Kann sich Deutschland ein Wachsen der Bürokratie leisten?

Dieser Fragestellung geht auch Dr. Stelter in seinem Podcast nach: Bleibt nur die Kettensäge
Dabei geht es auch um den Normenkontrollrat – was ist das?
Der Nationale Normenkontrollrat (NKR) ist seit seiner Gründung im Jahr 2006 ein zentrales Instrument der Bundesregierung zur Kontrolle und Reduktion von Bürokratiekosten – jedoch mit begrenzten exekutiven Befugnissen. Ein Wachsen der Bürokratie konnte er nicht verhindern.
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Der NKR wurde durch das Gesetz zur Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrats vom 14. August 2006 geschaffen (§ 6 Abs. 1 NKRG).
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Er ist ein unabhängiges, nur der Bundesregierung zuarbeitendes Beratungsgremium.
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Er prüft insbesondere:
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Bürokratiekosten (Erfüllungsaufwand) neuer Gesetzes- und Verordnungsentwürfe,
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Folgekostenabschätzungen,
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seit 2023: die digitale Umsetzbarkeit (Digitalcheck).
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Er kann Empfehlungen abgeben, aber keine Gesetze verhindern oder verändern.
In der Anfangszeit (2006–2013) wurden viele Empfehlungen formal aufgenommen, aber nicht systematisch umgesetzt.
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Seit 2015, im Kontext mit dem Bürokratieentlastungsgesetz I–III (BEG), ist der NKR politisch sichtbarer geworden.
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Die Ampelregierung (ab 2021) hat im Koalitionsvertrag betont, die Rolle des NKR stärken zu wollen – mit Einführung des Digitalchecks (2023) als Folge.
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- Der NKR kann mit negativen Stellungnahmen politischen Druck aufbauen, z. B. wenn Gesetzentwürfe keine nachvollziehbaren Bürokratiekosten enthalten.
- In Einzelfällen wurden Entwürfe aufgrund von NKR-Kritik überarbeitet oder verzögert – etwa im Steuerrecht oder im OZG-Kontext.
Die Frage, ob Deutschland es sich leisten kann, dass der öffentliche Sektor wächst, während die Wirtschaftsleistung stagniert oder schrumpft, berührt grundlegende ökonomische und fiskalische Zusammenhänge.
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Finanzierung des Staates hängt von der privaten Wertschöpfung ab:
Der öffentliche Dienst produziert zum Großteil keine marktfähigen Güter, sondern wird durch Steuern und Abgaben finanziert. Wenn das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stagniert oder sinkt, während der öffentliche Sektor wächst, steigt der Umverteilungsdruck. Eine dauerhaft negative Entwicklung der privaten Wertschöpfung untergräbt die Finanzierungsbasis des Staates. -
Produktivitätsasymmetrie:
In vielen staatsnahen Tätigkeiten (z. B. Verwaltung, Bildung, Pflege) lässt sich Produktivität nur begrenzt steigern (Baumol’sches Kostenkrankheit-Phänomen), während diese Bereiche lohnseitig mit der Privatwirtschaft konkurrieren müssen. Wenn der Staatsanteil wächst, ohne dass die Gesamtproduktivität zunimmt, droht eine ineffiziente Allokation von Arbeitskräften. -
Crowding-Out-Effekte:
Ein überproportionales Wachstum des öffentlichen Sektors kann qualifizierte Fachkräfte vom privaten Sektor abziehen, Löhne nach oben treiben und Investitionen verdrängen (insb. in kapitalintensiven Branchen). In Kombination mit wirtschaftlicher Stagnation verschärft das die strukturelle Wachstumsschwäche. -
Fiskalische Nachhaltigkeit:
Ein dauerhaft wachsender öffentlicher Dienst bei stagnierendem Steueraufkommen gefährdet die Einhaltung der Schuldenbremse (Art. 109 Abs. 3 GG) und die Tragfähigkeit öffentlicher Haushalte, besonders im Kontext demografischer Belastungen (Renten, Pflege, Gesundheit). -
Verfassungsrechtliche Grenzen:
Der Staat ist zur wirtschaftlichen Vernunft verpflichtet (z. B. über das Haushaltsverfassungsrecht und das Prinzip der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, § 7 BHO). Eine dysfunktionale Personalstruktur widerspräche diesem Prinzip.
Der Normenkontrollrat schätzt den Bürokratiekostenaufwand für Unternehmen allein auf ca. 50 bis 60 Mrd. Euro jährlich.
Interne Verwaltungskosten (auch infolge von Regelungsdichte, Kontrolle, Genehmigungen etc.) sind ein Vielfaches davon. Laut IW Köln könnten bei konsequenter Digitalisierung und Entbürokratisierung 10 bis 15 % der öffentlichen Personalkosten eingespart werden.
Rechenbeispiel: Bei rund 5,2 Mio. Beschäftigten im öffentlichen Dienst (2023) und durchschnittlichen Personalkosten von ca. 60.000 € jährlich ergibt sich ein Bruttovolumen von >310 Mrd. €.
Eine Einsparung von 10 % entspricht also etwa 31 Mrd. € jährlich.
Ein Bürokratieabbau hätte voraussichtlich folgende Wachstumswirkungen:
a) Freisetzung produktiver Arbeitskräfte
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Werden qualifizierte Arbeitskräfte aus administrativen Funktionen (z. B. redundante Behörden, Genehmigungsstellen, Prüfeinheiten) freigesetzt, können sie in der Privatwirtschaft eingesetzt werden – dort ist die durchschnittliche Produktivität in der Regel höher.
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Laut empirischen Studien (OECD, Ifo) kann ein solcher Transfer das BIP pro Erwerbstätigem um 0,2 bis 0,5 % pro Jahr steigern.
b) Investitionsfreisetzung
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Bürokratie gilt als Investitionshemmnis. Weniger Regulierung, schnellere Genehmigungen und klarere Zuständigkeiten fördern Innovation und Kapitalbindung in produktiven Bereichen.
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Das kann die Total Factor Productivity (TFP) erhöhen – ein zentraler Treiber des BIP pro Kopf.
c) Staatliche Konsolidierungseffekte
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Eine konsequente Reduktion der laufenden Ausgaben erlaubt entweder:
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Steuersenkungen, was private Nachfrage oder Investitionen anregen könnte, oder
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Defizitabbau, was mittel- bis langfristig Zinsbelastungen senkt und fiskalischen Spielraum eröffnet.
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Und jetzt noch ein Bundesministerium für Digitalisierung und Staatsmodernisierung dazu?
Mit Karsten Wildberger, dem bisherigen CEO von MediaMarktSaturn, als designiertem Minister, soll ein erfahrener Topmanager die Leitung übernehmen . Das Ministerium soll zentrale Aufgaben im Bereich Digitalisierung und Modernisierung des Staates übernehmen – was bedeutet dies – auch für die Zukunft des Ministeriums selbst?
1. Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Ausgangslage
a) Ministerien sind kein Selbstzweck
Gemäß Art. 65 GG („Ressortprinzip“) sind Bundesministerien bloße Verwaltungsorgane zur Erfüllung bestimmter Regierungsaufgaben. Sie sind damit instrumentelle Einrichtungen, nicht institutionell dauerhaft notwendig. Das bedeutet:
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Ihre Existenz ist nur solange gerechtfertigt, wie ihre Aufgaben nicht anderweitig oder besser erledigt werden können.
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Ein Ministerium, dessen Zweck sich erschöpft hat, muss strukturell zurückgeführt oder aufgelöst werden.
b) Haushaltsrechtliche Anforderungen
Nach § 7 BHO gilt das Prinzip der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit:
„Bei der Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplans sind die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten.“
Ein dauerhaftes Ministerium ohne operative Aufgaben stellt eine Zuwiderhandlung gegen diese Norm dar.
2. Funktionale Perspektive: Digitalisierung ist kein Dauerzustand
a) Digitalisierung ist ein Transformationsprozess
Ein Ministerium für Digitalisierung ist sinnvoll, solange es eine Phase der:
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Technologischen Nachrüstung (IT-Infrastruktur, digitale Akten),
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Prozessvereinfachung (Verwaltungsreform),
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Kompetenzbündelung (Zersplitterung durchbrechen),
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Kulturveränderung (Führung, Datenethik)
strategisch begleiten und steuern muss.
Aber: Wenn die strukturelle Modernisierung des Staats abgeschlossen ist – etwa durch:
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Standardisierte, interoperable IT-Lösungen,
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Durchgängige digitale Verwaltungsprozesse (OZG, Once-Only-Prinzip),
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Flächendeckende Nutzung von KI-gestützter Sachbearbeitung,
dann muss sich das Ministerium selbst abschaffen oder in ein digitales Querschnittsreferat überführt werden.
3. Politisch-pragmatische Argumentation
a) Vorlauf von vier Jahren realistisch
Vier Jahre entsprechen dem Zyklus einer Legislaturperiode – und sind in digitalen Maßstäben sehr lang. Ein fähiges Digitalministerium mit:
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Exekutivischer Durchgriffskraft (z. B. Weisungsbefugnis ggü. anderen Häusern),
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Personal mit digitaler Umsetzungskompetenz (nicht nur IT-Verwaltung),
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Gesetzgeberischer Agenda (Abbau von Normen, Entbürokratisierung),
kann in dieser Zeit den strukturellen Umbau des Staates weitgehend vorbereiten, einleiten und institutionalisieren.
b) Risiko institutioneller Trägheit
Wenn ein solches Ministerium keinen Abschaltplan hat, entsteht das Risiko der Selbstverstetigung, wie bei vielen ursprünglich temporären Behörden (z. B. BAföG-Ämter, Sonderschutzkommissionen, Digitalagenturen).
4. Strategisches Ziel
Ein Digitalministerium muss sich strukturell abschaffen, wenn es die Digitalisierung und Verwaltungsmodernisierung erfolgreich umgesetzt hat. Seine dauerhafte Existenz widerspräche:
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dem verfassungsrechtlichen Auftrag zur Wirtschaftlichkeit,
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dem Transformationscharakter seines Mandats,
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und würde als Symptom bürokratischer Selbstvermehrung wirken.
Empfehlung:
Das Digitalministerium sollte von Anfang an mit einem:
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klaren Aufgabenplan (Roadmap mit messbaren Zielzuständen),
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Selbstabschaffungsmechanismus (z. B. Evaluationsklausel oder Sunset Clause),
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und einem Transferplan für digitale Kompetenzen in die Fachressorts
ausgestattet werden.