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Neue Regeln für die Vaterschaftsanfechtung durch leibliche Väter – Umsetzung des BVerfG-Urteils vom 9. April 2024

Arbeitsrecht – Erbrecht - Kommunalrecht

Neue Regeln für die Vaterschaftsanfechtung durch leibliche Väter – Umsetzung des BVerfG-Urteils vom 9. April 2024

Vater und Kind

Zum Informationspapier des BMJ

Am 4. Juli 2025 hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJ) einen Referentenentwurf zur Neuregelung der Vaterschaftsanfechtung durch leibliche Väter vorgelegt. Damit reagiert der Gesetzgeber auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 9. April 2024, in dem § 1600 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 BGB für teilweise verfassungswidrig erklärt wurde. Der Entwurf verfolgt das Ziel, dem Elterngrundrecht des leiblichen Vaters aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG in stärkerem Maße Rechnung zu tragen und zugleich das Kindeswohl sowie das Grundrecht der rechtlichen Eltern nicht zu vernachlässigen.


1. Hintergrund: Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 09.04.2024

Gegenstand der Entscheidung war die Beschränkung des Anfechtungsrechts leiblicher Väter nach § 1600 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 BGB. Die Regelung schließt eine Anfechtung durch den leiblichen Vater aus, wenn zwischen dem Kind und dem rechtlichen Vater eine sozial-familiäre Beziehung besteht.

Das Bundesverfassungsgericht stellte fest, dass dieser generelle Ausschluss unverhältnismäßig ist, soweit dadurch der leibliche Vater dauerhaft von seiner rechtlichen Elternschaft ausgeschlossen wird, ohne dass seine individuelle Beziehung zum Kind hinreichend berücksichtigt wird. Das BVerfG bejahte einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 GG und setzte dem Gesetzgeber eine Umsetzungsfrist bis zum 30. März 2026.


2. Zielsetzung des Gesetzentwurfs

Der vom BMJ vorgelegte Gesetzentwurf zielt auf eine verfassungskonforme Neuausrichtung des Abstammungsrechts. Der Gesetzgeber beabsichtigt, den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Urteils durch eine differenzierte Berücksichtigung der Grundrechtspositionen aller Beteiligten – leiblicher Vater, rechtlicher Vater, Mutter und Kind – gerecht zu werden. Zentral ist dabei die Betonung des Kindeswohls als leitendes Prinzip. Das bislang rigide Anfechtungsverbot soll zugunsten eines verhältnismäßigen Abwägungsmodells modifiziert werden.


3. Die wesentlichen Neuregelungen im Überblick

3.1 Anerkennungssperre während laufender Feststellungsverfahren

Künftig soll während eines laufenden gerichtlichen Verfahrens zur Feststellung der Vaterschaft eines Mannes keine wirksame Vaterschaftsanerkennung durch einen anderen Mann erfolgen können.

Ausnahme: Hat der anerkennende Mann seine leibliche Vaterschaft nachgewiesen, darf er auch während des laufenden Verfahrens die Vaterschaft wirksam anerkennen. Diese Regelung soll einem „Wettlauf um die Vaterschaft“ vorbeugen und gerichtliche Verfahren nicht unterlaufen.


3.2 Neuregelung des Anfechtungsrechts des leiblichen Vaters

Kernstück des Entwurfs ist eine neue Staffelung des Anfechtungsrechts nach dem Lebensalter des Kindes und dem Zeitpunkt der Anfechtungserklärung:

a) Anfechtung innerhalb der ersten sechs Lebensmonate

Der leibliche Vater kann die Vaterschaft uneingeschränkt anfechten. Die sozial-familiäre Beziehung zum rechtlichen Vater steht dem nicht entgegen. Damit erhält der biologische Vater eine zeitlich begrenzte Vorrangstellung.

b) Anfechtung nach dem sechsten Lebensmonat (bei minderjährigen Kindern)

Grundsätzlich bleibt die sozial-familiäre Beziehung zum rechtlichen Vater ein Ausschlussgrund.

Ausnahmen:

  • Auch der leibliche Vater hat eine sozial-familiäre Beziehung zum Kind,

  • oder er hatte sie früher,

  • oder er hat sich ernsthaft, aber erfolglos um eine solche Beziehung bemüht.

In diesen Fällen wird eine gerichtliche Abwägung im Einzelfall ermöglicht. Die Gerichte sollen prüfen, ob dem Kindeswohl dennoch der Vorrang der bisherigen rechtlichen Vaterschaft zu gewähren ist.

c) Anfechtung bei volljährigen Kindern

Die Vaterschaftsanfechtung durch den leiblichen Vater soll künftig vom Widerspruch des volljährigen Kindes abhängig sein. Damit wird dem Selbstbestimmungsrecht des erwachsenen Kindes stärkere Geltung verschafft.

d) „Zweite Chance“ bei Wegfall der sozial-familiären Beziehung

Fällt die ursprünglich bestehende Bindung zwischen Kind und rechtlichem Vater weg, kann der leibliche Vater erneut anfechten, auch wenn frühere Anfechtungsversuche gescheitert waren. Dies ermöglicht eine situativ angemessene Anpassung der rechtlichen Elternschaft an geänderte Lebensverhältnisse.


3.3 Ergänzende Regelungen zur Anerkennung der Vaterschaft

a) Anerkennung trotz bestehender rechtlicher Vaterschaft

Die Vaterschaft kann künftig auch ohne vorheriges Anfechtungsverfahren anerkannt werden, wenn

  • der leibliche Vater,

  • die Mutter,

  • der bisherige rechtliche Vater und

  • das Kind (sofern einwilligungsfähig)
    zustimmen.

Dies erlaubt eine einvernehmliche Lösung in Fällen, in denen alle Beteiligten die biologische und soziale Realität rechtlich nachvollziehen wollen.

b) Ausschluss der Anfechtung bei bewusster falscher Anerkennung

Ein Mann, der in Kenntnis seiner fehlenden biologischen Vaterschaft eine Vaterschaft anerkennt, soll kein Anfechtungsrecht mehr haben. Dasselbe gilt für die Mutter, die der Anerkennung zugestimmt hat. Dies zielt auf eine Verhinderung strategischer Anerkennungen, die lediglich der Ausschaltung des leiblichen Vaters dienen sollen.

c) Zustimmung des Kindes ab 14 Jahren

Ein Kind, das das 14. Lebensjahr vollendet hat, muss künftig der Vaterschaftsanerkennung ausdrücklich zustimmen. Dies stärkt die Autonomie jugendlicher Kinder und schützt vor fremdbestimmter rechtlicher Zuordnung.


4. Verfassungsrechtliche Bewertung

Die Neuregelungen berücksichtigen die Grundrechte leiblicher Väter (Art. 6 Abs. 2 GG), ohne das Kindeswohlprinzip (Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG) oder die Grundrechte des rechtlichen Vaters und der Mutter unangemessen einzuschränken. Der Gesetzentwurf folgt dem Weg eines abgestuften Schutzkonzepts, bei dem Alter und Bindungen zum Kind eine maßgebliche Rolle spielen.

Die „zweite Chance“ bei weggefallener sozial-familiärer Bindung, die Anerkennungssperre in laufenden Verfahren sowie die Zustimmungspflicht des Kindes ab 14 Jahren stellen verhältnismäßige und differenzierende Instrumente dar. Kritisch zu hinterfragen ist, ob die Voraussetzungen für die Ausnahmefälle der Anfechtung ausreichend klar und praxistauglich gefasst sind. Hier bleibt die konkrete Auslegung durch die Rechtsprechung abzuwarten.

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