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Sind Zurückweisungen an der deutschen Grenze geboten?

Arbeitsrecht – Erbrecht - Schulrecht

Sind Zurückweisungen an der deutschen Grenze geboten?

Grenzkontrolle

Die Frage, ob Zurückweisungen an der deutschen Grenze geboten sind, ist derzeit ein heiß diskutiertes Thema in Deutschland. Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, hat kürzlich betont, dass Zurückweisungen nicht nur möglich, sondern sogar geboten seien1. Er argumentiert, dass es keine europarechtliche Regel gibt, die über dem deutschen Paragrafen 18 des Asylgesetzes steht, und dass Menschen aus sicheren Drittstaaten die Einreise verweigert werden sollte1.

Die Union unterstützt diese Ansicht und fordert, dass Menschen ohne Bleiberecht direkt an den deutschen Grenzen zurückgewiesen werden2. Innenministerin Nancy Faeser hat angekündigt, die Grenzkontrollen auszuweiten, was zu einer Zunahme der Zurückweisungen führen könnte

Der ehemalige Verfassungsrichter Prof. P.M. Huber schreibt dazu in der FAZ vom 9.9.2024:

Das Dublin-System sollte die Wirkungen des Art. 16a GG auf Europa übertragen. Hätte dies funktioniert, dürfte es in Deutschland praktisch keine Asylbewerber geben. Tatsächlich aber hat Deutschland ausweislich der Zahlen von EUROSTAT seit mehr als 20 Jahren die weitaus meisten Asylbewerber aufgenommen, mitunter bis zu 70 Prozent. Offenkundig leidet die Dublin-III-VO – wie ihre Vorgängerinnen – an einem strukturellen Vollzugsdefizit. Eine Norm, die an einem strukturellen Vollzugsdefizit leidet, ist jedoch nichtig (BVerfGE 133, 168 Rn. 116 ff.), denn sie verletzt die Gleichheit vor dem Gesetz, die auch zu den grundlegenden Werten der EU gehört (Art. 2 EUV). Fehlt es aber an einem wirksamen EU-Asyl­system, ist nach Art. 16a Abs. 5 GG die deutsche Regelung über sichere Drittstaaten (Art. 16a Absatz 2 GG, § 18 AsylG) unmittelbar anwendbar.

Was steht in den Normen, die Politiker, Medien und Juristen zitieren tatäschlich?

Hier der Überblick:

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Art 16a 

(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.

(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.

(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.

(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.
 
(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.

Asylgesetz (AsylG)
§ 18 Aufgaben der Grenzbehörde

(1) Ein Ausländer, der bei einer mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörde (Grenzbehörde) um Asyl nachsucht, ist unverzüglich an die zuständige oder, sofern diese nicht bekannt ist, an die nächstgelegene Aufnahmeeinrichtung zur Meldung weiterzuleiten.
(2) Dem Ausländer ist die Einreise zu verweigern, wenn
1. er aus einem sicheren Drittstaat (§ 26a) einreist,
2. Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und ein Auf- oder Wiederaufnahmeverfahren eingeleitet wird, oder
3. er eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er in der Bundesrepublik Deutschland wegen einer besonders schweren Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist, und seine Ausreise nicht länger als drei Jahre zurückliegt.
(3) Der Ausländer ist zurückzuschieben, wenn er von der Grenzbehörde im grenznahen Raum in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit einer unerlaubten Einreise angetroffen wird und die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen.
(4) Von der Einreiseverweigerung oder Zurückschiebung ist im Falle der Einreise aus einem sicheren Drittstaat (§ 26a) abzusehen, soweit
1. die Bundesrepublik Deutschland auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages mit dem sicheren Drittstaat für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig ist oder
2. das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat es aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland angeordnet hat.
(5) Die Grenzbehörde hat den Ausländer erkennungsdienstlich zu behandeln.

Konsolidierte Fassung des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union
DRITTER TEIL – DIE INTERNEN POLITIKEN UND MASSNAHMEN DER UNION
TITEL V – DER RAUM DER FREIHEIT, DER SICHERHEIT UND DES RECHTS
KAPITEL 2 – POLITIK IM BEREICH GRENZKONTROLLEN, ASYL UND EINWANDERUNG
Artikel 78 (ex-Artikel 63 Nummern 1 und 2 und ex-Artikel 64 Absatz 2 EGV)

(1)   Die Union entwickelt eine gemeinsame Politik im Bereich Asyl, subsidiärer Schutz und vorübergehender Schutz, mit der jedem Drittstaatsangehörigen, der internationalen Schutz benötigt, ein angemessener Status angeboten und die Einhaltung des Grundsatzes der Nicht-Zurückweisung gewährleistet werden soll. Diese Politik muss mit dem Genfer Abkommen vom 28. Juli 1951 und dem Protokoll vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge sowie den anderen einschlägigen Verträgen im Einklang stehen.

(2)   Für die Zwecke des Absatzes 1 erlassen das Europäische Parlament und der Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Maßnahmen in Bezug auf ein gemeinsames europäisches Asylsystem, das Folgendes umfasst:

a)

einen in der ganzen Union gültigen einheitlichen Asylstatus für Drittstaatsangehörige;

b)

einen einheitlichen subsidiären Schutzstatus für Drittstaatsangehörige, die keinen europäischen Asylstatus erhalten, aber internationalen Schutz benötigen;

c)

eine gemeinsame Regelung für den vorübergehenden Schutz von Vertriebenen im Falle eines Massenzustroms;

d)

gemeinsame Verfahren für die Gewährung und den Entzug des einheitlichen Asylstatus beziehungsweise des subsidiären Schutzstatus;

e)

Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Antrags auf Asyl oder subsidiären Schutz zuständig ist;

f)

Normen über die Aufnahmebedingungen von Personen, die Asyl oder subsidiären Schutz beantragen;

g)

Partnerschaft und Zusammenarbeit mit Drittländern zur Steuerung des Zustroms von Personen, die Asyl oder subsidiären beziehungsweise vorübergehenden Schutz beantragen.

(3)   Befinden sich ein oder mehrere Mitgliedstaaten aufgrund eines plötzlichen Zustroms von Drittstaatsangehörigen in einer Notlage, so kann der Rat auf Vorschlag der Kommission vorläufige Maßnahmen zugunsten der betreffenden Mitgliedstaaten erlassen. Er beschließt nach Anhörung des Europäischen Parlaments.

Die Dublin-III-Verordnung (Verordnung (EU) Nr. 604/2013) regelt, welcher EU-Mitgliedstaat für die Bearbeitung eines Asylantrags zuständig ist. Sie basiert auf dem Grundsatz, dass nur ein EU-Mitgliedstaat für die Prüfung eines Asylantrags verantwortlich ist, um sogenannte “Asyl-Shopping” zu vermeiden, also das Stellen mehrerer Asylanträge in verschiedenen Ländern.

Die wichtigsten Rahmenbedingungen der Dublin-III-Verordnung sind:

1. Zuständigkeit des Erstaufnahmestaates

Der Mitgliedstaat, in dem der Asylsuchende zuerst die EU betritt, ist in der Regel für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig. Diese Regel basiert auf der Annahme, dass der Staat, der für die Außengrenze verantwortlich ist, auch die Kontrolle über den Zustrom von Asylbewerbern hat.

2. Familienzusammenführung

Ein zentrales Element der Dublin-III-Verordnung ist die Berücksichtigung der Familienzusammenführung. Wenn der Asylsuchende enge Familienangehörige in einem anderen EU-Mitgliedstaat hat, kann dieser Staat aus humanitären Gründen für den Asylantrag zuständig werden. Dies gilt insbesondere für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge.

3. Humanitäre Klauseln

Die Verordnung enthält sogenannte Souveränitätsklauseln und humanitäre Klauseln, die es einem Mitgliedstaat ermöglichen, die Zuständigkeit für einen Asylantrag zu übernehmen, auch wenn er eigentlich nicht der zuständige Staat wäre, z. B. aus humanitären Gründen oder wegen besonderer persönlicher Umstände des Antragstellers.

4. Fristen

Die Dublin-III-Verordnung legt genaue Fristen fest, innerhalb derer ein Asylbewerber in den zuständigen Staat überstellt werden muss. Wenn diese Fristen nicht eingehalten werden, geht die Zuständigkeit für den Asylantrag auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylsuchende sich aufhält.

5. Überstellungsverfahren

Wenn festgestellt wird, dass ein anderer Mitgliedstaat für den Asylantrag zuständig ist, muss der Antragsteller dorthin überstellt werden. Dabei gibt es klare Vorschriften zum Verfahren, zur Wahrung der Rechte der Asylbewerber und zur Einhaltung der Fristen.

6. Rechtsschutz und Beschwerdemöglichkeiten

Antragsteller haben das Recht, gegen die Entscheidung, sie in einen anderen Mitgliedstaat zu überstellen, Rechtsmittel einzulegen. Es gibt auch Regelungen für den Zugang zu Informationen über ihre Rechte während des Dublin-Verfahrens.

7. Schutz der Menschenrechte

Dublin III stellt sicher, dass während des gesamten Prozesses die Grundrechte der Asylsuchenden respektiert werden, insbesondere durch Verweis auf die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK).

Die Umsetzung der Dublin-III-Verordnung setzt einen wirksamen Schutz der EU-Außengrenzen voraus.

Der Grundgedanke hinter der Dublin-Verordnung, insbesondere der Zuständigkeit des Erstaufnahmelandes, ist, dass der Mitgliedstaat, der die Außengrenze kontrolliert und über diese die Asylsuchenden einreisen, in der Lage sein sollte, Asylanträge zu bearbeiten.

Warum ist der Schutz der Außengrenzen wichtig?

  1. Kontrolle des Flüchtlingsstroms: Ein wirksamer Schutz der Außengrenzen sorgt dafür, dass der Zustrom von Asylsuchenden ordnungsgemäß registriert und kontrolliert wird. Ohne diesen Schutz könnten Asylsuchende unkontrolliert in die EU gelangen und dann innerhalb des Schengen-Raums ohne Grenzkontrollen weiterreisen. Dies würde das Dublin-System untergraben, da die Zuständigkeit für den Asylantrag nicht mehr klar dem Erstaufnahmeland zugeordnet werden könnte.

  2. Registrierung und Fingerabdrücke: Die Verordnung geht davon aus, dass Asylsuchende in dem ersten EU-Staat, den sie betreten, registriert und ihre Fingerabdrücke in der EURODAC-Datenbank gespeichert werden. Diese Registrierung ist entscheidend, um festzustellen, welcher Staat für den Asylantrag zuständig ist. Ohne wirksamen Grenzschutz besteht das Risiko, dass viele Asylsuchende die Registrierung umgehen.

  3. Vermeidung von Sekundärmigration: Sekundärmigration bedeutet, dass Asylsuchende nach ihrer Ankunft in einem EU-Land weiter in andere EU-Länder reisen, um dort einen Asylantrag zu stellen. Ein wirksamer Schutz der Außengrenzen sowie die ordnungsgemäße Registrierung der Asylsuchenden soll sicherstellen, dass dies vermieden wird.

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