus europäischen Sicherheitsgarantien, verbunden mit der Erwartung, dass Europa spätestens bis Ende dieses Jahrzehnts den Großteil der konventionellen Abschreckung gegenüber Russland selbst trägt.
Für die NATO bedeutet das:
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Bündnis bleibt juristisch bestehen,
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aber die operative Gewichtung verschiebt sich in Richtung:
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USA = primär Westhemisphäre und Indopazifik,
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Europa = Selbstverteidigung und regionale Ordnung.
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Spezifische Implikationen für Deutschland
Deutschland ist in der US-Strategie nicht einzeln, sondern als Teil eines „kriselnden Europas“ adressiert – mit folgenden faktischen Folgerungen:
a) Verteidigungs- und Rüstungspolitik
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Zwang zur realen Zeitenwende
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Die Bundesrepublik kann sich nicht mehr auf den politischen „Rückendeckungsschatten“ der USA verlassen.
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Konsequenz:
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nachhaltige Erhöhung und Verstetigung des Verteidigungsetats (nicht nur Sondervermögen),
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Aufbau eigener Fähigkeiten für konventionelle Abschreckung (Heer, Luftverteidigung, Munition, Logistik) und Führung in Europa.
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Debatte über nukleare Abschreckung in Europa
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Wenn US-Schutzschirm weniger verlässlich erscheint, rückt die Frage nach einer europäischen Nukleararchitektur (FR-Arsenal, eventuelle EU-Lösungen) näher.
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Politisch heikel, sicherheitspolitisch aber kaum vermeidbar, wenn die US-Zuwendung weiter abnimmt.
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b) Industriepolitik, Beschaffung, Rüstungswirtschaft
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Die NSS koppelt Sicherheit klar an Stärkung der US-Industrie und Verteidigungsbasis.
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Für Deutschland heißt das:
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Beschaffung in den USA wird stärker politisch „instrumentalisiert“ (Buy American, politische Bedingungen).
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Aufbau einer robusten europäischen Rüstungs- und Munitionsindustrie wird nicht nur industriepolitisch, sondern sicherheitspolitisch zwingend.
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Langfristig: Mehr interne europäische Wertschöpfung bei Rüstung (Luftraumverteidigung, Cyber, Drohnen, Artillerie).
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c) Verhältnis zu China und Russland
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Die USA fokussieren strategisch auf China und wollen Europa eher als Mitläufer bei Entkopplung / Einschränkung von Technologie- und Investitionsströmen.
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Zugleich relativieren sie Russland und wollen „strategische Stabilität“ mit Moskau wiederherstellen.
Damit entsteht für Deutschland ein Spannungsdreieck:
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USA verlangen härtere Linie gegenüber China,
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Deutsche Wirtschaft ist stark von China abhängig,
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Russland wird von den USA nicht mehr als Hauptgegner behandelt, während Deutschland weiter hohe Sicherheitsrisiken im Osten wahrnimmt.
Politisch zwingt das Berlin dazu, eigene Prioritäten zu definieren, statt US-Positionen schlicht zu übernehmen.
Europa gesamt: Von der US-Abhängigkeit zur eigenständigen Sicherheitsordnung
Die NSS sendet zwei klare Signale nach Europa:
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Emanzipation gewünscht, aber politisch selektiv
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Die USA wollen, dass Europa sich sicherheitspolitisch emanzipiert,
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zugleich wollen sie EU-Strukturen schwächen und „patriotische Parteien“ stärken.
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Monroe-Doktrin 2.0 („Trump-Corollary“)
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Fokus der USA: Westliche Hemisphäre, Kontrolle von Migration, Drogenhandel, Infrastruktur („key geographies“).
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Damit sinkt die strategische Aufmerksamkeit für Europa strukturell, nicht nur situativ.
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Für Europa folgt daraus:
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Aufbau einer europäischen Verteidigungsfähigkeit, die notfalls ohne US-Beistand funktioniert (Stichwort: EU-Verteidigung, PESCO, gemeinsame Beschaffung).
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Stärkere strategische Koordination innerhalb der EU (Frankreich–Deutschland–Polen) statt primär transatlantischer Orientierung.
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Entwicklung einer eigenen Russland-Strategie, die nicht automatisch die US-Präferenzen reflektiert (da diese sich erkennbar ändern).
Implikationen für die NATO-Struktur
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Normativ-politische Entkopplung
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NATO basiert formal weiter auf gemeinsamen Werten,
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die NSS behandelt Europa aber nicht mehr primär als Wertepartner, sondern als Sicherheits- und Migrationsproblem plus als politisches Kampffeld gegen „Globalisten“ und „EU-Eliten“.
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Sicherheitstechnische Re-Kalibrierung
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US-Ressourcen werden auf die Westhemisphäre und den Indopazifik verlagert.
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NATO in Europa muss strukturell ohne US-Übergewicht funktionieren (Führung, Logistik, Luftverteidigung, Cyber).
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Rechtsrahmen unverändert, Praxis im Fluss
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Washington-Vertrag bleibt, Art. 5 bleibt.
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Aber die politische Bereitschaft zur maximalen Einlösung der Beistandspflichten wird dokumentenbasiert relativiert – das ist der Kern der Risikoverschiebung für Europa.
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