Solidaritätszuschlag ist verfassungsgemäß

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 26. März 2025 eine Verfassungsbeschwerde gegen den Solidaritätszuschlag zurückgewiesen.
Wesentlicher Inhalt des Urteils:
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Rechtmäßigkeit bestätigt: Der Solidaritätszuschlag (SolZG 1995) bleibt verfassungsgemäß. Es besteht kein evidenter Wegfall des wiedervereinigungsbedingten Mehrbedarfs des Bundes, weshalb der Gesetzgeber nicht verpflichtet ist, die Abgabe aufzuheben oder weiter zurückzuführen.
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Finanzverfassungsrechtliche Bewertung:
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Der Solidaritätszuschlag ist eine ergänzende Bundesabgabe gem. Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG.
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Solche Abgaben setzen einen aufgabenbezogenen Mehrbedarf voraus, der vom Gesetzgeber nur in den Grundzügen zu umreißen ist.
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Es besteht eine Beobachtungsobliegenheit des Gesetzgebers hinsichtlich der Fortgeltung der Erhebungsvoraussetzungen.
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Trotz Auslaufens des Solidarpakts II sei ein solcher Mehrbedarf auch heute noch nicht offensichtlich entfallen.
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Verfassungsrechtliche Einordnung:
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Das SolZG 1995 stellt eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne von Art. 14 Abs. 1 GG dar.
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Auch Art. 3 Abs. 1 GG (Gleichheitsgrundsatz) ist nicht verletzt. Die soziale Staffelung des Solidaritätszuschlags und die unterschiedliche Behandlung von Einkommensteuer- und Körperschaftsteuerpflichtigen sind sachlich gerechtfertigt.
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Die Erhebung von 5,5 % sei nicht übermäßig und stehe nicht in einem evidenten Missverhältnis zum Finanzbedarf.
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Sondervotum: Richterin Wallrabenstein kritisiert die vom Senat formulierten materiellen Voraussetzungen und Kontrollmaßstäbe. Diese schränkten den finanzpolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers unangemessen ein und könnten verfassungsrechtliche Unsicherheit erzeugen.
Abweichende Meinung der Richterin Wallrabenstein:
Die Maßstabsbildung und den damit konstruierten Kontrollanspruch des Senats darüber, ob vom Gesetzgeber angeführte Finanzbedarfe (fort)bestehen, halte ich für verfehlt. Auch wenn der Senat diese Kontrolle zurückgenommen ausübt, erschweren die neue Benennungspflicht und Beobachtungsobliegenheit die Erhebung einer Ergänzungsabgabe. Dies schafft verfassungsrechtliche Unsicherheit.
Erfasst man den grundgesetzlichen Gestaltungsrahmen für den Steuergesetzgeber anhand von Art. 14 GG, bilden Privatnützigkeit und Sozialbindung seine beiden Pole. Der Schutz vor einer Steuerlast durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ist wesentlich auch durch Art. 14 Abs. 2 GG geprägt. Gerade wegen der Entscheidung des Grundgesetzes für den Schutz des Privateigentums sind Steuern das wesentliche Instrument für eine regelmäßige und damit nachhaltig freiheitssichernde Korrektur der Eigentumsentwicklung, die der Umverteilung bedarf.
Indem der Senat die Ergänzungsabgabe an materielle Voraussetzungen bindet, verkürzt er diesen Gestaltungsspielraum einseitig. Der Bundestag muss dadurch seine Budgetentscheidungen nicht nur allen Bürgerinnen und Bürgern gegenüber demokratisch verantworten. Zusätzlich ist er nun speziell denjenigen, deren Eigentum er durch eine Ergänzungsabgabe belastet, nochmals rechenschaftspflichtig. Diese Erweiterung der Eigentümerstellung zu einem Kontrollrecht über Staatsausgaben ist mit Art. 14 Abs. 1 und 2 GG nicht in Einklang zu bringen.
Zudem belegt der Senat die Ergänzungsabgabe mit einem für das Steuerrecht grundlegend neuartigen Kassationsrisiko. Ob der aufgabenbezogene Mehraufwand, den der Bundestag zur Rechtfertigung einer Ergänzungsabgabe angeben muss, tatsächlich und in der Höhe des durch die Ergänzungsabgabe erzielten Steuervolumens besteht und nicht in evidenter Weise entfallen ist, will der Senat entscheiden. Dies zeigt seine Bereitschaft, in die Finanzpolitik einzugreifen. Das widerspricht meinem Grundverständnis der aus dem Demokratieprinzip und der Gewaltenteilung folgenden Kompetenzgrenzen des Bundesverfassungsgerichts.
Wenn ein als befristet verstandenes Sonderopfer faktisch zur Dauereinrichtung wird, dann droht der Vertrauensverlust in fiskalische Ausnahmeinstrumente.
Das juristische Problem: „Befristung ohne Frist“
Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 1995 (Beschluss vom 22. Juni 1995, Az. 2 BvL 37/91) anerkannt, dass eine Ergänzungsabgabe wie der Solidaritätszuschlag einen konkreten finanziellen Mehrbedarf voraussetzt, und dass sie nicht zur dauerhaften Steuererhöhung mutieren darf. Allerdings hat es keine feste zeitliche Grenze gezogen. Vielmehr stellte es auf einen „temporären Mehrbedarf“ ab, ohne diesen zeitlich zu konkretisieren.
Dieser offene Maßstab wurde 2025 fortgeschrieben, nur dass das Bundesverfassungsgericht nun verlangt, dass der Gesetzgeber „in gewissen Abständen“ prüft, ob der Mehrbedarf „evident entfallen“ ist. Solange das nicht der Fall ist, bleibt die Abgabe möglich.
➤ Juristisch ist das möglich, aber es droht der Verlust an fiskalischer Klarheit und Vertrauensschutz.
Das demokratisch-ökonomische Problem: Erosion der fiskalischen Glaubwürdigkeit
Der Solidaritätszuschlag wurde in der Öffentlichkeit stets als zweckgebundenes Solidaropfer für den Aufbau Ost verkauft – obwohl rechtlich keine Zweckbindung bestand. Die politische Kommunikation erzeugte Erwartungen beim Bürger:
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Der Zuschlag sei zeitlich begrenzt.
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Die Abgabe diene einem konkreten Zweck.
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Nach Erreichen dieses Zwecks würde er entfallen.
Wenn nun nach über 30 Jahren dieser Zweck nicht mehr eindeutig greifbar ist – aber die Abgabe weiterhin erhoben wird – entsteht ein Legitimitätsdefizit:
Bürger fragen sich: „Was kommt als Nächstes – der Klimazuschlag für 50 Jahre? Der Pandemiebeitrag für ein Jahrhundert?“
Der Staat läuft damit Gefahr, dass Sonderopfer in reguläre Steuerlasten überführt werden – ohne den Bürger offen darüber abstimmen zu lassen. Das beschädigt das Vertrauen in fiskalische Ausnahmeinstrumente, die ja gerade nur durch ihre zeitliche Begrenzung legitim erscheinen.
Die politische Verantwortung liegt beim Gesetzgeber
Das Bundesverfassungsgericht hat den Gesetzgeber mit seiner Entscheidung vom 26. März 2025 nicht entlastet, sondern ihn vielmehr in die Pflicht genommen:
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Er muss die Berechtigung der Abgabe beobachten,
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und er muss ihre Fortführung regelmäßig rechtfertigen.
➤ Die Entscheidung ermöglicht die Fortführung – sie erzwingt sie aber nicht.
Gerade weil die verfassungsrechtliche Schwelle („evidenter Wegfall“) sehr hoch ist, liegt es am Gesetzgeber, aus politischer Klugheit, fiskalischer Transparenz und demokratischer Glaubwürdigkeit heraus den Soli zu beenden oder durch ein transparentes Instrument zu ersetzen.
Rechtlich tragfähig – demokratisch fragwürdig
Ein fiskalisches „Sonderopfer“ darf nicht zu einem versteckten Teil des Grundsteuersystems mutieren – sonst ist die nächste „befristete“ Steuerkrise vorprogrammiert.
Der Vertrauensschaden ist kein juristisches Problem – sondern ein Problem für die Demokratie.