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Neuer Gesetzentwurf zur Nachhaltigkeitsberichterstattung

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Neuer Gesetzentwurf zur Nachhaltigkeitsberichterstattung

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Juristische Analyse der deutschen Umsetzung der CSRD

Am 10. Juli 2025 hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJ) einen neuen Gesetzentwurf zur Umsetzung der europäischen Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (Corporate Sustainability Reporting Directive – CSRD) vorgelegt. Ziel soll es sein, die Vorgaben des EU-Gesetzgebers rechtskonform, aber möglichst bürokratiearm in deutsches Recht zu überführen. Die Bundesregierung will dabei dem Prinzip der 1:1-Umsetzung folgen, um zusätzliche nationale Belastungen („gold plating“) zu vermeiden.

Nachfolgend wird der rechtliche Hintergrund, die geplanten Neuregelungen sowie die systematischen Implikationen für das Unternehmensrecht in Deutschland analysiert.

Link zum Entwurf


Europarechtlicher Hintergrund – Die CSRD als Bestandteil des European Green Deal

Die CSRD (Richtlinie (EU) 2022/2464) ersetzt und erweitert die bisher geltende Non-Financial Reporting Directive (NFRD, Richtlinie 2014/95/EU). Ziel ist es, die Qualität, Vergleichbarkeit und Relevanz von Nachhaltigkeitsinformationen zu erhöhen. Die CSRD ist Teil des umfassenden „European Green Deal“, mit dem die EU ihre Klimaziele, insbesondere Klimaneutralität bis 2050, erreichen will.

Die Richtlinie verfolgt einen doppelten Wesentlichkeitsansatz („double materiality“): Unternehmen sollen sowohl über die Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit auf Umwelt und Gesellschaft (Inside-out) als auch über Nachhaltigkeitsrisiken, die auf das Unternehmen zurückwirken können (Outside-in), berichten.

Mit der sog. „Stop-the-Clock“-Richtlinie hat die EU-Kommission den Zeitplan zur Anwendung der CSRD für eine Vielzahl von Unternehmen faktisch gestreckt und zugleich Erleichterungen vorgeschlagen – unter anderem in Form einer modularen Offenlegungspflicht und inhaltlichen Reduktionen.


Kernaussagen des deutschen Gesetzentwurfs

1. Pflicht zur Abgabe eines Nachhaltigkeitsberichts

Nach dem Gesetzentwurf sind bestimmte Unternehmen verpflichtet, zusammen mit ihrem Jahresabschluss künftig einen Nachhaltigkeitsbericht zu veröffentlichen. Dieser ist kein Bestandteil des Abschlusses, aber integraler Teil des Lageberichts und unterliegt eigenständigen Prüfungspflichten.

Rechtsgrundlage hierfür wird § 289b HGB n.F. sein. Inhaltlich wird auf die durch EU-Standards vorgegebenen European Sustainability Reporting Standards (ESRS) verwiesen. Eine deutsche Abweichung ist nicht vorgesehen.

2. Adressatenkreis – Schwellenwerte und Anwendungsbereich

Die Berichtspflicht trifft zunächst kapitalmarktorientierte Unternehmen, große Kapitalgesellschaften i.S.d. § 267 HGB und Unternehmen aus dem Finanzsektor (Banken, Versicherer), sofern sie mehr als 1.000 Beschäftigte haben. Diese Schwelle geht über die bisherigen Anforderungen der NFRD hinaus.

Der Entwurf sieht ein gestuftes Inkrafttreten vor:

  • Ab Geschäftsjahr 2025: Verpflichtung für große kapitalmarktorientierte Unternehmen.

  • Ab Geschäftsjahr 2026 und 2027: Weitere Unternehmensgruppen sollen schrittweise einbezogen werden, konkretisiert durch delegierte Rechtsakte der EU-Kommission.

3. Prüfung durch Wirtschaftsprüfer – neue Aufgaben und Regelungen

Die Nachhaltigkeitsberichte unterliegen künftig einer externen Prüfungspflicht. Die Prüfung ist keine bloße Plausibilitätskontrolle, sondern orientiert sich an den qualitativen Maßgaben der CSRD.

Hierzu wird die Wirtschaftsprüferordnung angepasst, sodass nur sachkundige und unabhängige Prüfer mit entsprechender ESG-Kompetenz diese Prüfungen durchführen dürfen. Damit erweitert sich das Berufsbild der Wirtschaftsprüfer in Richtung Nachhaltigkeitsprüfung – mit erheblichen Fortbildungs- und Qualitätsanforderungen.

4. Verhältnis zur Unternehmenspublizität und Berichtsintegration

Der Nachhaltigkeitsbericht soll öffentlich zugänglich gemacht werden – im Bundesanzeiger sowie über die zentrale europäische Plattform (ESAP – European Single Access Point). Es handelt sich somit um eine neue Dimension der Unternehmenspublizität.

Unternehmensrechtlich ergibt sich hieraus eine substanzielle Erweiterung der Offenlegungspflichten, mit möglichen haftungsrechtlichen Implikationen für Vorstände und Aufsichtsräte nach § 93 Abs. 1 AktG bzw. § 116 AktG.


Juristische Einordnung und Bewertung

1. Verfassungsrechtlicher Rahmen

Die Berichtspflichten greifen in die unternehmerische Handlungsfreiheit (Art. 12 GG) und die Berufsausübungsfreiheit von Prüfern ein. Die Eingriffe werden jedoch durch die Umsetzung europäischen Sekundärrechts und den überragenden Gemeinwohlbelang des Umweltschutzes (Art. 20a GG) durch das BMJV als gerechtfertigt angesehen.

2. Kein „Gold Plating“ – aber faktische Belastung durch Prüfpflicht

Zwar setzt der Gesetzentwurf die Richtlinie formal 1:1 um. Jedoch stellt insbesondere die Prüfungspflicht eine faktische Mehrbelastung dar, da viele Unternehmen erstmals strukturierte ESG-Informationen generieren und prüfen lassen müssen. Der Verzicht auf nationale Erweiterungen ist daher sinnvoll, reicht aber nicht aus, um die Bürokratiekosten gänzlich zu minimieren.

3. Bedeutung für den Mittelstand

Kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) sind vorerst nicht direkt betroffen, werden aber über Lieferketten und Finanzierungsbeziehungen mittelbar in die Berichtspflichten eingebunden (Stichwort: „trickle-down effect“). Die Bundesregierung plant hierzu gesonderte Hilfen, etwa Leitfäden und digitale Tools.


IV. Ausblick und Beteiligungsverfahren

Der Entwurf wurde an Länder und Verbände übermittelt. Stellungnahmen können bis zum 21. Juli 2025 eingereicht werden. Angesichts der zentralen Bedeutung für die Unternehmenspraxis ist mit zahlreichen Rückmeldungen insbesondere von Unternehmensverbänden, Wirtschaftsprüferkammer, Berufsverbänden und NGOs zu rechnen.

Die praktische Herausforderung wird darin bestehen, einen praxistauglichen Gleichlauf zwischen den europäischen Offenlegungsstandards (ESRS), den Prüfstandards und der Unternehmenswirklichkeit zu erreichen – ohne die Marktteilnehmer zu überfordern.

 


Bürokratie und Dauerbeschäftigung für Wirtschaftsprüfer?

 


1. Weiterer Baustein zur Bürokratie

Auch wenn das BMJ ausdrücklich eine „bürokratiearme“ Umsetzung propagiert, ist der Gesetzentwurf objektiv betrachtet ein weiterer massiver Eingriff in das Berichtswesen der Unternehmen. Besonders deutlich wird dies durch:

  • Zusätzliche Berichtspflicht: Der Nachhaltigkeitsbericht ist neben dem Jahresabschluss und Lagebericht ein eigenständiges Berichtswerk, das eigene Prozesse, Datenquellen und Dokumentationspflichten erfordert.

  • Einführung komplexer Standards: Die European Sustainability Reporting Standards (ESRS), auf die verwiesen wird, sind äußerst detailliert und enthalten qualitative und quantitative Vorgaben zu Umwelt, Sozialem und Governance (ESG). Sie gelten als schwer verständlich und sind kaum ohne spezialisierte Beratung umzusetzen.

  • Neue Prüfungspflichten: Die externe Prüfung durch Wirtschaftsprüfer – analog zur Finanzberichterstattung – verankert eine zusätzliche Pflicht mit erheblichen Kosten.

Besonders betroffen sind Unternehmen, die bislang keine Nachhaltigkeitsstrukturen aufgebaut haben. Für diese stellt der Entwurf de facto den Einstieg in ein neues regulatorisches System dar.


2. Dauerbeschäftigung für Wirtschaftsprüfer

Die Einbindung der Wirtschaftsprüfer in die Prüfung der Nachhaltigkeitsberichte ist ein zentraler Bestandteil des Konzepts – auf europäischer wie auf nationaler Ebene.

  • Es wird eine neue Prüfpflicht auf gesetzlicher Grundlage eingeführt, die eine dauerhafte Nachfrage nach ESG-Prüfleistungen schafft.

  • Der Markt für „sustainability assurance“ wächst rapide – Wirtschaftsprüfungsgesellschaften haben hier ein starkes wirtschaftliches Interesse, das auch in ihren Verbandspositionierungen sichtbar ist.

  • Die Anpassung der Wirtschaftsprüferordnung (WPO) im Gesetzentwurf signalisiert, dass die Bundesregierung den Berufsstand strukturell in die Nachhaltigkeitsgovernance einbinden will – mit Berufsaufsicht, Qualitätskontrolle und Fortbildungspflicht.

Es lässt sich festhalten, dass die Wirtschaftsprüfer durch die CSRD-Umsetzung ein neues, gesetzlich abgesichertes Betätigungsfeld erhalten – das sich auf Jahre hinaus wirtschaftlich stabilisiert.


Bewertung

Der Entwurf ist juristisch handwerklich sauber, aber politisch hochumstritten: Er fördert Transparenz, schafft aber Kosten und Bürokratie – besonders für mittelständische Unternehmen. Die Einbindung der Wirtschaftsprüfer schafft einen strukturellen Anreiz für eine neue Prüfdienstleistungsindustrie im ESG-Bereich. Ob dies notwendig oder überzogen ist, hängt von der Perspektive ab: Für den Kapitalmarkt mag es Vertrauen schaffen, für viele Unternehmen bedeutet es eine weitere Entfremdung von ihrer eigentlichen Wertschöpfungstätigkeit.

 

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