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Neuordnung aufsichtsrechtlicher Verfahren des Rechts der rechtsberatenden Berufe u.a.

Arbeitsrecht – Erbrecht - Kommunalrecht

Neuordnung aufsichtsrechtlicher Verfahren des Rechts der rechtsberatenden Berufe u.a.

Rechtsprechung

 


Entwurf: Neuordnung des Aufsichts- und Berufsverfahrensrechts der rechtsberatenden Berufe

Analyse der Neuerungen im Referentenentwurf des BMJ

I. Ausgangslage und Reformbedarf

Der Referentenentwurf reagiert auf strukturelle Defizite im Berufsaufsichtsrecht der rechtsberatenden Berufe, insbesondere im Bereich der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO), der Patentanwaltsordnung (PAO) und des Steuerberatungsgesetzes (StBerG). Zentrale Problempunkte waren:

  • fehlende gesetzliche Grundlage für die bislang nur richterrechtlich anerkannte „missbilligende Belehrung“,

  • uneinheitliche Rechtswege und Verfahrensordnungen bei berufsaufsichtlichen Maßnahmen,

  • unklare Abgrenzungen zwischen Hinweis, Rüge und berufsgerichtlicher Sanktion,

  • erhebliche Rechtsunsicherheiten für Kammermitglieder und Kammern,

  • Modernisierungsdefizite im Gesellschafts-, Aufsichts- und Registerrecht.

Der Entwurf verfolgt ausdrücklich das Ziel, Rechtssicherheit, Verfahrensklarheit und Verwaltungsvereinfachung herzustellen sowie den Rechtsschutz der Betroffenen zu stärken.


II. Abschaffung der „Belehrung“ – Einführung des rechtlichen Hinweises

Kernstück der Reform ist die systematische Neuregelung der Kammerkommunikation:

  1. Der bislang gebräuchliche, gesetzlich nicht geregelte Begriff der Belehrung entfällt vollständig.

  2. An seine Stelle tritt der „rechtliche Hinweis“, der nun ausdrücklich normiert wird.

  3. Ein rechtlicher Hinweis liegt vor, wenn sich der Vorstand der Kammer in einer rechtlich verbindlichen Bewertung zu Berufspflichten festlegt.

  4. Rechtliche Hinweise sind als solche zu kennzeichnen und voll gerichtlich überprüfbar.

Damit wird erstmals eine klare Trennlinie zwischen informeller Beratung und belastender Maßnahme gezogen.


III. Einheitliche Rechtsbehelfe und Verfahrensordnung

1. Anwendbarkeit der Verwaltungsgerichtsordnung

Für Rechtsbehelfe gegen:

  • rechtliche Hinweise,

  • Rügen,

  • Auskunftsverlangen,

  • Zwangsgeldandrohungen und -festsetzungen

gilt künftig einheitlich die Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

2. Zuständigkeit der Gerichte

  • Bei Rechtsanwälten: Anwaltsgericht als funktionales Verwaltungsgericht.

  • Anwaltsgerichtshof tritt an die Stelle der Oberverwaltungsgerichte.

  • Berufungen sind grundsätzlich ausgeschlossen, um Verfahrensbeschleunigung zu gewährleisten.

Dies beendet die bisherige zersplitterte Rechtswegstruktur und erhöht die Vorhersehbarkeit gerichtlicher Kontrolle.


IV. Neuordnung der Grundpflichten der Rechtsanwälte

Die bisher in §§ 43, 43a BRAO verstreut geregelten Berufspflichten werden vollständig neu strukturiert:

  • § 38 BRAO n.F.: Allgemeine Berufspflicht

  • § 39 BRAO n.F.: Unabhängigkeit

  • § 40 BRAO n.F.: Verschwiegenheit (mit klaren Organisationspflichten)

  • § 41 BRAO n.F.: Sachlichkeit

  • § 42 BRAO n.F.: Tätigkeitsverbot bei widerstreitenden Interessen

  • § 43 BRAO n.F.: Fremde Vermögenswerte

  • § 43a BRAO n.F.: Fortbildungspflicht

Besonders bedeutsam ist die Einführung einer Zustimmungsfiktion bei widerstreitenden Interessen im unternehmerischen Bereich, sofern der Mandant nach umfassender Information nicht widerspricht.


V. Rügenrecht und Verhältnis zum berufsgerichtlichen Verfahren

Das Rügenrecht wird präzisiert und begrenzt:

  • Rügen sind nur bei geringer Schuld zulässig.

  • Die Begründungspflicht wird ausdrücklich normiert.

  • Rechtsbehelfe gegen Rügen unterliegen denselben verfahrensrechtlichen Regeln wie andere Aufsichtsmaßnahmen.

  • Wird später ein anwaltsgerichtliches Verfahren erforderlich, kann eine Rüge aufgehoben werden.

Zugleich wird klargestellt, dass eine Rüge kein verkapptes Sanktionsinstrument darstellen darf.


VI. Einführung des Maßnahmenbescheids

Neu eingeführt wird ein dem Strafbefehlsverfahren vergleichbarer Maßnahmenbescheid:

  • Erlass auf Antrag der Staatsanwaltschaft,

  • ohne Hauptverhandlung,

  • bei geringeren Sanktionen (Verweis, Geldbuße),

  • mit Anlehnung an die Regelungen der StPO (§§ 407 ff.).

Dies ermöglicht eine effiziente Verfahrensbeendigung bei einfach gelagerten Pflichtverstößen.


VII. Beschränkung der UWG-Klagen der Kammern

Berufskammern dürfen gegen eigene Mitglieder nach dem UWG nur noch vorgehen, wenn:

  • zuvor ein rechtlicher Hinweis erteilt oder

  • eine Anhörung im Aufsichtsverfahren durchgeführt wurde

  • und das beanstandete Verhalten fortgesetzt wird.

Damit wird das wettbewerbsrechtliche Instrumentarium der Kammern klar diszipliniert und vor missbräuchlicher Anwendung geschützt.


VIII. Kanzleiabwicklung und Begrenzung der Kammerhaftung

Bei der Abwicklung von Kanzleien wird die Bürgenhaftung der Kammern auf 10.000 Euro begrenzt. Abwickler dürfen laufende Mandate beenden, wenn eine höhere Haftung droht und keine Zustimmung der Kammer vorliegt.

Dies stellt einen Paradigmenwechsel zulasten der Kammerfinanzierung dar.


IX. Erweiterung der Gesellschaftsformen und Gesellschafterkreise

Der Entwurf liberalisiert das Berufsrecht weiter:

  • Erweiterung der zulässigen Gesellschaftsformen, auch mit Auslandsbezug,

  • Erweiterung der Gesellschafterkreise, insbesondere für ausländische Berufsausübungsgesellschaften,

  • Klarstellung der Rechtsdienstleistungs- und Postulationsbefugnisse auch nach Auflösung einer Gesellschaft.


X. Weitere wesentliche Neuerungen (Auswahl)

  • Abschaffung der nicht mehr praktizierten Sanktion der Warnung,

  • Vereinheitlichung der Regelungen zu ehrenamtlichen Richtern,

  • Klarstellung staatsanwaltschaftlicher Ermittlungsverfahren im Berufsrecht,

  • Abschaffung der Anzeigepflichten nach § 76e StBerG,

  • Erweiterung des Zentralen Vorsorgeregisters auf beglaubigte Abschriften,

  • Neuregelung der Einsicht in über 100 Jahre alte notarielle Urkunden,

  • Verschärfung der Sachkundeanforderungen für Inkassodienstleister,

  • Erhöhung der Bußgelder bei unbefugter Rechtsdienstleistung,

  • Unterbrechung von Zivilverfahren auch ohne Anwaltszwang bei Anwaltsverlust.


 

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