Überblick über Recht – Wirtschaft – Politik
Themenübersicht
Erbrecht
Familienhof, Verzicht und Verschwiegenheit: OLG Celle kippt Nachabfindungsverzicht wegen Sittenwidrigkeit
OLG Celle, Beschluss vom 17.11.2025 – 7 W 17/25
Sachverhalt:
Die Beteiligten, zwei Geschwister, streiten über Nachabfindungsansprüche der Antragstellerin nach § 13 HöfeO, nachdem der Antragsgegner als Hoferbe umfangreiche Grundstücksverkäufe vorgenommen hatte. Grundlage der Auseinandersetzung ist ein Übergabevertrag von 1999, in dem die Antragstellerin unter Hinweis auf eine vermeintlich fehlende Hofeigenschaft des übertragenen Besitzes auf Nachabfindungsansprüche verzichtete. Später stellte sich heraus, dass für den wesentlichen Grundbesitz seit 1992 ein Hofvermerk bestand und damit potenzielle Nachabfindungsansprüche bestanden hätten. Die Antragstellerin machte geltend, sie sei über die tatsächliche Hofeigenschaft und die wirtschaftliche Tragweite ihres Verzichts nicht aufgeklärt worden, obwohl Notar, Mutter und Bruder den Umstand gekannt haben müssten. Das Landwirtschaftsgericht wies ihren Stufenantrag zunächst zurück, woraufhin sie Beschwerde einlegte.
Entscheidung:
Das OLG Celle entschied, dass der Verzicht der Antragstellerin auf Nachabfindungsansprüche gemäß § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig und damit nichtig ist. Ausschlaggebend war, dass der Antragstellerin im Übergabevertrag suggeriert worden war, der Besitz sei kein Hof im Sinne der HöfeO, obwohl der Mutter der Beteiligten die Hofeigenschaft aufgrund eines eingetragenen Hofvermerks sicher bekannt war. Dieses Informationsgefälle habe die Mutter gezielt ausgenutzt und der Antragstellerin damit die Möglichkeit einer freien und informierten Willensbildung genommen. Ein wirksamer Ausschluss der Nachabfindungsansprüche hätte zudem aufgrund der erbvertraglichen Bindungen der Mutter gar nicht einseitig verfügt werden können. Da damit Nachabfindungsansprüche ernsthaft in Betracht kommen, hat der Antragsgegner umfassend Auskunft über sämtliche Veräußerungen und relevanten wirtschaftlichen Vorgänge zu erteilen; die Sache wird im Übrigen zur Entscheidung der weiteren Stufen zurückverwiesen.
Arbeitsrecht
Eingestuft, herabgestuft, rechtlos? EuGH stärkt Arbeitsschutz und Rechtsschutz bei gefährlichen Arbeitsbedingungen
EuGH, Urteil vom 13.11.2025 – C 678/23
Sachverhalt:
Eine Pneumologin eines staatlichen Krankenhauses in Iași war über Jahrzehnte an einem als „besonderen Arbeitsbedingungen“ eingestuften Arbeitsplatz tätig, was ihr unter anderem zusätzlichen Urlaub, eine frühere Verrentung und erhöhte Rentenpunkte gewährte. Obwohl sich ihre Tätigkeit und die Belastungen am Arbeitsplatz nicht änderten, stufte das Krankenhaus ihren Arbeitsplatz ab 1. Januar 2007 plötzlich als „normale Arbeitsbedingungen“ ein. Grundlage war eine Stellungnahme der Arbeitsaufsichtsbehörde, die dem Krankenhaus mehrere Jahre zur Normalisierung der stark belastenden Arbeitsbedingungen eingeräumt hatte. Nach Ablauf dieser Fristen beantragte das Krankenhaus jedoch keine Erneuerung der Einstufung mehr, obwohl gesetzliche Verlängerungsmechanismen bestanden. Die Ärztin focht diese Herabstufung an und das Berufungsgericht Iași legte dem EuGH Fragen zur Auslegung der Arbeitsschutzrichtlinie 89/391/EWG und zu den Anforderungen an einen wirksamen Rechtsschutz vor.
Entscheidung:
Der EuGH stellt klar, dass Art. 9 der Richtlinie 89/391/EWG Arbeitgeber verpflichtet, eine fortlaufende und tatsächliche Gefährdungsbeurteilung vorzunehmen und Arbeitsplätze korrekt anhand der realen Exposition gegenüber Gesundheitsrisiken einzustufen. Nationale Behörden müssen wirksame und überprüfbare Verfahren vorhalten, um diese Einstufung zu kontrollieren und Fehlbewertungen zu verhindern. Art. 11 Abs. 6 der Richtlinie verlangt zudem, dass Arbeitnehmer bei Zweifeln an der Arbeitgeberpraxis eine effektive Beschwerde- und Kontrollmöglichkeit haben, die nicht ins Leere laufen darf. Der EuGH betont, dass Arbeitnehmer einen Anspruch auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz aus Art. 47 der Charta haben, wenn Behörden untätig bleiben oder Arbeitgeber ihre Schutzpflichten missachten. Eine bloß formale oder automatisch endende Einstufung genügt nicht – maßgeblich sind die tatsächlichen Arbeitsbedingungen und die praktische Möglichkeit der Arbeitnehmer, gegen fehlerhafte Entscheidungen vorzugehen.
Beamtenrecht
Zwischen Sicherheit und Neutralität: Gericht rügt politische Grenzüberschreitung des Polizeipräsidenten
VG Oldenburg, Urteil vom 17.11.2025- 1 A 2586/23
Sachverhalt:
Der Landesverband Niedersachsen der AfD wandte sich gegen öffentliche Äußerungen des Polizeipräsidenten der Polizeidirektion Oldenburg, die in einem Interview der Nordwest-Zeitung im August 2023 erschienen waren. Der Polizeipräsident hatte sich darin zu Themen der inneren Sicherheit, zu Ermittlungen der Polizei sowie zu Angriffen auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung geäußert. Die AfD sah sich durch einzelne Aussagen in ihren Rechten verletzt und rügte eine unzulässige politische Einflussnahme eines staatlichen Amtsträgers. Das Verwaltungsgericht Oldenburg prüfte deshalb, ob der Polizeipräsident im Rahmen seiner gesetzlichen Aufgaben zurartigen Äußerungen befugt war und ob er die Grenzen der politischen Neutralität überschritten hatte. Nach der mündlichen Verhandlung am 17. November 2025 traf das Gericht eine teilweise stattgebende Entscheidung.
Entscheidung:
Das Gericht bestätigte zunächst, dass der Polizeipräsident aufgrund seiner Aufgaben in Gefahrenabwehr (§ 1 Abs. 1 NPOG) und Strafverfolgung (§ 163 Abs. 1 StPO) grundsätzlich berechtigt ist, öffentlich Stellung zu sicherheitsrelevanten Entwicklungen und Bedrohungen der verfassungsmäßigen Ordnung zu nehmen. Diese Befugnis unterliegt jedoch engen verfassungsrechtlichen Grenzen, insbesondere dem Neutralitätsgebot und dem Gebot sachlicher Amtskommunikation. Einige der beanstandeten Interviewaussagen überschritten nach Ansicht der Kammer diese Grenzen, weil sie die AfD als politische Partei in unzulässiger Weise wertend adressierten. Der Polizeipräsident wurde daher verpflichtet, die Rechtswidrigkeit dieser spezifischen Äußerungen gegenüber der Klägerin öffentlich bekanntzugeben. Andere Aussagen hielt das Gericht hingegen für sachlich gedeckt und rechtlich zulässig; das Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig, da die Beteiligten die Zulassung der Berufung beantragen können.
Kommunalrecht
Kommunale Steuerhoheit auf dem Prüfstand: Bayerischer VerfGH bestätigt Verbot der Übernachtungsteuer
BayVerfGH, Urteil vom 14.11.2025 – Vf.3 VII-23
Sachverhalt:
Mehrere bayerische Städte, darunter die Landeshauptstadt München, erhoben Popularklage gegen die Ergänzung von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 KAG, mit der der Landesgesetzgeber 2023 das landesweite Verbot einer kommunalen Übernachtungsteuer normierte. Hintergrund des Streits war das wachsende kommunale Interesse an einer solchen Steuer, nachdem das Bundesverfassungsgericht 2022 ihre grundsätzliche Zulässigkeit in anderen Bundesländern bestätigt hatte. Die klagenden Gemeinden sahen sich durch das generelle Verbot in ihrer Finanzhoheit verletzt, da ihnen eine ertragreiche neue Steuerquelle verwehrt werde. Sie argumentierten, die Übernachtungsteuer sei für Gemeinden mit vielen Übernachtungen ein zentrales Instrument zur Einnahmeerzielung und das Verbot unverhältnismäßig, zumal empirisch keine wesentlichen Nachteile für die Tourismusbranche feststellbar seien. Ziel des Verfahrens war daher die Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Verbots und die Wiedereröffnung des kommunalen Gestaltungsspielraums.
Entscheidung:
Der Verfassungsgerichtshof entschied, dass den Gemeinden weder aus der Bayerischen Verfassung noch aus dem Grundgesetz ein originäres Steuerfindungsrecht zusteht; die kommunale Finanzhoheit besteht nur „im Rahmen der Gesetze“. Das Verbot der Übernachtungsteuer verletze den Kernbereich dieser Finanzhoheit nicht, da Gemeinden weiterhin andere ertragreiche Aufwandsteuern wie die Hundesteuer oder Zweitwohnungssteuer erheben könnten. Der Gesetzgeber habe einen legitimen Zweck verfolgt, nämlich die bayerische Tourismusbranche vor Preissteigerungen und daraus resultierenden Nachfrageeinbrüchen zu schützen, und verfüge bei der wirtschaftspolitischen Einschätzung über einen weiten Prognosespielraum. Das Verbot sei geeignet und erforderlich, da mildere Mittel – etwa Steuersatzbegrenzungen oder Genehmigungsvorbehalte – die angestrebte Entlastung der Branche nicht gleichermaßen sicherstellen würden. Angesichts der geringen Gesamtbedeutung kommunaler Aufwandsteuern für die bayerische Finanzverfassung sei der Eingriff verhältnismäßig; die Popularklage wurde daher abgewiesen.
News diese Woche:
Deutschland muss schnell über Visa für Afghanen entscheiden
Nach der Machtübernahme der Taliban hatte Deutschland ein Aufnahmeprogramm für besonders gefährdete Afghanen eingerichtet, doch rund 2.000 Menschen mit Aufnahmezusage – darunter ein afghanischer Richter und seine Familie – warten seit langer Zeit auf ihre Visa. Die Bundesregierung setzte das Programm 2025 aus und überprüft seither die erteilten Zusagen neu, was für die Betroffenen die Gefahr einer Abschiebung aus Pakistan nach Afghanistan erhöht. Der afghanische Richter klagte gegen die Untätigkeit, scheiterte jedoch vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg. Das Bundesverfassungsgericht verpflichtete die Bundesregierung nun per Eilbeschluss, unverzüglich über die Visaanträge zu entscheiden, da es keine Gründe für weiteres Zuwarten gebe und aufgrund einer vereinbarten Frist bis zum 31. Dezember 2025 besonderer Handlungsdruck bestehe. Die Entscheidung verpflichtet jedoch nicht zur Visaerteilung selbst, da die rechtliche Verbindlichkeit der verschiedenen Aufnahmeprogramme unterschiedlich ist und nicht alle Zusagen einen einklagbaren Anspruch begründen.
