Rüstungsindustrie im Raum Kiel

Unternehmen, Aufträge, Förderung und Entwicklungen
Dazu aktuell Saarland: – Neue Chancen durch Panzer-Wartung:
Die Aufrüstung seit 2022 hat in der deutschen Wehrtechnik zu einem Boom geführt. Das zeigt sich exemplarisch im Saarland: Beim Rüstungskonzern KNDS (KMW+Nexter) in Freisen werden inzwischen pro Jahr über 300 gepanzerte Fahrzeuge der Bundeswehr instandgesetzt – zusätzlich zu tausenden Motoren und Getrieben. Dort entsteht auch ein neues Zentrum für die Wartung des Schützenpanzers Puma. Diese Ausweitung der Panzer-Wartung schafft hunderte neuer Arbeitsplätze, was insbesondere Fachkräften aus kriselnden Branchen (z.B. der Automobilindustrie) zugutekommt. So berichtet etwa der Rüstungshersteller Hensoldt, man „profitiere von den Schwierigkeiten der Autoindustrie“ und werbe aktiv Mitarbeiter von Automobilzulieferern ab. Auch KNDS wächst stark: In Ostdeutschland übernimmt KNDS einen stillgelegten Zug-Werkstandort und will dort Teile für Leopard-2-Panzer, Puma-Schützenpanzer und Boxer-Fahrzeuge fertigen – rund die Hälfte der 700 Mitarbeiter der alten Fabrik wird weiterbeschäftigt. Diese Beispiele markieren einen Strukturwandel: „Panzer statt Autos“ – die Verteidigungsindustrie öffnet neue Karrierewege für ehemalige Mitarbeiter der Auto- und Zulieferindustrie.
Unternehmen der Rüstungsindustrie im Raum Kiel
Deutsches U-Boot U-36 in der Werft von Thyssenkrupp Marine Systems (Kiel, 2018). TKMS in Kiel-Gaarden ist Weltmarktführer für konventionelle U-Boote und prägt den Marineschiffbau der Region.
Der Großraum Kiel (Schleswig-Holstein) ist traditionell ein bedeutender Standort der deutschen Rüstungs- und Wehrtechnik. Die ansässigen Firmen decken sowohl die Herstellung als auch die Wartung verschiedenster Rüstungsgüter ab – von Kriegsschiffen und U-Booten über Panzerfahrzeuge bis zu Elektronik und Waffen. In Kiel selbst sind nach aktuellen Angaben 16 Unternehmen der Wehrtechnik ansässig, die rund 8.346 Beschäftigte zählen (Stand 2023). Dazu kommen wichtige Standorte im Kieler Umland, etwa in Eckernförde und Rendsburg. Hier ein Überblick über die wichtigsten Rüstungsunternehmen in der Region Kiel und ihre Tätigkeitsfelder:
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Marineschiffbau: Kiel ist ein Zentrum des deutschen Marineschiffbaus. Die Werft Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS) in Kiel-Gaarden (ehemals HDW) baut konventionelle U-Boote der Klasse 212A/212CD und gilt als Weltmarktführer für nicht-nukleare U-Boote. TKMS liefert U-Boote und Überwasserschiffe an die Deutsche Marine und zahlreiche Exportkunden (u.a. Singapur, Israel, Norwegen) – ein Sektor, der durch hohe Exportquoten geprägt ist. Neben TKMS ist auch die German Naval Yards Kiel (GNYK) auf Marineschiffe spezialisiert. GNYK (hervorgegangen aus der ehem. Krupp-Werft HDW und zeitweise Teil der Privinvest-Gruppe) konzentriert sich auf den Neubau von Fregatten, Korvetten und Patrouillenbooten sowie auf Reparatur und Modernisierung von Marine-Schiffen. Laut Geschäftsführer Rino Brugge verzeichnet GNYK eine “stabile Auslastung“ durch einen Mix aus Neubau- und Instandsetzungsprojekten, wobei das Hauptgeschäftsfeld militärisch ist. Etwa 400 Mitarbeiter sind an den GNYK-Standorten (v.a. Kiel) beschäftigt. Zum Marineschiffbau im Kieler Umland gehört ferner die Lürssen-Kröger-Werft in Rendsburg (Schacht-Audorf), die zur Lürssen-Gruppe gehört und Teile von Marineprojekten (z.B. für neue Fregatten) fertigt. Insgesamt hat Schleswig-Holstein sich als “Zentrum der deutschen Wehrindustrie” etabliert – über 30 wehrtechnische Unternehmen sind im Land ansässig, ein großer Teil davon im maritimen Sektor.
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Landfahrzeuge und Panzer: In Kiel-Suchsdorf unterhält Rheinmetall Landsysteme GmbH einen bedeutenden Standort. Diese ehemals aus der Maschinenbau Kiel (MaK) hervorgegangene Betriebsstätte (über 800 Beschäftigte) fokussiert sich auf die Entwicklung und Produktion von gepanzerter Rad- und Kettenfahrzeugen sowie Turmsystemen. In Kiel werden u.a. Komponenten für den Schützenpanzer Puma, den neuen Radschützenpanzer Boxer und Spezialfahrzeuge wie der Pionierpanzer Kodiak hergestellt. Die Rheinmetall-Sparte in Kiel war auch an der Fertigung früherer Panzer beteiligt (etwa Leopard 2, gemeinsam mit Krauss-Maffei). Aktuell profitiert Rheinmetall von steigender Nachfrage: Seit dem russischen Angriff 2022 hat sich der Aktienkurs verfünffacht. Der Konzern baut seine Kapazitäten massiv aus – die Belegschaft in Deutschland soll binnen zwei Jahren um 8.000 auf 40.000 steigen, auch in Kiel sollen deutlich mehr Mitarbeiter eingestellt werden. Flensburger Fahrzeugbau Gesellschaft (FFG) in Flensburg (nördlich von Kiel) – obwohl außerhalb der direkten Kiel-Region – sei hier erwähnt, da sie ebenfalls Wehrtechnik (Panzerumbauten, Minenräumpanzer) herstellt und mit Kiel kooperiert (FFG wurde z.B. bei Konversionsprojekten in den 1990ern gefördert). Zudem liegt im Kreis Plön (Kieler Umland) der Standort Putlos mit einer Wehrtechnischen Dienststelle (WTD 71) für Landfahrzeuge, die aber eher eine Bundeswehr-Einrichtung ist.
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Elektronik, Sensorik und Navigationssysteme: Kiel beherbergt einige weltweit renommierte Hersteller im Bereich Marine-Elektronik. Die Anschütz GmbH (ehemals Raytheon Anschütz), gegründet 1905 vom Kreiselkompass-Erfinder Hermann Anschütz-Kaempfe, entwickelt und produziert Navigationsinstrumente, Überwachungs- und Kontrollsysteme für Schiffe aller Art. Mit rund 110 Mio. Euro Jahresumsatz ist Anschütz ein erfolgreicher Komponentenhersteller, dessen Systeme in zivilen wie militärischen Schiffen weltweit im Einsatz sind. Thales Deutschland unterhält in Kiel ein Marine-Kompetenzzentrum, wo Experten an Marinesensoren, Kommunikations- und Radarsystemen arbeiten. Thales erweitert diesen Standort aktuell, um seine deutschen Marine-Aktivitäten auszubauen – insbesondere im Rahmen des neuen Fregattenprogramms F126 (MKS 180) liefert Thales das Gefechtsführungssystem an die Bundeswehr. Weitere Elektronikfirmen sind in Kiel historisch präsent, teils als Zweigstellen großer Konzerne: So gehörte die Kieler Firma GEDIS inzwischen zu Rohde & Schwarz (Kommunikationssysteme). Die ELAC Sonar GmbH (ehemals Electroacustic GmbH, Kiel) ist spezialisiert auf Unterwasserakustik und Sonarsysteme; sie wurde in den 2000ern vom amerikanischen L-3-Konzern übernommen und zuletzt (2020) vom britischen Rüstungselektronik-Konzern Cohort plc akquiriert. Kiel verfügt somit auch über Know-how in Sonartechnik (wichtig für U-Boote und Minenjagd).
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Handfeuerwaffen und Munition: In Eckernförde (nördlich von Kiel) war über Jahrzehnte der bekannte Waffenhersteller Sig Sauer ansässig. Sig Sauer produzierte Pistolen und Gewehre „Made in Eckernförde“ und war seit den 1950er Jahren in der Region verwurzelt. Allerdings geriet das Unternehmen durch illegale Exportlieferungen und strenge deutsche Rüstungsexport-Regeln in Schwierigkeiten. 2020 kündigte Sig Sauer an, den deutschen Standort aus wirtschaftlichen Gründen zu schließen – rund 125 Beschäftigte verloren ihre Stellen. Die Firma begründete dies mit Standortnachteilen: Deutsche Behördenaufträge gingen meist an Konkurrenten (etwa Heckler & Koch) und Exporthürden beschränkten das Geschäft. Die Schließung wurde Ende 2020 vollzogen. – In Schleswig-Holstein gibt es wenige weitere Munitions- oder Waffenfertiger (der Traditionsbetrieb Wilhelm Francke in Kiel für Munition existiert nicht mehr, und die Lübecker Waffenfirma Coltart ist historisch). Allerdings war Schleswig-Holstein einst auch Sitz der Sig Sauer-Tochter J.P. Sauer & Sohn (Jagdwaffen in Eckernförde) sowie der heute bedeutenden Optikfirma Hensoldt, die zumindest über Zulieferbetriebe (z.B. LensTech in S-H) verfügt.
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Zuliefer- und Spezialfirmen: Viele kleinere Betriebe im Raum Kiel arbeiten als Zulieferer für die großen Rüstungskonzerne. Hier verschwimmt oft die Grenze zwischen zivil und militärisch. Beispiele sind metall- und maschinenbauliche Betriebe, die Teile für U-Boote oder Panzer liefern, ohne selbst Endprodukte herzustellen. In Kiel gab/gibt es etwa Firmen wie MaK Systems (Panzertechnik, aufgegangen in Rheinmetall), Vossloh System-Technik (VST, früher in Kiel im Bereich Kommunikationssysteme tätig, heute Teil von Rohde & Schwarz), Gabler Maschinenbau (Periskope und Marineausrüstung, in Lübeck ansässig, aber auch in S-H tätig) und FFG (Flensburg, siehe oben). Viele Kieler Rüstungsfirmen haben eine lange Tradition und häufig den Besitzer gewechselt. So gehört Raytheon Anschütz heute zum US-Rüstungskonzern Raytheon, Thales Kiel gehört zum französischen Thales-Konzern, und ELAC wurde – wie erwähnt – von auswärtigen Konzernen übernommen. Diese Verzahnung spiegelt die internationale Struktur der Branche wider.
Hinweis: Laut Industrie- und Handelskammer schwankt der Gesamtumsatz der Rüstungsindustrie in Schleswig-Holstein zwischen 1,5 und 2 Milliarden Euro jährlich, wovon bis zu 70% auf Exporte entfallen. Die Branche beschäftigt landesweit etwa 7.700 direkt in Wehrtechnik (plus ~12.000 in Zulieferung). Kiel und Umgebung stellen davon einen bedeutenden Anteil – u.a. mit globaler Spitzenstellung bei U-Booten und Marineelektronik. Gleichzeitig unterliegen diese Firmen den strengen deutschen Exportregularien und sind auf internationale Aufträge angewiesen, was politische Debatten über Rüstungsexporte in der Region wach hält.
Start-ups und neue Akteure in Kiel
Die Rüstungs- und Verteidigungsindustrie wird in Deutschland nicht nur von traditionellen Großkonzernen geprägt – seit kurzem rücken auch DefenceTech-Start-ups in den Fokus. Allerdings sind im Raum Kiel bislang nur wenige echte Start-ups in der Rüstungsgüterproduktion vertreten. Vielmehr dominieren etablierte Unternehmen mit langer Historie (Werften, Elektronikfirmen, Rheinmetall etc., siehe oben). Neugründungen entstehen allenfalls im technologischen Umfeld (z.B. im Bereich maritime Digitalisierung), nicht aber als eigenständige Waffenhersteller vor Ort. Dennoch gibt es Ansätze, junge Unternehmen einzubinden: So veranstaltete der Cyber-Innovation Hub der Bundeswehr 2017 einen „Startup Pitch“ während der Kieler Woche, um wehrtechnische Start-ups mit Förderern und Bundeswehrvertretern zu vernetzen. Generell fordert die deutsche Start-up-Szene mehr Berücksichtigung bei der Bundeswehr-Modernisierung. Ein Beispiel ist das bayerische Start-up ARX Robotics, das autonome Mini-Panzer entwickelt und bereits an die Ukraine liefert – solche Innovationen könnten perspektivisch auch für Standorte wie Kiel interessant werden. Zudem bemüht sich das Bundesverteidigungsministerium um die Förderung junger High-Tech-Firmen, etwa mit dem Palladion Defence-Accelerator in München. In Schleswig-Holstein selbst hat die Landesregierung Formate gestartet, um den Mittelstand der wehrtechnischen Industrie sichtbarer zu machen und zu unterstützen – dies dürfte auch Start-ups einbeziehen. Bisher lässt sich jedoch festhalten: Start-ups im klassischen Sinne spielen in Kiel noch eine untergeordnete Rolle in der Rüstungsproduktion. Der Sektor wird meistens von den großen und mittelständischen Traditionsunternehmen getragen. Gleichwohl könnte die aktuelle Aufrüstung und Digitalisierung auch in Kiel in Zukunft Ausgründungen oder Zuzüge von DefenceTech-Start-ups begünstigen.
Mit DND Digital ist die Digitalisierungs-Sparte der Dynamit Nobel Defence GmbH in das Kieler Umland gekommen, mit dem Ziel, digitale Technologien für die Landstreitkräfte der Bundeswehr und NATO zu entwickeln. Im Rahmen des TaWAN LBO (Taktisches Wide Area Network Landbasierte Operationen) liefert DND Digital die Funkgeräte der BNET-Serie für das Richtfunksystem (High Capacity Line-of-Sight – HCLOS).
Bundeswehr-Aufträge und öffentliche Beschaffungen seit 2022
Ein zentrales Thema ist, inwieweit die Kieler Rüstungsfirmen von Aufträgen des Verteidigungsministeriums (insb. der Bundeswehr) profitieren – besonders vor dem Hintergrund der 2022 eingeläuteten “Zeitenwende” mit deutlich höheren Verteidigungsinvestitionen. Hier sind mehrere Aspekte zu beachten:
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Marine-Aufträge: Durch Kieler Werften und Zulieferer fließen bedeutende Bundeswehr-Aufträge. Thyssenkrupp Marine Systems baut für die Deutsche Marine neue U-Boote des Typs 212CD (gemeinsam mit Norwegen). Dieser Milliardenauftrag wurde 2021 unterzeichnet (vier Boote für Norwegen, zwei für Deutschland) und wird vom Bund kofinanziert. Zudem erhalten Kieler Werften Aufträge für die Wartung bestehender Marineeinheiten. German Naval Yards und TKMS waren am Mehrzweckkampfschiff F126 (früher MKS 180) beteiligt: Zwar ging der Bauauftrag an die Damen-Werft (Niederlande), jedoch werden Teile der neuen Fregatten in Norddeutschland gefertigt (insb. bei Lürssen/Blohm+Voss, wo GNYK kooperiert) und Thales Kiel liefert zentrale Systeme. Auch der Bau von Versorgungsschiffen (Marinearsenal) und die Integration von Elektronik auf Marineschiffen bringen Kieler Firmen Bundeswehr-Aufträge ein. Ein aktuelles Beispiel: Thales in Kiel hat 2020 einen Vertrag zur Ausrüstung der vier neuen F126-Fregatten mit Missions- und Gefechtssystemen erhalten. Raytheon Anschütz wiederum rüstet viele Bundeswehr-Schiffe mit Navigations- und Brückensystemen aus (z.B. die neuen Flottentanker). Fazit Marine: Die Bundeswehr ist ein Hauptkunde für Kieler Marinewerften – jedoch kommen große Neubauvorhaben (wie Fregatten) nur selten und werden oft europaweit ausgeschrieben, was Kieler Firmen teils benachteiligt.
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Land-Systeme-Aufträge: Der Standort Kiel von Rheinmetall Landsysteme profitiert wesentlich von Bundeswehr-Bestellungen für Panzerfahrzeuge. Besonders der Schützenpanzer Puma (entwickelt von Rheinmetall und KMW) ist hier zu nennen. Seit 2022 investiert die Bundeswehr in die Modernisierung der Puma-Flotte (Upgrade auf den Stand „S1“) – ein Auftrag in Milliardenhöhe, an dem Rheinmetall-Kiel mitwirkt. Zudem konnte Rheinmetall im Frühjahr 2024 einen Multi-Milliarden-Vertrag mit der Bundeswehr abschließen: die Lieferung von bis zu 123 Fahrzeugen des neuen Systems „Schwerer Waffenträger Infanterie“. Diese leichten Panzer (ähnlich dem Konzept eines Luftlandefahrzeugs zur Infanterieunterstützung) sollen ab 2025 ausgeliefert werden. Der Auftrag stammt aus dem 100-Mrd.-Euro-Sondervermögen und ist ein wichtiger Impuls für Rheinmetall in Kiel. Darüber hinaus beteiligen sich Kieler Ingenieure an der Entwicklung des Lynx-Schützenpanzers (für internationale Kunden) und an Spezialfahrzeugen. Allerdings erhält nicht jeder Rüstungsbetrieb gleichermaßen Bundeswehr-Aufträge: Sig Sauer etwa ging bei Bundeswehr-Pistolen leer aus (die Bundeswehr bevorzugte hier Heckler & Koch). Generell aber steigen seit 2022 die Rüstungsbeschaffungen stark – was sich in vollen Auftragsbüchern z.B. für Rheinmetall zeigt.
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Luft- und sonstige Wehrtechnik: Kiel selbst hat keine Luftfahrt-Rüstungsproduktion, doch einige Firmen liefern Komponenten (z.B. Optik von Hensoldt, Elektronik von Rohde & Schwarz Kiel) für Bundeswehr-Luftfahrzeuge oder Kommunikationssysteme. Der Bund hat seit 2022 zahlreiche große Projekte angestoßen (F-35 Kampfjets, CH-47F Helikopter, Flugabwehr IRIS-T etc.), wovon Kieler Firmen indirekt profitieren, etwa über Zulieferungen. Beispielsweise hat Anschütz keine direkten Aufträge für Luftwaffe, aber die allgemeine Aufrüstung verbessert die Investitionslandschaft. Im Kommunikationsbereich liefert Rohde & Schwarz (mit Kieler Niederlassung) Funkgeräte an die Bundeswehr; im Tauchtechnik-Bereich werden Dräger-Ausrüstungen (Sitz in Lübeck) beschafft.
Insgesamt sorgen die erhöhten Verteidigungsausgaben seit 2022 für Auftragswachstum. Allerdings bemängelte der Arbeitskreis Wehrtechnik S-H, dass die hiesigen Unternehmen bislang „nur marginal“ vom 100-Mrd.-Sondervermögen profitiert haben. Viele Mittel fließen in Großgeräte, die nicht in SH gefertigt werden (Flugzeuge, Munition etc.). Dennoch: Aufträge aus Berlin für Kieler Rüstungsfirmen sind vorhanden und tendenziell steigend, was deren wirtschaftliche Lage stützt. Die Beispiele U-Boot-Verträge oder der neue Panzerauftrag zeigen, dass Bundeswehr und Verteidigungsministerium wichtige Kunden der Kieler Wehrtechnik sind.
Förderung durch Land und Bund für Kieler Rüstungsfirmen
Neben Aufträgen spielen Fördermittel und Subventionen eine Rolle. In der Vergangenheit erhielten insbesondere die Werften umfangreiche Unterstützung aus öffentlichen Kassen. Beispielsweise flossen Gelder aus EU-Strukturfonds sowie spezielle Werftenförderungen von Bund und Land Schleswig-Holstein in Kieler Betriebe. Ein verstecktes Förderbeispiel: Die Stadt Kiel kaufte Werftflächen (z.B. HDW-Gelände Dietrichsdorf und an der Hörn) zu überhöhten Preisen auf – faktisch eine Subvention, um die Werft zu entlasten. In den 1990er Jahren gab es das Konversions-Programm KONVER der EU, das gezielt Rüstungsbetriebe beim Umstieg auf zivile Produkte förderte. In Schleswig-Holstein wurden unter KONVER II (1995–1999) rund 27 Mio. DM an EU- und Landesmitteln vergeben. Zu den geförderten Kieler Unternehmen zählten u.a. ELAC, FFG (Flensburg), MaK (Kiel), Schwarting und Gabler Maschinenbau – dies half, zivile Geschäftsfelder aufzubauen. Heute liegt der Schwerpunkt allerdings weniger auf Zivilkonversion als auf Ausbau der Wehrtechnik selbst.
Die Landesregierung Schleswig-Holstein engagiert sich seit 2022 deutlicher für die Verteidigungsindustrie. Ministerpräsident Daniel Günther und Wirtschaftsminister Claus Ruhe Madsen (beide CDU) haben einen „Kieler Brief“ an den Bund verfasst, der Unterstützung der Branche einfordert. Es wurden Formate wie ein Wehrtechnik-Gipfel eingerichtet, um Politik, Bundeswehr und Firmen an einen Tisch zu bringen. Landesseitig gibt es Bemühungen, insbesondere mittelständische Zulieferer sichtbarer zu machen und ihnen den Zugang zu Bundesaufträgen zu erleichtern. Konkrete finanzielle Förderprogramme für Rüstungsfirmen (jenseits der allgemeinen Wirtschaftsförderung) sind zwar politisch sensibel, aber z.B. im Bereich Forschung & Entwicklung denkbar. Unternehmen wie Thales und Rheinmetall investieren auch aus eigener Kraft in den Ausbau ihrer Kieler Standorte – unterstützt durch positive Signale der Politik.
Auf Bundesebene kommen Hilfen vor allem indirekt: Das 100-Mrd.-Euro-Sondervermögen ist kein Zuschuss an Firmen, aber es garantiert große Bestellungen, die den Unternehmen Planungssicherheit geben. Zudem vergibt der Bund über die BAAINBw (Beschaffungsamt) und z.B. die Wehrforschung Institute (WTDs, DLR etc.) Entwicklungsaufträge, an denen Kieler Firmen teilnehmen können. Ein Beispiel für direkte Bundeshilfe war die Teilfinanzierung des U-Boot-Exports nach Israel, wo Berlin ~540 Mio. Euro Zuschuss gab – wovon TKMS indirekt profitierte. Auch die Kurzarbeit-Regelungen in der Corona-Pandemie (2020/21) halfen Werften wie Nobiskrug und German Naval Yards durch schwere Zeiten. Nicht zuletzt fördert der Bund Defence-Start-ups (siehe Palladion-Accelerator) – sofern solche sich in Kiel ansiedeln, könnten sie davon profitieren.
Zusammengefasst: Land und Bund unterstützen die wehrtechnische Industrie im Raum Kiel vor allem durch (a) Aufträge und (b) teils durch Subventionen/Programme. Historisch gab es in SH beträchtliche Werftensubventionen. Heute setzt die Landespolitik eher auf Netzwerkförderung und Lobbyarbeit für die Branche. Die Unternehmen selbst betonen die Bedeutung eines planbaren politischen Rahmens. So wurde 2022 im Kieler Positionspapier angemahnt, dass eine starke heimische Rüstungsindustrie für Sicherheit und Wirtschaft nötig ist – und die Politik reagierte mit Unterstützungszusagen. Die kommenden Jahre werden zeigen, inwieweit Finanzhilfen konkret fließen. Aktuell profitiert Kiel vor allem davon, dass die Bundeswehr-Bestellungen hochgefahren wurden, was die lokalen Firmen auslastet.
Wirtschaftliche Situation: Erfolge und Rückschläge in Kiel
Die Rüstungsindustrie im Raum Kiel befindet sich im Aufwind, steht jedoch je nach Unternehmen sehr unterschiedlich da. Viele Betriebe verzeichnen Wachstum, zugleich gab es in den letzten Jahren auch einige Krisen und sogar Schließungen:
Positive Entwicklungen: Seit dem Anstieg der Verteidigungsausgaben 2022 melden die meisten Kieler Rüstungsfirmen gute Geschäfte. Beispielsweise stieg der Umsatz des KNDS-Instandsetzungswerks Freisen (zwar im Saarland, aber sinnbildlich) von 25 Mio. € (2015) auf 92 Mio. € in 2023 und die Belegschaft dort von 180 auf fast 700 Mitarbeiter. In Schleswig-Holstein insgesamt wuchs die Zahl der Wehrtechnik-Beschäftigten auf ~7.700 – doppelt so viele wie 1992. Rheinmetall Kiel meldete Ende 2022 die höchste Mitarbeiterzahl seit langem (allein 842 bei Rheinmetall Landsysteme in Kiel) und will weiter einstellen. Thyssenkrupp Marine Systems hat prall gefüllte Auftragsbücher – der U-Boot-Bauer an der Förde erhält plötzlich Milliardenaufträge und ist bis 2040 ausgelastet. GNYK zeigt sich optimistisch, durch neue Projekte (z.B. unbemannte Abfangboote) wachsen zu können. Auch Anschütz erwartet moderates Umsatzwachstum in den kommenden Jahren. Diese Erfolge hängen eng mit der global unsicheren Lage zusammen. Kriege in Europa und Nahost führen zu mehr Aufträgen (allein 64% der deutschen Rüstungsexporte im 1. Halbjahr 2024 gingen in die Ukraine). Somit ist die Auftragslage vieler Kieler Firmen derzeit gut – trotz aller Diskussionen um Exportkontrolle.
Kritische Fälle und Schließungen: Andererseits gab es Firmen, die wirtschaftlich scheiterten. Das prominenteste Beispiel ist Sig Sauer in Eckernförde: Der Traditions-Waffenhersteller sah „keine wirtschaftliche Produktion mehr möglich“ und schloss Ende 2020 seinen Standort. Man beklagte deutsche Regulierungen und den Ausschluss von staatlichen Aufträgen. 125 Mitarbeiter verloren ihre Jobs. Ein weiterer Rückschlag ereignete sich 2021 mit der Insolvenz der Nobiskrug-Werft in Rendsburg. Nobiskrug (Teil der Privinvest-Gruppe, Schwesterwerft von GNYK) war vor allem im Megayacht-Bau tätig, hatte aber auch Navy-Erfahrung. Die Werft mit 330 Beschäftigten meldete im April 2021 Insolvenz an – Grund waren „kritische Entwicklungen im Yachtbau“, Auftragsstornierungen und Verluste. Corona habe die Situation verschärft, hieß es. Bereits 2020 hatte Nobiskrug 120 Leuten betriebsbedingt gekündigt. Die Pleite schockierte die Werftenlandschaft; der Wirtschaftsminister sprach von einer sehr schwierigen Lage der Branche und begrenzten Eingriffsmöglichkeiten des Landes. Immerhin: Die Schwesterbetriebe German Naval Yards Kiel und Lindenau in Kiel waren von Nobiskrugs Insolvenz nicht direkt betroffen und wurden weitergeführt. GNYK selbst musste jedoch Ende 2021 einen Stellenabbau von rund 134 Mitarbeitern vereinbaren, nachdem der Großauftrag Fregatte F126 an die Konkurrenz gegangen war (dies wurde als schmerzhafter Kompromiss bezeichnet). Solche Dämpfer zeigen, dass Konkurrenzdruck und Auftragsschwankungen erhebliche Risiken bergen. Auch die Zulieferer spüren Unsicherheiten: Trotz boomender Nachfrage gibt es Engpässe (Fachkräftemangel, Material) und die Unternehmen sorgen sich, ob die Sonderinvestitionen langfristig fortgeführt werden – zumal das 100-Mrd.-Sondervermögen irgendwann erschöpft ist.
Perspektive: Insgesamt ist die wirtschaftliche Lage der Kieler Rüstungsindustrie derzeit weitgehend stabil bis wachsend, mit punktuellen Schwierigkeiten. Firmen wie Rheinmetall und TKMS sind “Jobmotoren” geworden, neue Mitarbeiter werden händeringend gesucht – oft auch Quereinsteiger aus zivilen Branchen. Gleichzeitig mahnen Beobachter, die Branche stehe im Spannungsfeld zwischen Notwendigkeit und ethischer Diskussion. Für Kiel bedeutet das: Die Rüstungsfirmen werden auch in Zukunft eine zentrale Rolle in der regionalen Wirtschaft spielen. Politik und Industrie arbeiten enger zusammen, um den Standort zu stärken und etwaige Krisen zu bewältigen. Die “Zeitenwende” hat Kiel als Bundeswehr- und Rüstungsstandort neu belebt. Das zeigt sich auch daran, dass Auslieferungen von in Kiel entwickelten Panzern nach Osteuropa inzwischen fast routinemäßig über den Hafen erfolgen.
Abschließend lässt sich sagen: Die Rüstungsindustrie im Raum Kiel befindet sich – anknüpfend an ihre lange Tradition – in einer Phase der Expansion und Modernisierung. Neue staatliche Aufträge und sicherheitspolitische Realitäten schaffen Chancen für Unternehmen und Beschäftigte. Staatliche Förderungen und politische Unterstützung flankieren diesen Prozess, während gleichzeitig die Risiken von Marktschwankungen und politischen Entscheidungen bestehen bleiben. Kiel wird auch künftig ein bedeutender Standort der deutschen Wehrtechnik bleiben, mit all den wirtschaftlichen und politischen Implikationen, die dieser Status mit sich bringt.
Quellen: Die Aussagen und Zahlen stützen sich auf aktuelle Berichte und Angaben aus Fachartikeln und Presse, darunter Kieler Nachrichten, IHK Schleswig-Holstein, dpa-Meldungen (SZ, Zeit), das Deutsche Wirtschaftsforum (DW) sowie Archivmaterial (Spiegel, gegenwind-Info). Diese Quellen belegen die Entwicklungen in Saarland und Kiel und bieten einen Überblick über die Rüstungsunternehmen, staatliche Aufträge, Förderungen und die wirtschaftliche Lage seit 2022.
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